Archiv der Kategorie: BayObLG

Rechtsmittel I: Ausbleiben in der Berufungs-HV, oder: Allein OP-Termin keine ausreichende Entschuldigung

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Heute gibt es dann hier drei Entscheidungen „aus der Instanz“ zu Rechtsmittelfragen.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 20.02.2024 – 2 ORs 3/24 – zur Verwerfung der Berufung des unentschuldigt ausgebliebenen Angeklagten. Das LG hat die Berufung des Angeklagten am 15.09.2023 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen. Ausweislich der Urteilsgründe hatte der Angeklagte mit Schreiben vom 31.08.2023 an die Strafkammer mitgeteilt, dass er am Hauptverhandlungstag einen Operationstermin in der Schweiz habe, und um Terminverlegung gebeten. Mit gerichtlichem Schreiben vom 11.09.2023 hatte der Vorsitzende der Berufungsstrafkammer den Angeklagten darauf hingewiesen, dass eine Verlegung nicht in Betracht komme, da nicht dargelegt sei, wann der Termin für die Operation festgelegt worden und ob diese unaufschiebbar sei.

Die Revision des Angeklagten hatte keinen Erfolg:

„b) Die Verfahrensrüge ist aber unbegründet. Der Sachverhalt berechtigte das Landgericht zu der Annahme, der Angeklagte sei unentschuldigt nicht erschienen.

(1) Das Ausbleiben eines Angeklagten in der gerichtlichen Hauptverhandlung ist dann genügend entschuldigt, wenn ihm unter Abwägung aller Umstände des Falles wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf zu machen ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 17. Juni 2021 – [1] 121 Ss 29/21 [13/21] und vom 5. Oktober 2016 – [4] 121 Ss 156/16 [193/16] – mwN). Entscheidend ist dabei nicht, ob der Angeklagte sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist, wobei eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten ist (vgl. KG, Beschluss vom 4. Juni 2015 – 3 Ws [B] 264/15 – mwN). Ein Krankenhausaufenthalt ist in der Regel kein Entschuldigungsgrund, wenn er aufschiebbar ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2013 – III-5 Ws 74/13 –; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 26 mwN). Das gleiche gilt, wenn der Angeklagte eine medizinische Behandlung vornehmen lässt, die sein Erscheinen in der Hauptverhandlung hindert, ohne dass dieser Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert gewesen wäre (vgl. KG, Beschlüsse vom 17. Juni 2021 aaO und vom 16. September 2020 – [3] 121 Ss 123/20 [56/20] –). So war es nach den Feststellungen des Landgerichts hier. Der Angeklagte hatte in Kenntnis der ihm am 3. Juli 2023 zugestellten Ladung keine Maßnahmen unternommen, eine Verschiebung seines Operationstermins zu erreichen. Erst mit Schreiben vom 31. August 2023, mithin rund zwei Monate nach Kenntniserlangung vom Termin der Berufungshauptverhandlung, wandte er sich an das Landgericht mit dem Antrag auf Verlegung des Termins.

Weitere Nachforschungen zur Behandlung des Angeklagten musste die Kammer nicht anstellen. Die Nachforschungspflicht des Berufungsgerichts ist nicht grenzenlos, sondern setzt einen schlüssigen Sachvortrag voraus, der geeignet ist, den Angeklagten zu entschuldigen (vgl. KG, Beschluss vom 3. September 2020 – [1] 161 Ss 88/20 [27/20] –). Daran fehlt es hier. Insbesondere hat der Angeklagte nicht vorgetragen, dass seine Operation unaufschiebbar gewesen wäre, so dass die Kammer den Sachverhalt diesbezüglich nicht aufklären musste. Die Unaufschiebbarkeit folgt bei einer Operation an der Hüfte auch nicht zwingend aus der Art der Operation.

(2) Mit dem erst im Rahmen der Revision geltend gemachten Vortrag, der Angeklagte habe erst am 21. September 2023 davon erfahren, dass eine Verlegung des Termins nicht erfolgt sei, sowie dass mehrere aufeinander abgestimmte Operationen – darunter eine „akut notwendige“ Operation am Zeh – angesetzt gewesen seien, so dass eine Verlegung nicht in Betracht gekommen sei, kann der Angeklagte nicht gehört werden. Ob dieser Vortrag zu der Annahme einer genügenden Entschuldigung geführt hätte, kann dahinstehen. Denn das Berufungsgericht kann naturgemäß bei seiner angefochtenen Entscheidung nur solche Tatsachen berücksichtigen, die ihm bekannt geworden sind. Das Revisionsgericht ist an die insoweit festgestellten Tatsachen gebunden und kann sie nicht ergänzen oder gar im Wege des Freibeweises korrigieren (vgl. BGHSt aaO; KG, Beschluss vom 26. Mai 2000 – [5] 1 Ss 121/00 [27/00] – mwN). Denn der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegt nur die Frage, ob das Berufungsgericht in der Anwendung von § 329 Abs. 1 StPO fehlerhaft gehandelt hat, insbesondere ob es den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt hat oder nicht. Entschuldigungsgründe, die das Gericht nicht gekannt hat und die es unter Ausschöpfung seiner Aufklärungspflicht auch nicht kennen musste, können im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden (vgl. OLG München, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 4St RR 193/06 –). Ein (rechtzeitiger) schlüssiger Sachvortrag des Angeklagten, der Anlass zu weiteren Nachforschungen der Kammer hätte sein können, ist nicht ersichtlich.“

Na ja. Das kann man auch anders sehen und hätte es ggf. auch anders sehen müssen. Ich räume allerdings ein, dass der Vortrag des Angeklagten „dünn“ war. Aber: Warum schreibt der Vorsitzende erst am 11.09.2023 – also gerade mal vier Tage vor der Berufungs-HV. Und was heißt „unaufschiebbar“? Das KG hat es sich hier m.E. ein wenig leicht gemacht, wenn es sich letztlich auf den Satz zurückzieht: Ein Gerichtstermin hat Vorrang vor allem…..

Einziehung I: Entreicherung des Einziehungsadressaten, oder: Entreicherung in den sog. „Verschiebungsfällen“

In die 33. KW. geht es dann heute mit Entscheidungen zur Einziehung (§§ 73 ff. StGB). Hier zunächst der KG, Beschl. v. 07.06.2024 – 5 Ws 47/24 – 161 GWs 24/24 – zur Anwendung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO bei Entreicherung des Einziehungsadressaten, insbesondere in den sog. „Verschiebungsfällen“.

Zugrunde liegt folgender Sachverhalt:

Mit seit dem 30.032022 rechtskräftigem Urteil vom 30.07,2021 verhängte das LG Berlin gegen den Beschwerdeführer wegen (gemeinschaftlich begangenen) Computerbetruges eine Freiheitsstrafe. Außerdem ordnete es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 12.291.092,37 EUR – davon 12.198.276,83 EUR als Gesamtschuldner – an. Dem lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Jahre 2011 gemeinsam mit dem Mitangeklagten V. unter Rückgriff auf eine Vielzahl von Fälschungen und Täuschungen im maschinellen Mahnverfahren einen Mahn- sowie einen Vollstreckungsbescheid über eine in Wahrheit nicht bestehende Forderung von mehr als 23 Mio. Euro gegen einen libyschen Staatsfonds (L.) erwirkt und im Wege der Zwangsvollstreckung die Überweisung eines Geldbetrages in Höhe des genannten Einziehungsbetrages auf ein unter seinem Namen geführtes Konto, über welches er allein verfügungsbefugt war, erreicht hatte. Von dem Betrag entfiel auf den Beschwerdeführer als Taterlös letztlich (nur) ein Anteil von insgesamt 165.000,– Euro, während der Rest (nach Abzug von Bankgebühren) über eine einziehungsbeteiligte Gesellschaft, die R. GmbH, an den Mitangeklagten sowie an weitere Beteiligte floss.

U.a. mit Schriftsatz seiner Verteidigerin hat der der Beschwerdeführer dann beantragt, von der Vollstreckung der Einziehungsentscheidung nach § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO abzusehen. Er macht insbesondere geltend, § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO sei in der bis zum 30.06.2021 geltenden Fassung  heranzuziehen, die gegenüber der aktuellen Rechtslage das mildere Recht im Sinne des § 2 Abs. 3 und 5 StGB darstelle. Er sei im Sinne des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO a. F. entreichert, weil er das Erlangte (ganz überwiegend) an die R. GmbH weitergereicht habe. Jedenfalls aber sei eine Einziehung unverhältnismäßig. Die Weitergabe des Erlangten gebiete eine Korrektur der tatgerichtlichen Einziehungsentscheidung, bei der Verhältnismäßigkeitserwägungen keine Berücksichtigung hätten finden können. Außerdem sei er zur Begleichung des Einziehungsbetrages nicht in der Lage. Die Verpflichtung, neu erwirtschaftetes Vermögen oberhalb der Pfändungsgrenzen zeitlich unbegrenzt an den Staat abzuführen, sei allenfalls dann zumutbar, wenn das abgeschöpfte Vermögen an den Verletzten ausgekehrt (§ 459h Abs. 2 StPO) und der Einziehungsadressat damit letztlich nur einem abweichenden Vollstreckungsregime unterworfen werde. Anderes gelte jedoch, wenn der Verletzte – wie hier – keine dem Einziehungsbetrag entsprechenden Ansprüche gegen den Betroffenen habe, so dass der Betrag dem durch die Straftat nicht geschädigten Staat verbleibe; dies sei mit dem kondiktionsähnlich ausgestalteten, auf die Beseitigung deliktisch entstandener Vermögenslagen gerichteten Institut der Einziehung nicht vereinbar. Das LG den Beschwerdeführer auf eine Klage des L. mit insoweit rechtskräftigem Urteil vom 02.06.2022 (…) zur Zahlung von (lediglich) 164.620,81 Euro nebst Zinsen als Schadenersatz nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§ 852 Satz 1 BGB) verurteilt; deliktische Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263a StGB habe das Gericht als verjährt angesehen. Zahlungen an den L. könne der Verurteilte derzeit nur im Wege der Hinterlegung leisten, weil das Vermögen des L. auf der Grundlage der Verordnung (EU) 2016/44 eingefroren sei. Eine Vollstreckung hätte außerdem erdrosselnde und desozialisierende Wirkung. Die Bestellung des Beschwerdeführers zum Notar sei aufgrund der Verurteilung erloschen. Als Mitgesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ständen ihm monatliche Vorabentnahmen im Umgang von 5.000,– EUR (brutto) zu; hiervon habe er Steuervorauszahlungen von monatlich 1.485,– EUR, Krankenversicherungsbeiträge von 701,50 EUR sowie Mietzahlungen von 1.237,58 EUR zu leisten und sei seiner nicht berufstätigen Ehefrau und seinen vier minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er drohe durch die Vollstreckung in Vermögensverfall zu geraten und deshalb seine Anwaltszulassung zu verlieren. Wegen der weiteren Einzelheiten verweist der Senat auf den Inhalt der genannten Schriftsätze.

Das LG hat unter (stillschweigender) Ablehnung des Antrags angeordnet, dass die Vollstreckung der Einziehung fortgesetzt wird. Dagegen die Beschwerde, die keinen Erfolg hatte.

Hier die Leitsätze zu der Entscheidungen des KG:

    1. Die Vorschrift des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO, nach welcher die Vollstreckung der zu einer Geldzahlung verpflichtenden Nebenfolge unterbleibt, soweit sie unverhältnismäßig wäre, ist in ihrer seit dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung auch auf Fälle anzuwenden, in denen die zugrundeliegende Straftat bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits beendet war.
    2. § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO ist nach seinem Regelungsgehalt eine verfahrensrechtliche Vorschrift, auf welche § 2 Abs. 3 StGB keine Anwendung findet, weil sie lediglich eine den Anordnungen nach § 455 StPO vergleichbare vorläufige (§ 459 Abs. 5 Satz 2 StPO) Unterbleibensanordnung vorsieht, welche die Höhe des durch das Tatgericht materiellrechtlich abschließend bestimmten Einziehungsbetrages unberührt lässt.
    3. Unverhältnismäßig im Sinne des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO ist die Vollstreckung nur dann, wenn mit ihr aufgrund besonderer Umstände eine außerhalb des Einziehungszwecks liegende besondere Härte verbunden wäre, die dem Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Einziehung nicht zugemutet werden kann. Dies gilt auch für die nach bisher geltendem Recht als Unterfall der Unverhältnismäßigkeit gesondert geregelte Konstellation, dass der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist (Entreicherung).
    4. Hat der Einziehungsadressat den von ihm erlangten Betrag tatplangemäß an einen Mittäter weitergereicht („Verschiebung“ von Taterlösen), so eröffnet dies regelmäßig keine Anwendung des § 459g Abs. 5 Satz 1 StPO. Eine Begrenzung der Vollstreckung auf den einem Einziehungsbeteiligten verbleibenden Betrag findet im Gesetz keine Stütze und widerspräche nicht nur den materiellrechtlichen Einziehungsvorschriften, nach denen von einer Einziehungsanordnung lediglich in der Ausnahmekonstellation eines nur „transitorischen Besitzes“ abzusehen ist, sondern auch den Wertungen des zivilrechtlichen Bereicherungsrechts (§ 819 Abs. 1 i. V. m. § 818 Abs. 4 BGB), an denen sich der Gesetzgeber explizit orientiert hat.

Einzelheiten dann bitte im verlinkten Volltext nachlesen.

StPO II: Zulässigkeit des Besetzungseinwandes, oder: Keine Bezugnahmen/Verweisungen

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Im zweiten Posting dann mal wieder etwas zum Besetzungseinwand (§ 222b StPO), und zwar noch einmal zur ausreichenden Begründung. Dem KG war hier der vom Angeklagten erhobene Besetzungseinwand nicht ausreichend begründet, weshalb er ihn im KG, Beschl. v. 20.02.2024 – 2 Ws 21/24 – 161 GWs 2/24 – als unzulässig verworfen hat:

„b) Allerdings genügt der Einwand in formeller Hinsicht nicht den an ihn nach § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen, wonach die Tatsachen, aus denen sich die Vorschriftswidrigkeit der Besetzung ergeben soll, anzugeben sind. Die durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2121) eingefügte Vorschrift des § 222b Abs. 3 StPO verlagert die bislang im Wege der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO zu erhebende Rüge der vorschriftswidrigen Gerichtsbesetzung aus dem Revisionsverfahren in ein Vorabentscheidungsverfahren (vgl. BT-Drs. 19/14747, Seite 29). Mit dieser Verlagerung hat sich aber nicht der in der Sache anzuwendende Prüfungsmaßstab verändert.

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen das Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein und die für die alte Rechtslage vorgeschriebenen Form- und Fristvoraussetzungen (vgl. insoweit BGHSt 44, 161) sowie die Begründungsanforderungen gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 und 3 erhalten bleiben (vgl. BT-Drs. aaO; Gmel in KK-StPO, 9. Aufl., § 222b Rn. 8).

c) Entsprechend einer Rüge der Gerichtsbesetzung im Revisionsverfahren gemäß § 344 Abs. 2 StPO erfordert die Rüge daher eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen; alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus – das heißt, ohne Bezugnahmen und Verweisungen auf andere Schriftstücke, insbesondere Anlagen, Aktenbestandteile oder Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligter – so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird (vgl. [zur alten Rechtslage] BGHSt aaO; [zur unveränderten neuen Rechtslage] Kammergericht, Beschlüsse vom 3. Mai 2023 – 4 Ws 44/23 – und vom 1. März 2021 – 4 Ws 14/21 –, jeweils mwN, OLG Celle StraFo 2020, 159; OLG München, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 2 Ws 138/20, 2 Ws 139/20 –). Hierzu zählt auch, dass Umstände, die geeignet sein könnten, die vom Gericht beschlossene Besetzung zu begründen, nicht verschwiegen werden dürfen (vgl. OLG Celle aaO). Eine Bezugnahme auf Anlagen zur Antragsschrift ist unzulässig, denn es ist nicht Aufgabe des Rechtsmittelgerichts, das Vorbringen an der passenden Stelle zu ergänzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. Mai 2022 – III-5 Ws 114/22 –).

2. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der Besetzungseinwand unzulässig.

a) Den vorgenannten Anforderungen wird der Vortrag des Angeklagten schon deshalb nicht gerecht, weil nicht dargelegt wird, wann das Gericht dem Angeklagten die Besetzung der Strafkammer mitgeteilt hat, so dass dem Senat als Rechtsmittelgericht die Überprüfung der Rechtzeitigkeit des Besetzungseinwandes verwehrt bleibt (vgl. auch OLG München aaO). Das Datum des Eingangs beim Angeklagten bzw. seinem Verteidiger ergibt sich auch nicht aus der als Anlage beigefügten Besetzungsmitteilung. Insoweit wäre aber ohnehin eine Bezugnahme auf diese Anlage unzulässig.

b) Der Einwand ist aber auch im Übrigen unzulässig.

(1) Soweit sich der Angeklagte gegen die Zuständigkeit der 27. Strafkammer wendet, fehlen Darlegungen, woraus sich die Unzuständigkeit der 27. Strafkammer ergeben soll. Der Angeklagte teilt bereits nicht mit, wie die Regelung nach Rn. 107 des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichts Berlin lautet. Diese Regelung findet sich zwar in einer der beigefügten Anlagen, wobei diese Anlage bereits nicht nummeriert oder überschrieben ist. Diese Bezugnahme ist indes unzulässig; erforderlich wäre eine wörtliche oder zumindest sinngemäße Wiedergabe der vermeintlich fehlerhaft angewendeten Regelung des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichts Berlin. Es wird auch nicht mitgeteilt, woraus sich die Annahme des Angeklagten ergeben soll, dass die Zuteilung an die Strafkammer erfolgen solle, die nummerisch auf die Strafkammer folgt, deren Sache zurückverwiesen wurde.

Auch fehlen jegliche Ausführungen zu der von der Eingangsregistratur des Landgerichts Berlin vorgenommenen Zuteilung der Sache an die 27. Strafkammer. Woraus sich ergeben soll, dass die numerisch vorgehenden Strafkammern – so der Vortrag des Angeklagten – nicht überlastet gewesen seien, bleibt unklar.

(2) Soweit sich der Einwand des Angeklagten zudem gegen die Besetzung der 27. Strafkammer wendet, ist er ebenfalls unzulässig.

Eine „vorschriftswidrige Besetzung“ im Sinne des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO ist lediglich dann gegeben, wenn das erkennende Gericht mit einem oder mehreren Richtern besetzt war, bei denen es sich nicht um den bzw. die gesetzlichen Richter i.S.v. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG handelt. Wer gesetzlicher Richter ist, bestimmt sich nach dem Gerichtsverfassungsgesetz und der Umsetzung der dortigen Vorgaben durch den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts, dem der fragliche Spruchkörper angehört (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2016 – 1 StR 422/15 –).

Die vollständige Besetzung der 27. Strafkammer wird vom Angeklagten bereits nicht mitgeteilt. Der Geschäftsverteilungsplan des nunmehr zuständigen Landgerichts Berlin I für das Jahr 2024, aus dem sich die reguläre Besetzung der 27. Strafkammer ergeben würde, wird nicht vorgelegt.

Der Besetzungseinwand teilt insoweit nur mit, dass „nicht mehr Richter x Mitglied der Kammer wäre, sondern Richter am Landgericht x“. Aus dem Vorbringen des Angeklagten lässt sich zwar ansatzweise erkennen, dass er die Besetzung der Hauptverhandlung mit Richter x beanstandet, hingegen lässt sich daraus nicht erkennen, unter welchem konkreten rechtlichen Aspekt (vgl. § 222b Abs. 1 Satz 3 StPO) die Vorschriftswidrigkeit der Besetzung geltend gemacht werden soll. Die angedeutete Verhinderung von Richter am Landgericht x würde nur dann zu einer „vorschriftswidrigen Besetzung“ des Gerichts führen, wenn Richter am Landgericht x gesetzlicher Richter gewesen wäre. Das hat der Angeklagte aber nicht ausreichend dargelegt. Aus der Besetzungsrüge ist auch nicht zu entnehmen, dass ein Verhinderungsgrund betreffend Richter am Landgericht x nicht vorgelegen habe. Ob beispielsweise eine förmlich festgestellte Verhinderung des Richters am Landgericht x vorliegt oder dieser beispielsweise wegen Urlaubs oder Krankheit an der Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert war, wird von dem Angeklagten in seinem Einwand nicht mitgeteilt (vgl. BGH NStZ 2020, 757 f.). Auch fehlt es an Darlegungen zur Bestimmung des zuständigen Vertreters nach den Regelungen des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichts Berlin I für das Jahr 2024, die eine Überprüfung der ggf. fehlerhaften Heranziehung von Richter x ermöglichen würden.

Zwar trifft die aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO folgende Vortragslast den Angeklagten bzw. seine Verteidiger nur in Bezug auf die Tatsachen, die ihm zugänglich sind, wobei die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen (vgl. Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl., StPO, § 344 Rn. 22 mwN). Der Angeklagte bzw. sein Verteidiger hat – soweit ersichtlich – gar keine Anstrengungen unternommen, die Gründe für die Besetzung der Kammer zu ermitteln, so beispielsweise durch Nachfragen bei der Kammer oder der Gerichtsverwaltung. Dass Informationen erfragt, aber nicht mitgeteilt worden wären, trägt der Besetzungseinwand nicht vor.“

Nichts Neues, sondern nur noch einmal Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung. Die findet man dann (demnächst) auch bei <<Werbemodus an>> Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, bzw. bei Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl. 2025, die man einzelne, als Paket oder als sog. Trilogie hier vorbestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

StPO I: (Umfassendes) Auskunftsverweigerungsrecht?, oder: Angeklagter und Zeuge Mitglied einer BtM-Bande

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Und dann geht es weiter mit StPO. Ich beginne mit einer Entscheidung des OLG Hamm zum Auskunftsverweigerungsrecht eines Zeugen nach § 55 StPO.

Hier hatte der betroffene Zeuge in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nach erfolgter Belehrung erklärt hatte, er werde kein Zeugnis ablegen. Daraufhin hat die Strafkammer dem Zeugen die durch seine Verweigerung verursachten Kosten auferlegt, ein Ordnungsgeld in Höhe von 750 Euro (ersatzweise Ordnungshaft) verhängt sowie eine Beugehaft bis zum 29.05.2024 angeordnet. Dagegen die Beschwerde des Zeugen. Er meint, ihm stehe wegen der gemeinsamen Bandenzugehörigkeit von Angeklagtem und Zeugen ein umfassendes Recht zur Auskunftsverweigerung zu. Die Beschwerde hatte beim OLG mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2024 – 5 Ws 163/24 – Erfolg:

„Der angefochtene Beschluss war auf die Beschwerde aufzuheben, da dem Zeugen ein umfassendes Recht zur Aussageverweigerung zusteht; im Einzelnen:

1. Grundsätzlich ist ein Ordnungsgeldbeschluss bereits dann rechtsfehlerhaft, wenn dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör nicht in ausreichendem Maße gewährt worden ist. Das ist dann der Fall, wenn es an einer ausreichenden Belehrung fehlt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.08.1995 – 3 Ws 486 – 487/95 = NStZ-RR 1996, 169, beck-online). Dieses ist hier der Fall, da die Strafkammer bei ihrer Belehrung den Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts verkannt hat.

2. Zwar ist ein Zeuge grundsätzlich verpflichtet, vollständig zum Beweisthema auszusagen und kann nach § 55 Abs. 1 StPO nur die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen in die Gefahr bringen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Allerdings sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Fallkonstellationen anerkannt, in denen sich das Auskunftsverweigerungsrecht zum Aussageverweigerungsrecht verdichten kann (vgl. BGHSt 47, 220, 222). Dazu muss die Aussage aber mit etwaigem strafbaren Verhalten in so engem Zusammenhang stehen, dass eine Trennung nicht möglich ist (vgl. BGH NStZ 2002, 272, 273; StV 1987, 327, 328). Voraussetzung dafür ist insbesondere ein bereits nach Aktenlage nachvollziehbarer örtlicher und personeller Konnex zwischen der den Ermittlungsgegenstand bildenden Tat und der Person des die Auskunft verweigernden Zeugen (vgl. BVerfG NStZ 2002, 378; BGH NStZ 1999, 1413; BGHR StPO § 70, Weigerungsgrund 2). Gerade im Bereich der Rauschmitteldelikte kann der Kontakt zu einzelnen Beteiligten den Konnex bereits begründen (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 22. 6. 2007 – 618 Kls 2/07 = NStZ 2008, 588, beck-online). Besteht bei Rauschmitteldelikten die konkrete Gefahr, dass der Zeuge die Tatbeteiligten weiterer, noch verfolgbarer, eigener Delikte offenbaren, also Auskünfte über Teilstücke in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude geben und damit zugleich potenzielle Beweismittel gegen sich selbst liefern müsste, so ist ihm die Erteilung solcher Auskünfte nicht zumutbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6.2.2002 – 2 BvR 1249/01 = NJW 2002, 1411, beck-online).

Ähnlich gelagert ist der Fall hier, da der Beschwerdeführer im Falle von Angaben zur Sache die Aufnahme von Ermittlungen betreffend etwaige, bislang nicht ermittelte Bandentaten befürchten muss.

3. Nach Aktenlage ergibt sich ein besonderer persönlicher Konnex zwischen dem Angeklagten und dem Beschwerdeführer. Ausweislich der (eröffneten) Anklageschrift vom 27.12.2023 waren sowohl der hiesige Angeklagte als auch der Beschwerdeführer Mitglieder derselben Bande, jedenfalls soweit es die Betäubungsmitteltransporte nach S. (B.) betrifft. Hinsichtlich der Gefahr einer Selbstbelastung des Zeugen ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die beim Beschwerdeführer abgeurteilten bzw. eingestellten Taten und die hiesigen angeklagten Taten lediglich einen kurzen Zeitraum vom 23.01.2022 bis zum 17.03.2022 betreffen, wohingegen die Betäubungsmittelaktivitäten der Bande ausweislich des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen bereits ab dem Februar 2021 zutage treten, beispielsweise bei einer – nicht angeklagten – Transportfahrt nach S. am 20.10.2021. Für den Beschwerdeführer ergibt sich außerdem die Gefahr, dass er durch die Preisgabe der Bandenzusammensetzung, der Struktur oder des Modus Operandi Tatsachen für das Vorliegen eines Anfangsverdachts von weiteren Straftaten liefert. Letztlich dürfte es dem Beschwerdeführer unzumutbar sein, Auskünfte betreffend die Bandenzugehörigkeit des Angeklagten bzw. dessen Bestellungen von Betäubungsmitteln zu offenbaren, da dadurch – über das eigene Strafverfahren hinaus – das Risiko bestünde, dass der Angeklagte als Vergeltung ihm bekannt gewordene – bislang nicht ermittelte – weitere Betäubungsmittelgeschäfte der Gruppierung unter Mitwirkung des Beschwerdeführers aufdeckt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 6.2.2002 – 2 BvR 1249/01 = NJW 2002, 1411, beck-online).“

Und:

„4. Für die ausgesprochene Beugehaft bestand auch nach ihrem Vollzug ein fortwirkendes Rechtsschutzbedürfnis, da es sich bei dem angeordneten Freiheitsentzug um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff handelt und die Beugehaft – im Falle ihrer Rechtmäßigkeit – nicht nach § 51 Abs. 1 StGB auf die Strafvollstreckung angerecht werden kann (vgl. BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 9.9.2005 – 2 BvR 431/02 = NJW 2006, 40, beck-online). Aufgrunddessen war die Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme entsprechend § 115 Abs. 3 StVollzG auszusprechen.“

KCanG III: Verwertung „alter“ EncroChat-Erkenntnisse, oder: OLG Celle geht von Verwertbarkeit aus

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Und im dritten Posting dann noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich der OLG Celle, Beschl. v. 09.07.2024 – 3 Ws 55/24. Der nimmt Stellung zur der Frage, ob und wie vor dem 1.4.2024 gewonnene Erkenntnisse aus einer EncroChat-Überwachung nach Inkrafttreten des KCanG verwertet werden dürfen. Das ist ja von einigen OLG verneint worden, so u.a. KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 (siehe auch noch: OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2024 – H 4 Ws 123/24).

Hier hatte das LG in einem BtM-Verfahren teilweise nicht eröffnet, weil es die vorliegenden Beweismittel als nicht verwertbar angesehen hat. Dagegen dann das Rechtsmittel der StA, das Erfolg hatte. Das OLG begründet umfangreich auf rund 23 Seiten, daher gibt es hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO kann nach der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des BGH vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539 ff. – „jede denkbare Beeinträchtigung“ einer Person durch die Verwertung von EncroChat-Daten als Beweismittel ausgeschlossen werden.

2. Die Prüfung der Frage, ob EncroChat-Daten als Beweismittel verwertbar sind, kann indes auch nach Inkrafttreten des CanG zum 1. April 2024 durch Heranziehung niedrigschwelliger Verwertungsregelungen vorgenommen werden kann.

3. Bei den EncroChat-Daten handelt es sich – nach dem Maßstab des deutschen Verfassungs- und Strafprozessrechtes – um an Art. 10 GG zu messende, mithin um „qualifizierte“ Telekommunikationsdaten, weshalb bei der Prüfung der Frage ihrer Verwertbarkeit auch gemäß § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm § 161 Abs. 3 StPO auf eine entsprechende Anwendung des § 100a StPO zurückgegriffen werden kann bzw. im Falle des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO wegen der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zurückgegriffen werden muss.

Tja, dann bin ich mal gespannt, was demnächst der BGH, der wegen der abweichenden Auffassungen sicherlich demnächst mit der Frage befasst sein wird, dazu sagen wird.