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OWi II: Verwerfungsurteil und Entbindungsantrag, oder: Entschuldigungsgründe alle gesehen und Ermessen?

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Was wäre ein OWi-Tag ohne zumindest eine Entscheidung zur Verwerfung des Einspruchs des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin? Nun, hier gibt es heute dann sogar zwei.

Zunächts kommt der OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.06.2024 – 2 ORbs 91/24. Es geht mal wieder um die ausreichende Begründung des Urteils, mit dem der Einspruch des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin verworfen worden ist. Das OLG „rückt“ die GStA ein. Die hatte ausgeführt:

„Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, genügt noch den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Danach muss in einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Rechtsbeschwerdebegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das Vorbringen des Betroffenen zutrifft (Göhler/Bauer, OWiG, 19. Aufl., § 79 Rn. 27d). Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Art 103 Abs. 1 des GG vorliegt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt einen Anspruch darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen und den Betroffenen benachteiligenden Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (OLG Köln NZV 1999, 264 m. w. N.).

Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch des Betroffenen durch Urteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung sein Recht auf rechtliches Gehör insbesondere dann verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind (Seitz/Bauer in Göhler a.a.O. § 80 Rdnr. 16b).

Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist mit dem Vortrag, das Verwerfungsurteil sei rechtsfehlerhaft ergangen, weil das Amtsgericht einen Terminverlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt habe, zulässig ausgeführt. Einer Darlegung, was der Betroffene zur Sache vorgetragen hätte, bedarf es nicht, wenn – wie hier – gerügt wird, das Amtsgericht habe Entschuldigungsvorbringen nicht berücksichtigt (Göhler/Bauer, a.a.O. § 80 Rdnr. 16 c). Ebenso brauchen die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts nicht wiederholt zu werden (OLG Hamm, Beschluss vom 06.07.2004 – 3 Ss OWi 401/04, juris), weil die Verfahrensweise des Amtsgerichts den Anspruch auf rechtliches Gehör des Betroffenen verletzt.

Eine Entscheidung gem. § 74 Abs. 2 OWiG wird auf die Rechtsbeschwerde nur daraufhin überprüft, ob der rechtzeitig erhobene Einspruch zu Recht als unbegründet verworfen wurde, weil der Betroffene trotz nachgewiesener Ladung ohne genügende Entschuldigung und mangels Entbindung von der Verpflichtung zum Termin zu erscheinen, zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen ist.

Die Beurteilung, ob das Ausbleiben eines Betroffenen genügend entschuldigt ist, obliegt dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann lediglich überprüfen, ob der Tatrichter die Entschuldigungsgründe, die im Zeitpunkt des Urteilserlasses in Betracht kamen, überhaupt einer sachlichen Prüfung unterzogen und ob er dabei den Rechtsbegriff der nicht genügenden Entschuldigung richtig angewandt hat. Um diese Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, ist eine Auseinandersetzung mit den in Betracht kommenden Entschuldigungsgründen in den Gründen des Verwerfungsurteils erforderlich (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Oktober 2004- 1 Ss 65/04 -, juris). In welchem Umfang sie geboten sind, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles, wobei die Anforderungen an die Gründe eines Urteils in Bußgeldsachen nicht überspannt werden dürfen. Es ist zu berücksichtigen, dass diese Verfahren nicht der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung dienen. Im Hinblick auf seine vorrangige Bedeutung für die Massenverfahren des täglichen Lebens ist das nach§ 74 Abs. 2 OWiG ergehende Prozessurteil auf eine Vereinfachung des Verfahrens ausgerichtet. Soweit konkrete Entschuldigungsgründe nicht erkennbar sind, genügt deshalb die formularmäßige Wiedergabe des Wortlautes der Vorschrift unter Mitteilung der konkreten Zustelldaten.

Um einen solchen einfach gelagerten Fall handelt es sich hier indes nicht. Es erfolgte im Vorfeld der Hauptverhandlung ein Schriftwechsel zwischen Gericht und Verteidigung in Bezug auf den anberaumten Hauptverhandlungstermin. Die Verteidigung stellte einen Terminverlegungsantrag, den das Gericht auch beschied. Dies hätte dem Gericht Veranlassung sein müssen, sich in den Gründen des Verwerfungsurteils mit allen etwaigen Entschuldigungsgründen auseinander zu setzen. Tatsächlich befasst sich das Urteil jedoch mit den in Betracht kommenden Entschuldigungsgründen nur zum Teil. So kann den Urteilsgründen zwar noch eine Auseinandersetzung mit einer etwaigen Verhinderung des neuen Wahlverteidigers des Betroffenen entnommen werden. Zu dem weiteren Vortrag in dem Verlegungsantrag, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen, weil der neue Verteidiger noch Akteneinsicht benötige, verhalten sich die Urteilsgründe aber nicht. Dies war indes geboten, weil die faktische Verweigerung der nachgesuchten Akteneinsicht durchaus als genügender Entschuldigungsgrund i. S. d. § 74 Abs. 2 OWiG in Betracht kommt (vgl. BayObLG NJW 1990, 3222; 1991, 1070 f).

Es liegen auch keine Umstände vor, die einen offensichtlichen zwingenden Versagungsgrund für die Akteneinsicht darstellen, sodass sich die Nichtgewährung von selbst verstünde und deshalb ausnahmsweise keiner Begründung im Urteil bedürfte. So stand der Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Anträge eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers noch nicht vorlag (vgl. KK-Willnow, StPO, 9. Auflage, § 147 Rdn. 3). Sollte das Amtsgericht Zweifel an der Bevollmächtigung des Verteidigers gehegt haben, so hätte es unverzüglich hierauf hinweisen müssen (vgl. Thüringer Oberlandesgericht a. a. O.).“

Und dann hier noch der OLG Hamm, Beschl. v. 30.04.2024 – III – 5 ORbs 80/24 – zur Behandlung des Entbindungsantrags des Betroffenen. Dazu hatte ich aber nun schon so viel Entscheidungen, dass der Leitsatz reicht:

Das AG muss einem Entbindungsantrag des Betroffenen nach § 73 Abs. 2 OWiG stattgeben, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag ist dabei nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt.

Die OLG beten den AG die behandelten Fragen immer wieder vor. Sollte man als AG kennen/beachten. Kann doch nicht so schwer sein, oder?

OWi I: Standard Abstands-/Geschwindigkeitsmessung, oder: Anforderungen an die Urteilsgründe

Und heute dann OWi-Entscheidungen! Ja, richtig. Man glaubt es kaum, aber es haben sich tatsächlich ein paar Entscheidungen angesammelt, über die man berichten kann. Allerdings: Alles nichts Besonders, aber immerhin. Ich hoffe, die (Sommer)Flaute ist bald beendet.

Zunächst hier zwei OLG-Entscheidungen, die noch einmal zu den Anforderungen an die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung bzw. einer Abstandsmessung Stellung genommen haben.

In dem vom BayObLG im BayObLG, Beschl. v. 31.07.2024 – 202 ObOWi 742/24 – war mit dem Abstandssystem VKS 4.5 gemessen worden. Dazu das BayObLG:

„Bei dem verwendeten Abstandssystem VKS 3.0 (für die jetzige Softwareversion 4.5 kann nichts anders gelten) handelt es sich allerdings um ein standardisiertes Messverfahren, wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Stellungnahme vom 09.07.2024 ausgeht. Von der Zuverlässigkeit der Messung muss sich das Gericht nur überzeugen, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler gegeben sind. Solche Anhaltspunkte bestanden für das Gericht nach den Urteilsfeststellungen nicht. Die Angaben zum Messverfahren und zum Toleranzwert würden in diesem Fall die Grundlage einer ausreichenden, nachvollziehbaren Beweiswürdigung (vgl. BGHSt 39, 291; speziell zum Abstandsmessverfahren VKS zuletzt: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.09.2019 – 1 Rb 10 Ss 618/19, bei juris Rn. 12) bilden. Auf die Angaben kann nur im Falle eines glaubhaften Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden, von dem hier nach den Urteilsgründen nicht ausgegangen werden kann.

Das OLG Bamberg (Beschl. v. 19.07.2017 – 3 Ss OWiG 836/17, bei juris; vgl. auch Gieg/Krenberger in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl., Rn. 130) hat – noch weitergehend – ausgeführt, dass bei einer im standardisierten Messverfahren erfolgten Abstandsmessung wenn sich aus den Urteilsgründen zweifelsfrei ergibt, dass ein Toleranzabzug vorgenommen wurde, es der Mitteilung des konkreten Toleranzwertes nicht mehr bedarf, da ohne weiteres davon ausgegangen werden könne, dass die nach der Gebrauchsanweisung des Herstellers vorgesehenen systemimmanenten Verkehrsfehlergrenzen bereits vom Rechenprogramm abgezogen und damit im Ergebnis berücksichtigt wurden.

Den vorgenannten Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Den Urteilsgründen lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, dass es sich bei dem zugrunde gelegten Geschwindigkeitswert von 139 km/h um den nach Abzug der (systemimmanent ermittelten) Toleranzen ermittelten Wert handelt und der Toleranzabzug dem Grunde nach auch berücksichtigt wurde.“

Die zweite Entscheidudng stammt vom OLG Brandenburg. Das AG hatte festgestellt, dass die Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren mit einem Messfahrzeug unter Verwendung der Video-Verkehrsüberwachungsanlage ProVida2000/ViDista vorgenommen worden war. dazu dann das OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.07.2024 – 1 ORbs 144/24:

„Das Amtsgericht hat festgestellt, dass die Geschwindigkeitsmessungen durch Nachfahren mit einem Messfahrzeug unter Verwendung der Video-Verkehrsüberwachungsanlage ProVida2000/ViDista vorgenommen worden sind. Diese Messmethode ist als standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. hierzu BGHSt 39, 291 = NZV 1993, 485) anerkannt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. November 2000 – 2 Ss OWi 1057/2000, 2 Ss OWi 1057/00; Rz. 9; OLG Köln, Beschluss vom 30. Juli 1999 – Ss 343/99 B – Rz. 17 m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 04. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 871/08 – Rz. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juni 2000 – 2b Ss (OWi) 125/00 – (OWi) 52/00 I – Rz. 20 m. w. N.; sämtlich zitiert nach juris).

Das Urteil muss deshalb feststellen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsmessung beruht. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messung durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug heraus erfolgte, wie lang ggf. die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Fahrzeug des Betroffenen waren und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. November 2019 – 2 Rb 35 Ss 795/19 –, Rz. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juni 2000 – 2b Ss (OWi) 125/00 – (OWi) 52/00 I –, Rz. 18; OLG Hamm, Beschluss vom 04. Dezember 2008 – 3 Ss OWi 871/08 –, Rz. 19; OLG Köln, Beschluss vom 30. Juli 1999 – Ss 343/99 B –, Rz. 17; sämtlich zitiert nach juris).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es enthält weder Feststellungen zum Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Auto des Betroffenen noch einen bei der Geschwindigkeitsmessung berücksichtigten Toleranzabzug.“

Ein kleiner Hinweis, aber vorab lieber <<Werbemodus an>>: Das BayObLG nimmt Bezug auf Burhoff (Hrsg), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. Das Zitat ist allerdings nicht ganz richtig. Denn die Ausführungen zur Abstandsmessung werden ab der im Mai 2024 erschienenen 7. Auflage vom Kollegen Krenberger allein bearbeitet. Das Zitat befindet sich zudem auch nicht bei der Rn 130, sondern bei der Rn 131. Wer das prüfen will, kann das Buch gern hier bestellen 🙂 . <<Werbemodus aus>>.

Haft III: Entscheidung über Vollzugslockerungen, oder: Haftbefehl wegen Fluchtgefahr

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Und zum Schluss dann der OLG Celle, Beschl. v. 18.07.2024 – 1 Ws 159/24 (StrVollz). An dem Aktemnzeichen sieht man: Es geht um Strafvollzug.

Die JVA hatte Vollzugslockerungen während des Vollzuge einer Maßregel abgelehnt. Dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, den die StVK zurückgewiesen hat. Sie hatte ich u.a. darauf bezogen, dass aufgrund des Fortgangs eines Auslieferungsverfahrens die Gefahr eines Lockerungsmissbrauchs sowie ein erhöhter Fluchtanreiz bestehe.

Dagegen die Rechtsbeschwerde des Verurteilten, die keinen Erfolg hatte. Die StVK hatte zwar mangelhaft begründet, aber:

„2. Der angefochtene Beschluss beruht indes nicht auf den aufgezeigten Begründungsmängeln, weil die Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer und der Antragsgegnerin im Ergebnis richtig sind und aus rechtlichen Gründen keine andere Entscheidung in Betracht kam.

Denn der Erlass eines auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls führt dazu, dass auch die Vollzugsbehörde bei der Entscheidung über Lockerungen vom Vorliegen von Fluchtgefahr ausgehen muss und sich ihr diesbezüglicher Beurteilungsspielraum auf Null reduziert (KG, Beschluss vom 13. April 2006 – 5 Ws 70/06 Vollz –, juris). Die Gewährung von Vollzugslockerungen ist mit einem gleichzeitig bestehenden, auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl unvereinbar (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 11. Februar 2020 – 1 Ws 20/20 –, Rn. 13, juris; OLG Braunschweig, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 1 Ws 299/19 –, Rn. 8, juris; OLG Jena, Beschluss vom 23. Januar 2019 – 1 Ws 13/19 –, Rn. 19, juris; KG, Beschluss vom 31. März 2017 – 5 Ws 81/17 –, Rn. 14, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. Januar 2002 – 3 Ws 15/02 –, Rn. 7, juris; OLG Bremen, Beschluss vom 11. Oktober 1999 – Ws 153/99 –, juris).

Die Antragsgegnerin musste deshalb im vorliegenden Fall – in dem sich die Fluchtgefahr als Haftgrund der vom Oberlandesgericht angeordneten Auslieferungshaft (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG) zumindest dem Gesamtzusammenhang des angefochtenen Beschlusses entnehmen lässt – die zuvor gewährten Vollzugslockerungen zwingend gemäß §§ 48 Abs. 1, 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG i. V. m. § 15 Abs. 1 Nds. MVollzG widerrufen.“

Haft I: Freispruch ==> Aufhebung des Haftbefehls, oder: Aufgehoben bleibt aufgehoben, auch in der Revision

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Und dann  – seit längerem mal wieder – Haftentscheidungen.

Ich beginne mit dem OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.05.2024 – 3 Ws 128/24. Das ist „Annexentscheidung“ zu einer der ersten Entscheidungen zum KCanG. Die vom OLG entschiedene Frage hat aber nichts mit den Neuerungen des KCanG zu tun.

Der Beschuldigte hat sich in einem Ermittlungsverfahren wegen des dringenden Tatverdachts der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in U-Haft befunden.Von dem Vorwurf ist er am 12.04.2024 frei gesprochen worden, mit Beschluss vom selben Tag der Haftbefehl des AG aufgehoben.

Gegen das Urteil hat die  Staatsanwaltschaft Revision und gegen den Beschluss vom 12.04.2024  Beschwerde eingelegt. Über die hat dann das OLG entschieden. Das Rechtsmittel war nicht erfolgreich:

„Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ist ein Haftbefehl aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, dass die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Als Sonderfall hiervon wird in § 120 Abs. 1 Satz 2 StPO der Fall des Freispruchs behandelt. Im Falle eines Freispruchs wird gesetzlich vermutet, dass ein dringender Tatverdacht nicht mehr besteht, das heißt, dass die‘, Haftvoraussetzungen weggefallen sind oder dass wenigstens die Haft zu dem endgültigen Verfahrensergebnis in keinem angemessenen Verhältnis mehr steht (vgl. Senat, Beschluss vom 12.101.1981 – 3.Ws 9/81, NStZ 1981, 192, beck-online). Die Vermutung wird bereits durch den bloßen Akt der freisprechenden Entscheidung begründet, ohne dass es auf deren Richtigkeit oder Rechtskraft ankommt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. 7. 1999 – 2 Ws 227/99, NStl.1999, 585, beck-online; Lind in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2019, § 120, Rn. 33). Der Haftbefehl ist in den Fällen des § 120 Abs. 1 Satz 2 StPO deshalb auch dann aufzuheben ist, wenn der Freispruch als fehlerhaft erkannt ist und die Voraussetzungen der Untersuchungshaft noch vorliegen (Und in Löwe-Rosenberg a.a.O.). Da die Prüfung der Erfolgsaussichten einer staatsanwaltschaftlichen Revision alleine dem Revisionsgericht obliegt, ist dem Senat als Haftbeschwerdegericht eine eigene verbindliche Prüfung im Hinblick auf tatsächliche oder vermeintliche offensichtliche Revisionsfehler verwehrt (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, StPO § 120 Rn. 11).

Aufgrund der gesetzlichen Vermutung des § 120 Abs. 1 Satz 2 StPO darf bis zu der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts erneute Untersuchungshaft nur auf Grund neuer Tatsachen und. Beweismittel angeordnet werden; eine andere tatsächliche oder rechtliche Beurteilung reicht dafür nicht aus (vgl. Senat, Beschluss vom 12.01.1981 – 3 Ws 9/81, aaO; OLG Hamm, Beschluss vom 11. August 1980 — 3 Ws 430/80 —, Rn. 4, juris). Da neue Beweismittel hier nicht vorliegen, kann die Haftbeschwerde der Staatsanwaltschaft keinen Erfolg haben.“

Wann beginnt die Wartepflicht des Linkabbiegers?, oder: Erkennen des Rechtsabbiegevorgangs

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Heute dann „Kessel-Buntes-Tag“. Und in dem Kessel köcheln heute zwei Entscheidungen aus dem Zivilrecht.

Zunächst kommt hier etwas zur Unfallverursachung, nämlich der OLG Nürnberg, Beschl. v. 03.06.2024 – 3 U 746/24 – zur sog. Wartepflicht des Linksabbiegers. Gestritten wird um die Ersatzpflicht aus folgendem Unfall-/Verkehrsgeschehen:

Zwischen dem PKW VW Tiguan des Klägers, welcher zu dem Unfallzeitpunkt von seiner Ehefrau (Zeugin) gesteuert wurde, und dem im Eigentum des Beklagten zu 1) stehenden PKW Toyota kam es am 08.02.2023 gegen 14:00 Uhr in pp. auf der, unmittelbar hinter der Einmündung der pp. und der pp. Straße, zu einer Kollision. Die Zeugin bog, von der pp. her kommend, nach links in die – stadteinwärts gerichtet – ein, die Beklagte zu 1) aus der entgegenkommenden Straße nach rechts in dieselbe Richtung. Der von der Beklagten zu 1) gesteuerte PKW beschädigte dabei den PKW des Klägers im Bereich der vor der Vordertüre, der Hintertüre und des Heckkotflügels rechts.

Der Kläger begehrt vollständigen Ersatz des durch die Beschädigung seines PKW verursachten Schadens, den er auf rund 8.600 EUR beziffert hat. Das LG hat der Klage nur im Umfang von rund 4.300 EUR entsprochen und sie im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Das LG ist von einer Schadensteilung ausgegangen. Dagegen die Berufung des Klägers, der weiterhin vollen Schadensersatz begehrt.

Das OLG hat in dem Hinweisbeschluss nach § 522 ZPO dargelegt, dass nach seiner Überzeugung die Berufung unbegründet ist:

„2. Das Landgericht hat aber zu Recht diesem Umstand nicht die Bedeutung beigemessen, die die Berufung für geboten hält.

a) Nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO hat derjenige, der nach links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren zu lassen. Entsprechendes ordnet § 9 Abs. 3 StVO im Hinblick auf entgegenkommende Fahrzeuge an. Den Linksabbieger trifft mithin grundsätzlich eine Wartepflicht gegenüber dem entgegenkommenden Verkehr. Die in § 9 Abs. 3 u. 4 StVO geregelten Fälle stellen zwar keine Fälle der Vorfahrt im eigentlichen Sinn dar, da sie die Begegnung mit einem auf derselben Straße Entgegenkommenden betreffen, sind mit diesen aber nahe verwandt und unterliegen im Allgemeinen den gleichen Rechtsgrundsätzen (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/ Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26; für den Charakter als echte Vorfahrtsregeln MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 28).

Die sich aus dem vorfahrtsähnlichen Recht des Rechtsabbiegers ergebende Wartepflicht des Linksabbiegers entfällt noch nicht dadurch, dass sich der Linksabbieger in den Bereich der Vorfahrtstraße, in die er einbiegen will, begeben hat, weil er allein dadurch noch nicht zum Benutzer der Vorfahrtstraße und damit gegenüber dem Gegenverkehr bevorrechtigt wird (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 27; BeckOK StVR/Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 49). Zu einem solchen wird er erst, wenn der Linksabbiegevorgang vollständig abgeschlossen ist, was angenommen werden kann, soweit keine Schrägstellung mehr vorliegt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Dezember 1996, 14 U 203/95, DAR 1997, 26).

Zu beachten ist weiter, dass die Wartepflicht gegenüber dem Entgegenkommenden besteht, wenn dieser so nahe gekommen ist, dass er durch das Abbiegen gefährdet oder auch nur in der zügigen Weiterfahrt wesentlich behindert würde; ihn trifft die Wartepflicht, wenn für ihn bei Beginn des Abbiegevorgangs der Gegenverkehr bereits sichtbar war (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Eine Pflicht, am Straßenrand der Gegenrichtung stehende Kraftfahrzeuge daraufhin zu beobachten, ob sie alsbald anfahren, trifft den Linksabbieger nicht (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 28). Der Wartepflichtige muss allerdings in gewissem Umfang damit rechnen, dass sich der Entgegenkommende selbst verkehrswidrig verhält, so etwa, dass dieser bei entsprechenden Straßenverhältnissen die zulässige Geschwindigkeit mäßig überschreitet (Burmann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 9 Rn. 26a; BeckOK StVR/ Grabow, 23. Ed. 15.4.2024, StVO § 9 Rn. 41; MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 30).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht zutreffend nicht als maßgeblich angesehen, dass im Moment der Kollision der PKW des Klägers bereits vollständig parallel zur ausgerichtet war und damit den Linksabbiegevorgang bereits beendet hatte. Die Zeugin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits gegen die Wartepflicht verstoßen, was zu dem Unfall führte.

Aus den oben dargestellten Grundsätzen ergibt sich, dass die Wartepflicht einsetzt, sobald der Linksabbieger erkennen kann, dass das sich aus der Gegenrichtung nähernde Fahrzeug nach rechts abbiegen will und es daher zu einer Überschneidung der Fahrwege im Einmündungsbereich oder auf der nachfolgenden Straße kommen wird. Trifft den Linksabbieger danach eine Wartepflicht, entfällt diese nicht dadurch, dass er seinen Abbiegevorgang fortsetzt und so eine Situation herstellt, bei der er zum Benutzer der vorfahrtsberechtigten Straße wird. Dies folgt schon daraus, dass andernfalls ein Anreiz geschaffen würde, den an sich nicht zulässigen Linksabbiegevorgang möglichst schnell (und damit in einer die Unfallgefahr insgesamt steigerten Weise) zu vollziehen, um dann in den Genuss des Vorfahrtsrechts zu kommen. Die Wartepflicht beinhaltet gerade, dass der entgegenkommende Rechtsableger seinen Abbiegevorgang ungestört unternehmen darf, während der Linksabbieger sich nach diesem auszurichten hat; dies verbietet die Annahme, dass der Linksabbieger, der diesen Vorgang einmal verkehrswidrig begonnen oder fortgesetzt hat, im weiteren Verlauf das Vorrecht erlangen kann und nunmehr der Rechtsableger zum Warten gezwungen wird.

Im Übrigen spricht bereits der Wortlaut der Bestimmung dafür, dass für den Zeitpunkt, auf den wegen der Wartepflicht abzustellen ist, der Beginn des Abbiegevorgangs und dessen Verlauf, nicht aber ein etwaiger Kollisionszeitpunkt ist. § 9 Abs. 4 S. 1 StVO stellt insoweit darauf ab, dass jemand nach links abbiegen „will“.

c) Davon, dass die Zeugin eine Wartepflicht traf, weil sie vor Beginn des Linksabbiegevorgangs die Annäherung und die Absicht der Beklagten zu 1), nach rechts abzubiegen, erkennen konnte, ist das Landgericht aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen fehlerfrei ausgegangen.

In den beiden von ihm exemplarisch modellierten Varianten war zu dem Zeitpunkt, als die Zeugin den Abbiegevorgang durch Überfahren der gestrichelten Seitenlinie begann, sowohl der PKW der Beklagten zu 1) als solcher zu erkennen als auch der Umstand, dass diese entweder nach rechts abbiegen oder gerade aus fahren werde. So befand sich die Beklagte zu 1) selbst dann, wenn sie relativ schnell (50 km/h) an die Kreuzung herangefahren wäre, dann maximal verzögert hätte und wieder beschleunigt hätte, bei Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin 5 1/2 – 6 Sekunden vor dem Zusammenstoß bereits (aus ihrer Sicht) hinter der Ein-/Ausfahrt zu dem Supermarkt, so dass die Zeugin gewärtigen musste, dass dieser PKW entgegenkommt und alsbald in die Kreuzung einfahren werde. Die Angaben der Zeugin, die den PKW der Beklagten zu 1) nicht gesehen haben will, können damit kaum zutreffen; dies kann auch ohne Weiteres damit erklärt werden, dass sie sich noch in erheblicher Distanz hinter dem PKW des Klägers befunden hatte, weshalb ihre Sicht eingeschränkt war und eine Abschätzung von Distanzen noch schwieriger war. Wäre die Beklagte zu 1) langsamer, etwa mit 30 km/h, an die Kreuzung herangefahren, errechnet sich der Beginn des Abbiegevorgangs durch die Zeugin rund 4 1/2 Sekunden vor der Kollision; zu diesem Zeitpunkt musste sich dann die Beklagte zu 1) aber bereits noch näher an der Kreuzung befunden haben und ihr Fahrzeug noch deutlicher nach rechts ausgerichtet gewesen sein.

Bei beiden Annahmen wäre es auch so gewesen, dass während des Abbiegevorgangs der Zeugin, als dieser PKW noch nicht in parallel Richtung zur ausgerichtet war, die Annäherung und die Abbiegeabsicht der Beklagten zu 1) erkennbar gewesen sein muss. All dies löste jeweils die Wartepflicht für den PKW des Klägers aus.

Selbst wenn, was der Sachverständige in technischer Hinsicht nicht ausschließen konnte, die Beklagte zu 1) zunächst aus dem Supermarktparkplatz ausgefahren wäre, ergäbe sich nichts entscheidend anderes. Zwar wäre der PKW der Beklagten zu 1) dann in dem Moment, in dem die Zeugin ihren Abbiegevorgang begonnen hat, noch nicht auf der Straße gewesen; gemäß den oben dargestellten Grundsätzen hätte sie nach vorläufiger rechtliche Bewertung des Senats nicht ohne weiteres damit rechnen müssen, dass Fahrzeuge aus angrenzenden Grundstücken in die Straße einfahren und dann sogleich nach rechts abbiegen. Jedoch wäre wiederum während des weiteren Verlaufs des Linksabbiegens für die Zeugin zu erkennen gewesen, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Absicht, nach rechts abzubiegen, der Kreuzung näherte. Dies wäre auch deutlich vor Beginn der Phase der Fall gewesen, in der die Zeugin bereits so in die eingefahren gewesen wäre, dass sie sich in dieser Fahrtrichtung bewegte und damit ein Vorfahrtsrecht erlangt hätte. Mit einer schnellen Annäherung der Beklagten zu 1) an den Kreuzungsbereich, d.h. eine Ausschöpfung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, musste die Zeugin dabei grundsätzlich rechnen.

3. Das Landgericht hat damit zutreffend bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Klägers einen Vorfahrtsverstoß nach § 9 Abs. 4 S. 1 StVO eingestellt. Die Beklagte zu 1) trifft demgegenüber der Vorwurf, gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme verstoßen zu haben. Wenn das Landgericht beide Verschuldensanteile als gleichwertig angesehen hat, stellt dies jedenfalls keinen Fehler zum Nachteil des Klägers dar. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Verstöße gegen konkrete Verkehrsregeln und Wartepflichten grundsätzlich höheres Gewicht besitzen als die Verletzung der allgemeinen Vorsichts- und Rücksichtnahmepflichten. Eine gleich hohe Gewichtung beschwert daher den Kläger nicht.

Der Senat legt deshalb aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).“