Archiv des Autors: Detlef Burhoff

Über Detlef Burhoff

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D. ist Autor und Herausgeber mehrerer Werke zum Straf- und Owiverfahrensrecht sowie Herausgeber der Zeitschriften StrafRechtsReport (StRR) und VerkehrsRechtsReport (VRR).

StGB II: K.O.-Tropfen gibt es mittels einer Pipette, oder: K.O.-Tropfen sind kein gefährliches Werkzeug

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Als zweite Entscheidung dann der zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmte BGH, Beschl. v. 08.10.2024 – 5 StR 382/24.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt (u.a. § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB). Nach den Feststelllungen des LG besuchten am Vorabend eines Konzertes besuchten die Nebenklägerin und ihre Freundin den Angeklagten und dessen Verlobte, um bei ihnen zu übernachten. Der Austausch sexueller Handlungen war nicht vorgesehen. Im Laufe des Abends entschloss sich der Angeklagte gleichwohl, der bereits stark angetrunkenen Nebenklägerin heimlich Gamma-Butyrolacton (GBL) zu verabreichen. Er wollte sie dadurch sexuell enthemmen, um dann mit und an ihr sexuelle Handlungen zu vollziehen. Er tropfte das GBL mittels einer Pipette in ein nicht alkoholisches Getränk, das er der Nebenklägerin gab, die es nichtsahnend austrank. Dabei erkannte er und nahm billigend in Kauf, dass die Frau in einen Bewusstseinszustand bis zur Bewusstlosigkeit versetzt werden könnte, in dem sie sich gegen solche Handlungen nicht würden wehren können. Ihm war bewusst, dass die Verabreichung der Tropfen, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich barg. Das GBL zeigte die vom Angeklagten erwünschte Wirkung. Es kam zu sexuellen Handlungen. Der Angeklagte erkannte, dass die Nebenklägerin aufgrund der Wirkung des GBL nicht mehr in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu bilden und zu äußern. Ohne die heimliche Gabe der GBL-Tropfen hätte die Nebenklägerin sich nicht auf den erheblich älteren und ihr erst seit kurzer Zeit bekannten Angeklagten eingelassen. Die Revision des Angeklagten war teilweise erfolgreich:

„2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Verurteilung wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1 StGB keinen Bestand.

a) Zu Recht hat die Strafkammer allerdings angenommen, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 177 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklichte. Ebenso wenig bestehen rechtliche Bedenken dagegen, dass sie das heimliche Verabreichen von GBL-Tropfen als Anwendung von Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB gewertet hat (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1991 – 5 StR 498/90, BGHR StGB § 177 Abs.1 Gewalt 9 [zum unbemerkten Beibringen von LSD]; vom 15. September 1998 – 5 StR 173/98 [zur Verabreichung bewusstseinstrübender Mittel]).

b) Es hält aber der materiell-rechtlichen Prüfung nicht stand, dass die Strafkammer das Verabreichen von GBL mittels einer Pipette als ein Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des Qualifikationstatbestands des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB gewertet hat.

aa) GBL-Tropfen stellen für sich genommen kein Werkzeug dar. Eine solche Auslegung lässt sich mit dem Wortlaut der Norm nicht in Einklang bringen (vgl. zur Bedeutung der Wortlautgrenze BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 2 BvL 1/20, BVerfGE Band 160, 284, NJW 2022, 1160 Rn. 96 ff.); auf die Frage der konkreten Dosierung oder der Gefährlichkeit des Mittels kann es daher nicht maßgeblich ankommen (in diesem Sinne aber möglicherweise BGH, Beschlüsse vom 6. März 2018 – 2 StR 65/18, NStZ-RR 2018, 141; vom 15. Juli 1998 – 1 StR 309/98). Insoweit gilt:.

(1) Bei einem Werkzeug handelt es sich nach allgemeinem Sprachgebrauch um einen für bestimmte Zwecke geformten Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird (Duden Band 10, Das Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl., Stichwort „Werkzeug“ unter 1.a, S. 1121). Unter einem Gegenstand versteht man gemeinhin nur feste Körper. Da Flüssigkeiten, wie hier die GBL-Tropfen, aber auch Gase keine feste Form haben, sind sie keine Gegenstände und ihnen kann damit auch keine Werkzeugqualität zukommen. GBL-Tropfen können mithin ohne eine Verletzung der sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergebenden Wortlautgrenze nicht als Werkzeug im Sinne der strafrechtlichen Vorschriften bewertet werden (vgl. zu alldem MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 15 mwN; ebenso LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 20).

(2) Dies wird von systematischen Erwägungen gestützt. …. „

bb) Dass der Angeklagte die GBL-Tropfen mittels eines Gegenstandes, hier einer Pipette, in ein für die Nebenklägerin bestimmtes Getränk träufelte, führt nicht zu einer anderen Beurteilung.

(1) Für § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, an den die Vorschrift des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB angelehnt ist, gilt:

Eine Körperverletzung wird „mittels“ einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs begangen, wenn sie unmittelbar durch ein von außen auf den Körper des Tatopfers einwirkendes potentiell gefährliches Tatmittel verursacht wird (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 14. Juni 2018 – 3 StR 585/17, BGHSt 63, 138, 153; Beschluss vom 15. August 2023 – 4 StR 514/22 Rn. 17; jeweils mwN). Ein Gegenstand ist danach gefährlich, wenn er nach Art seiner konkreten Anwendung im Einzelfall geeignet ist, unmittelbar eine erhebliche Verletzung herbeizuführen. Dies kann beim Einsatz von Flüssigkeiten, Gasen oder auch Strahlen der Fall sein, wenn sie durch einen Gegenstand auf den Körper gerichtet und mit diesem in Verbindung gebracht werden. Voraussetzung ist indes, dass durch den Gegenstand unmittelbar von außen auf den Körper eingewirkt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2012 – 3 StR 186/12, NStZ-RR 2012, 308; Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 487/10, NStZ-RR 2011, 275, 276; MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 15; LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 20; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 224 Rn. 6 mwN).

Daran fehlt es hier. Denn der Angeklagte verwendete die Pipette lediglich als Dosierungshilfe und brachte mit ihr die Tropfen weder unmittelbar dem Körper der Nebenklägerin bei, noch hatte dieses – für sich genommen in der konkreten Verwendungsart ungefährliche – Instrument (insoweit möglicherweise weitergehend zur besonderen Form der Verabreichung eines Narkosemittels per Infusion: BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2018 – 1 StR 418/18, NStZ 2019, 273) selbst Kontakt zum Körper der Nebenklägerin. Die Pipette war hier lediglich ein Mittel, um die GBL-Tropfen mit dem Körper der Nebenklägerin mittelbar in Verbindung zu bringen, die ihre gesundheitsschädliche Wirkung – nach Konsum des Getränks über einen Stoffwechselprozess – erst noch entfalten mussten. Sie war daher nicht geeignet, unmittelbar und von außen einwirkend eine Körperverletzung zu verursachen; ihr haftete die erforderliche potentielle Gefährlichkeit nicht an. Die Pipette war danach kein gefährliches Werkzeug, sondern lediglich Mittel der Beibringung eines gesundheitsgefährdenden Stoffes; Handlungen unter Verwendung solcher Art Tatmittel unterfallen aber § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB (vgl. LK/Grünewald, StGB, 13. Aufl., § 224 Rn. 11 mwN). Für die Tasse als bloßes Trinkgefäß, aus der die Nebenklägerin den mit GBL versetzten Apfelsaft selbständig trank, gilt erst recht nichts anderes……

(3) Für die Auslegung des Merkmals des gefährlichen Werkzeugs in § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB kann nichts anderes gelten.

Die von der Strafkammer angestellten teleologischen Erwägungen, nach der angesichts vergleichbarer Gefährlichkeit die Gleichbehandlung der Verwendung von sedierend wirkenden Substanzen und beispielsweise „Holzknüppeln“ geboten sei, negieren die aufgezeigten Ergebnisse der grammatikalischen, historischen und systematischen Auslegung; allein auf Gerechtigkeitserwägungen gestützt kann insbesondere nicht die Wortlautgrenze und damit letztlich der Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG außer Acht gelassen werden (in diesem Sinne auch MüKo-StGB/Hardtung, 4. Aufl., § 224 Rn. 18). Soweit sich das Landgericht mit dem Vergleich zu Holzknüppeln auf das oben erwähnte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. November 1950 (4 StR 20/50, BGHSt 1, 1) bezogen haben sollte, in dem diese ebenfalls genannt werden, hätte es verkannt, dass der damalige Angeklagte dem Raubopfer Salzsäure aus einem Topf unmittelbar ins Gesicht schüttete und damit den Tatbestand der Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs erfüllte.

Ungeachtet dessen bedürfte es der von der Strafkammer vorgenommenen Auslegung des Werkzeugbegriffs auch nicht, um zu einer schuldangemessenen Ahndung von Fällen der Verabreichung sedierender Substanzen im Rahmen des § 177 StGB zu kommen. Denn es ist dem Tatgericht unbenommen, solche Taten, in denen der Täter – wie hier – ein sehr gefährliches und in seiner konkreten Wirkungsweise, gerade in Kombination mit erheblichen Mengen Alkohol, kaum zu kontrollierendes Mittel im Sinne des § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB bei sich führt und sogar für die Tatbegehung einsetzt, bei der Strafzumessung entsprechend zu würdigen. Der Gesetzgeber hat bei den Strafobergrenzen in den Strafrahmen des § 177 Abs. 7 und 8 StGB keinen Unterschied gemacht (§ 38 Abs. 2 StGB).

c) Obschon der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen durch das Verwenden des K.O.-Mittels zugleich § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit § 224 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 StGB verwirklichte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 24. Mai 2016 – 5 StR 163/16 Rn. 3), sieht sich der Senat daran gehindert, den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst abzuändern. Denn nach den Feststellungen liegt es jedenfalls nicht fern, dass der Angeklagte auch die Qualifikation des § 177 Abs. 8 Nr. 2b StGB (Herbeiführung einer konkreten Todesgefahr für das Opfer) verwirklichte.

Zwar hat das Landgericht in der Beweiswürdigung ausgeführt, dass es nur von einer „jedenfalls“ abstrakten Lebensgefahr ausgegangen ist. Dies steht aber in einem Spannungsverhältnis zu den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur Auffindesituation. Danach bestand bei der Nebenklägerin „aufgrund der starken Bewusstseinseintrübung und der Übelkeit das Risiko des Erstickens durch Bewusstlosigkeit wie das Rutschen der Zunge in den Schlund oder durch das Aspirieren von Fremdkörpern infolge Erbrechens“. Es erscheint danach nicht ausgeschlossen, dass dieses Risiko im zweiten Rechtsgang als eine konkrete Todesgefahr bewertet werden kann. Dies gilt auch in subjektiver Hinsicht: Denn nach den Feststellungen war dem Angeklagten bewusst, dass die Verabreichung der Tropfen, insbesondere in Verbindung mit Alkohol, erhebliche gesundheitliche Risiken bis hin zu einer Todesgefahr in sich barg. Das Verböserungsverbot steht einem Austausch des Qualifikationsmerkmals – gegebenenfalls nach entsprechenden Hinweisen (§ 265 Abs. 1 StPO) – nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2020 – 4 StR 519/19 Rn. 7 mwN).“

Als Verteidiger wird man sich für den zweiten Rechtsgang wegen der Ausführungen des BGh unter c) Sorgen machen müssen.

StGB I: Voraussetzung für räuberische Erpressung, oder: (Objektbezogener) Erzwungener Gewahrsamswechsel

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Wir beginnen den heutigen StGB-Tag zum Warmwerden mit einem (kleinen) BGH-Beschluss, und zwar dem BGH, Beschl. v. 2 StR 139/24.

Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung und versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung verurteilt. Die Revision hatte teilweise Erfolg:

1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht des Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung, der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung für schuldig befunden hat. Dagegen hält der Schuldspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II.4. der Urteilsgründe wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung verurteilt hat.

a) Nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts betrat der Angeklagte auf der Suche nach Geld oder anderen stehlenswerten Gegenständen am Morgen des durch die unverschlossene Tür ein zu diesem Zeitpunkt noch nicht geöffnetes Restaurant in Frankfurt-Sachsenhausen. Dabei war er auch bereit, im Restaurant anwesenden Personen Bargeld oder andere Wertgegenstände wegzunehmen oder diese gewaltsam zur Herausgabe solcher Gegenstände zu veranlassen. Im Restaurant durchsuchte der Angeklagte zunächst erfolglos den Gastraum, bevor er sich in Richtung der Sanitärräume begab, wo er auf die als Reinigungskraft tätige Geschädigte traf. Er forderte diese auf, ihm ihr Geld auszuhändigen, und schlug ihr, um seine Forderung zu unterstreichen, mit der flachen Hand ins Gesicht. Nachdem der Geschädigten – ohne dass es zu einer Herausgabe von Geld gekommen wäre – die Flucht gelungen war, verließ der Angeklagte das Restaurant durch den Gastraum. Dort entdeckte er auf dem Tresen ein zum Inventar des Restaurants gehörendes Mobiltelefon im Wert von 400 €, das er an sich nahm.

b) Diese Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen räuberischer Erpressung nicht. Zwar ermöglichte die Flucht der Geschädigten dem Angeklagten, das im Gastraum des Restaurants liegende Mobiltelefon an sich zu nehmen. Allerdings belegen die Feststellungen der Strafkammer nicht, dass die Gewaltanwendung des Angeklagten gegenüber der Geschädigten (auch) der erstrebten Überlassung des zum Inventar des Restaurants gehörenden Mobiltelefons diente. Der Angeklagte wollte die Geschädigte vielmehr zur Herausgabe von Bargeld nötigen, was ihm jedoch durch deren Flucht misslang. Den konkreten Tatentschluss zur Wegnahme des sich im Gastraum befindlichen Mobiltelefons fasste der Angeklagte erst nach der Flucht der Geschädigten, sodass es – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – an der notwendigen Verknüpfung zwischen Raubmittel und Wegnahme fehlt (vgl. MüKo-StGB/Sander, 4. Aufl., § 249 Rn. 8). Feststellungen zu einem erzwungenen Gewahrsamswechsel gerade im Hinblick auf das entwendete Mobiltelefon hat die Strafkammer nicht getroffen. Die Tat stellt sich daher als versuchte räuberische Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung (in Bezug auf das Handeln des Angeklagten gegenüber der Geschädigten) und mit Diebstahl (durch Wegnahme des Mobiltelefons) dar.“

StPO III: Abgelehnte Terminverlegung ==> Befangen?, oder: Ja, wenn die Richterin unverständlich stur ist

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Und als drittes dann der – wenigstens für mich – Aufreger des Tages. Es handelt sich um den AG Wuppertal, Beschl. v. 21.11.2024 – 24 Cs 224/24. Allerdings ist nicht der Beschluss, durch den einem Befangenheitsantrag eines Verteidiger statt gegeben worden ist, der Aufreger, sondern das Verhalten der im Verfahren agierenden Amtsrichterin.

Es geht um die Frage der Besorgnis der Befangenheit wegen Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags. In dem Verfahren, in dem dem Angeklagten unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) zur Last gelegt wird, hat der Verteidiger im Namen des Angeklagten die zuständige Amtsrichterin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Dies hat er u.a. damit begründet, dass eine abgelehnte Terminverlegung gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens verstoße, die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus der Beschlussbegründung.

Das Ablehnungsgesuch hatte Erfolg:

„Allgemein sind Gründe für ein solches Misstrauen gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, dass der Richter oder die Richterin nicht unvoreingenommen entscheiden werde, mithin eine innere Haltung eingenommen hat, die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen könnte. Dabei kommt es darauf an, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung dieses objektiven Maßstabs Anlass hat, Voreingenommenheit zu befürchten. Dementsprechend dient das Verfahren allein dazu, die Beteiligten vor der Unsachlichkeit der Richterin oder des Richters aus einem in seiner Person liegenden Grund zu bewahren.

Die Ablehnung einer beantragten Terminverlegung, um die es hier geht, begründet regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil diese nur beim Vorliegen erheblicher Gründe in Betracht kommt. Anders liegt es nur dann, wenn erhebliche Gründe für eine Terminverlegung offensichtlich vorliegen, die Zurückweisung des Antrags für die betreffende Partei schlechthin unzumutbar wäre und somit deren Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzte oder sich aus der Ablehnung der Terminverlegung der Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung einer Partei aufdrängt (OLG Brandenburg, 07. Juli 2017, 10 WF 34/14 in Juris m.w.N., OLG Rostock, Beschluss vom 20.05.2022, NJOZ 2022, 978)

So liegt der Fall hier.

Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 23.10.2024 ist Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung auf Dienstag, den 12.11.2024 bestimmt worden. Hierbei hat die Abteilungsrichterin das persönliche Erscheinen des Angeklagten angeordnet. Erst am 04.11.2024 ist ihm auf seinem Antrag vom 23.09.2024 Akteneinsicht in die seinerzeit über 250-seitige Akte gewährt worden. Mit Schriftsatz vom 04. November hat der Verteidiger sodann beantragt, den Termin zu verlegen. Zur Begründung hat er vorgetragen und anwaltlich versichert, die Ehefrau des Angeklagten habe ihm mitgeteilt, Ihr Mann befinde sich seit dem 03.11.2024 im Klinikum in stationärer Behandlung. Wann er entlassen werde, sei unklar. Zugleich wies der Verteidiger darauf hin, dass eine angemessene Vorbereitung der Akte und eine Besprechung mit dem Mandanten vor dem Termin nicht möglich sei. Dem Schriftsatz war eine Bescheinigung des Krankenhauses über die stationäre Aufnahme des Angeklagten zum 03.11.2024 beigefügt.

Mit Verfügung der Abteilungsrichterin vom 05.11.2024 wurde dem Verteidiger mitgeteilt, dass der Termin bestehen bleibe. Eine Verlegung könne nur erfolgen bei Vorlage eines Attestes über die Verhandlungsfähigkeit am Terminstage.

Ausweislich des Vermerks der Geschäftsstelle vom 06.11.2024 hat der Verteidiger mitgeteilt, dass die Klinik auf seine Anfrage mitgeteilt habe, dass diese keine Bescheinigung über die Verhandlungsunfähigkeit ausstellen würde. Eine vom Verteidiger angekündigte Rücksprache kam in der Folge nicht zustande, da die Abteilungsrichterin nicht erreichbar war.

Mit weiterem Schriftsatz des Verteidigers vom 08.11.2024 bat er um Aufhebung des Termins mit dem Hinweis, dass eine Entlassung des Angeklagten bis zum Terminstage nicht erfolgen könne. Hierzu reichte er eine weitere Bescheinigung des Heliosklinikums ein, aus der sich bei verständiger Würdigung ergibt, dass eine rechtzeitige Entlassung vor dem Termin nicht erfolge. Auch wies er in diesem Schriftsatz auf den Grundsatz des fairen Verfahrens hin, da er den Sachverhalt mit dem Mandanten vor dem Termin nicht besprechen könne. Mit Beschluss der Abteilungsrichterin vom 08.11.2024 wies die Abteilungsrichterin den Verlegungsantrag zurück. Im Wesentlichen erfolgte die Begründung dahingehend, es liege immer noch kein Attest für den Terminstag vor.

Mit weiterem Schriftsatz des Verteidigers vom 11.11.2024 lehnte dieser sodann im Namen des Angeklagten die zuständige Abteilungsrichterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Nachdem er den bereits skizzierten Sachverhalt erneut zusammenfassend vorträgt, führt er umfangreich und sachlich aus, dass die abgelehnte Terminverlegung gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens verstoße. Wegen der Einzelheiten wird auf den vorbezeichneten Schriftsatz sowie die weitere Verteidigerschrift vom 13.11.2024 Bezug genommen. Die dienstliche Äußerung der Abteilungsrichterin vom 12.11.2024, in der keine Stellungnahme zur Frage der Besorgnis der Befangenheit formuliert worden ist, ist dem Angeklagten übermittelt worden.

Bei einer Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung dieses Sachverhaltes liegt ein oben beschriebener Ausnahmefall vor, bei dem wegen verweigerter Terminverlegung die Besorgnis der Befangenheit der Abteilungsrichterin zu bejahen ist.

Der Verteidiger hat erhebliche und nachvollziehbare Gründe für seinen Terminverlegungsantrag vorgetragen und die Tatsachen anwaltlich versichert. Es ist nach Akteninhalt zweifelsfrei, dass der Angeklagte ab dem 03.11.2024 in stationärer Behandlung im Krankenhaus lag. Auch hat die Klinik mitgeteilt, dass eine rechtzeitige Entlassung nicht erfolgen könne. Hinzukommt, dass der Verteidiger erst nach über 6 Wochen am 04.11.2024 Akteneinsicht bekommen hat. Eine Besprechung mit dem Mandanten, dessen persönliches Erscheinen durch die Abteilungsrichterin angeordnet war, war vor dem Termin daher nicht möglich. Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und des Rechts des Betroffenen, sich von einem Verteidiger sachgemäß vertreten zu lassen, war die Zurückweisung des – erstmaligen – Antrags auf Terminverlegung für den Angeklagten schlechthin unzumutbar, wodurch sein Grundrecht auf rechtliches Gehör und das auf ein faires Verfahren verletzt worden ist.

Dies begründet die Besorgnis der Befangenheit der zuständigen Abteilungsrichterin.“

Was soll man dazu sagen? Besser schweigt man zu einem so unverständlichen Richterverhalten und schüttelt nur den Kopf über so viel Unverständnis und Gezerre um das Attest, und zwar auch noch, nachdem die Klinik erklärt hatte, dass sie ein Attest über die Verhandlungsfähigkeit nicht ausstellen werde. Und das alles, nachdem der Verteidiger auf eine 250 Blatt starke Akte sechs Wochen hat warten müssen bei einem erstmaligen Terminsverlegungsantrag. Gründe, die die Amtsrichterin zu diesem sturen Verhalten nachvollziehbar veranlasst haben könnten, sind nicht erkennbar und sind von ihr offenbar auch nicht geltend gemacht worden.

Es wäre sicherlich zu begrüßen gewesen, wenn die Amtsrichterin mal in einen gängigen Kommentar geschaut und sich über die Rechtsprechung zu den Terminsverlegungsfragen informiert hätte (vgl. dazu die Nachweise bei Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 10. Aufl., 2025, Rn 43 u. 4597 ff. und Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 11. Aufl., 2025, Rn 107 u. 3159 ff.). Dann hätte sie unschwer festgestellt, dass die Rechtsprechung gerade bei erstmaligen Terminsverlegungsanträgen „großzügig“ ist, vor allem, wenn eine Terminsabsprache nicht erfolgt ist (s. LG Wuppertal, Beschl.- v. 24.11.2023 – 23 Qs 130/23). Das gepaart mit der hier viel zu späten Übersendung der 250 Blatt starken Akte hätte dann dazu führen müssen, dem Antrag aus Fairnessgründen statt zu geben. Von daher ist zu Recht Besorgnis der Befangenheit angenommen worden.

StPO II: Ist/War das Urteil vollständig begründet?, oder: Berufungsverwerfung trotz Vertretungsvollmacht?

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Und dann als zweite Entscheidung ein Beschluss des OLG Köln, der zu zwei Fragen Stellung nimmt. Nämlich: Wann liegt ein vollständig begründetes Urteil vor? und: Wann darf eine Berufung trotz Erscheinens eines Verteidigers mit Vertretungsvollmacht verworfen werden?

Dazu das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v.26.09.2024 – III-1 ORs 162/24:

„1. Das Rechtsmittel führt bereits auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO).

Das angefochtene Urteil hält materiell-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn es trägt keine richterliche Unterschrift.

Damit fehlt es bereits an der notwendigen Prüfungsgrundlage.

Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung in sachlich-rechtlicher Hinsicht sind allein die schriftlichen Entscheidungsgründe, wie sie sich aus der gemäß § 275 StPO mit der Unterschrift des Richters zu den Akten gebrachten Urteilsurkunde ergeben (vgl. SenE v. 05.03.2010 – III-1 RVs 26/10; SenE v. 28.03.2024 – III-1 ORs 51/24; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 337 Rdn. 22 m.w.N.).

Ein vollständiges schriftliches Urteil liegt erst vor, wenn sämtliche an ihm beteiligten Berufsrichter seinen Inhalt gebilligt und dies mit ihrer Unterschrift bestätigt haben (BGH StV 2010, 618; OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 2010, 250; SenE v. 13.09.2005 – 83 Ss 47/05; SenE v. 22.02.2011 – III-1 RVs 35/11; SenE v. 27.11.2012 – III-1 RVs 215/12; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 275 Rdn. 4).

Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus dem Umstand, dass die Vorsitzende der Berufungsstrafkammer im Zusammenhang mit dem Urteil eine Zustellungsverfügung unterzeichnet hat. Die Unterschrift unter den Urteilsgründen als letzter Akt der Urteilsfällung kann nicht durch eine solche auf einer von dem erkennenden Richter unterzeichneten gesonderten Verfügung ersetzt werden (vgl. BGH StV 2010, 618; SenE v. 19.11.2002 – Ss 479/02 B – m.w.N.; SenE v. 13.09.2005 – 83 Ss 47/05; SenE v. 19.07.2011 – III-1 RVs 166/11 = NStZ-RR 2011, 348; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 275 Rdn. 6).

Der vorbezeichnete Mangel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (SenE v. 11.01.2013 – III-1 RVs 1/13; SenE v. 28.10.2014 – III- RVs 199/14; SenE v. 17.10.2017 – III-1 RVs 237/17; SenE v. 11.04.2018 – III-1 RVs 76/18; SenE v. 27.07.2021 – III-1 RBs 214/21; SenE v. 01.02.2024 – III-1 ORbs 12/24; Meyer-Goßner/Schmitt, SPO, 67. Aufl., § 338 Rdn. 52 m.w.N.), wenn – wie hier – die Unterschrift nicht mehr nachgeholt werden kann (vgl. SenE v. 20.08.2010 – III-1 RVs 166/11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. § 275 Rdn. 6 m.w.N.).“

Insoweit waren die Gründe tragend. Nicht tragend sind die Ausführungen des OLG zur Frage der Voraussetzungen der Verwerfung, wenn ein mit Vertretungsmacht ausgestatteter Verteidiger erscheint:

„Hinsichtlich der Verfahrensrüge, die Berufung hätte wegen wirksamer Vertretung durch einen mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger nicht verworfen werden dürfen, merkt der Senat allerdings – ungeachtet der Frage, ob diese Rüge in zulässiger Weise erhoben wurde – Folgendes an:

Ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO setzt neben der Säumnis des Angeklagten voraus, dass kein mit einer nachgewiesenen Vertretungsvollmacht ausgestatteter Verteidiger erschienen ist.

Ein solcher Verteidiger muss bereit sein, den Angeklagten aufgrund der Vollmacht zu vertreten (vgl. KG 18.4.1985 – 1 Ss 329/84 – JR 1985, 343; OLG Oldenburg StV 2018, 148; SenE v. 27.08.1991 – Ss 399/91 = StV 1992, 567; SenE v. 31.01.1992 – Ss 22/92 – 20 = StV 1993, 292; SenE v. 09.04.2013 – III-1 RVs 62/13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 329 Rdn. 16). Zur „Vertretung“ gehört dabei in der Regel nur, dass der bevollmächtigte Verteidiger für den Angeklagten anwesend ist. Eine weitere Mitwirkung an der Verhandlung obliegt ihm ebenso wenig wie dem Angeklagten, wenn dieser selbst anwesend wäre (vgl. SenE v. 31.01.1992 – Ss 22/92 – 20 = StV 1993, 292; OLG Oldenburg StV 2018, 148). Auch der Verteidiger muss keine Erklärungen zur Sache abgeben oder Anträge stellen.

Eine Verwerfung trotz Erscheinens eines Verteidigers mit Vertretungsvollmacht kommt vor diesem Hintergrund nur unter besonderen Umständen in Betracht, etwa wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass der Verteidiger es gar nicht zu einer Sachverhandlung kommen lassen will bzw. nicht gewillt ist, den Angeklagten in einer solchen zu vertreten (vgl. OLG Hamm StV 2018, 150 m.w.N.; OLG Oldenburg StV 2018, 148; SenE v. 27.08.1991 – Ss 399/91 = StV 1992, 567; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 329 Rdn. 4 u. 16; vgl. amtl. Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 18/3562, S. 69).

Der Rechtsansicht des Landgerichts, auch der Verteidiger vertrete nicht, der geltend mache, nicht über ausreichende Informationen zu verfügen, vermöchte der Senat hingegen nicht zu folgen. Sie wird auf eine Kommentarstelle gestützt, die ihrerseits ausschließlich auf Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Neufassung des § 329 StPO verweist (MüKo-StPO-Quentin, 2. Aufl. 2024, § 329 Rdn. 27 m. w. N. in Fn. 72). Indessen ist – wie dargelegt – auch der mit Vertretungsvollmacht ausgestattete Verteidiger zu Angaben nicht verpflichtet. Die Erklärung des Verteidigers, ihm fehlten Informationen, erlangt daher vor allem im Hinblick auf § 349 Abs. 4 StPO Bedeutung: Nach dieser Vorschrift hat das Gericht den Angeklagten zur Fortsetzung der Hauptverhandlung zu laden und dessen persönliches Erscheinen anzuordnen, wenn es die Anwesenheit des Angeklagten in der auf seine Berufung hin durchgeführten Hauptverhandlung trotz der Vertretung durch einen Verteidiger für erforderlich hält. Je weniger Informationen aber dem mit Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger vorliegen, desto eher wird sich für das Gericht die Frage stellen, ob nicht die Anberaumung eines Fortsetzungstermins unter Anordnung des persönlichen Erscheinens des Angeklagten erforderlich ist.

Aus dem bloßen Umstand, dass sich ein Verteidiger für eine Aussetzung der Hauptverhandlung bzw. für die Anberaumung eines Fortsetzungstermins im Sinne von § 329 Abs. 4 StPO ausspricht, kann nicht hergeleitet werden, dass dieser nicht bereit wäre, im Falle der Ablehnung seines Begehrens den Angeklagten in der Sachverhandlung zu vertreten (vgl. SenE v. 27.08.1991 – Ss 399/91 = StV 1992, 567). „

StPO I: Aussetzung des Strafverfahrens gegen Mauss, oder: Verfahren bleibt bis Klärung durch FG ausgesetzt

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Machen wir heute mal ein wenig StPO, und zwar aus der Instanz.

Ich beginne mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 08.10.2024 – 4 Ws 143/24 – zur Aussetzung eines (Steuer)Strafverfahrens, und zwar des Verfahrend gegen den Geheimagenten Werner Mauss. Dem wird in dem Verfahren Steuerhinterziehung in zehn Fällen und versuchte Steuerhinterziehung in zwei Fällen vorgeworfen. Er soll gegenüber dem zuständigen Finanzamt erhebliche Vermögensanlagen auf ausländischen Konten nicht angegeben haben. Der Angeklagte beruft sich darauf, dass es sich bei den fraglichen Geldern um einen Treuhandfonds westlicher Sicherheitsbehörden handele, der von dem Auslandsgeheimdienst eines anderen Staates verwaltet werde. Der Fonds sei absprachegemäß zur Finanzierung seiner operativen Einsätze als Geheimagent genutzt worden. In dem Zusammenhang wird über die steuerrechtlichen Fragen derzeit ein Klageverfahren vor dem FG Düsseldorf geführt.

Das LG Bochum hat dann mit Beschluss vom 28.08.2023 das Strafverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vor dem FG ausgesetzt. Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Bochum Beschwerde eingelegt. Die hatte jetzt beim OLG Hamm keinen Erfolg:

„Die Zulässigkeit der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum kann dahingestellt bleiben, denn die Beschwerde ist jedenfalls in der Sache unbegründet.

Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss in rechtlich nicht zu beanstandender Weise und mit zutreffender Begründung beschlossen, das Strafverfahren gemäß § 396 AO bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens auszusetzen.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Vorliegend hängt die Beurteilung der dem Angeklagten vorgeworfenen Taten als Steuerhinterziehung davon ab, ob ein Steueranspruch besteht und ob Steuern verkürzt worden sind. Auch ist das anhängige – sich mittlerweile im Klageverfahren vor dem Finanzgericht Düsseldorf befindliche – Besteuerungsverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

Bei der Beurteilung der Taten als Steuerhinterziehung kommt es vorliegend auf die vom Landgericht aufgeworfene entscheidungserhebliche steuerrechtliche Vorfrage an, inwieweit die – vom Landgericht mit Recht so bezeichnete – Einzigartigkeit der beruflichen Tätigkeit des Angeklagten als Geheimagent sowie auch die Einzigartigkeit des ihm hierfür überlassenen „Geheimfonds“ sich auf die Frage des Bestehens eines Steueranspruchs des Staates und eine entsprechende Erklärungspflicht des Angeklagten auswirken. Es handelt sich insoweit um eine Rechtsfrage und nicht um Rechtsanwendung bestehender steuerrechtlicher Vorschriften.

Der Angeklagte lässt sich – detailreich sowie unter Benennung zahlreicher Beweismittel – dahingehend ein, es handele sich bei dem in Rede stehenden Vermögen um einen Treuhandfonds („Kapitalstock“) westlicher Sicherheitsbehörden. Treugeber sei ein ausländischer Staat, ausgeübt werde die treugeberische Verwaltung durch den Auslandsgeheimdienst dieses Staates. Der Fonds sei – mit Kenntnis deutscher Sicherheitsbehörden – zum Zwecke der Tarnung auf seinen – des Angeklagten – Namen angelegt worden. Er habe den Fonds absprachegemäß zur Finanzierung seiner operativen Einsätze als Geheimagent genutzt und die Existenz des Fonds Dritten gegenüber nicht offenlegen dürfen. Die Tarnung habe dem Schutz staatlicher Institutionen sowie dem Schutz von Leib und Leben des Geheimagenten nebst seiner Familie und weiterer geheimer Mitarbeiter gedient. Die Sicherheitsbehörden hätten den Fonds bei den Finanzbehörden angemeldet, eine Versteuerung der Mittel sei nicht erfolgt.

Hiernach handelt es sich vorliegend um einen Fall, in dem einerseits staatliche Geheimhaltungsinteressen betreffend Geldflüsse im Zusammenhang mit geheimdienstlicher Tätigkeit und andererseits der staatliche Steueranspruch miteinander in Konflikt stehen.

Die Auswirkungen übergeordneter staatlicher Geheimhaltungspflichten gegenüber Steueransprüchen sind in anderen Bereichen teilweise geregelt. So ist etwa in § 1 Abs. 1 S. 3 der Verordnung über Mitteilungen an die Finanzbehörden durch andere Behörden und öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten (Mitteilungsverordnung – MV) vorgesehen, dass für grundsätzlich mitteilungspflichtige Behörden eine Verpflichtung zur Mitteilung an die Finanzbehörden dann entfällt, wenn die Gefahr besteht, dass das Bekanntwerden des Inhalts der Mitteilung dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde. Auch gibt es Vereinbarungen der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder aus dem Jahr 1963, zuletzt bestätigt im Jahr 1998 (zitiert in BT-Drucksache 16/8447 S. 16), die regeln, dass Beträge, die an Informanten des Bundesnachrichtendienstes für die Übermittlung steuerrelevanter Daten aus Liechtenstein gezahlt werden, steuerlich so behandelt werden, dass staatliche Stellen in diesen Fällen einen pauschalen Einkommensteuerbetrag in Höhe von 10 Prozent der Prämiensumme an die Finanzkassen der einzelnen Bundesländer abführen. Auf eine Erklärung durch die Informanten selbst gegenüber Finanzbehörden wird aus Geheimhaltungsgründen verzichtet.

Auch wenn Finanzbehörden an das Steuergeheimnis gebunden sind, zeigen die vorgenannten Regelungen, dass diese Schweigepflicht zum Schutz eines überragenden staatlichen Geheimhaltungsinteresses als nicht ausreichend angesehen wird. Vielmehr überwiegt in solchen Fällen das Geheimhaltungsinteresse derart, dass der staatliche Steueranspruch bzw. das staatliche Interesse an ordnungsgemäßer Erklärung steuerrechtlich relevanter Sachverhalte dahinter zurücktreten müssen.

Für das vorliegende Strafverfahren ist nach alledem die Frage maßgeblich, ob entsprechend diesem Rechtsgedanken wegen übergeordneter staatlicher Geheimhaltungspflichten auch im Falle eines Geheimagenten eine Steuerschuld bzw. eine entsprechende steuerrechtliche Erklärungspflicht des Agenten von vornherein zu verneinen ist. Hierbei handelt es sich aus Sicht des Senats um eine entscheidungserhebliche abstrakte Rechtsfrage, die durch die Fachgerichte der Finanzgerichtsbarkeit zu beantworten ist.

Fehler des Landgerichts bei der Ermessensausübung sind auch ansonsten nicht ersichtlich.“