Archiv der Kategorie: Strafvollzug

Bei menschenunwürdiger Unterbringung ist Strafvollzug zu unterbrechen…

Jeder Verteidiger, der im Strafvollzug verteidigt, sollte sich mit der Entscheidung des 3. Zivilsenats (!!) v. 11.03.2010 – III ZR 124/09 vertraut machen. In der ging es um die Entschädigung eines Strafgefangenen bei menschenunwürdiger Unterbringung und der Remonstrationspflicht des Gefangenen im Hinblick auf § 839 BGB. Zu der Entscheidung lässt sich manches sagen/fragen: so z.B., warum sich eigentlich der Staat mit „Händen und Füßen“ gegen (begründete) Ansprüche von Personen wehrt, die zwar zu Recht inhaftiert sind, dann aber Bedingungen unterworfen werden, die mit der Menschenwürde nicht in Einklang stehen (stammt übrigens nicht von mir, sondern von StA Artkämper demnächst im StRR).

Das kann man hier alles nicht erörtern. Hinweisen will ich aber auf eine Passage in der Entscheidung, die vermutlich demnächst im Strafvollzug den Vollzugsbehörden „viel Freude“ bereiten wird :-). Der BGH führt nämlich aus:

„Sind die Haftbedingungen menschenunwürdig und kann eine Vollzugsanstalt auch unter Berücksichtigung aller ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten (einschließlich der Verlegung in eine andere Haftanstalt, ggf. auch in einem anderen Bundesland) einer Gerichtsentscheidung, die dies feststellt, nicht nachkommen, muss notfalls die Strafvollstreckung unterbrochen werden. Die Aufrechterhaltung eines gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßenen Zustands ist verboten. Eine Abwägung der unantastbaren Menschenwürde mit anderen – selbst verfassungsrechtlichen – Belangen ist nicht möglich (vgl. BVerfG NJW 2006, 1580, 1581 Rn. 81)“.

Um Einwänden vorzubeugen: Mir ist bewusst, dass der BGH das vor dem Hinter­grund des Ausschlusses einer Entschädigung feststellt, aber: Argumentativ wird man diese Passage im Strafvollstreckungs-/Vollzugsverfahren sicherlich verwenden können.

Wann ist die Unterbringung in einer JVA-Zelle „menschenunwürdig“, und: Rechtsmittel einlegen…

Der BGH hat jetzt in seinem Urteil v. 11.03.2010 – III ZR 124/09 – die Feststellungen des OLG Hamm zur Frage, wann die Unterbringung in einer JVA-Zelle menschenunwürdig ist, revisionsrechtlich gehalten.

Das OLG Hamm hatte dazu in seinem Berufungsurteil festgestellt – Zitat aus dem Urteil des BGH:

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Unterbringung des Klägers in den Hafträumen B-216 (Grundfläche 17,74 m² bei einer Belegung mit vier Personen) sowie B-259 (Grundfläche 9,06 m² bei einer Belegung mit zwei Personen) sei menschenunwürdig gewesen. Jedem Insassen habe nur eine Grundfläche von rechnerisch lediglich 4,435 m² bzw. 4,53 m² zur Verfügung gestanden. Damit werde die Mindestgröße von Hafträumen, die in der Literatur als Untergrenze ernsthaft erwogen werde, deutlich unterschritten, wobei erschwerend hinzu komme, dass die Nutzfläche durch die Möblierung des Haftraums mit einer der Kopfzahl der untergebrachten Gefangenen entsprechenden Anzahl von Betten, Spinden, Stühlen und Tischen noch zusätzlich eingeschränkt werde, ebenso wie auch durch die im Haftraum installierte Toilettenkabine. Bei einer Grundfläche von weniger als 5 m² sei der dem Einzelnen unter Berücksichtigung des für die Möblierung notwendigen Flächenbedarfs verbleibende Bewegungsfreiraum so begrenzt, dass eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung kaum noch möglich sei und der auch bei Strafhaft fortbestehende Anspruch des Gefangenen auf Wahrung eines Mindestmaßes an persönlicher Eigenständigkeit und Intimität in einer Weise beschnitten werde, die mit den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung unvereinbar sei. „

Das ist – so der BGH – aus revisionsrechtlicher Sicht, nicht zu beanstanden. Allerdings hat der BGH das Urteil des OLG Hamm dennoch aufgehoben. Die Ersatzpflicht sei nicht eingetreten, weil der Gefangene es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen habe, den bei ihm eintretenden Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Also: Rechtsmittel einlegen, und zwar bei der StVK. Der BGH weist insoweit ausdrücklich auf die entsprechende Rechtsprechung des 1. Strafsenats des OLG Hamm hin, der die menschenwürdige Unterbringung beanstandet hätte.

Interessant der Satz in der Entscheidung: „In einem Rechtsstaat ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Behörden gerichtliche Entscheidungen beachten“. Na ja, wenn man sich das Verhalten der Ermittlungsbehörden beim Richtervorbehalt des § 81a Abs. 2 StPO ansieht, kann man da Zweifel haben.

Unerlaubte Überlassung von Prepaid-Karten an Häftling führt zur Entlassung – der JVA-Mitarbeiters

Das VG Trier berichtet in seiner PM Nr. 26/2009, dass die Entfernung eines Vollzugsbeamten aus dem Dienst rechtmäßig ist, wenn ein Vollzugsbeamter einem Häftling ohne Erlaubnis der Anstaltsleitung Prepaid-Karten zur freien Verfügung überlässt. Dieser begehe ein schwerwiegendes Dienstvergehen, das zur Entfernung aus dem Dienst führt. In der PM heißt es:

„Der beklagte Justizvollzugsobersekretär, der disziplinarisch nicht vorbelastet ist, hatte in der vom Land gegen ihn erhobenen Disziplinarklage, die auf Entfernung aus dem Dienst gerichtet war, eingestanden, einem Strafgefangenen zwei Prepaid-Karten überlassen zu haben. Er habe dies aus Mitleid und falsch verstandenem Verantwortungsgefühl getan. Als Vertrauensbeamter des Strafgefangenen sei er mit dessen familiären Problemen konfrontiert worden. Er habe miterlebt, dass dessen vier Kinder sehr unter der Trennung von ihrem Vater gelitten hätten. Zudem habe er erfahren, dass die Ehefrau des Gefangenen Trennungsgedanken hege. Deshalb sei er in immer größere Sorge um den Gefangenen geraten. Schließlich habe er sich von ihm überreden lassen, ihm Prepaid-Karten zum Zwecke des regelmäßigen telefonischen Kontakts mit der Familie zu überlassen. Bei Auswertung der Verbindungsdaten wurde später festgestellt, dass insgesamt zehn Gefangene mit den Prepaid-Karten telefoniert hatten.

Die Richter der 3. Kammer urteilten, dass der Beklagte mit seinem Verhalten eklatant gegen seine Kernpflicht, die Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten, verstoßen habe. Strafgefangenen sei zur Sicherheit in den Justizvollzugsanstalten der Besitz von Handys ausdrücklich verboten. Die Anstaltsleitung müsse grundsätzlich die Möglichkeit haben, den Telefonverkehr von Strafgefangenen zu überwachen, um unkontrollierbare Risiken, wie die Behinderung von Ermittlungen, die Vorbereitung von Gefangenenbefreiungen oder die Organisation von kriminellen Aktivitäten aus der Anstalt, zu vermeiden. Sowohl die Anstaltsleitung als auch die übrigen Mitarbeiter einer Justizvollzugsanstalt müssten sich darauf verlassen können, dass jeder Vollzugsbeamte die geltenden Sicherheitsbestimmungen einhalte und sich nicht eigenmächtig, sei es auch aus Gutmütigkeit oder Mitleid, über solche Vorschriften hinwegsetze. Der Beklagte hätte sich auch anders für den Strafgefangenen einsetzen können, indem er bspw. bei der Anstaltsleitung dafür eingetreten wäre, dem Gefangenen den telefonischen Kontakt zu seiner Familie zu ermöglichen, um einer möglichen Verzweiflungstat entgegenzuwirken. Mit dem von ihm gewählten Verhalten habe der Beklagte aber eine von ihm nicht zu beeinflussende Gefahrenquelle geschaffen, was einen gravierenden Mangel an Verantwortungsbewusstsein erkennen lasse. Das zur Fortsetzung des Beamtenverhältnisses im Justizvollzugsdienst erforderliche Vertrauen könne ihm deshalb nicht mehr entgegen gebracht werden.“

VG Trier, Urt. v. 27.10.2009 – 3 K 387/09.TR

Auf die vollständige Begründung darf man gespannt sein.

BVerfG muss manchmal bremsen…so auch hier….

Wenn ein AG rechtsschöpferisch tätig ist und das LG nicht bremst/nachbessert, dann hilft manchmal nur noch das BVerfG. So auch in dem vom BVerfG mit Beschl. v. 08.06.2009 – 2 BvR 847/09 entschiedenen Fall. Das AG/LG hatte in der Zurückstellung der Entscheidung über den Straferlass eine konkludente Verlängerung der Bewährungszeit gesehen. Mitnichten sagt das BVerfG. Das hat ja noch niemand vertreten. Vertrauensschutz verletzt, rechtliches Gehör verletzt, weil das LG sich mit den Einwänden nicht auseinander gesetzt hat. Jetzt darf das AG noch mal. Hoffentlich richtig. Allerdings: Der Verurteilte sitzt auf den Kosten. Denn erstinstanzliche Entscheidungen ergehen ohne Kostenentscheidung.