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Unterbringung II: Erstes zur Neuregelung des § 64 StGB, oder: Neufälle/Altfälle – anwendbares Recht

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Und im zweiten Posting geht es dann auch noch einmal um das anwendbare Recht in sog. Altfällen.

Dazu bin ich u.a. auf den BGH, Beschl. v. 25.10.2023 – 5 StR 246/23 – und den BGH, Beschl. v. 04.10.2023 – 6 StR 405/23 – gestoßen. In beiden Fällen hat der BGH im Erkenntnisverfahren die Anwendung des neuen Rechts auf „Altfälle“ „gefordert.

In dem dem Beschluss vom 25.10.2023 zugrunde liegenden Verfahren hatte das LG den Angeklagten wegen 21 Fällen des schweren Bandendiebstahls, wobei es dreimal beim Versuch blieb, und zwei weiteren Fällen des Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, eine Einziehungsentscheidung getroffen, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass zwei Jahre der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sind. Die mit der allgemeinen Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung geführt:

„Die Ausführungen des Landgerichts belegen nicht, dass die Voraussetzungen der seit 1. Oktober 2023 geltenden und nach § 2 Abs. 6 StGB auch für Altfälle maßgeblichen Neufassung des § 64 StGB vorliegen, was der Senat nach § 354a StPO zu beachten hat. Beim Angeklagten liegt zwar ein langjähriges Abhängigkeitssyndrom hinsichtlich „Crystal“ (Metamphetamin) vor, das den von der Neufassung des § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzten Begriff einer Substanzkonsumstörung erfüllt (vgl. näher BT-Drucks. 20/5913 S. 69). Die bisherigen Feststellungen belegen aber nicht, dass die Taten des Angeklagten im Sinne der Neuregelung „überwiegend“ hierauf zurückgehen.

Der Gesetzgeber hat hierzu ausgeführt (BT-Drucks. 20/5913 S. 69 f.): „Durch die Ergänzung des Wortes ‚überwiegend‘ soll nunmehr gesetzlich konkretisiert werden, unter welchen Voraussetzungen ein kausaler Zusammenhang zwischen ‚Hang‘ und ‚Anlasstat‘ angenommen werden kann. Nur für den Fall, dass die rechtswidrige Tat überwiegend auf den Hang der Person, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, zurückgeht, ist ein solcher künftig anzunehmen. ‚Überwiegend‘ ursächlich ist der ‚Hang‘ für die ‚Anlasstat‘, wenn dieser mehr als andere Umstände für die Begehung der Tat ausschlaggebend war … Die Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat ist für die Annahme der Kausalität also nur noch dann ausreichend, wenn sie quantitativ andere Ursachen überwiegt. Eine Mitursächlichkeit des ‚Hangs‘ für die ‚Anlasstat‘ unterhalb dieser Schwelle reicht für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals nicht mehr aus. Das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs ist durch das Tatgericht – ggf. unter sachverständiger Beratung – positiv festzustellen.“

Das Landgericht hat bei seiner Prüfung – zum damaligen Zeitpunkt zutreffend – diesen strengeren Anordnungsmaßstab nicht vor Augen gehabt und deshalb seine Feststellungen nicht daran ausgerichtet. Die vom Landgericht getroffene Feststellung, der offenbar über keine nennenswerten anderweitigen Einkünfte im Tatzeitraum verfügende Angeklagte habe die Taten „(auch) zur Finanzierung seines … Betäubungsmittelkonsums begangen“, belegt – auch wenn sie nach dem damaligen Rechtszustand ausreichend war – ein solches Überwiegen nicht. Soweit das Landgericht darauf verwiesen hat, der Angeklagte habe das Metamphetamin gezielt vor Tatbegehung eingenommen, um Hemmungen zu beseitigen, bleibt unberücksichtigt, dass ein symptomatischer Zusammenhang fehlen kann, wenn sich der Täter ohne Rauschmitteleinfluss zur Tat entscheidet und erst anschließend gezielt durch Einnahme von Rauschmitteln enthemmt, um die Tat leichter begehen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1990 – 1 StR 293/90, NJW 1990, 3282; Beschluss vom 30. Juni 2016 – 3 StR 231/16; LK-StGB/Cirener, 13. Aufl., § 64 Rn. 39).

Weil das Landgericht den durch die Neufassung des § 64 StGB veränderten und für die Senatsentscheidung nach § 2 Abs. 6 StGB und § 354a StPO maßgeblichen Anordnungsmaßstab noch nicht berücksichtigen konnte, bedarf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.“

Unterbringung I: Erstes zur Neuregelung des § 64 StGB, oder: Neufälle/Altfälle und Vorwegvollzug

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Und dann ab heute wieder aktuell. Mein Urlaub ist beendet, es gibt also keine vorbereiteten Beiträge mehr.

Und ich beginne heute mit Entscheidungen zur Unterbringung nach § 64 StGB. Da hat sich ja durch die Gesetzesreform im Sommer 2023 einiges geändert (vgl. dazu den Beitrag des RiOLG Hillebrandt aus StRR 7/2023: Die Neuregelung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

ich stelle dazu heute zunächst einen BGH-Entscheidung vor, und zwar den BGH, Beschl. v. 14.11.2023 – 1 StR 354/23 – zur Frage der Anwendung des neuen Rechts mit folgendem Sachverhalt und Gründen des BGH

„Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in zwei Fällen und wegen versuchter Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt; von einem Tatvorwurf zu Lasten einer anderen Geschädigten hat es ihn freigesprochen. Außerdem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und unter Annahme einer prognostizierten Therapiedauer von einem Jahr und neun Monaten bestimmt, dass neun Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Vollstreckung der Maßregel zu vollziehen sind. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen und formellen Rechts beanstandet, ist aus den zutreffenden Erwägungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Allein die Dauer des Vorwegvollzugs, den das Landgericht für sich genommen nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB aF rechtsfehlerfrei berechnet hat, bedarf nach Änderung der §§ 64, 67 StGB mit Wirkung zum 1. Oktober 2023 der Neubestimmung durch das Revisionsgericht (§ 2 Abs. 6 StGB, §§ 354a, 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; § 354 Abs. 1 StPO analog).

1. Gemäß § 67 Abs. 5 Satz 1 erster Halbsatz StGB in der Fassung des am 1. Oktober 2023 in Kraft getretenen Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vom 26. Juli 2023 (BGBl. I Nr. 203) ist der vor der Maßregel zu vollstreckende Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und der anschließenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung nach Erledigung von zwei Dritteln der Strafe möglich ist. Der Senat ist aufgrund der rechtsfehlerfreien Feststellungen und tatgerichtlichen Wertung in der Lage und befugt, die Dauer des Vorwegvollzugs selbst zu berechnen (vgl. zur Anwendung des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 durch das Revisionsgericht insoweit: BGH, Beschluss vom 15. November 2007 – 3 StR 390/07, BGHR StPO 354 Abs. 1 Maßregelausspruch 1 Rn. 3-7).

2. Allein die bei Inkrafttreten des neuen Maßregelrechts schon rechtskräftigen „Altfälle“ sollen vom neuen Vollstreckungsregime ausgenommen werden; insoweit soll sich die Berechnung des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB aF, also nach dem Halbstrafenzeitpunkt, bestimmen (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 77 f. und Art. 316o Abs. 1 Satz 1 EGStGB).

3. Die Voraussetzungen der Art. 316o Abs. 1 Satz 2, Art. 313 Abs. 2 EGStGB sind nicht gegeben.

4. Gemäß § 2 Abs. 6 StGB und mangels eingreifender besonderer Übergangsregelung gilt vielmehr die Vollstreckungsvorschrift des § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB nF seit dem 1. Oktober 2023. Dass die den gleichen Zeitpunkt bestimmende Übergangsvorschrift des Art. 316o Abs. 1 Satz 1 EGStGB (neugefasst gemäß dem eingefügten Art. 5 Abs. 2 durch Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts vom 18. August 2023 [BGBl. I Nr. 218]) ihrerseits wohl erst zum 1. Februar 2024 in Kraft treten soll, ist demnach unerheblich.“

Bewährung III: Bestimmtheit einer Meldeauflage, oder: Ein bisschen Spielraum darf sein

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Bei der dritten Entscheidung handelt es sich heute dann um den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.10.2023 – 2 Ws 310/23. Er befasst sich mit den Anforderungen an die Bestimmtheit einer Meldeweisung. Das zwar im Rahmen der Führungsaufsicht, aber die Problematik kann sich ja auch im Rahmen der Bewährung stellen.

Dem Verurteilten was folgende strafbewehrte Weisung erteilt worden:

„Der Verurteilte wird angewiesen, sich eine Woche nach Zustellung dieses Beschlusses bei der für seinen Wohnort zuständigen Bewährungshilfe persönlich einzufinden und nach näherer Bestimmung durch diese mindestens einmal, höchstens dreimal monatlich, in deren Sprechstunde künftig Termine wahrzunehmen. Die Bewährungshilfe bestimmt, in welcher Form (persönlich, telefonisch, per E-Post, etc) diese Kontaktaufnahme zu erfolgen hat (§ 68 b Abs. 1 Nr. 7 StGB). Diese Weisung ist strafbewehrt.“

Dagegen die Beschwerde der Staatsanwaltschaf, die keinen Erfolg hatte:

„Bezüglich der nach §§ 68a bis 68d StGB zu treffenden Entscheidungen besteht nur ein eingeschränktes Überprüfungsrecht des Senats. Er darf die angefochtene Entscheidung nur auf ihre Gesetzmäßigkeit hin überprüfen (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 S. 2 StPO) und darf insbesondere nicht sein Ermessen an die Stelle des Ermessens der Strafvollstreckungskammer setzen. Gesetzwidrig sind Anordnungen nur dann, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar sind oder sonst die Grenzen des eingeräumten Ermessens überschreiten. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz eingehalten ist (vgl. OLG Karlsruhe, StV 2010, 643 – 644; OLG München, Beschluss vom 29.07.2014 – 3 Ws 581/14 -, juris; KG, Beschluss vom 13.01.2020 – 2 Ws 202-203/19 -, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 15.11.2022 – 2 Ws 325/22 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.03.2023, a.a.O.).

Im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorschriften kommt insbesondere dem Bestimmtheitsgebot freiheitsgewährende Funktion zu (vgl. BVerGE 117, 71 <111>, m.w.N.). Danach hat das Gericht und nicht erst der Bewährungshelfer bei der Erteilung strafbewehrter Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht die Vorgaben so bestimmt zu formulieren, dass der Verurteilte der Weisung unmissverständlich entnehmen können muss, mit welchem Verhalten er gegen sie verstößt (vgl. KG, Beschluss vom 11.12.2019, a.a.O.; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 06.03.2023 – 1 Ws 31/23 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.03.2023, a.a.O.).

Das Bestimmtheitsgebot kann allerdings nicht bedeuten, dass die Weisung bis ins Letzte präzisiert sein muss. Da dem Bewährungshelfer nach § 56d Abs. 3 Satz 2 StGB die Aufgabe zukommt, die Erfüllung der Weisungen zu überwachen, kann es sinnvoll sein, von ihm gewisse Einzelheiten der Mitwirkung des Verurteilten an Kontrollmaßnahmen festlegen zu lassen. Bei der Frage, welche Bestimmtheitsanforderungen im Einzelnen erfüllt sein müssen, ist auch die Intensität der Einwirkungen auf die von der Regelung Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, StV 2012, 481). Danach können gewisse Konkretisierungen der Verhaltensmaßgaben eines Bewährungsbeschlusses dem Bewährungshelfer überlassen werden, soweit eine Konkretisierung unmittelbar durch gerichtlichen Bewährungsbeschluss – beispielsweise im Hinblick auf organisatorische oder durch Interessen des Verurteilten bedingte Flexibilitätserfordernisse – nicht sinnvoll praktikabel ist (BVerfG, a.a.O.).

Der Senat hält im Lichte dieser Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die vorliegend erteilte Vorstellungsweisung, die innerhalb eines eng bemessenen Zeitraums (monatlich) eine Untergrenze (“mindestens einmal monatlich“) und eine Obergrenze (“maximal dreimal monatlich“) festlegt,  für hinreichend bestimmt (so auch: OLG Bamberg, Beschluss vom 15.03.2012 – 1 Ws 138/12 -, BeckRS 2012, 17450; BayObLG, Beschluss vom 23.10.2020 – 203 StRR 414/20 -, BeckRS 2020, 35129; vgl. auch BGH NStZ-RR 2021, 307; a.A. KG, Beschluss vom 11.12.2019, a.a.O.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.03.2023, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2019 – III-1 Ws 495/19 -, juris). Denn der Verurteilte kann der gerichtlichen Weisung unmissverständlich entnehmen, dass er sich mindestens einmal, maximal dreimal im Monat – nach näherer Präzisierung hinsichtlich Anzahl, Zeit und Form durch die Bewährungshilfe – bei dieser vorzustellen hat. Die exakte Festlegung nicht nur einer Ober- und Untergrenze, sondern auch der exakten Frequenz der innerhalb eines vom Gericht festgesetzten Zeitraums wahrzunehmenden Termine, hindert eine flexible, an die jeweilige Lebenssituation des Verurteilten, den aktuellen Betreuungsbedarf und die sonstigen Belange des Verurteilten und des Bewährungshelfers angepasste Handhabung der Vorstellungsweisung. Denn die gerichtliche Weisung, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer vom Gericht vorgegebenen exakten Frequenz bei einem Bewährungshelfer zu melden, kann durch diesen jedenfalls zulasten des Verurteilten nicht abgeändert werden (vgl. BGH, NStZ-RR 2021, 307), weshalb – etwa bei einem phasenweise erhöhten Betreuungsbedarf aufgrund von Umständen in der Person des Verurteilten, die bei Erteilung der gerichtlichen Weisung noch nicht absehbar waren – jeweils die gerichtliche Weisung angepasst werden müsste.“

Bewährung II: Bewährungsaussetzung nach § 36 BtMG, oder: Zumutbarkeit einer Abstinenzweisung

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In der zweiten Entscheidung des Tages nimmt das LG Nürnberg-Fürth im LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 18.10.2023 – 12 Qs 65/23 – im Rahmen der Bewährungsaussetzung bei einem drogenabhängigen Verurteilten zu eineAbstinenzweisung Stellung.

Im Rahmen der Aussetzung der weiteren Vollstreckung verhängten Freiheitsstrafen nach § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung nach einer § 35-er-Maßnahme sindfolgende Weisungen erteilt worden:

„Die Verurteilte wird angewiesen, (…)

  1. c) keine Betäubungsmittel im Sinne des BtMG oder NPSG zu konsumieren; (…)
  2. e) sich … mindestens einmal und höchstens dreimal im Quartal … Suchtmittelkontrollen, … zum Nachweis seiner Abstinenz zu unterziehen.“

Gegen beide Weisungen legte der Verteidiger der Verurteilten sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Verurteilte suchtkrank sei. Das Rechtsmittel hatte Erfolg:

„2. Sie ist auch begründet, da die angegriffenen Anordnungen gesetzeswidrig waren (§ 305a Abs. 1 Satz 2 StPO).

a) Gerichtliche Weisungen für die Bewährungszeit dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen stellen (§ 56c Abs. 1 Satz 2 StGB). Dabei ist es grundsätzlich zulässig, den Verurteilten zur Drogenabstinenz und Abgabe von Abstinenznachweisen anzuweisen, sofern ihm dadurch spezialpräventiv zur Vermeidung künftiger Straftaten geholfen werden soll (BVerfG, Beschluss vom 21.04.1993 – 2 BvR 930/92, juris Rn. 8). Der Verurteilte muss seinen Konsum zu diesem Zweck aber grundsätzlich steuern können (Groß/Kett-Straub in MüKoStGB, 4. Aufl., § 56c Rn. 11). Das ist nicht anzunehmen, wenn bei bestehender Suchtmittelerkrankung noch keine erfolgreiche Therapie stattgefunden hat (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 12.07.2017 – 16 Qs 15/17, BeckRS 2017, 118714 Rn. 14).

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze sind die angegriffenen Abstinenzweisungen für die Verurteilte – derzeit – unzumutbar.

Ausweislich der Feststellungen des landgerichtlichen Urteils vom 03.09.2020 ist die Verurteilte seit ihrem zwölften Lebensjahr drogenabhängig. Eine Langzeittherapie hat sie im Jahr 2015 abgebrochen. Trotz Teilnahme an einem Substitutionsprogramm seit dem Jahr 2019 nahm sie weiterhin Heroin ein. Nach Aktenlage ist auch nach beiden eingangs genannten Verurteilungen keine erfolgreiche Behandlung der Abhängigkeitserkrankung erfolgt. Die Verurteilte wurde aus der Fachklinik … und aus der Fachklinik … auf ärztliche Veranlassung bzw. aus disziplinarischen Gründen vorzeitig entlassen. Der für sich genommen erfolgreiche Aufenthalt im …-Haus stellte demgegenüber keine „echte“ Suchtmitteltherapie dar. Zwar lebte die Verurteilte dort drogenfrei und erhielt eine Rückfallprophylaxe. Jedoch handelt es sich bei dem Haus lediglich um eine therapeutische Übergangseinrichtung. Ausweislich der bei der Akte befindlichen Selbstbeschreibung handelt es sich bei der Übergangseinrichtung um ein Angebot der Eingliederungshilfe, die suchtmittelabhängigen Menschen Unterstützung anbietet, die eine schnelle Stabilisierung ihrer Lebenssituation anstreben. Sie bietet Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung eine drei bis sechsmonatige Aufnahme an, sofern die Indikation vorliegt und Drogenfreiheit vor Aufnahme gewährleistet ist. Angeboten werden dort ein Beschäftigungsprogramm, Freizeitgestaltung und psychosoziale Betreuung (Einzel- und Gruppengespräche sowie unterschiedliche Beratungsangebote). Alles in allem handelt es sich um ein niederschwelliges Angebot zwischen oder nach einzelnen Behandlungsphasen einer Drogentherapie (vgl. allgemein zu solchen Einrichtungen Bohnen in BeckOK BtMG, 19. Ed. 15.06.2023, § 35 Rn. 14, 21). Dementsprechend besteht der Zweck der Übergangseinrichtung vornehmlich (und lediglich) darin, den Suchtkranken zu stabilisieren, nicht aber darin, ihn im technischen Sinne zu therapieren.

Hiervon ausgehend sieht die Kammer keine hinreichend tragfähige Grundlage dafür, dass die Verurteilte ihren Drogenkonsum momentan ausreichend steuern kann. Demgemäß waren die angegriffenen Weisungen aufzuheben.“

Bewährung I: Widerruf der Strafaussetzung, oder: Wenn es die Anlassentscheidung so nicht gibt

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Den Reigen von Bewährungsentscheidungen, die ich heute vorstelle, eröffne ich mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 09.10.2023 – 7 Ws 155/23. Es geht um den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB nach einer Exequaturentscheidung.

Folgender Sachverhalt:

„Das Amtsgericht in Stadt1/Kroatien (Az. Kov-111/2020-22) hat den Beschwerdeführer mit Urteil vom 29. April 2020, rechtskräftig seit dem 16. Juli 2020, wegen „Beihilfe zur unerlaubten Drogenproduktion und zum unerlaubten Drogenverkehr“ verurteilt, weil er im November 2019 am Anbau von Cannabis beteiligt war. Das Gericht hat auf eine Freiheitsstrafe von elf Monate erkannt, die durch „Arbeit für gemeinnützige Zwecke“ ersetzt wurde, wobei „ein in der Haft verbrachter Tag mit zwei Stunden Arbeit ersetzt“ wurde, was nach dem Urteilsspruch 660 Stunden abzuleistende Arbeit entspricht. Ferner hat das Gericht bestimmt, dass diese Arbeit nach der Zustimmung des Beschwerdeführers vor der Probationskommission für gemeinnützige Zwecke in einer von der Kommission festgelegten Frist, die nicht kürzer als einen Monat und nicht länger als zwei Jahre betragen darf, zu erbringen ist. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer die Arbeit für gemeinnützige Zwecke durch eigene Schuld ganz oder teilweise nicht erbringt, ist schließlich bestimmt, dass das Gericht die Vollstreckung der ausgesprochenen Strafe in Ganzheit oder teilweise anordnen wird.

Die kroatischen Behörden haben die deutschen Behörden unter Vorlage des Urteils und Beifügung einer „Bestätigung aus Anhang I, Rahmenbeschluss 2008/947 / JI des Europarats vom 27. November 2008 für die Anerkennung von Bewährungsentscheidungen“ um die Anerkennung der Bewährungsentscheidung des vorgenannten Urteils ersucht. In dieser Bestätigung ist unter Ziff. 5) ausgeführt, dass der Beschwerdeführer während des Verfahrens fünf Monate in Untersuchungshaft verbracht habe, was bedeute, dass er noch sechs Monate Haft verbüßen und dementsprechend noch 360 Stunden für das Gemeinwohl arbeiten müsse.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main hat mit Datum vom 27. September 2021 das Vorliegen von Bewilligungshindernissen gemäß § 90c IRG verneint und am selben Tag Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 90g Abs. 1, 90h Abs. 1 IRG gestellt.

Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Staatsanwaltsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 27. September 2021 traf das Landgericht Frankfurt am Main – Strafvollstreckungskammer – nach Anhörung des Beschwerdeführers mit Datum vom 15. Dezember 2021 die Exequaturentscheidung. Der Ausspruch lautete dahin, dass die Freiheitsstrafe von elf Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Stadt1 vom 29. April 2020, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, vollstreckbar ist. Zudem wurde bestimmt, dass Teile der Sanktion, die in Kroatien bereits vollstreckt worden sind, anrechenbar seien. Es wurde eine Bewährungszeit von zwei Jahren festgesetzt, innerhalb welcher der Beschwerdeführer 660 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung des für die Überwachung der Bewährung zuständigen Gerichts abzuleisten habe. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist seit dem 30. Dezember 2021 rechtskräftig.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 13. Mai 2022 [Az. 5/26 KLs 5702 Js 230083/21 (3/22)] wegen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil gegen den in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main geständigen Angeklagten ist seit dem 8. Februar 2023 rechtskräftig.

Aufgrund dieser erneuten Verurteilung des Beschwerdeführers hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 12. Juni 2023 die mit der Exequaturentscheidung gewährte Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56f Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB widerrufen. Dabei stellte die Strafvollstreckungskammer – im Anschluss an die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 2022 (Az. 2 Ws 57/22) – darauf ab, dass die Bewährungszeit – obschon die Exequaturentscheidung nach der Begehung der erneuten Tat ergangen ist – bereits mit der Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Stadt1, also seit dem 16. Juli 2020, zu laufen begonnen habe und die Tatbegehung damit innerhalb der Bewährungszeit liege.

Gegen diesen, der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main am 16. Juni 2023 zugestellten Beschluss, richtet sich deren sofortige Beschwerde, die beim Landgericht Frankfurt am 19. Juni 2023 einging.

Zur Begründung führt die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main in der Beschwerdeschrift aus, dass im vorliegenden Verfahren lediglich die Überwachung der Bewährungszeit, jedoch nicht die Vollstreckung der Strafe aus dem kroatischen Urteil übernommen worden sei. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main folgt der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im Ergebnis und beantragt, den angegriffenen Beschluss aufzuheben. Insofern führt die Generalstaatsanwaltschaft aus, dass die Exequaturentscheidung vom 15. Dezember 2021 inhaltlich zwar unzutreffend gewesen sei, der Beschluss aber in Rechtskraft erwachsen sei. Allerdings sei die Strafvollstreckungskammer, unabhängig davon, ob die Überwachung der alternativen Sanktionen oder fälschlich die Überwachung einer tatsächlich nicht verhängten Strafaussetzung zur Bewährung für vollstreckbar erklärt worden sei, jedenfalls nicht befugt gewesen, in eigener Zuständigkeit eine Widerrufsentscheidung zu treffen. Gemäß § 90k Abs. 1 IRG wäre nämlich allenfalls die Überwachung der vermeintlichen Bewährungsmaßnahme (oder alternativen Sanktion) übernommen worden, nicht aber eine Bewährungsstrafe als solche. Demgemäß obliege dem überwachenden Gericht nicht die Entscheidung über das Schicksal der Strafaussetzung zur Bewährung. Nach § 90k Abs. 3 Nr. 3 IRG habe das Gericht, wenn es im Rahmen der Überwachung selbst einen Grund zum Widerruf sieht, von der weiteren Überwachung abzusehen und gemäß § 90k Abs. 4 S. 1 Nr. 1, S. 2 IRG den Urteilsstaat zu unterrichten.“

Und das Rechtsmittel hat beim OLG Erfolg. Das sagt:

Wurde eine bedingte Freiheitsstrafe im Rahmen einer rechtskräftigen Exequaturentscheidung für vollstreckbar erklärt, obschon eine solche nach dem ausländischen Urteil tatsächlich nicht verhängt worden war, kommt ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung jedenfalls dann nicht gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB in Betracht, wenn der Verurteilte die neue Straftat vor der Exequaturentscheidung begangen hat.