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U-Haft I: Was ist eine kleine Verfahrensverzögerung?, oder: Dauerhafte Überlastung des Gerichts

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Ich mache heute dann einen „Hafttag“, und zwar mit zwei verfassungsgerichtlichen Entscheidungen und einem OLG-Beschluss zur Telefonerlaubnis.

Ich beginne mit dem BVerfG, Beschl. v. 17.01.2024 – 2 BvR 1756/23. Ergangen ist der Beschluss in einem in Schleswig-Holstein anhängigen Verfahren.In dem wird dem Angeklagten, der sich seit dem 04.05.2023 aufgrund eine auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls ununterbrochen in Untersuchungshaft befindet, in 14 tatmehrheitlichen Fällen, davon in vier Fällen gemeinschaftlich handelnd, jeweils unerlaubt mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und davon in drei Fällen Betäubungsmittel in nicht geringer Menge eingeführt zu haben.

Die StA hat am 31.05.2023 Anklage zum LG Itzehoe erhoben. Mit Verfügung vom 26.10.2023 legte der Vorsitzende der zuständigen großen Strafkammer die Akten dem OLG zur Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach § 121, § 122 Abs. 1 StPO vor. Zur Begründung führte der Vorsitzende aus, die Kammer sei aufgrund einer vorübergehenden Überlastung durch andere Haftsachen, insbesondere vier bereits vor der Anklage in dieser Sache eingegangene umfangreiche Schwurgerichtsverfahren, bereits rein terminlich an der Durchführung einer Hauptverhandlung vor Fristablauf gehindert. Eine Eröffnungsentscheidung sei insbesondere auch deshalb zurückgestellt worden, weil eine Terminierung der Hauptverhandlung im Jahr 2023 nicht durchführbar erschienen sei. Der Beginn der Hauptverhandlung sei ab dem 23.01.2024 vorgesehen.

Der Verteidiger des Angeklagten hat imHaftprüfungsverfahren die Aufhebung des Haftbefehls verlangt, da der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verletzt sei. Aus anderen Verfahren sei bekannt, dass die Strafkammer bereits seit 2022 dauerhaft mit Haftsachen ausgelastet sei. Mit Beschluss vom 10.11.2023 hat das OLG die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Die Haftfortdauer über sechs Monate hinaus sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt und auch nicht unverhältnismäßig. Zur Begründung schloss sich das OLG den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft an: Es sei der bei der Jahresgeschäftsverteilung 2023 nicht vorhersehbaren ungewöhnlich hohen Belastung der Kammer geschuldet, dass der Beginn der Hauptverhandlung erst ab dem 23.01.2024 vorgesehen sei. Die Kammer verhandele derzeit zwei umfangreiche Schwurgerichtsverfahren mit 77 beziehungsweise 127 in den Anklagen benannten Zeugen, weshalb Hauptverhandlungstermine nicht mehr zur Verfügung stünden. Bis Jahresende müsse die Kammer eine weitere, bereits länger eingegangene Haftsache gegen einen minderjährigen Angeklagten verhandeln. Die kurzfristige Überlastung der Kammer beruhe nicht auf gerichtsorganisatorischen Gründen, so dass die Verfahrensverzögerung insbesondere angesichts der Schwere der dem Angeschuldigten vorgeworfenen Straftaten keinen durchgreifenden Bedenken begegne. Das OLG führte am Ende seines Beschlusses aus, ein Schriftsatz der Verteidigung vom 09.11.2023 dem Senat vorgelegen habe.

Der Angeklagte hat Verfassungsbeschwerde erhoben und mit der eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebotes im Zwischenverfahren geügt. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angeommen.

Nach Auffassung des BVerfG ist zwar, soweit der Angeklagte die Haftfortdauerentscheidung des OLG angreift, zwar der Rechtsweg erschöpft, weil eine Anhörungsrüge nur im Falle der Geltendmachung einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zum Rechtsweg gehört (vgl. BVerfGE 122, 190, 198; 126, 1, 17; 134, 106, 113 Rn. 22). Die Erhebung einer Anhörungsrüge sei hier jedoch mit Rücksicht auf den Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde geboten gewesen.

Dazu nur der Leitsatz zu der Entscheidung:

Der Subsidiaritätsgrundsatz (§ 90 Abs 2 S 1 GG) verlangt die Erhebung einer Anhörungsrüge im fachgerichtlichen Verfahren auch dann, wenn mit der Verfassungsbeschwerde zwar keine Verletzung des Gehörsanspruchs (Art 103 Abs 1 GG) gerügt werden soll, den Umständen nach jedoch ein Gehörsverstoß durch die Fachgerichte naheliegt und zu erwarten ist, dass vernünftige Verfahrensbeteiligte mit Rücksicht auf die geltend gemachte Beschwer bereits im gerichtlichen Verfahren einen entsprechenden Rechtsbehelf ergreifen würden.

Nach Auffassung des BVerfG wäre das OLG zu Ausführungen dazu verpflichtet gewesen, weshalb es das substantiierte Kernvorbringen des Verteidigers in dessen Schriftsatz vom 09.11.2023 gegen die Fortdauer der Untersuchungshaft für nicht relevant oder überzeugend hielt. Mit dieser Anhörungsrüge hätte der Angeklagte die Möglichkeit gewahrt, dass eine Grundrechtsverletzung durch dasOLG selbst beseitigt wird.

Zur Sache führt das BVerfG dann aber trotz der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde dennoch aus, und zwar:

„3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird den verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht. Das Verfahren wurde nach Eingang der Anklageschrift beim Landgericht nicht in der durch das Gewicht des Freiheitseingriffs gebotenen Zügigkeit gefördert.

a) Es handelt sich bei der hier eingetretenen Verzögerung nicht um eine nur kleinere Verfahrensverzögerung, die entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen könnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 – 2 BvR 819/18 -, Rn. 29). Das Landgericht hatte trotz Ablaufs von mehr als fünf Monaten seit dem Eingang der Anklage am 31. Mai 2023 noch nicht über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens (§§ 199 ff. StPO) entschieden. Anhaltspunkte dafür, dass jedenfalls nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme des Beschwerdeführers am 4. Juli 2023 noch keine Eröffnungsreife vorgelegen haben könnte, sind nicht ersichtlich. Noch ausstehende Ermittlungen sind nicht genannt. Die Bezeichnung dieser Verzögerung im angefochtenen Beschluss als „kurzfristig“ ist nicht nachvollziehbar.

b) Die vom Oberlandesgericht für die Verzögerung im Zwischenverfahren angeführten Gründe rechtfertigen den Eingriff in das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG nicht.

Die „ungewöhnlich hohe Belastung der Kammer“ durch bereits vor der Anklage des Beschwerdeführers eingegangene Schwurgerichtsverfahren stellen vom Beschwerdeführer nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte Umstände dar. Diesen Umständen kann zur Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nicht allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung entgegengehalten werden (vgl. BVerfGK 7, 140 <155 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Februar 2020 – 2 BvR 2090/19 -, Rn. 51; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. April 2020 – 2 BvR 225/20 -, Rn. 61; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1853/20 -, Rn. 28). Da die Überlastung eines Gerichts in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft fällt, kommt es jedenfalls angesichts der hier gegebenen, nicht nur kurzfristigen Überlastung auf deren Vorhersehbarkeit nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2018 – 2 BvR 819/18 -, Rn. 30).

Der vom Oberlandesgericht für die Verzögerung zusätzlich angeführte Umstand, der Kammer stünden vor dem Sechsmonatstermin keine Hauptverhandlungstermine mehr zur Verfügung, stellt bereits keine schlüssige Begründung dafür dar, weshalb zumindest eine Eröffnung des Hauptverfahrens noch nicht hatte erfolgen können. Auch im Zwischenverfahren muss das Verfahren mit der gebotenen Zügigkeit gefördert werden, um bei Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung zu beschließen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2781/10 -, Rn. 15; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1853/20 -, Rn. 27 m.w.N.). Jedenfalls kann allein die Üblichkeit, die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Verfügung des Vorsitzenden über die Terminierung der Hauptverhandlung zeitlich zusammen vorzunehmen, keine Verzögerung einer Eröffnungsentscheidung rechtfertigen, sollte eine Terminierung der Hauptverhandlung noch nicht möglich sein.“

Vollstreckung III: Widerruf von Vollzugslockerungen, oder: Begründung der Ermessensentscheidung

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nd dann zum Schluss des Tages noch der LG Zweibrücken, Beschl. v. 23.08.2023 – 2 StVK 241/23 Vollz. Der Beschluss ist schon etwas älter, heute „passt2 er aber.

Es geht in der Entscheidung um den Widerruf von Vollzugslockerungen als Disziplinarmaßnahme. Das LG hat den als rechtwidrig angesehen:

„…..

Letztlich kommt es darauf nicht an, denn die Antragsgegnerin hat es zunächst versäumt, die Vorschrift des § 101 Abs. 4 LJVollzG zu prüfen, wonach begünstigende Maßnahmen – und um eine solche begünstigende Maßnahme handelt es sich bei der Gewährung von Vollzuglockerungennur aufgehoben werden dürfen, wenn die vollzuglichen Interessen an der Aufhebung in Abwägung mit dem schutzwürdigen Vertrauen der Betroffenen auf den Bestand der Maßnahmen überwiegen. Die insoweit vom Gesetz geforderte Interessenabwägung hat die Antragsgegnerin nicht vorgenommen – jedenfalls findet sich hierzu nichts in der angegriffenen Verfügung-.

Das Gericht hat darüber hinaus jedoch nach § 115 Abs. 5 StVollzG, soweit die Vollzugsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, auch zu prüfen, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Bei dem Widerruf nach § 101 Abs. 3 LJVollzG handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, was bereits der Wortlaut der Vorschrift (begünstigende Maßnahmen „können“ widerrufen werden) klarstellt. Ausweislich der angegriffenen Verfügung hat die Antragsgegnerin aber von dem ihr zustehenden Ermessen hinsichtlich des Widerrufs keinerlei Gebrauch gemacht. So führt die Antragsgegnerin, nachdem sie kurz festhält, warum die materiellrechtlichen Voraussetzungen eines Widerrufs gegeben seien, lediglich aus, dass die Lockerungen nach § 101 Abs. 3 Nr. 1 LJVollzG widerrufen werden. Die Annahme ist gerechtfertigt, dass sich die Antragsgegnerin des ihr zustehende Ermessen bei der Entscheidung über den Widerruf nicht bewusst war und sie dieses deshalb nicht ausgeübt hat. Insoweit liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs als Unterfall eines beachtlichen Ermessensfehlers auf Seiten der Antragsgegnerin vor, zu dessen Prüfung die Kammer nach § 115 Abs. 5 StVollzG veranlasst ist. Es finden sich in der angegriffenen Verfügung keinerlei erforderliche Ausführungen zum Gebrauch des der Antragsgegnerin zustehenden Ermessens. Dies gilt umso mehr, als dass in die anzustellenden Ermessenserwägungen wiederum die in die Abwägung nach § 101 Abs. 4 LJVollzG einzustellenden Umstände einzufließen haben, welche die Antragsgegnerin wie ausgeführt gänzlich nicht behandelt hat.

Die Antragsgegnerin hat zwischenzeitlich im gerichtlichen Verfahren zwar ihre Rechtsaulfassung deutlich gemacht, dass § 101 Abs. 4 LJVollzG bei der Prüfung des Widerrufs der Lockerungseignung zu beachten ist und dazu im Fall des Antragstellers näher begründet, warum der Vorfall veranschaulicht, dass eine notwendige Absprachefähigkeit, welche für die Gewährung von Vollzugslockerungen erforderlich ist, aus ihrer Sicht noch nicht in ausreichendem Maße gegeben ist (BI. 47-48 d.A.).

Die Ermessensentscheidung muss jedoch zum Zeitpunkt des Erlass der Entscheidung ausreichend begründet werden. Es besteht daher nicht nur eine Aufklärungsverpflichtung, sondern auch eine Begründungspflicht, die Grundlagen der Entscheidung sind im Einzelnen wiederzugeben. Genügt die Begründung den Anforderungen nicht, kann sie weder durch ergänzenden Vortrag der Vollzugsbehörde im gerichtlichen Verfahren, noch durch eigene Ermittlungen der Strafvollstreckungskammer ersetzt werden (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 12.05.2017 -1 Ws 235/16 Vollz, Rn. 17; KG, Beschluss vom 27.02.2014 – 2 Ws 55/14 Vollz, Rn. 25; OLG Hamburg, Beschluss vom 09.01.2020 – 5 Ws 61/19 Vollz, Ls. 2). Teilt die Antragsgegnerin mit, das ggf. Vorliegen von vorherigen Hausordnungsverstößen fließe grundsätzlich immer im Rahmen des Ermessens mit in die Entscheidung ein, die Tatsache, dass dies nicht verschriftet wurde kein,Beleg für ein unzulässiges Nachschieben von Gründen sei, trifft dies bei der Kammer nicht auf Zustimmung. Etwas anderes könnte vielleicht dann gelten, wenn es im konkreten Fall lediglich darum ginge, eine gedanklich bereits existierende, lediglich aus Zeitgründen nicht schriftlich ausgeführte Begründung nachträglich zu fixieren (KG, a.a.O). So liegt der Fall hier jedoch nicht. Es ist aus Sicht der Kammer, wie bereits dargelegt, nun nicht mehr nachvollziehbar, ob sich die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf der Lockerungseignung bewusst gewesen ist, dass ihr ein Ermessensspielraum zukommt und welche Gesichtspunkte maßgeblich waren. Dies darf sich nicht zum Nachteil der Antragstellerin auswirken (KG, a.a.O.).“

Vollstreckung II: Auswirkungen einer Pfändung, oder: Taschengeld in der Sicherungsverwahrung

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Das zweite Posting des Tages hat den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.10.2023 – 2 Ws 282/23 – zum Gegenstand. Er befasst sich mit den Voraussetzungen des Taschengeldanspruchs in der Sicherungsverwahrung.

Der Antragsteller ist im Vollzug der Maßregel der Sicherungsverwahrung untergebracht. Im Mai 2023 konnte er krankheitsbedingt keiner Beschäftigung nachgehen. Von der am 04.05.2023 erhaltenen Vergütung für vorher geleistete Arbeit in Höhe von 211,19 EUR buchte die Antragsgegnerin, da das Überbrückungsgeld schon vollständig angespart war, 90,51 EUR auf das Hausgeld und 120,68 EUR auf das Eigengeld. Der letztgenannte Betrag wurde umgehend aufgrund einer bestehenden Pfändung zugunsten eines Gläubigers umgebucht.

Den Antrag des Antragstellers, ihm für den Monat Mai 2023 Taschengeld zu gewähren, lehnte die JVA ab. Nach ihrer Auffassung fehlte es an der erforderlichen Bedürftigkeit des Antragstellers, da ihm auch der dem Eigengeld zugeschriebene Anteil der im Mai zugeflossenen Arbeitsvergütung zur Verfügung gestanden habe. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrte der Antragsteller die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Taschengeldberechnung für Mai 2023, die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm unter Neuberechnung für Mai 2023 40,90 EUR Taschengeld gutzuschreiben sowie die Berechnung für die Folgemonate anzupassen und ihn insoweit neu zu bescheiden.

Das LG hat diese Anträge zurückgewiesen. Dagegen die Rechtsbeschwerdedes Antragstellers, die das OLG als begründet angesehen hat:

“ ….. Voraussetzung für den Taschengeldanspruch Untergebrachter, die krankheitsbedingt keiner Beschäftigung nachgehen können (§ 49 Abs. 1 Satz 1 und 2 JVollzGB BW III), ist deren Bedürftigkeit. In Fortführung der zur Regelung in § 46 StVollzG ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung (Übersicht bei Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 46 StVollzG Rn. 4) regelt § 49 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB BW V, dass Untergebrachte bedürftig sind, soweit ihnen im laufenden Monat aus sonstigen Einkünften nicht ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes zur Verfügung steht.

Danach gilt das Zuflussprinzip, d.h. bei der Bestimmung der Bedürftigkeit sind nur solche Mittel zu berücksichtigen, die dem Untergebrachten in dem Kalendermonat, für den Taschengeld beansprucht wird, bereits zugeflossen sind, nicht aber solche, die zwar in diesem Zeitraum entstehen, aber erst später ausgekehrt werden (OLG Dresden NStZ 1998, 399 [bei Matzke]; OLG Hamburg NStZ 2000, 672; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 62). Die Entscheidung über den Anspruch kann danach in der Regel erst nach dem Ende des Monats ergehen, für den Taschengeld beantragt wird, da erst dann eine vollständige Beurteilung der Bedürftigkeit möglich ist (Nr. 3.1 VV zu § 53 JVollzGB BW III i.V.m. Nr. 2 VV zu § 49 JVollzGB BW V; OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Celle NStZ-RR 2014, 339).

Noch nicht ausdrücklich entschieden ist dagegen bisher die Frage, welche Auswirkungen die Pfändung von Einkünften des Antragstellers auf die Feststellung der Bedürftigkeit hat, auch wenn zu den für die Beurteilung maßgeblichen Grundsätzen bereits Entscheidungen ergangen sind. Dazu ist zunächst darauf abzustellen, dass der Zweck des Taschengelds dem des Hausgelds (§ 49 Abs. 2 JVollzGB BW V) entspricht. Es dient damit der Befriedigung von persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens, die über die auf Existenzsicherung ausgerichtete Versorgung durch die Anstalt hinausgehen (BVerfG NJW 1996, 3146; StV 1995, 651); zugleich soll damit der besonderen Anfälligkeit von Mittellosen für behandlungsfeindliche subkulturelle Aktivitäten entgegengewirkt werden (Arloth/Krä a.a.O., § 46 StVollzG Rn. 1 m.w.N.). Von dieser Zweckbestimmung ausgehend ist die nach § 49 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB BW V maßgebliche Frage, ob dem Untergebrachten im Anspruchsmonat andere Mittel zur Verfügung stehen, danach zu beantworten, ob ihm die erforderlichen Geldmittel rein tatsächlich zu Gebote stehen (OLG Dresden a.a.O.). Das ist bei einem Zufluss von Mitteln, die – wie bei einer Pfändung – sofort für eine vom Willen des Untergebrachten unabhängigen Zweck eingesetzt werden, jedoch nicht der Fall. Erst recht gilt dies, wenn – wie dies bei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen üblicherweise der Fall ist – bereits der Anspruch auf Lohnzahlung gepfändet ist und deshalb der von der Pfändung betroffene Lohn dem Untergebrachten von vornherein nicht zur Verfügung steht.

Bei der Bestimmung der dem Antragsteller im Mai 2023 zur Verfügung stehenden Mittel hat danach das gepfändete Eigengeld ebenso wie das zweckgebundene Überbrückungsgeld außer Betracht zu bleiben. Da ihm danach in diesem Zeitraum nur das Hausgeld in Höhe von 90,51 € im Sinn des § 49 Abs. 1 Satz 3 JVollzGB BW V zur Verfügung stand, erweist sich die Rechtsbeschwerde in Höhe des geltend gemachten Taschengeldanspruchs für Mai 2023 auch als begründet. Soweit die Differenz zwischen den dem Untergebrachten zur Verfügung stehenden Mitteln und dem Taschengeldanspruch in Höhe von 131,46 € rechnerisch geringfügig höher als der vom Senat zuerkannte Betrag ist, konnte der Senat über den in erster Instanz ausdrücklich gestellten Antrag auf Gewährung von 40,90 € Taschengeld wegen des in Strafvollzugssachen geltenden Verfügungsgrundsatzes (Arloth/Krä a.a.O., § 115 StVollzG Rn. 1 m.w.N.) nicht hinausgehen.“

U-Haft III: Neues zur Sechs-Monats-Haftprüfung, oder: Dieselbe Tat, zügiger Termin, unzuständiges Gericht

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Und zum Tagesschluss stelle ich dann drei Entscheidungen zum Haftprüfungsverfahren nach den §§ 121 ff. StPO – also Sechs-Monats-Prüfung – vor.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 19.10.2023 – 19.10.2023 -, in dem sich der BGH noch einmal zum Begriff „derselben Tat“ geäußert hat, und zwar wie folgt:

„Der Begriff derselben Tat im Sinne dieser Vorschrift weicht vom prozessualen Tatbegriff im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO ab und ist mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Er erfasst alle Taten des Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt geworden sind und in einen bestehenden Haftbefehl hätten aufgenommen werden können, und zwar unabhängig davon, ob sie Gegenstand desselben Verfahrens oder getrennter Verfahren sind. Dadurch wird eine sogenannte Reservehaltung von Tatvorwürfen vermieden, die darin bestünde, dass von Anfang an bekannte oder im Laufe der Ermittlungen bekannt gewordene Taten zunächst zurückgehalten und erst kurz vor Ablauf der Sechsmonatsfrist zum Gegenstand eines neuen oder erweiterten Haftbefehls gemacht werden mit dem Ziel, eine neue Sechsmonatsfrist zu eröffnen. Somit löst es keine neue Haftprüfungsfrist gemäß § 121 Abs. 1 StPO aus, wenn ein neuer Haftbefehl lediglich auf Tatvorwürfe gestützt bzw. durch sie erweitert wird, die schon bei Erlass des ersten Haftbefehls – im Sinne eines dringenden Tatverdachts – bekannt waren. Tragen dagegen die erst im Laufe der Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse für sich genommen den Erlass eines Haftbefehls und ergeht deswegen ein neuer oder erweiterter Haftbefehl, so wird dadurch ohne Anrechnung der bisherigen Haftdauer eine neue Sechsmonatsfrist in Gang gesetzt. Für den Fristbeginn ist dann der Zeitpunkt maßgeblich, in dem sich der Verdacht hinsichtlich der neuen Tatvorwürfe zu einem dringenden verdichtet hat. Entscheidend ist mithin, wann der neue bzw. erweiterte Haftbefehl hätte erlassen werden können, nicht hingegen, wann die Staatsanwaltschaft ihn erwirkt hat. Dabei ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Haftbefehl spätestens an dem auf die Beweisgewinnung folgenden Tag der veränderten Sachlage anzupassen ist (st. Rspr.; s. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 – AK 14/17, juris Rn. 6 ff.; vom 7. September 2017 – AK 42/17, NStZ-RR 2018, 10, 11; vom 16. Januar 2018 – AK 78/17, juris Rn. 11; vom 25. Juli 2019 – AK 34/19, NStZ 2019, 626 Rn. 7 f.; vom 14. Mai 2020 – AK 8/20, juris Rn. 5 ff.; vom 20. September 2023 – AK 54/23, juris Rn. 8).“

Zur Abrundung dann noch zwei KG-Beschlüsse zur Frage der Verfahrensverzögerung und/oder dem Beschleunigungsgrundsatz, und zwar:

1. Im Verfahren der besonderen Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO bildet allein der zuletzt erlassene und prozessordnungsgemäß bekanntgegebene Haftbefehl den Prüfungsgegenstand. Dies gilt auch dann, wenn der Haftbefehl auf weitere Taten hätte erweitert werden können, tatsächlich aber nicht erweitert worden ist. Mit einer im Eröffnungsbeschluss getroffenen Haftfortdauerentscheidung „nach Maßgabe des Anklagesatzes“ kann ein Haftbefehl nicht in prozessual ordnungsgemäßer Weise auf die weiteren Anklagevorwürfe erweitert werden.

2. Im Gerichtsverfahren muss bei der Bearbeitung von Haftsachen der Gesichts-punkt der vorausschauenden Planung im Vordergrund stehen. Die Umstände des Falles können es nahegelegen, für eine zügige Terminierung direkte und schnelle Kommunikationswege (E-Mail, Telefon oder Fax) zu beschreiten.

Dass zunächst Anklage zur allgemeinen Strafkammer erhoben und die Sache von dort dem Schwurgericht vorgelegt wird, stellt dann keine sachwidrige Verfahrensverzögerung dar, wenn die Anklage rechtlich vertretbar bei dem sich schließlich für unzuständig haltenden Gericht erhoben worden ist. Denn es ist als Folge der Gewaltenteilung hinzunehmen, dass ein Strafgericht den angeklagten Lebenssachverhalt in Einzelfällen anders würdigt als die Staatsanwaltschaft.

U-Haft II: In der JVA Laptop für die Akteneinsicht, oder: „Kurze“ Fahrt zur Vorführung vor zuständigen Richter

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Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen betreffend das „U-Haft-Verfahren“.

Zunächst der Hinweis auf den LG Nürnberg, Beschl. v. 07.11.2023 – 13 Qs 56/23 – zur Frage der Form der Akteneinsicht in Akten mit besonders großem Aktenumfang, wenn der Beschuldigte inhaftiert ist. Dazu das LG (im Leitsatz):

Dem Beschuldigten ist in Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang zur effektiven Vorbereitung auf die Hauptverhandlung Akteneinsicht auch in Form von elektronischen Dokumenten, die auf einem Laptop eingesehen werden können, zu gewähren: Die Staatsanwaltschaft hat der JVA ggf. eine verschlüsselte CD-ROM mit der Akte im pdf-Format zu übersenden und die JVA dem Beschuldigten sodann einen Laptop mit der aufgespielten elektronischen Akte in einem besonderen Haftraum zur Verfügung stellen.

Und dann der AG Nürnberg, Beschl. v. 31.10.2023 – 58 Gs 12014/23 -, mit dem das AG einen Haftbefehl aufgehoben hat. Begründung:

„Der Haftbefehl war aus den folgenden Gründen aufzuheben:

1. Dem Vollzug des Haftbefehls steht der Spezialitätsschutz des § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.12.2012, Aktenzeichen: 1 StR 165/12) entfällt ein wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Spezialität bestehendes Verfahrenshindernis gemäß Art. 14 Absatz 1 Buchst. b des Euro-päischen Auslieferungsübereinkommens jedenfalls dann, wenn der Ausgelieferte auf die Rechtsfolgen hingewiesen wurde oder diese Rechtsfolgen aus anderen Gründen kannte. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Braunschweig (Beschluss vom 26.08.2019, Aktenzeichen: 1 Ws 154/19) entspricht die Vorschrift des § 83h Abs. 2 Nr. 1 IRG derjenigen des Art. 14 Absatz 1 Buchst. b des Europäischen Auslieferungsübereinkommens.

Der vorliegenden Akte kann nicht entnommen werden, dass der Beschuldigte auf die Rechtsfolgen des § 83h Abs. 2 Nr. 1 IRG hingewiesen wurde oder die Rechtsfolgen ander-weitig kannte.

2. Die Vorführung vor den nächsten Richter des Amtsgerichts Fulda verstieß gegen § 115 StPO. Der Beschuldigte wurde am 17.10.2023 um 19:20 Uhr aufgrund des vorliegenden Haftbefehls ergriffen. Eine Pkw-Fahrt von Fulda nach Nürnberg dauert laut Google-Maps etwa drei Stunden, sodass eine Vorführung vor den zuständigen Richter des Amtsgerichts Nürnberg am 18.10.2023 möglich gewesen wäre.2

Interessant m.E. vor allem wegen der Ausführungen des AG unter 2.