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StGB III: Zahnarztzange als gefährliches Werkzeug?, oder: Zahnextraktionen ohne Indikationen

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Und dann noch etwas ganz Besonderes zum Tagesschluss, nämlich den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.03.2022 – 1 Ws 47/22.

Er enthält die Eröffnung in einem Verfahren, in dem die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last legt, im Zeitraum zwischen dem 20.07.2010 und dem 06.06.2014 als Zahnarzt in 33 Fällen seinen Patienten und Patientinnen Zähne extrahiert zu haben, obwohl es hinreichend aussichtsreiche Behandlungsalternativen gegeben habe. Zuvor habe der Angeklagte die Extraktion bestimmter Zähne als zwingend notwendig empfohlen. Im Vertrauen auf die Angaben des Angeklagten hätten die Patienten den Zahnextraktionen zugestimmt, woraufhin der Angeklagte diese Eingriffe mittels der dafür erforderlichen ärztlichen Instrumente vorgenommen habe. Hätte der Angeklagte seine Patienten über die alternativen Behandlungsmethoden aufgeklärt, hätten diese den Zahnerhalt vorgezogen und die Zahnextraktion abgelehnt. Dem Angeklagten sei es dabei darauf angekommen, seine Patienten im weiteren Verlauf mit für ihn einträglichem Zahnersatz versorgen zu können.

Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens betreffend einiger Tatvorwürfe abgelehnt. Wegen der weiteren Tatvorwürfe hat es die Anklage mit der Maßgabe zugelassen, dass in rechtlicher Hinsicht von 29 tatmehrheitlichen Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 230, 53 StGB auszugehen sei und insoweit das Hauptverfahren eröffnet.

Soweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wurde, hat die Strafkammer dies damit begründet, dass bei den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten nur eine rechtliche Würdigung als vorsätzliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 230 StGB in Betracht komme. Dagegen die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

1. Die dem Angeklagten (in tatsächlicher Hinsicht zu Recht) angelasteten Taten sind als gefährliche Körperverletzung gemäß §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 53 StGB zu qualifizieren, sodass die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB zehn Jahre beträgt. Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten begann die Frist am 20.07.2010 (Ziff. 11), 29.10.2010 (Ziff. 16), 22.08.2011 (Ziff. 22) bzw. am 23.08.2011 (Ziff. 23) zu laufen und wurde (u.a.) durch die Anklageerhebung am 24.02.2017 unterbrochen (§ 78c Abs. 1 Ziff. 6 StGB). Verfolgungsverjährung ist mithin nicht eingetreten.

2. Zutreffend weist die Generalstaatsanwaltschaft K. darauf hin, dass die Einordnung eines gefährlichen Werkzeugs als Mittel der Tatbegehung im Verhältnis zur Waffe durch das 6. StrRG v. 26.01.1998 (BGBl I 164) insoweit eine Änderung erfahren hat, als das gefährliche Werkzeug – anders als bei § 223a StGB a.F. – in der neuen Fassung des § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB nicht mehr als Beispiel für eine Waffe, sondern eine Waffe nunmehr als Unterfall eines gefährlichen Werkzeugs zu verstehen ist (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 224 Rn. 9). Demzufolge kann eine Abgrenzung, ob ein ärztliches oder zahnärztliches Instrument als gefährliches Werkzeug einzustufen ist oder nicht, nicht mehr danach erfolgen, ob es gleich einer Waffe zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken eingesetzt wird (so noch – zu § 223a StGB a.F. – BGH, Urteil vom 22. Februar 1978 – 2 StR 372/77 -, juris; BGH, Urteil vom 23. Dezember 1986 – 1 StR 598/86 -, juris.). Vielmehr ist auch bei ärztlichen Instrumenten wie der vorliegend vom Angeklagten verwendeten Instrumente zur Zahnextraktion danach zu fragen, ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im konkreten Fall dazu geeignet ist, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 224 Rn. 14; Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 224 Rn. 50; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 30 Aufl. 2019, § 224 Rn. 8; Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. 2018, § 224 Rn. 22).

3. Dies ist nach Auffassung des Senats vorliegend der Fall. Zwar werden Schmerzen während der Extraktion eines Zahnes mittels der dafür vorgesehenen zahnärztlichen Instrumente aufgrund einer örtlichen Betäubung nicht oder kaum verspürt. Die vom Angeklagten vorsätzlich ohne medizinische Indikation zur Zahnextraktion verwendeten Instrumente (namentlich die zur Zahnextraktion verwendete Zange) führten unmittelbar nach dem Eingriff aber – worauf die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist – nach Trennung der Verbindung zum versorgenden Nerv zu dem unwiederbringlichen Verlust eines Teils des Gebisses sowie zusätzlich zu einer – jedenfalls für die Dauer einiger Tage – offenen Wunde im Mundraum der Patienten. Derartige Eingriffe sind nach Abklingen der lokalen Narkose regelmäßig mit nicht unerheblichen Schmerzen, Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme und der Gefahr von Entzündungen verbunden, welche nur durch Einnahme von Tabletten und oralhygienische Maßnahmen gemindert werden können, und zwar insbesondere dann, wenn wie vorliegend nacheinander mehrere Zähne entfernt werden (im Fall Ziff. 11: drei Zähne, im Fall Ziff. 16: fünf Zähne, im Fall Ziff. 22: sieben Zähne und im Fall Ziff. 23: vier Zähne). Von sowohl nach ihrer Intensität als auch ihrer Dauer gravierenden Verletzungen im Mundraum der Patienten ist daher auszugehen (vgl. auch BeckOK StGB/Eschelbach StGB, 52. Ed. 01.02.2022, § 224 Rn. 28, 28.4), weshalb in den genannten Fällen der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB erfüllt ist (aA bei Extraktion eines Zahnes Schönke/Schröder, aaO, § 224 Rn. 8). Keine Rolle bei der Einordnung der vom Angeklagten verwendeten Instrumente als gefährliche Werkzeuge i.S.v. § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB spielt der Umstand, dass der Angeklagte als (damals) approbierter Zahnarzt zu deren regelgerechter Anwendung grundsätzlich in der Lage war und sie auch regelgerecht angewandt hat.“

StGB II: „Besonders schwerer sexueller Übergriff“, oder: Schraubenzieher beim Oralverkehr in der Hand

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem BGH, Beschl. v. 08.09.2021 – 4 StR 166/21. Thematik/Problemati: Wann wird ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB verwendet. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs verurteilt. Die Revision des Angeklagten hatte mit der Sachrüge Erfolg:

„1. Nach den Feststellungen vereinbarte der Angeklagte mit der Nebenklägerin, die als Prostituierte tätig war, die Ausführung von Oralverkehr im Fahrzeug des Angeklagten. Beide setzten sich auf die Rückbank des Wagens. Während die Nebenklägerin den Oralverkehr an dem Angeklagten vollzog, ergriff dieser ihre Haare, riss ihren Kopf hoch und schlug ihn gegen die Autotür. Er griff fest in ihre Brüste, lutschte an ihnen und biss in sie. Die Nebenklägerin erlitt hierdurch, wie vom Angeklagten billigend in Kauf genommen, Schmerzen und Verletzungen. Sie äußerte, dass er aufhören solle, und setzte den Oralverkehr zunächst fort. Der Angeklagte riss sodann abermals ihren Kopf an ihren Haaren zurück. Dabei hielt er für die Nebenklägerin sichtbar einen „handelsüblichen“ Schraubenzieher von ca. 25 cm Länge, den er unter seinem Fahrersitz hervorgeholt hatte, in seiner linken Hand, ohne ihn „unmittelbar der Nebenklägerin entgegenzurichten“. Nach einigen Sekunden legte er den Schraubenzieher wieder aus der Hand und begann erneut, an den Brüsten der Nebenklägerin zu lutschen und in sie zu beißen. Die Nebenklägerin bekam auch unter dem Eindruck des Schraubenziehers zunehmend Angst und äußerte, dass sie alles tun werde, was der Angeklagte wollte. Anschließend vollzog sie weiter den Oralverkehr an dem Angeklagten, der hierbei mehrfach ihren Kopf fest auf seinen Penis drückte.

Das Landgericht hat die Tat als „besonders schweren sexuellen Übergriff in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung nach § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 7 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 1, § 223 Abs. 1, 52 StGB“ gewertet und die Strafe dem Strafrahmen eines minder schweren Falles nach § 177 Abs. 9 Alt. 3 StGB entnommen.

2. Das Urteil hält der auf die Sachrüge gebotenen rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs (§ 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB) nicht.

a) Die Urteilsgründe belegen zwar das Vorliegen des Qualifikationsmerkmals der Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB. Der Angeklagte übte jedenfalls dadurch, dass er im Zusammenhang mit den nicht von seiner Vereinbarung mit der Nebenklägerin gedeckten sexuellen Handlungen an ihren Brüsten ihren Kopf gegen die Autotür schlug und an ihren Haaren riss, Gewalt gegenüber dem Tatopfer aus. Dass ein Finalzusammenhang zwischen diesen Handlungen und dem sexuellen Übergriff nicht ausdrücklich festgestellt ist, steht der Annahme des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB nicht entgegen, weil die Gewalt jedenfalls nach Versuchsbeginn und vor Beendigung des jedenfalls teilweise nicht vom Einverständnis der Nebenklägerin gedeckten sexuellen Übergriffs verübt wurde (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2018 – 4 StR 311/18, BGHSt 63, 220, 223). Dabei kann offenbleiben, ob der Angeklagte zu der Verwirklichung des Grundtatbestandes (§ 177 Abs. 1 StGB) bereits unmittelbar angesetzt hatte, als er zum ersten Mal den Kopf der Nebenklägerin an deren Haaren hochriss, denn jedenfalls das erneute Reißen an den Haaren der Nebenklägerin geschah nach Versuchsbeginn.

Auch die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB bei sich führte, wird von den Feststellungen getragen. Ein gefährliches Werkzeug nach dieser Vorschrift ist jeder bewegliche Gegenstand, der – im Fall seiner Verwendung – geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 2021 – 4 StR 263/20 Rn. 8; zu § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB auch BGH, Urteile vom 9. Januar 2020 – 5 StR 333/19 Rn. 36 und vom 10. Oktober 2018 – 5 StR 179/18 Rn. 14 mwN). Dies ist bei dem als Stichwerkzeug geeigneten Schraubenzieher von 25 cm Länge, der sich im Rahmen des dynamischen Geschehens in der räumlichen Enge des Fahrzeugfonds in der Hand des Angeklagten befand, der Fall.

b) Demgegenüber sind dem Urteil keine ausreichenden Feststellungen dazu zu entnehmen, dass der Angeklagte dieses gefährliche Werkzeug auch im Sinne von § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB bei der Tat verwendete.

Ein solches Verwenden liegt in zeitlicher Hinsicht vor, wenn das gefährliche Werkzeug zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung eingesetzt wird (BGH, Urteil vom 9. Januar 2020 – 5 StR 333/19 Rn. 38; Urteil vom 25. Oktober 2018 – 4 StR 239/18 Rn. 12 mwN). Was den Zweck der Verwendung betrifft, so sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Voraussetzungen des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB jedenfalls dann erfüllt, wenn das gefährliche Werkzeug entweder als Nötigungsmittel oder bei der sexuellen Handlung eingesetzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 – 4 StR 239/18 Rn. 13 mwN). Dafür genügt es, wenn sich das Geschehen als einheitlicher Vorgang mit Sexualbezug darstellt und die Verwendung des gefährlichen Gegenstandes deshalb ihrerseits sexualbezogen ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2002 ? 1 StR 506/01, NStZ 2002, 431 unter IV; Beschluss vom 15. April 2014 – 2 StR 545/13 mwN [jeweils zu § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB aF]).

Unbeschadet der Frage, welche Verwendungszwecke im Einzelnen den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB zu erfüllen vermögen, setzt ein Verwenden des gefährlichen Werkzeugs jedenfalls voraus, dass das Werkzeug überhaupt als Mittel zu einem Zweck, also zur Erzielung einer in Bezug auf das Tatopfer angestrebten Wirkung, eingesetzt wird, wofür auch die (konkludente) Ankündigung des körperlichen Einsatzes des Werkzeugs, sein Gebrauch als Drohmittel, genügen kann. Kein Verwenden, sondern nur ein Beisichführen im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB ist demgegenüber gegeben, wenn das Werkzeug von dem Täter nicht als zweckgerichtetes Mittel eingesetzt wird, sondern sich das gefahrerhöhende Moment für das Tatopfer in dem körperlichen Vorhandensein des Werkzeugs bei der Tat erschöpft.

Dieses Verständnis des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB wird bereits vom Wortlaut der Norm nahegelegt. Denn nach dem allgemeinen Sprachgebrauch setzt das Verwenden eines Gegenstandes einen entsprechenden Einsatzzweck voraus. Hiernach ist unter „verwenden“ das Anwenden oder die Benutzung eines Gegenstandes für einen bestimmten Zweck, insbesondere zur Herstellung oder Ausführung von etwas (vgl. Duden, Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl., Stichwort „verwenden“), mithin ein Gebrauchmachen von dem Gegenstand (so [zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB] BGH, Anfragebeschluss vom 3. Dezember 1998 – 4 StR 380/98 Rn. 10), zu verstehen. Auch gesetzessystematische und teleologische Erwägungen bestätigen diese Auslegung. Eine weite, auch jeden nicht instrumentellen Umgang mit dem gefährlichen Werkzeug bei der Tat umfassende Interpretation des § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB wäre ungeeignet, den Tatbestand schlüssig von der Qualifikation nach § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB abzugrenzen. Während das Verwenden eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat nach § 177 Abs. 8 StGB mit einer Mindeststrafe von fünf Jahren bedroht ist, sieht § 177 Abs. 7 StGB für das bloße Beisichführen eines gefährlichen Werkzeugs eine Strafe von nicht unter drei Jahren vor. Dieser Unterschied in der Strafdrohung findet seine Rechtfertigung in den gesteigerten Gefahren für Leib oder Leben des Tatopfers, welche die Verwendung des gefährlichen Werkzeugs gegenüber dessen bloßem Beisichführen birgt (vgl. BT-Drucks. 18/9097 S. 29; zu § 177 Abs. 4 StGB aF auch BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2000 – 4 StR 464/00, NStZ 2001, 313, 314). Eine derart erhöhte Gefährlichkeit weist indes – typischerweise – allein der zweckgerichtete Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs bei der Tat auf. Ein sonstiger Umgang mit dem Werkzeug, der auf keine das Tatopfer treffende Wirkung gerichtet ist, geht hingegen in seinem Gefahrenpotential nicht über das Beisichführen hinaus. So wird etwa die Gefahr eines bewusst in der Jackentasche getragenen Werkzeugs und damit im Sinne von § 177 Abs. 7 Nr. 1 StGB mitgeführten Werkzeugs nicht allein dadurch erhöht, dass der Täter es für kurze Zeit ergreift und in der Hand hält, etwa um sich dessen Vorhandenseins zu vergewissern.

c) Nach diesem Maßstab tragen die Feststellungen des Landgerichts den Schuldspruch nach § 177 Abs. 8 Nr. 1 StGB nicht. Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte den Schraubenzieher als Nötigungsmittel einsetzte, als er ihn unter dem Fahrersitz aufnahm und kurz in der Hand hielt. Die Urteilsfeststellungen sind aber unzureichend. Das Landgericht hat zwar festgestellt, dass die Nebenklägerin den Schraubenzieher wahrnahm und deswegen in Angst geriet. Eine entsprechende Zwecksetzung des Angeklagten, also der bewusste Einsatz des Werkzeugs als Drohmittel, ist dem Urteil mit Blick darauf, dass der Angeklagte den Schraubenzieher nicht auf die Nebenklägerin richtete und sogleich wieder weglegte, nicht sicher zu entnehmen. Das Landgericht ist hiervon ersichtlich auch nicht ausgegangen, weil es den Tatbestand des § 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB nicht als erfüllt angesehen hat….“

StGB II: Ist ein Tätowiergerät ein gefährliches Werkzeug?, oder: Es kommt darauf an.

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Bei der zweiten Entscheidung, die ich zum StGB vorstelle, handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 02.09.2021 – 4 RVs 84/21. Das OLG nimmt Stellung zur Frage, ob ein zum Tätowieren genutztes Tätowiergerät die Eigenschaft eines gefährlichen Werkzeugs i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB hat.

Nach den Feststellungen hatte die Angeklagte ihrer Tochter mit ihrem Tätowiergerät eine Tätowierung am rechten Unterarm beigebracht, ohne dass hierfür eine wirksame Einwilligung vorlag. Das LG hat in dem Tätowiergerät ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gesehen. Es hat den Strafrahmen eines minderschweren Falles zu Grunde gelegt.

Das OLG hebt auf die Revision hin auf:

„Soweit das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verurteilt hat, tragen die bisher getroffenen Feststellungen eine solche nicht.

Ein gefährliches Werkzeug ist ein solches, das nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (vgl. nur: Fischer, StGB, 68. Aufl., § 224 Rdn. 14). Die bisherigen Feststellungen ergeben nicht hinreichend, ob der konkrete Einsatz des Tätowiergeräts geeignet war, erhebliche Verletzungen hervorzurufen. Es reicht insoweit nicht die bloße Eignung, überhaupt Verletzungen hervorzurufen (welche hier nicht in Frage steht), sondern diese muss auch erheblich sein (Hardtung in: MK-StGB, 4. Aufl. § 224 Rdn. 20). Es muss also nach der konkreten Art der Verwendung die Eignung bestehen, die Funktionen oder das Erscheinungsbild des Körpers so einschneidend zu beeinträchtigen, dass der Verletzte schwer getroffen ist und beträchtlich darunter zu leiden hat (Paeffgen/Böse in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, StGB § 224 Rn. 16). Ein Tätowiergerät hat nicht per se eine solche Eignung, sondern es kommt auf die konkrete Art seiner Verwendung an. Eine Tätowierung kann nach den heute gesellschaftlich allgemein vorherrschenden Vorstellungen nicht an sich schon als erhebliche Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes in dem o.g. Sinne angesehen werden. Auch der Vorgang des Tätowierens begründet nicht an sich schon ein erhebliches Leiden. Allerdings erscheint eine Eignung zum Hervorrufen erheblicher Verletzungen denkbar, etwa wenn das Tätowiergerät nicht hinreichend desinfiziert wurde und es deswegen zu schwerwiegenden Entzündungen kommt oder wenn sie in der Hand eines Ungeübten falsch verwendet wird und deswegen gravierendere Verletzungen (etwa durch falsche Aufstellung oder übermäßigen Druck in tieferen Gewebeschichten) hervorruft. Vorliegend ist lediglich festgestellt worden, dass die Angeklagte keine gelernte Tätowiererin ist, aber offenbar bei sich selbst bereits mehrere Tätowierungen angebracht hatte. Außerdem war ihr die Infektionsgefahr bei mangelnder Hygiene bewusst. Dies war gerade der Grund, warum sie selbst die Tätowierung bei ihrer Tochter vornehmen wollte. Es hätte vorliegend daher näherer Feststellungen zur Art des Gerätes bedurft (etwa, ob es so gebaut ist, dass auch bei ungeübter Verwendung ein Vordringen in tiefere Gewebeschichten ausgeschlossen ist) sowie auch zur Erfahrung und Übung der Angeklagten bei Anbringung von Tätowierungen, also insbesondere, ob die Tätowierungen aus der Laienhand der Angeklagten nicht zwangsläufig entstellend wirken und welche Hygienemaßnahmen sie ergriffen hat. Ferner kann für die konkrete Art der Verwendung von Bedeutung sein, in welcher Weise die Angeklagte das Tätowiergerät eingesetzt hat (etwa: Umfang der Druckausübung; Beeinträchtigung der Bedienfähigkeit nach Konsum berauschender Mittel etc.).“

StGB II: Das Mobiltelefon, oder: Gefährliches Werkzeug?

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Das OLG Bremen hat sich im OLG Bremen, Urt. v. 27.11.2019 – 1 Ss 44/19 – mit der Frage befasst, ob ein Schlag mit einem Mobiltelefon in der Hand eine Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellt.

Auszugehen war von folgenden Feststellungen des LG:

„[…] Wütend darüber, dass die Zeugin A. nicht rauskommen wollte, betrat der Angeklagte das Ladengeschäft und schlug der Zeugin sofort mit der flachen Seite seines in der rechten Hand getragenen Smartphones üblicher Beschaffenheit derartig heftig gegen ihre linke Gesichtshälfte, dass diese das Gefühl hatte, ihre Oberlippe sei aufgeplatzt. […] Die Zeugin A. erlitt durch die Gewalthandlungen des Angeklagten eine Handprellung rechts, eine Prellmarke links cervikal und eine innere Platzwunde an der linken Oberlippe.“

Wegen dieses Sachverhalts ist der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) verurteilt worden. Das LG hatte seine Berufung verworfen. Das OLG hat aufgehoben und zurückverwiesen:

1. Die Revision des Angeklagten erweist sich auf die Sachrüge als begründet, da die vom Landgericht in seinem Urteil festgestellten Tatsachen eine Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung nicht tragen. Das Landgericht hat das Mobiltelefon des Angeklagten, mit dem er einen heftigen Schlag gegen die linke Gesichtshälfte der Verletzten geführt hat, der zu einer inneren Platzwunde an der linken Lippe geführt hat, als ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen. Dieser Bewertung schließt sich der Senat nicht an.

Bei einem gefährlichen Werkzeug handelt es sich um jeden festen Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen, wobei hier mit einer erheblichen Verletzung eine nach Dauer oder Intensität gravierende, jedenfalls nicht nur ganz leichte Verletzung oder Gesundheitsschädigung gemeint ist (siehe BGH, Urteil vom 14.05.2014 – 2 StR 275/13, juris Rn. 12 m.w.N., JR 2015, 206). Das Landgericht hat hinsichtlich der diesbezüglichen tatsächlichen Feststellungen wie folgt ausgeführt: „Bei dem vom Angeklagten benutzten Smartphone üblicher Beschaffenheit handelt es sich um einen festen, metallischen Gegenstand. Dieser harte Gegenstand wird dann vom Angeklagten mit einem derart heftigen Schlag gegen das ungeschützte Gesicht der Zeugin, also gegen eine besonders sensible Körperregion, geführt, dass diese das Gefühl hatte, ihre Lippe sei aufgeplatzt, was – wie sich aus dem verlesenen Attest ergibt – auch tatsächlich der Fall war. In einem solchen Fall handelt es sich sowohl nach der Qualität des Werkzeugs als auch nach der rechtsgutsbezogenen Zielrichtung des Einsatzes um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.“

Gegen diese Bewertung der festgestellten Tatsachen wendet sich die Revision mit Erfolg. Wird das Mobiltelefon in der flachen Hand gehalten und auf diese Weise dem Opfer ins Gesicht geschlagen, ohne dass festgestellt würde, dass gerade ein Schlag mit einer Ecke oder Kante ausgeführt wurde, dann ergibt sich hieraus gerade nicht eine Eignung nach seiner Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung zur Herbeiführung erheblicher Körperverletzungen, die über den Schlag mit der flachen Hand selbst hinausginge und damit die Anwendung des Qualifikationstatbestandes des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB tragen könnte.

Auch dass es zu einer inneren Platzwunde an der linken Lippe kam, trägt nicht die Feststellung, dass das Mobiltelefon nach der konkreten Art seines Einsatzes zur Verursachung erheblicher Verletzungen geeignet war. Grundsätzlich ist zwar die Verursachung einer Platzwunde mittels eines Werkzeugs in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als ein Fall einer erheblichen Verletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs iSd § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB angesehen worden (siehe u.a. BGH, Beschluss vom 13.04.2017 – 4 StR 35/17, juris Rn. 9, NStZ-RR 2017, 271: Platzwunde am Kopf durch Schlag mit Gürtelschnalle; BGH, Urteil vom 12.03.2015 – 4 StR 538/14, juris Rn. 10, StraFo 2015, 216: Platzwunde am Knie durch Schlag mit Holzlatte; BGH, Urteil vom 23.05.2001 – 3 StR 62/01, juris Rn. 7, StV 2002, 80: Platzwunden bei Gummiknüppelschlag). Die vorgenannten Entscheidungen zu Platzwunden als erheblichen Verletzungen betrafen aber anders als im vorliegenden Fall nicht die Konstellation der Verursachung lediglich einer inneren Platzwunde an der Lippe im Gegensatz zu behandlungsbedürftigen äußeren Platzwunden. Bei inneren Platzwunden an der Lippe wird man vielmehr – in Ermangelung weiterer Feststellungen im landgerichtlichen Urteil zum konkreten Umfang und zum Heilungsverlauf der Verletzung – berücksichtigen müssen, dass solche Platzwunden oftmals von sehr kleinem Umfang sein können und binnen kurzer Zeit ohne die Erforderlichkeit einer ärztlichen Behandlung verheilen. Von einer erheblichen Verletzung kann dann nicht gesprochen werden. Auch soweit das Landgericht darüber hinausgehend eine „Prellmarke links cervikal“ festgestellt hat, ist nicht ersichtlich, dass auch dies eine durch den Schlag mit dem Mobiltelefon ins Gesicht hervorgerufene Verletzung darstellen könnte, denn es verbirgt sich hinter diesem Begriff eine Prellmarke am Hals.“

StGB I: Der Hosengürtel, oder: Gefährliches Werkzeug?

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In die 5. KW. starte ich dann mit zwei Entscheidungen zur gefährlichen Körperverletzung und natürlich mit der Lösung des Rätsels vom vergangenen Freitag.

Zunächst stelle ich den BGH, Beschl. v. 03.12.2019 – 2 StR 490/19 -, vor, dernoch einmal zum Begriff des „gefährlichen Werkzeugs“ i.S. von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB Stellung nimmt. Es geht um den Schlag mit einem Hosengürtel. Das LG Erfurt hatte insoweit nicht verurteilt, der GBA hatte eine Änderung des Schuldspruchs beantragt, die der BGH aber wegen nicht erfolgter Feststellungen abgelehnt hat. Aber:

„Soweit der Generalbundesanwalt beantragt hat, den Schuldspruch dahin zu ändern, dass der Angeklagte auch wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung verurteilt wird, ist dafür kein Raum. Dass ein als Schlagwerkzeug eingesetzter Hosengürtel grundsätzlich geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen, genügt nicht. Ein Gegenstand ist nur dann ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenn er sowohl nach seiner Beschaffenheit als auch nach der Art seiner Benutzung geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2006 – 4 StR 313/06, NStZ 2007, 95). Je nach den Umständen, etwa bei Schlägen gegen besonders verletzliche oder empfindliche Körperteile, kann ein Gürtel ein gefährliches Werkzeug sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2002 – 1 StR 93/02, NStZ 2002, 597, 598). Dazu hat das Landgericht aber keine Feststellungen getroffen.“