Archiv der Kategorie: BayObLG

StPO II: Zulässigkeit des Besetzungseinwandes, oder: Keine Bezugnahmen/Verweisungen

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Im zweiten Posting dann mal wieder etwas zum Besetzungseinwand (§ 222b StPO), und zwar noch einmal zur ausreichenden Begründung. Dem KG war hier der vom Angeklagten erhobene Besetzungseinwand nicht ausreichend begründet, weshalb er ihn im KG, Beschl. v. 20.02.2024 – 2 Ws 21/24 – 161 GWs 2/24 – als unzulässig verworfen hat:

„b) Allerdings genügt der Einwand in formeller Hinsicht nicht den an ihn nach § 222b Abs. 1 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen, wonach die Tatsachen, aus denen sich die Vorschriftswidrigkeit der Besetzung ergeben soll, anzugeben sind. Die durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2121) eingefügte Vorschrift des § 222b Abs. 3 StPO verlagert die bislang im Wege der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 1 StPO zu erhebende Rüge der vorschriftswidrigen Gerichtsbesetzung aus dem Revisionsverfahren in ein Vorabentscheidungsverfahren (vgl. BT-Drs. 19/14747, Seite 29). Mit dieser Verlagerung hat sich aber nicht der in der Sache anzuwendende Prüfungsmaßstab verändert.

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen das Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein und die für die alte Rechtslage vorgeschriebenen Form- und Fristvoraussetzungen (vgl. insoweit BGHSt 44, 161) sowie die Begründungsanforderungen gemäß § 222b Abs. 2 Satz 2 und 3 erhalten bleiben (vgl. BT-Drs. aaO; Gmel in KK-StPO, 9. Aufl., § 222b Rn. 8).

c) Entsprechend einer Rüge der Gerichtsbesetzung im Revisionsverfahren gemäß § 344 Abs. 2 StPO erfordert die Rüge daher eine geschlossene und vollständige Darstellung der Verfahrenstatsachen; alle einen behaupteten Besetzungsfehler begründenden Tatsachen müssen aus sich heraus – das heißt, ohne Bezugnahmen und Verweisungen auf andere Schriftstücke, insbesondere Anlagen, Aktenbestandteile oder Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligter – so konkret und vollständig innerhalb der Wochenfrist des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO vorgebracht werden, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird (vgl. [zur alten Rechtslage] BGHSt aaO; [zur unveränderten neuen Rechtslage] Kammergericht, Beschlüsse vom 3. Mai 2023 – 4 Ws 44/23 – und vom 1. März 2021 – 4 Ws 14/21 –, jeweils mwN, OLG Celle StraFo 2020, 159; OLG München, Beschluss vom 12. Februar 2020 – 2 Ws 138/20, 2 Ws 139/20 –). Hierzu zählt auch, dass Umstände, die geeignet sein könnten, die vom Gericht beschlossene Besetzung zu begründen, nicht verschwiegen werden dürfen (vgl. OLG Celle aaO). Eine Bezugnahme auf Anlagen zur Antragsschrift ist unzulässig, denn es ist nicht Aufgabe des Rechtsmittelgerichts, das Vorbringen an der passenden Stelle zu ergänzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. Mai 2022 – III-5 Ws 114/22 –).

2. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der Besetzungseinwand unzulässig.

a) Den vorgenannten Anforderungen wird der Vortrag des Angeklagten schon deshalb nicht gerecht, weil nicht dargelegt wird, wann das Gericht dem Angeklagten die Besetzung der Strafkammer mitgeteilt hat, so dass dem Senat als Rechtsmittelgericht die Überprüfung der Rechtzeitigkeit des Besetzungseinwandes verwehrt bleibt (vgl. auch OLG München aaO). Das Datum des Eingangs beim Angeklagten bzw. seinem Verteidiger ergibt sich auch nicht aus der als Anlage beigefügten Besetzungsmitteilung. Insoweit wäre aber ohnehin eine Bezugnahme auf diese Anlage unzulässig.

b) Der Einwand ist aber auch im Übrigen unzulässig.

(1) Soweit sich der Angeklagte gegen die Zuständigkeit der 27. Strafkammer wendet, fehlen Darlegungen, woraus sich die Unzuständigkeit der 27. Strafkammer ergeben soll. Der Angeklagte teilt bereits nicht mit, wie die Regelung nach Rn. 107 des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichts Berlin lautet. Diese Regelung findet sich zwar in einer der beigefügten Anlagen, wobei diese Anlage bereits nicht nummeriert oder überschrieben ist. Diese Bezugnahme ist indes unzulässig; erforderlich wäre eine wörtliche oder zumindest sinngemäße Wiedergabe der vermeintlich fehlerhaft angewendeten Regelung des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichts Berlin. Es wird auch nicht mitgeteilt, woraus sich die Annahme des Angeklagten ergeben soll, dass die Zuteilung an die Strafkammer erfolgen solle, die nummerisch auf die Strafkammer folgt, deren Sache zurückverwiesen wurde.

Auch fehlen jegliche Ausführungen zu der von der Eingangsregistratur des Landgerichts Berlin vorgenommenen Zuteilung der Sache an die 27. Strafkammer. Woraus sich ergeben soll, dass die numerisch vorgehenden Strafkammern – so der Vortrag des Angeklagten – nicht überlastet gewesen seien, bleibt unklar.

(2) Soweit sich der Einwand des Angeklagten zudem gegen die Besetzung der 27. Strafkammer wendet, ist er ebenfalls unzulässig.

Eine „vorschriftswidrige Besetzung“ im Sinne des § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO ist lediglich dann gegeben, wenn das erkennende Gericht mit einem oder mehreren Richtern besetzt war, bei denen es sich nicht um den bzw. die gesetzlichen Richter i.S.v. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG handelt. Wer gesetzlicher Richter ist, bestimmt sich nach dem Gerichtsverfassungsgesetz und der Umsetzung der dortigen Vorgaben durch den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts, dem der fragliche Spruchkörper angehört (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 2016 – 1 StR 422/15 –).

Die vollständige Besetzung der 27. Strafkammer wird vom Angeklagten bereits nicht mitgeteilt. Der Geschäftsverteilungsplan des nunmehr zuständigen Landgerichts Berlin I für das Jahr 2024, aus dem sich die reguläre Besetzung der 27. Strafkammer ergeben würde, wird nicht vorgelegt.

Der Besetzungseinwand teilt insoweit nur mit, dass „nicht mehr Richter x Mitglied der Kammer wäre, sondern Richter am Landgericht x“. Aus dem Vorbringen des Angeklagten lässt sich zwar ansatzweise erkennen, dass er die Besetzung der Hauptverhandlung mit Richter x beanstandet, hingegen lässt sich daraus nicht erkennen, unter welchem konkreten rechtlichen Aspekt (vgl. § 222b Abs. 1 Satz 3 StPO) die Vorschriftswidrigkeit der Besetzung geltend gemacht werden soll. Die angedeutete Verhinderung von Richter am Landgericht x würde nur dann zu einer „vorschriftswidrigen Besetzung“ des Gerichts führen, wenn Richter am Landgericht x gesetzlicher Richter gewesen wäre. Das hat der Angeklagte aber nicht ausreichend dargelegt. Aus der Besetzungsrüge ist auch nicht zu entnehmen, dass ein Verhinderungsgrund betreffend Richter am Landgericht x nicht vorgelegen habe. Ob beispielsweise eine förmlich festgestellte Verhinderung des Richters am Landgericht x vorliegt oder dieser beispielsweise wegen Urlaubs oder Krankheit an der Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert war, wird von dem Angeklagten in seinem Einwand nicht mitgeteilt (vgl. BGH NStZ 2020, 757 f.). Auch fehlt es an Darlegungen zur Bestimmung des zuständigen Vertreters nach den Regelungen des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichts Berlin I für das Jahr 2024, die eine Überprüfung der ggf. fehlerhaften Heranziehung von Richter x ermöglichen würden.

Zwar trifft die aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO folgende Vortragslast den Angeklagten bzw. seine Verteidiger nur in Bezug auf die Tatsachen, die ihm zugänglich sind, wobei die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen (vgl. Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl., StPO, § 344 Rn. 22 mwN). Der Angeklagte bzw. sein Verteidiger hat – soweit ersichtlich – gar keine Anstrengungen unternommen, die Gründe für die Besetzung der Kammer zu ermitteln, so beispielsweise durch Nachfragen bei der Kammer oder der Gerichtsverwaltung. Dass Informationen erfragt, aber nicht mitgeteilt worden wären, trägt der Besetzungseinwand nicht vor.“

Nichts Neues, sondern nur noch einmal Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung. Die findet man dann (demnächst) auch bei <<Werbemodus an>> Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl. 2025, bzw. bei Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl. 2025, die man einzelne, als Paket oder als sog. Trilogie hier vorbestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

StPO I: (Umfassendes) Auskunftsverweigerungsrecht?, oder: Angeklagter und Zeuge Mitglied einer BtM-Bande

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Und dann geht es weiter mit StPO. Ich beginne mit einer Entscheidung des OLG Hamm zum Auskunftsverweigerungsrecht eines Zeugen nach § 55 StPO.

Hier hatte der betroffene Zeuge in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nach erfolgter Belehrung erklärt hatte, er werde kein Zeugnis ablegen. Daraufhin hat die Strafkammer dem Zeugen die durch seine Verweigerung verursachten Kosten auferlegt, ein Ordnungsgeld in Höhe von 750 Euro (ersatzweise Ordnungshaft) verhängt sowie eine Beugehaft bis zum 29.05.2024 angeordnet. Dagegen die Beschwerde des Zeugen. Er meint, ihm stehe wegen der gemeinsamen Bandenzugehörigkeit von Angeklagtem und Zeugen ein umfassendes Recht zur Auskunftsverweigerung zu. Die Beschwerde hatte beim OLG mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2024 – 5 Ws 163/24 – Erfolg:

„Der angefochtene Beschluss war auf die Beschwerde aufzuheben, da dem Zeugen ein umfassendes Recht zur Aussageverweigerung zusteht; im Einzelnen:

1. Grundsätzlich ist ein Ordnungsgeldbeschluss bereits dann rechtsfehlerhaft, wenn dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör nicht in ausreichendem Maße gewährt worden ist. Das ist dann der Fall, wenn es an einer ausreichenden Belehrung fehlt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.08.1995 – 3 Ws 486 – 487/95 = NStZ-RR 1996, 169, beck-online). Dieses ist hier der Fall, da die Strafkammer bei ihrer Belehrung den Umfang des Auskunftsverweigerungsrechts verkannt hat.

2. Zwar ist ein Zeuge grundsätzlich verpflichtet, vollständig zum Beweisthema auszusagen und kann nach § 55 Abs. 1 StPO nur die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihn selbst oder einen der in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen in die Gefahr bringen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.

Allerdings sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Fallkonstellationen anerkannt, in denen sich das Auskunftsverweigerungsrecht zum Aussageverweigerungsrecht verdichten kann (vgl. BGHSt 47, 220, 222). Dazu muss die Aussage aber mit etwaigem strafbaren Verhalten in so engem Zusammenhang stehen, dass eine Trennung nicht möglich ist (vgl. BGH NStZ 2002, 272, 273; StV 1987, 327, 328). Voraussetzung dafür ist insbesondere ein bereits nach Aktenlage nachvollziehbarer örtlicher und personeller Konnex zwischen der den Ermittlungsgegenstand bildenden Tat und der Person des die Auskunft verweigernden Zeugen (vgl. BVerfG NStZ 2002, 378; BGH NStZ 1999, 1413; BGHR StPO § 70, Weigerungsgrund 2). Gerade im Bereich der Rauschmitteldelikte kann der Kontakt zu einzelnen Beteiligten den Konnex bereits begründen (vgl. LG Hamburg, Beschluss vom 22. 6. 2007 – 618 Kls 2/07 = NStZ 2008, 588, beck-online). Besteht bei Rauschmitteldelikten die konkrete Gefahr, dass der Zeuge die Tatbeteiligten weiterer, noch verfolgbarer, eigener Delikte offenbaren, also Auskünfte über Teilstücke in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude geben und damit zugleich potenzielle Beweismittel gegen sich selbst liefern müsste, so ist ihm die Erteilung solcher Auskünfte nicht zumutbar (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6.2.2002 – 2 BvR 1249/01 = NJW 2002, 1411, beck-online).

Ähnlich gelagert ist der Fall hier, da der Beschwerdeführer im Falle von Angaben zur Sache die Aufnahme von Ermittlungen betreffend etwaige, bislang nicht ermittelte Bandentaten befürchten muss.

3. Nach Aktenlage ergibt sich ein besonderer persönlicher Konnex zwischen dem Angeklagten und dem Beschwerdeführer. Ausweislich der (eröffneten) Anklageschrift vom 27.12.2023 waren sowohl der hiesige Angeklagte als auch der Beschwerdeführer Mitglieder derselben Bande, jedenfalls soweit es die Betäubungsmitteltransporte nach S. (B.) betrifft. Hinsichtlich der Gefahr einer Selbstbelastung des Zeugen ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die beim Beschwerdeführer abgeurteilten bzw. eingestellten Taten und die hiesigen angeklagten Taten lediglich einen kurzen Zeitraum vom 23.01.2022 bis zum 17.03.2022 betreffen, wohingegen die Betäubungsmittelaktivitäten der Bande ausweislich des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen bereits ab dem Februar 2021 zutage treten, beispielsweise bei einer – nicht angeklagten – Transportfahrt nach S. am 20.10.2021. Für den Beschwerdeführer ergibt sich außerdem die Gefahr, dass er durch die Preisgabe der Bandenzusammensetzung, der Struktur oder des Modus Operandi Tatsachen für das Vorliegen eines Anfangsverdachts von weiteren Straftaten liefert. Letztlich dürfte es dem Beschwerdeführer unzumutbar sein, Auskünfte betreffend die Bandenzugehörigkeit des Angeklagten bzw. dessen Bestellungen von Betäubungsmitteln zu offenbaren, da dadurch – über das eigene Strafverfahren hinaus – das Risiko bestünde, dass der Angeklagte als Vergeltung ihm bekannt gewordene – bislang nicht ermittelte – weitere Betäubungsmittelgeschäfte der Gruppierung unter Mitwirkung des Beschwerdeführers aufdeckt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 6.2.2002 – 2 BvR 1249/01 = NJW 2002, 1411, beck-online).“

Und:

„4. Für die ausgesprochene Beugehaft bestand auch nach ihrem Vollzug ein fortwirkendes Rechtsschutzbedürfnis, da es sich bei dem angeordneten Freiheitsentzug um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff handelt und die Beugehaft – im Falle ihrer Rechtmäßigkeit – nicht nach § 51 Abs. 1 StGB auf die Strafvollstreckung angerecht werden kann (vgl. BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 9.9.2005 – 2 BvR 431/02 = NJW 2006, 40, beck-online). Aufgrunddessen war die Rechtswidrigkeit der erledigten Maßnahme entsprechend § 115 Abs. 3 StVollzG auszusprechen.“

KCanG III: Verwertung „alter“ EncroChat-Erkenntnisse, oder: OLG Celle geht von Verwertbarkeit aus

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Und im dritten Posting dann noch etwas Verfahrensrechtliches, nämlich der OLG Celle, Beschl. v. 09.07.2024 – 3 Ws 55/24. Der nimmt Stellung zur der Frage, ob und wie vor dem 1.4.2024 gewonnene Erkenntnisse aus einer EncroChat-Überwachung nach Inkrafttreten des KCanG verwertet werden dürfen. Das ist ja von einigen OLG verneint worden, so u.a. KG, Beschl. v. 30.04.2024 – 5 Ws 67/24 (siehe auch noch: OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.04.2024 – H 4 Ws 123/24).

Hier hatte das LG in einem BtM-Verfahren teilweise nicht eröffnet, weil es die vorliegenden Beweismittel als nicht verwertbar angesehen hat. Dagegen dann das Rechtsmittel der StA, das Erfolg hatte. Das OLG begründet umfangreich auf rund 23 Seiten, daher gibt es hier nur die Leitsätze zu der Entscheidung:

1. Beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO kann nach der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des BGH vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539 ff. – „jede denkbare Beeinträchtigung“ einer Person durch die Verwertung von EncroChat-Daten als Beweismittel ausgeschlossen werden.

2. Die Prüfung der Frage, ob EncroChat-Daten als Beweismittel verwertbar sind, kann indes auch nach Inkrafttreten des CanG zum 1. April 2024 durch Heranziehung niedrigschwelliger Verwertungsregelungen vorgenommen werden kann.

3. Bei den EncroChat-Daten handelt es sich – nach dem Maßstab des deutschen Verfassungs- und Strafprozessrechtes – um an Art. 10 GG zu messende, mithin um „qualifizierte“ Telekommunikationsdaten, weshalb bei der Prüfung der Frage ihrer Verwertbarkeit auch gemäß § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm § 161 Abs. 3 StPO auf eine entsprechende Anwendung des § 100a StPO zurückgegriffen werden kann bzw. im Falle des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO wegen der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zurückgegriffen werden muss.

Tja, dann bin ich mal gespannt, was demnächst der BGH, der wegen der abweichenden Auffassungen sicherlich demnächst mit der Frage befasst sein wird, dazu sagen wird.

KCanG II: Besitz von Kleinmengen und § 51 BZRG?, oder: Amnestie auch für Besitz von Cannabis in einer JVA?

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Und im zweiten Posting dann zwei Entscheidungen aus der Instanz, nun ja fast 🙂 .

Die erste Entscheidung stammt vom BayObLG. Das hat sich im BayObLG, Beschl. v. 17.07.2024 – 204 StRR 215/24 – noch einmal mit verfahrensrechtlichen Fragen befasst und mit dem „richtigen“ Strafausspruch. Ich stelle hier, da die Begründung des BayObLG – wie immer – recht umfangreich ist, im Wesentlichen nur die Leitsätze ein, die lauten:

    1. Der Schuldspruch eines hinsichtlich Betäubungsmittelstraftaten rechtskräftigen Urteils muss im Revisionsverfahren an die Vorschriften des seit 1.4.2024 geltenden KCanG angepasst werden (§ 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO).
    2. Bei der Beurteilung, welches das mildere von zwei Gesetzen ist, ist zu prüfen, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt, wobei es in erster Linie auf die konkret in Frage kommenden Hauptstrafen ankommt.
    3. Beim Strafausspruch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber durch die Schaffung eines eigenen, grundsätzlich milderen Strafrahmenregimes in Bezug auf den Umgang mit Cannabis im Vergleich zu den dem Betäubungsmittelgesetz unterstellten Suchtstoffen deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass Taten, wenn sich diese auf Cannabis beziehen, mit einem geringeren Unwerturteil einhergehen.
    4. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter auch in einem Fall, in dem sich die Tat nur teilweise auf Cannabis bezieht, trotz des tateinheitlich hinzutretenden Schuldspruchs wegen eines Vergehens gegen das Konsumcannabisgesetz und der Anwendung desselben Strafrahmens zu einer milderen Strafe gelangt.
    5. Vorstrafen, die den Besitz und Erwerb von Kleinmengen von Cannabis betreffen, der zwischenzeitlich straffrei gestellt ist, unterliegen derzeit nicht dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, da sie erst ab dem 1.1.2025 tilgungsfähig sein werden; ihnen kommt nach wie vor eine Warnfunktion zu.

Zwei Anmerkungen: Wer die Entscheidung liest, wird feststellen, dass das BayObLG auf die auch von ihm angesprochene Frage der „nicht geringen Menge“ kein Wort der eigenen Begründung mehr verwendet, sondern nur feststellt: Die liegt bei 7,5 G und dazu dann nur einige BGH-Entscheidungen anführt. Der „Zug ist als abgefahren“ bzw. davon wird kein Gericht mehr abweichen.

Und: Besonders hinweisen möchte ich auf die o.a. Nr. 5 der Leitsätze. Das muss man derzeit noch im Auge haben.

Und dann als zweite Entscheidung der LG Stralsund, Beschl. v. 29.05.2024 – 23 StVK 114/24 – zur Anwendung der sog. Amnestieregelung auf eine Verurteilung wegen Besitzes von Cannabis in einer JVA während des Vollzugs einer Freiheitsstrafe. Der Angeklagte war am 23.05.2023 durch das AG wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt word. Hintergrund des Urteils war, dass sich am 15.12.2022, nachdem eine Haftraumkontrolle in der JVA. durchgeführt wurde, in der Kaffeedose des Angeklagten 21,7 g Cannabis in einer Plastikfolie aufgefunden wurden. Der Angeklagte hatte die Drogen in der Haftanstalt erworben. Die Vollstreckung der Strafen ist nach Verbüßung von 2/3 bzw. mehr als 2/3 ausgesetzt worden. Die Staatsanwaltschaft hat nun aufgrund der Amnestieregelung des Artikel 313 EGStGB zu Cannabisaltfällen den Antrag auf Einstellung der Vollstreckung gestellt.

Die StVK hat abgelehnt: Nach ihrer Auffassung der Kammer ist der Besitz von Cannabis in einer Justizvollzugsanstalt während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe nicht von der Amnestieregelung umfasst, so dass ein Erlass dieser Strafe nicht geboten ist. Einzelheiten bitte im verlinkten Volltext nachlesen.

Verein II: Ist der „richtige“ Vereinsname gewählt?, oder: „Deutsches Zentrum für…“ kann irreführend sein

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Als zweite Entscheidung stelle ich den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.07.2024 – I-3 Wx 77/24. Der ist zwar nicht unmittelbar in einer vereinsrechtlichen Angelegenheit ergangen, er hat aber ggf. auch Auswirkungen auf Vereine. Es geht nämlich um den „richtigen“/zulässigen Vereinsnamen. In dem Bereich werden ja die Bestimmungen des HGB zur Firmenbezeichnung herangezogen, so dass Entscheidungen, die sich dazu äußern auch Auswirkungen auf Vereine haben können.

Hier geht es um die (Firmen)Bezeichnung „Deutsches Zentrum für …..“.Es war eine eine GmbH unter der Firma „Deutsches Zentrum für ………. GmbH“ zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet worden. Die Gesellschaft soll nach dem Inhalt der Satzung bestimmte Leistungen an Unternehmen, Betriebe und Körperschaften des öffentlichen Rechts erbringen. Das AG hat die Eintragung abgelehnt, das OLG hat das bestätigt:

„2. In der Sache hat das Registergericht zutreffend entschieden. Die Firmenbezeichnung „Deutsches Zentrum für …………… GmbH“ ist aus Rechtsgründen nicht zulässig und infolge dessen auch nicht eintragungsfähig.

Nach dem einheitlich (§ 6 Abs. 1 HGB) für alle Einzelkaufleute und sämtliche Handelsgesellschaften geltenden § 18 Abs. 2 Satz 1 HGB darf die Firma keine Angaben enthalten, die geeignet sind, über geschäftliche Verhältnisse, die für die angesprochenen Verkehrskreise wesentlich sind, irrezuführen. Die Vorschrift normiert den Grundsatz der Firmenwahrheit und enthält ein allgemeines und umfassendes Verbot, durch die Firma oder Teile der Firmenbezeichnung das Publikum oder andere Interessierte über Art, Umfang oder sonstige Verhältnisse des Handelsgeschäfts irrezuführen. Zweck ist der Schutz der Geschäftspartner, der Mitbewerber und des lauteren Wettbewerbs. Eine Firma ist zur Irreführung geeignet, wenn sie bei den maßgeblichen Verkehrskreisen unrichtige Vorstellungen hervorrufen kann. Ob eine Eignung zur Irreführung gegeben und ob diese als wesentlich im Sinne von § 18 Abs. 2 Satz 1 HGB einzustufen ist, ist vom Standpunkt der beteiligten Verkehrskreise aus zu beurteilen. Dazu gehören etwa die Kundschaft, branchenkundige Kaufleute, Lieferanten und Kreditgeber. Als Maßstab dient – objektiviert – die verständige Sicht des durchschnittlichen Angehörigen des betroffenen Personenkreises. Eine Irreführungsabsicht ist ebenso wenig erforderlich wie der tatsächliche Eintritt von Fehlvorstellungen. Eine Irreführung über geschäftliche Verhältnisse im Sinne von § 18 Abs. 2 Satz 1 HGB kann in den Angaben zum Unternehmensgegenstand liegen. Über die Art des Unternehmens wird irregeführt, wenn der tatsächliche Geschäftsbetrieb keinerlei Bezug zu der in der Firma behaupteten Tätigkeit hat. Die Irreführung kann ferner in den Angaben über die Waren und Dienstleistungen, aber auch zum Geschäftsbetrieb selbst liegen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht gilt, dass die Irreführung die Eintragung hindert, wenn sie ersichtlich, d.h. offensichtlich ist (§ 18 Abs. 2 Satz 2 HGB). Das Registergericht – und bei Ablehnung eines Eintragungsantrages auch das Beschwerdegericht – ist gemäß § 18 Abs. 2 Satz 2 HGB auf die Berücksichtigung evidenter und ohne Beweisaufnahme feststellbarer Tatbestände beschränkt; es ist allerdings gehalten, etwaigen Zweifeln hinsichtlich der Irreführungseignung der Firma nachzugehen (Zu Allem: Senat, Beschluss vom 12.8.2019, I-3 Wx 26/19 m.w.N.; Beschluss vom 3.5.2024, I-3 Wx 49/24 m.w.N.).

2. Nach Maßgabe des Vorstehenden ist die Firma „Deutsches Zentrum für pppp. GmbH“ mit dem Grundsatz der Firmenwahrheit offensichtlich nicht vereinbar.

a) Die Firmenbezeichnung erweckt bei verständiger Betrachtung den Eindruck, dass es sich bei der Beteiligten um ein Unternehmen auf dem Gebiet der pp. handelt, das zum einen bundesweit tätig ist („Deutsches …..“) und das zum anderen aufgrund der betrieblichen und personellen Ausstattung sowie seiner fachlichen Kompetenz auf nationaler Ebene zu einem der führenden Anbieter gehört („Zentrum …..“).

b) Mit zutreffenden Erwägungen hat das Amtsgericht angenommen, dass die Beteiligte diese Voraussetzungen nicht nachvollziehbar dargelegt hat.

Dabei kann es auf sich beruhen, ob der nicht näher konkretisierte Sachvortrag der Beteiligten, sie unterhalte Kundenbeziehungen „überall im Land“, den Firmenbestandteil „Deutsches …“ rechtfertigt. Es ist schon unklar, ob die Beteiligte mit dem Begriff „Land“ die Bundesrepublik Deutschland oder das Bundesland Nordrhein-Westfalen meint.

Diese Frage bedarf allerdings keiner Klärung. Denn unzulässig ist auf jeden Fall die Kennzeichnung der Beteiligten als „Zentrum …..“. Das Vorbringen der Beschwerde lässt nicht ansatzweise erkennen, dass die Beteiligte auf dem Gebiet der pp. und pp. zu einem der führenden Anbieter in Deutschland zählt. Die Behauptung, man besitze eine „zentrale Rolle in der ……. Versorgung“, ist substanzlos und nichtssagend; sie lässt nicht im Ansatz nachvollziehbar erkennen, aufgrund welcher konkreten Umstände die Beteiligte eine gegenüber anderen Dienstleistungsanbietern hervorgehobene Marktbedeutung besitzen soll. Das Vorbringen steht überdies in einem unaufgelösten Widerspruch zu dem Sachvortrag im Schriftsatz vom 25. März 2024 (dort Seite 2, GA 10), man sei auf dem Gebiet der …… nur „eines unter vielen Unternehmen“. Es bestehen – ohne dass es für die Entscheidung über den Eintragungsantrag noch von Bedeutung wäre – zudem durchgreifende Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der behaupteten führenden Marktposition. Eine einfache Internetrecherche führt nämlich zu dem Ergebnis, dass beispielsweise die ….. ihren Kunden mit 14 Gesundheitszentren und 3.500 Mitarbeitern an 140 Standorten ein bundesweites Netzwerk ihrer Leistungen auf den Gebieten der ………… anbietet und aktuell mehr als 200.000 Betriebe betreut. Die Marktbedeutung der Beteiligten, die eine einzige Arbeitsmedizinerin mit eigener Praxis beschäftigt und Geschäftsbeziehungen zu dem Inhaber der …… GmbH in Duisburg unterhält, tritt dahinter schon auf erste Sicht weit zurück.

c) Für den Eintragungsantrag der Beteiligten ist unerheblich, ob das Amtsgericht Duisburg die Firmenbezeichnung „Deutsche Weiterbildungszentrum GmbH“ eingetragen hat. Denn es handelt sich um eine signifikant abweichende Firmenbezeichnung, die das Wort „Zentrum“ nicht in Alleinstellung verwendet, sondern als Bestandteil des Begriffs „Weiterbildungszentrum“.“

Und dann, weil auch die Fragen behandelt werden, noch einmal <<Werbemodus an>> für den Hinweis auf Burhoff, Vereinsrecht, 11. Aufl. 2023, das man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.