Die zweite Entscheidung zu § 14 RVG kommt vom LG Heilbronn. Der LG Heilbronn, Beschl. v. 07.01.2025 – 1 Qs 11/23 – ist nicht ganz so schlimm wie der vorhin vorgestellte LG Münster-Beschluss, aber unschön ist er auch, wobei mir hier besonders das Verfahren sauer aufstößt.
In dem Beschluss geht es um die richtige Bemessung der Rahmengebühren in einem Verfahren wegen Unfallflucht. Das AG hat am 27.12.2021 einen Strafbefehl gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort erlassen. Gegen diesen legte der als Wahlverteidiger tätige Verteidiger Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht. Anschließend nahm der Verteidiger mit Schriftsatz vom 22.02.2022 zu dem Tatvorwurf Stellung und regte eine Einstellung des Verfahrens an. Darauf erwiderte die Staatsanwaltschaft am 28.02.2022 Stellung. Bis zum 08.03.2022 führte der Verteidiger dann weitere Telefonate mit dem zuständigen Strafrichter. Sodann übersandte er am 08.03.2022 eine weitere schriftliche Stellungnahme und regte darin abermals eine Verfahrenseinstellung an, wobei er den Sachverhalt nach Aktenlage würdigte. Nach telefonischer Rücksprache des Strafrichters mit der zuständigen Amtsanwältin der Staatsanwaltschaft Heilbronn stimmte diese einer Einstellung des Verfahrens zu, woraufhin das Verfahren am 09.03.2022 nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 18.03.2022 (ja, richtig gelesen: 2022) beantragte der Verteidiger die Festsetzung seiner Gebühren, jeweils in Höhe der Mittelgebühr, und zwar in Höhe von insgesamt 734,23 EUR. Das AG setzte am 19.01.2023 die zu erstattenden notwendigen Auslagen des Angeklagten auf 526,10 EUR fest. Zur Begründung führte die Rechtspflegerin aus, dass die beantragten Gebühren unbillig erhöht seien, weil es sich vorliegend – gemessen an den Kriterien des § 14 RVG — um eine unterdurch-schnittliche Angelegenheit handele. Bei Einspruchseingang habe die Akte lediglich 37 Blatt umfasst. Daher sei eine Kürzung der Mittelgebühren um 30 % angemessen.
Dagegen hat der Verteidiger am 30.01.2023 (auch richtig gelesen) sofortige Beschwerde eingelegt: Eine Absetzung der Gebühren sei nicht angezeigt. Die Begründung lasse jeden Bezug zur konkreten Rechtssache vermissen. Die sofortige Beschwerde hatte dann nur teilweise Erfolg:
„Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, hat aber in der Sache nur teilweise Erfolg.
1. So hat der Beschwerdeführer lediglich mit seinen Einwendungen gegen die Absetzungen Erfolg, die im Hinblick auf die Verfahrensgebühren Nr. 4106 und Nr. 4141 VV RVG vorgenommen wurden. In Anbetracht der anwaltlichen Tätigkeiten, die im Beschwerdeverfahren vorgetragen wurden und die in den Abgeltungsbereich dieser Gebühren fallen, erscheint in der Gesamtschau mit den für die Bestimmung der Gebührenhöhe maßgeblichen Kriterien nach § 14 Abs. 1 RVG der geltend gemachte Ansatz der sogenannten Mittelgebühr in Höhe von jeweils 181,50 € als angemessen und nicht als unbillig erhöht im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG.
Der Verteidiger hatte im Vorfeld der Hauptverhandlung zweimal zur Sache Stellung genommen und mehrere Telefonate geführt. Da die Staatsanwaltschaft der ersten Einstellungsanregung zunächst entgegengetreten war, bedurfte es eines zweiten Schriftsatzes mit einer ergänzenden Stellungnahme, um die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens nach § 153 Abs. 2 StPO einzuholen.
Zusätzlich war eine Besprechung mit dem Angeklagten unter Beiziehung eines Dolmetschers erforderlich.
Die Höhe der Gebühr Nr. 4141 VV RVG für die anwaltliche Mitwirkung zur Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung richtet sich nach der Höhe der Verfahrensgebühr nach Nr. 4104 VV RVG.
2. Demgegenüber hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Absetzung bei der Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG richtet.
Die vom Amtsgericht insoweit getroffene Festsetzung der zu erstattenden notwendigen Auslagen ist nicht zu beanstanden. Die Mittelgebühr, die im Kostenfestsetzungsantrag geltend gemacht wurde, ist ausgehend von der nach § 14 Abs. 1 RVG vorzunehmenden Gesamtwürdigung, die anhand der vergütungsrelevanten Umstände zu erfolgen hat, als unbillig erhöht anzusehen und damit unverbindlich (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Die vom Amtsgericht im Kostenfestsetzungsbeschluss vorgenommene Absetzung in Höhe von 30%, wodurch die Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG im Ergebnis auf 154,- € festgesetzt wurde, ist angemessen.
Denn es ist zu sehen, dass die maßgeblichen Bemessungskriterien nahezu allesamt für eine deutlich unterdurchschnittliche Einordnung sprechen. Im Bereich der allgemein für alle Gebühren zu berücksichtigenden Aspekte spricht lediglich der Gesichtspunkt der Bedeutung, den die Angelegenheit für den Angeklagten hatte, für eine durchschnittliche, aber eben auch keine überdurchschnittliche Einordnung. Denn vorliegend standen eine nicht unerhebliche Geldstrafe sowie ein zweimonatiges Fahrverbot im Raum. Es drohten zudem Schadensersatzpflichten auf zivilrechtlicher Ebene.
Andererseits war aber weder mit einer Freiheitsstrafe noch mit dem Entzug der Fahrerlaubnis zu rechnen. Zudem handelte es sich bei dem Beschwerdeführer auch nicht um eine bislang noch nicht vorbestrafte Person, sondern gegen ihn sind bereits früher Geldstrafen wegen nicht einschlägiger Delikte verhängt worden. Auch die rechtliche wie tatsächliche Schwierigkeit der Sache war in der Gesamtschau als deutlich unterdurchschnittlich einzustufen, da es maßgeblich auf die Fahrereigenschaft des Angeklagten ankam. Die maßgebliche Frage des Tatnachweises ließ sich nur auf ein einziges Beweismittel stützen. Ferner ist nach Aktenlage — insbesondere auch unter Berücksichtigung der Einlassung des Verteidigers im Schriftsatz vom 8. März 2022 — davon aus-zugehen, dass die Einkommensverhältnisse des Angeklagten als unterdurchschnittlich einzustufen sind. Zudem ist auch der Umfang der Sache, den diese allgemein und insbesondere zum Zeitpunkt der Einarbeitung hatte, als unterdurchschnittlich einzuordnen. Denn die Akte hatte zum Zeitpunkt der Akteneinsicht lediglich 38 Blatt und damit einen sehr geringen Umfang. Sie enthält nur wenige Beweismittel. Soweit in der Beschwerdebegründung eine durchschnittliche Einarbeitung geltend gemacht wird, ist dies aus den oben genannten Gründen und insbesondere auch im Hinblick auf die geringe Schwierigkeit der Sache nicht nachvollziehbar.“
Vorab: Wenn man die oben dargestellten Daten zur Kenntnis genommen hat, ist man sprachlos. Man mag den Zeitablauf nicht glauben: Die Rechtspflegerin braucht 10 Monate (sic!!), um über den Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers zu entscheiden und die große Strafkammer dann vom 30.01.2023 bis zum 07.01.2025 – ja, fast zwei Jahre (sic !!), um über die sofortige Beschwerde zu entscheiden. Man fragt sich, warum man für die paar Sätze zur Begründung in einer durchschnittlichen Sache so lange braucht. Will man nicht oder kann man nicht? Letztlich hat es eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Verteidigers, wie dieser auf Anfrage mitgeteilt hat, gebraucht, um die Strafkammer dann endlich zur Erledigung des Verfahrens zu bringen. Ich frage mich, warum der Verteidiger nicht mit der Verzögerungsrüge nach den §§ 198, 199 GVG, die auch im Kostenfestsetzungsverfahren anwendbar ist, vorgegangen ist. Die hätte wahrscheinlich Erfolg gehabt. Dazu verweise ich auf das OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.10.2018 – 16 EK 10/18, AGS 2019, 556, das OLG Oldenburg (Urt. v. 27.05.2020 – 15 EK 3/19, MDR 2020, 1250, das OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.01.2017 – 6 SchH 1/16 EntV, NJW 2017, 1328 und auch noch auf den BVerfG, Beschl. v. 11.12.2023 – 2 BvR 739/17 – Vz 5/23, NJW 2024, 1331. Ich kann Verteidigern nur raten, in vergleichbaren Fällen nicht „lange zu fackeln“, sondern Verfahrensrüge zu erheben und dann später klageweise eine Entschädigung geltend zu machen. Vielleicht hält das die Gerichte zu einer zeitlich angemessenen Erledigung von (Kostenfestsetzungs)Verfahren an.
Man könnte mit der Trödelei des LG ja noch leben, wenn dann die getroffene Entscheidung wenigstens zutreffend wäre. Aber das ist leider teilweise nicht Fall.
Zutreffend ist die Festsetzung der Mittelgebühr für die Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV RVG und der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr der Nr. 4104 VV RVG. Zu letzterem verwundert dann, dass die Rechtspflegerin diese Gebühr offenbar gegen dein eindeutigen Wortlaut der Vorschrift unterhalb der Mittelgebühr festgesetzt hatte. Das widerspricht dem Wortlaut und der darauf hinweisenden h.M. in der Rechtsprechung).
Unzutreffend ist die Entscheidung der Strafkammer allerdings hinsichtlich der Bemessung der Grundgebühr 4100 VV RVG um 30 % unter der Mittelgebühr. Das ist nicht nachvollziehbar und wird durch die Begründung der Strafkammer nicht getragen. Die Begründung spricht vielmehr eindeutig für die vom Verteidiger (nur) angesetzte Mittelgebühr, wenn nicht sogar für deren Überschreitung. An gebührenmindernden Umständen verweist die Strafkammer auf den geringen Umfang der Akten zum Zeitpunkt der Einarbeitung, die Vermögensverhältnisse des Angeklagten und die einfache rechtliche und tatsächliche Schwierigkeit, wobei ich bei den mitgeteilten Verfahrensumstände aber erhebliche Zweifel habe. Alle anderen Umstände sind zumindest durchschnittlich, so dass der Ansatz der Mittelgebühr gerechtfertigt gewesen wäre. Das gilt vor allem auch für die Frage der Bedeutung der Angelegenheit für den Angeklagten. Insoweit bleibt es nämlich das Geheimnis der Strafkammer, warum der Umstand, dass der Angeklagte bereits einschlägig in Erscheinung getreten für eine unterdurchschnittliche Einordnung sprechen soll. Das Gegenteil ist der Fall. Und das Verfahren muss auch nicht überdurchschnittlich bedeutsam sei, sondern Durchschnitt reicht für die Mittelgebühr (vgl. zu den Rahmengebühren Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 1747 ff.).
Alles in allem: Überdurchschnittlich unzutreffend.