Archiv für den Monat: Mai 2023

OWi II: Zum Verfahrensrecht im Bußgeldverfahren, oder: Quer durch das OWiG

Und im zweiten Psting hier ein paar Entscheidungen zum Verfahrensrecht im Bußgeldverfahren, ein wenig „Ecken sauber machen“. 🙂 Vorgestellt werden aber jeweils nur die Leitsätze, und zwar:

Eine Vertretung des Betroffenen in der Hauptverhandlung im Sinne der § 73 Abs. 3, 79 Abs. 4 OWiG setzt den Nachweis der Vertretungsvollmacht voraus. Im Falle einer Untervertretung genügt es hierfür nicht, wenn zwar eine vom Wahlverteidiger dem Untervertreter erteilte Vollmacht zu den Akten gelangt ist, aber keine dem Wahlverteidiger erteilte Vertretungsvollmacht nachgewiesen ist.

1. Zur Beurteilung der Frage, ob bei der Verhängung mehrerer Geldbußen die Wertgrenze des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG überschritten ist, sind einzelne Geldbußen zu addieren, soweit sie wegen einer Tat im prozessualen Sinne gemäß § 264 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG verhängt wurden.

2. Kann aufgrund der unzulänglichen tatrichterlichen Feststellungen nicht beurteilt werden, um wie viele prozessuale Taten es sich bei den abgeurteilten Verstößen gegen das Steuerberatungsgesetz handelt, sind die verhängten Geldbußen für die Prüfung der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde zusammenzurechnen.

Das Verschlechterungsverbot hindert das neue Tatgericht im neuen Rechtsgang nicht an der Verurteilung wegen einer für den Betroffenen nachteiligen Schuldform (hier Vorsatz statt Fahrlässigkeit), wohl aber an der Verhängung einer gegenüber dem ersten Rechtsgang höheren Geldbuße.

1. Nach der unmissverständlichen Formulierung des § 79 Abs.1 Satz 2 OWiG ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde nur gegen Urteile möglich. Gegen nach § 72 OWiG erlassene Beschlüsse ist eine Zulassungsrechtsbeschwerde ausgeschlossen.

2. Gibt das Tatgericht dem Betroffenen unter Fristsetzung die Möglichkeit, rechtsfolgenmindernde Umstände nachzuweisen (hier: verkehrserzieherische Nachschulung), so stellt es eine Verletzung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 OWiG dar, wenn der nach § 72 OWiG ergehende Beschluss vor Fristablauf ergeht.

1. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht allein deshalb geboten, weil das angefochtene Urteil keine Urteilsgründe enthält, obwohl die Voraussetzungen des § 77b OWiG, unter denen von der Fertigung von Urteilsgründen abgesehen werden kann, nicht gegeben sind, da ggf. insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufweisen, die Zulassungsvoraussetzungen häufig auch ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden können.

2. Ist jedoch das Recht auf rechtliches Gehär des Betroffenen verletzt, ist die Rechtsbeschwerde ggf. zuzulassen.

So, Ecken sauber. Und das Bild mal nur so bzw.: Die o.a. Fragen sind alle auch in unserem OWi-Hnadbuch angesprochen. Zur <<Werbemodus an>> Bestellseite geht es hier. <<Werbemodus aus>>.

 

 

 

OWi I: Richtige Bemessung der (Halter)Geldbuße, oder: Abzug von Aufwendungen des Halters?

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Heute dann mal wieder ein OWi-Tag mit der Vorbemerkung: Im (straßenverkehrsrechtlichen) Bußgeldverfahren tut sich zur Zeit nicht so ganz viel. Man hat den Eindruck, dass alle gespannt sitzen und warten, was da nun vom BVerfG im Verfahren 2 BvR 1167/20 (endlich) kommt. Muss ein „Hammerbeschluss“ sein, wenn es so lange dauert.

Bis dahin müssen wir uns mit „Kleinkram“ begnügen 🙂 , also nichts wesentlich Neues

Ich beginne die heutige Berichterstattung dann mit dem OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 07.03.2023 – 3 ORbs 8/23. In der Entscheidung geht es um die Höhe einer Geldbuße wegen zweier tateinheitlicher Handlungen des Anordnens bzw. Zulassens der Inbetriebnahme einer Fahrzeugkombination trotz Überschreitung der zulässigen Länge über alles um 2,00 m sowie trotz Überschreitung der zulässigen Höhe über alles um 0,35 m. Festgesetzt worden sind 2.900 EUR, wobei vom Halter gemachte Aufwendungen nicht in Abzug gebracht worden sind.

Das gefällt dem OLG nicht:

„1. Der Beschluss des Amtsgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht hat im Rahmen der – nach wirksamer Beschränkung des Rechtsmittels zur Prüfung des Senats stehenden – Rechtsfolgenbestimmung zu Unrecht angenommen, vom Halter gemachte Aufwendungen seien nicht in Abzug zu bringen.

a) Nach § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG soll die Geldbuße den aus der Ordnungswidrigkeit gezogenen wirtschaftlichen Vorteil übersteigen. Der Wortlaut gebietet grundsätzlich eine Saldierung. Es gilt das Nettoprinzip. In diesem Rahmen sind von den durch die Tat erlangten wirtschaftlichen Zuwächsen die Kosten und Aufwendungen des Betroffenen abzuziehen (BGH, Beschl. v. 8.12.2016 – 5 StR 424/15, StV 2018, 43 [Ls. 2]). Maßgeblich ist ein Vergleich der wirtschaftlichen Position vor und nach der Tat (KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 17 Rn. 118).

aa) Die konkrete Abzugsfähigkeit ist dabei stets anhand des Einzelfalls zu bestimmen (BGH, Beschl. v. 27.4.2022 – 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 414 Tz. 38 a.E.). Abzugsfähig sind unter dem Nettoprinzip diejenigen Aufwendungen, die durch den Erwerbsvorgang veranlasst bzw. im unmittelbaren Zusammenhang mit der zu ahndenden Tat entstanden sind (BayObLG, NStZ-RR 2022, 217, 219; KK-OWiG/Mitsch aaO., § 17 Rn. 120). Hypothetische Gewinne, etwa aus der Fortsetzung legalen Verhaltens, bleiben dabei allerdings außer Betracht, ebenso mögliche Erstattungsansprüche Dritter (BGH, Beschl. v. 8.12.2016 – 5 StR 424/15, wistra 2017, 242, 243 f. Tz. 4; Krenberger/Krumm-OWiG, 7. Aufl. 2022, 30 Rn. 42; KK-OWiG/Rogall aaO., § 30 Rn. 141).

bb) Dies berücksichtigt das angefochtene Urteil nicht in dem rechtlich gebotenen Umfang, indem es die Abzugsfähigkeit der durch die Tat veranlassten Aufwendungen gänzlich versagt.

Insoweit bedarf es weiterer tatrichterlicher Aufklärung. Soweit nur Feststellungen zu dem mit der Fahrt erzielten Umsatz möglich sind, ist eine darauf gestützte Berücksichtigung des mit der Fahrt insgesamt erzielten wirtschaftlichen Vorteils zulässig. Erforderlich sind im Rahmen einer groben Schätzung, an die keine überspannten Anforderungen zu stellen sind, nachprüfbare Angaben in den Urteilsgründen (vgl. zum Vorgehen BGH, Beschl. v. 27.4.2022 – 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 413 ff. Tz. 27, 36 u. 44).

b) aa) Dem steht es grundsätzlich nicht entgegen, dass die Aufwendungen zu einem rechtlich missbilligten Zweck erfolgten.

Allein aus der Unzulässigkeit des Verhaltens – hier: der Überschreitung der zulässigen Länge und Höhe des Fahrzeugs – folgt nach der vorzitierten neueren Rechtsprechung des BGH (Beschl. vom 27.4.2022 – 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 414 Tz. 40 m. zust. Anm. Reichling/Borgel, wistra 2022, 390, 391) noch kein Abzugsverbot.

An seiner abweichenden Auslegung für eine mit der hiesigen vergleichbaren Fallkonstellation im Beschluss vom 1.3.2022 (3 Ss-OWi 1439/21) hält der Senat nach erneuter Sachprüfung im Lichte der vorzitierten Rechtsprechung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs nicht mehr fest. Einen Abzug von Aufwendungen auszuschließen, soweit diese „gänzlich unzulässig“ waren, hieße, den gesetzlich bestimmten Maßstab zu verändern (BGH, Beschl. vom 27.4.2022 – 5 StR 278/21, NZWiSt 2022, 410, 414 Tz. 40 a.E.).

bb) Soweit der 2. Senat des Oberlandesgerichts (OLG Frankfurt, Beschl. v. 1.7.2019 – 2 Ss-OWi 1077/18, NStZ-RR 2019, 323, 325) für eine andere Fallgestaltung (sog. „Überladungsfahrt“) ein solches Abzugsverbot unter normativ-wertenden Gesichtspunkten für Aufwendungen hat annehmen wollen, soweit diese „gänzlich unzulässig“ waren, muss nicht entschieden werden, ob der 3. Senat dem für eine solche Konstellation zu folgen vermöchte……“

StGB III: Schriftsatz mit pornografischen Abbildungen, oder: Strafbarkeit des Anwalts wegen „Verbreitung….“?

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Und als dritte Entscheidung dann noch das AG Köln, Urt. v. 15.03.2023 – 539 Ds 155/20. Es geht um die Strafbarkeit wegen Verbreitung pornographischer Schriften durch einen Rechtsanwalt durch Übersendung eines Schriftsatzes.

Nach den Feststellungen des AG hat der angeklagte Rechtsanwalt im Rahmen eines gegen ihn geführten Verfahrens vor dem Anwaltsgericht für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Köln wegen eines Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot nach § 42b BRAO  einen Schriftsatz an das Gericht, welcher mit mehreren pornographischen Fotografien versehen war. So waren u.a. auf zwei Abbildungen Gesichter von Frauen zu sehen, die Spermaflüssigkeit im Gesicht und im Mund verteilt haben und auf acht weiteren Fotos ist der Geschlechtsverkehr zwischen einer Frau und einem Mann dargestellt. Eine Übermittlung der Darstellungen war weder veranlasst noch war der Angeklagte hierzu aufgefordert worden.

Das AG hat den Angeklagten deswegen wegen wegen Verbreitung pornographischer Schriften gemäß §§ 184 Abs. 1 Nr. 6, 11 Abs. 3 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt:

„Mit Übersendung des Schriftsatzes vom 09.09.2019 hat der Angeklagte pornographische Schriften in den Machtbereich eines anderen, nämlich der Mitglieder der zur Verhandlung über das Verfahren 2 AnwG 21/1510 EV 115/15 berufenen zweiten Kammer des Anwaltsgerichts Köln und der damit befassten Justizangehörigen gelangen lassen, ohne von ihnen, sei es ausdrücklich oder konkludent, hierzu aufgefordert worden zu sein. Ein mutmaßliches Einverständnis genügt nicht (Münchener Kommentar zum StGB/Hörnle, 21. Aufl. 2021, § 184 Rn. 66 m.w.N.), sodass es auf dessen Vorliegen nicht ankommt.

Die in dem Schriftsatz vorhandenen Abbildungen zeigen überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes abzielende pornographische Darstellungen. Unter pornographischen Darstellungen versteht man solche Darstellungen, die unter Ausklammerung sonstiger menschlicher Bezüge ’sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher oder vergröbernder Weise in den Vordergrund rücken und die in ihrer Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt sind, sowie dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertevorstellungen gezogenen Grenzen eindeutig überschreiten. Maßgeblich ist zunächst inhaltlich die Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns und die Entmenschlichung der Sexualität, das bedeutet, dass der Mensch durch die Vergröberung des Sexuellen „auf ein physiologisches Reiz-Reaktions-Wesen reduziert“ wird (Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl. 2019, StGB § 184 Rn. 8 m.w.N.). Ferner kann formal die vergröbernde, aufdringliche, übersteigerte, „anreißerische“ oder jedenfalls plump-vordergründige — im Gegensatz zu einer ästhetisch stilisierten — Art der Darstellung Indiz für den pornografischen Charakter sein. Alleine das Vorliegen einer Nacktaufnahme führt somit nicht zwingend zur Einordnung als Pornographie. Maßgeblich ist vielmehr die objektive Gesamttendenz der Darstellung. Die subjektive Motivation des Verfassers ist nicht von Bedeutung. Eine Darstellung ist nur dann als pornografisch zu werten, wenn sie die in Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreitet (Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl. 2019, StGB § 184 Rn. 8).

Soweit der Angeklagte bereits in seinem Schriftsatz vom 09.09.2019 anmerkt, dass die Bilder frei im Internet verfügbar sind, ist dies unerheblich. Sinn und Zweck von § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB ist der Schutz vor ungewollter Konfrontation mit sexuellen In-halten. Normzweck ist damit der Schutz der Privatsphäre und des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung des Empfängers und nicht der Schutz der abgebildeten Personen (Münchener Kommentar zum StGB/Hörnle, § 184 Rn. 8).

Dem Angeklagten war auch bei der Übersendung bewusst, eine Grenze überschritten zu haben, da er sich im Verlauf des Schriftsatzes für die drastischen Darstellungen entschuldigt. Sodann folgen weitere Bilder.

Der Angeklagte hat auch seinen Schriftsatz nicht derart gekennzeichnet, dass die Empfänger des Schriftsatzes die Konfrontation mit den Abbildungen hätten vermeiden können. Zwar hat der Angeklagte in dem Schriftsatz darauf hingewiesen, dass die Abbildungen Beispiele für sexistische Darstellungen seien, es bestand jedoch weder eine Veranlassung solche Abbildungen zu übermitteln, da die Ausführungen auch ohne Beispielbilder durch Be- und Umschreibungen nachvollziehbar darzustellen gewesen wären, noch konnte der Leser des Schriftsatzes erkennen, dass pornographische Bilder folgen würden.

Soweit der Angeklagte meint, bei dem Schriftsatz vom 09.09.2019 handele es sich lediglich um eine „Verteidigungsschrift“ zur Wahrnehmung berechtigter Interessen, im Sinne des § 193 StGB und nicht um eine „pornographische Schrift“, vermag das Gericht dieser Rechtsauffassung nicht zu folgen. Es trifft zu, dass die Abbildungen nicht isoliert, sondern im Kontext der inhaltlichen Stellungnahme des Angeklagten sowie im Kontext des Verfahrens vor dem Anwaltsgericht zu bewerten sind. Damit ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit als auch des Rechts auf Wahrnehmung berechtigter Interessen und eigener Verteidigung eröffnet. Infolgedessen hat eine Abwägung dieser mit dem von dem Schutzbereich des § 184 StGB umfassten Rechtssubjekt zu erfolgen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine polemische, mitunter sogar diffamierende Sprache zur Verdeutlichung der eigenen Position im jeweiligen Einzel-fall durchaus zulässig sein kann. Das gilt insbesondere für Äußerungen gegenüber Maßnahmen der öffentlichen Gewalt. Der Betroffene darf nicht auf das zur Kritik not-wendige Maß beschränkt werden (BVerfG, Beschluss vom 09.02.2022 — 1 BvR 2588/22; Beschluss vom 19.05.2020 — BvR 2397/19; Beschluss vom 14.06.2019 — 1 BvR 2433/17; Beschluss vom 10.10.1995 — 1 BvR 1476/91). Hieraus folgt jedoch keineswegs, dass der Meinungsfreiheit und dem Recht auf Wahrnehmung eigener Interesse keine Grenzen gesetzt wären. Vielmehr treten diese Rechte insbesondere bei herabsetzenden Äußerungen, die als Formalbeleidigungen der Schmähung zu bewerten sind, hinter dem Ehrschutz zurück, BVerfG, a.a.O.).

Unter Heranziehung dieser Grundsätze und deren entsprechende Anwendung auf die hiesige Konstellation überwiegt das Schutzbedürfnis der Empfänger des Schriftsatzes vom 09.09.2019 gegenüber den Interessen des Angeklagten. Es ist anzunehmen, dass es dem promovierten und als Rechtsanwalt praktizierenden Angeklagten möglich und zumutbar gewesen wäre, seine Argumente durch Umschreibung der übersandten pornographischen Darstellungen in das Verfahren einfließen zu lassen und lediglich diejenigen Bilder zu übersenden, welche nicht dem Tatbestand des § 184 Abs. 1 Nr. 6 StGB unterfallen. Dass ihm der Unterschied bewusst gewesen ist, konnte zum einen von ihm als praktizierender Rechtsanwalt erwartet werden zum anderen hat er dies durch die in dem Schriftsatz vom 09.09.2019 enthaltenen Formulierungen deutlich gemacht.

Ein Tatbestandsausschluss analog § 184b Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StGB liegt nicht vor. Es mangelt bereits an einer vergleichbaren Interessenlage. Die Regelung des § 184b Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StGB berechtigt nur zur Verschaffung und zum Besitz verfahrens-gegenständlicher Abbildungen (Münchener Kommentar zum StGB/Hörnle, 4. Auflage 2012, § 184b Rn. 50). Sinn und Zweck ist die effektive Verteidigung des Angeklagten. Eine Berechtigung zur Beschaffung und zum Besitz von Abbildungen, die nicht Gegenstand des Verfahrens sind, besteht nicht. Gleiches gilt für die Besitzverschaffung an Dritte. Die Besitzverschaffung an Dritte innerhalb des von § 184b Abs. 5 StGB genannten Personenkreises ist nach der Regelungskonzeption eines umfassenden Verkehrsverbots bezüglich kinderpornographischer Schriften auch dem Strafverteidiger nur erlaubt, soweit dies zur Wahrnehmung seiner Verteidigungsaufgabe erforderlich ist (BGH, Urteil vom 19.03.2014 — 2 StR 445/13, NStZ 2014, 514, 515). Die von dem Angeklagten übersendeten Abbildungen waren nicht streitgegenständlich. Im Übrigen wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.

Andere zu einem Tatbestandausschluss oder einer Rechtfertigung führende Gründe liegen nicht vor…..“

StGB II: Beihilfe des Notars zur Insolvenverschleppung, oder: Strafbarkeit „berufstypischer Handlungen“

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Als zweite Entscheidung stelle ich dann den LG Lübeck, Beschl. v.  27.03.2023 – 6 Qs 33/22 720 Js 4897/20 – vor. In ihm nimmt das LG zur Frage der Beihilfe eines Notars zur Insolvenzverschleppung Stellung.

Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen einen Rechtsanwalt und Notar erhoben, dem sie zur Last legt, einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat – einer Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Nr. 1 InsO – Hilfe geleistet zu haben. Nach den Ausführungen in der Anklage habe der Angeklagte in seiner Funktion als Notar am 20.9.2017 den Geschäftsanteilskaufvertrag mit der Urkundennummer 367/2017 über den Verkauf und die Abtretung von Gesellschaftsanteilen, die Geschäftsführerabberufung und -neubestellung sowie die Sitzverlegung der pp. beurkundet. Dabei habe er gewusst, dass die bei diesen Beurkundungen beteiligten Personen (u.a. pp. und pp.) mit der Übernahme der Gesellschaftsanteile und der Geschäftsführung der pp. den Zweck verfolgten, diese einer ordnungsgemäßen insolvenzrechtlichen Abwicklung zu entziehen. Trotz Zahlungsunfähigkeit der pp, am 31.10.2017 hätten pp und pp. innerhalb von drei Wochen keinen Insolvenzantrag gestellt, obwohl sie dazu verpflichtet gewesen seien. Das AG Lübeck hatte am 19.3.2021 einen Strafbefehl gegen pp. erlassen u.a. wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung in Bezug auf die pp. Darin ging das AG davon aus, dass die pp. spätestens am 31.10.2017 zahlungsunfähig gewesen sei.

Das AG hat den die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt, da keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte zur Begründung eines hinreichenden Tatverdachts in Bezug auf die Begehung einer Straftat gemäß § 15a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Nr. 1 InsO, § 27 StGB vorlägen. Die ermittelten Umstände begründeten keine Beihilfehandlung des Angeklagten. So liege weder eine berufsuntypische Handlung des Angeklagten vor noch sei er in die Planungen von pp. und pp. einbezogen gewesen. Bei den Beurkundungen am 20.9.2017 habe der Angeklagte nicht erkannt, dass das Handeln von pp. und pp. auf die Begehung einer Insolvenzverschleppung gerichtet gewesen sei.

Das sieht das LG – mit der StA, die Beschwerde eingelegt hat, anders:

„…..

b) Weiterhin besteht der hinreichende Verdacht einer vom Angeklagten begangenen strafbaren Beihilfehandlung.

aa) Beihilfehandlung ist das Fördern einer vorsätzlich und rechtswidrig begangenen Straftat. Die Beihilfe muss nicht zur unmittelbaren Tatausführung geleistet werden. Ausreichend ist das Hilfeleisten zu einer vorbereitenden Handlung. Der Haupttäter muss in diesem Zeitpunkt noch nicht zur Tat entschlossen sein (BGH vom 8.11.2011 – 3 StR 310/11).

Im Fall einer „neutralen“ bzw. „berufstypischen“ Handlung, also einer Handlung, die äußerlich betrachtet keinen oder zumindest nicht ausschließlich einen deliktischen Bezug hat, liegt im konkreten Einzelfall nur dann eine Beihilfehandlung vor, wenn der Handelnde weiß, dass das Handeln des Haupttäters ausschließlich auf die Begehung einer Straftat abzielt oder wenn das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch war, dass er sich „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ (BGH vom 19.12.2017 ? 1 StR 56/17). Es handelt sich um ein Problem des subjektiven Tatbestands: Die Einordnung der die Haupttat fördernden Handlung als sog. „berufstypische Handlung“ steht ihrer Qualifizierung als objektive Beihilfehandlung nicht entgegen. Ob diese Handlung strafbar ist, hängt jedoch von der im jeweiligen Einzelfall zu prüfenden Kenntnis des handelnden Berufsträgers ab.

Diese Grundsätze gelten auch für Notare (so auch BGH vom 14.7.2000 – 3 StR 454/99). Denn Handlungen von Notaren sind in der Regel objektiv „neutral“, können jedoch Straftaten im Sinne des § 27 StGB fördern. Daher sind auch sie anhand der für diese Fallgruppe geltenden Grundsätze zu bewerten.

Die im jeweiligen Einzelfall bestehende Kenntnis des Notars kann durch Feststellung von Indizien belegt werden. Hierbei kommen insbesondere in Betracht (vgl. dazu auch BGH vom 8.4.2019 – NotSt (Brfg) 5/18; BGH vom 23.11.2015 – NotSt (Brfg) 4/15):

–  Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile an einen Dritten,

–  Änderung der Firmierung,

–   wiederholter Wechsel in der Person des Geschäftsführers,

–   (mehrere) Sitzverlegung(en) der Gesellschaft an einen entfernt gelegenen Ort oder ins Ausland,

–   wiederholte Vereinbarung von Beurkundungsterminen durch eine nicht unmittelbar an der jeweiligen Beurkundung beteiligte Person, bei der erkennbar unerfahrene oder ungeeignete Personen zum Geschäftsführer bestellt werden,

–   Einstellung der werbenden Tätigkeit im Zusammenhang mit der Übertragung der Anteile und/oder Sitzverlegung,

–   Unerreichbarkeit des neuen Geschäftsführers und/oder Verweis auf eine „Wirtschaftsberatungsgesellschaft“,

–  mangelnde Kooperation des neuen Geschäftsführers,

–   Geschäftsführerstellung der als Geschäftsführer zu bestellenden Person bei einer Vielzahl weiterer Gesellschaften,

–  Fehlen von Geschäftsunterlagen und Aktiva.

bb) Der Angeklagte ist hinreichend verdächtig, mit der am 20.9.2017 vorgenommenen Beurkundung des Geschäftsanteilskaufvertrags mit der Urkundennummer 367/2017 über u.a. die Abtretung von Gesellschaftsanteilen der pp. eine von pp. und pp. zu begehende Insolvenzverschleppung gefördert zu haben, obwohl er wusste, dass deren Handeln auf die Begehung einer solchen Straftat abzielte.

(1) Die vom Angeklagten am 20.9.2017 vorgenommene Beurkundung trug zum Gelingen der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von pp. und pp. begangenen Insolvenzverschleppung bei. Denn ohne die Beurkundung des Vertrags über die Abtretung der Gesellschaftsanteile der pp. an pp. wäre der diesem bekannte pp. nicht zum Geschäftsführer bestellt worden und der diesem bekannte pp. hätte nicht die Stellung eines faktischen Geschäftsführers erlangen können. Es ist unerheblich, dass der Angeklagte die Beurkundung am 20.9.2017 vor der Begehung der Insolvenzverschleppung vornahm. Denn das Hilfeleisten zu einer vorbereitenden Handlung ist ausreichend.

(2) Der Angeklagte ist hinreichend verdächtig, im Zeitpunkt der Beurkundung am 20.9.2017 Kenntnis davon gehabt zu haben, dass diese der Vorbereitung einer Insolvenzverschleppung diente.

Dieser hinreichende Verdacht ergibt sich insbesondere aus den folgenden auf die Vorbereitung einer „Firmenbestattung“ hindeutenden Indizien:

Der Angeklagte beurkundete in der Zeit von Februar 2013 bis September 2017 Gesellschaftsanteilsübertragungen, Geschäftsführerwechsel und Sitzverlegungen für sechs unterschiedliche Unternehmen (Fallakten III, IV, VI, VII, VIII, IX). Hierbei war jeweils die gleiche Personengruppe wie bei der Beurkundung am 20.9.2017 beteiligt (u.app. , pp. undpp. ). Im Rahmen dieser Beurkundungen war pp. Ansprechpartner für den Angeklagten und in der Regel auch bei der jeweiligen Beurkundung anwesend. Dies war auch dann der Fall, wenn pp. an der jeweiligen Beurkundung nicht unmittelbar beteiligt war – weder als Erwerber von Geschäftsanteilen, (einzutragender) Geschäftsführer oder als Vertreter solcher Personen. In den Notarakten befinden sich auch keine Fotokopien der Personalausweise vonpp. , pp. , pp. undpp. , obwohl diese Personen an diversen Beurkundungen beteiligt waren.

Bei vier vor dem 20.9.2017 in Bezug auf unterschiedliche Unternehmen vorgenommenen Beurkundungen (Fallakten II, III, VII, VIII) traten die in Südamerika lebenden pp.  und pp. als neue Gesellschafter in Erscheinung. pp. wurde dabei u.a. von pp. (Vollmachtschreiben vom 31.3.2017, Asservat 2/3) und pp. bzw. Dr. pp. (Vollmachtschreiben vom 4.6.2017, Fallakte VII, Bl. 18) vertreten. Die sich auf diesen Vollmachtschreiben befindlichen Unterschriften des pp. weichen in ihrem Schriftbild nicht unerheblich voneinander ab.

Der Angeklagte beurkundete in der Zeit von Februar 2013 bis zum 20.9.2017 sechs Sitzverlegungen unterschiedlicher Unternehmen an die Anschriften pp. 17, A. und pp. 9b, A.. Hierbei handelte es sich um die Wohnanschriften von pp. bzw. pp. Aus dem Vorblatt der Notarakte in Bezug auf die pp. ergibt sich, dass dem Angeklagten die Anschrift pp., pp. als Wohnanschrift des pp. bekannt war. Weiterhin ergibt sich aus der beurkundeten Sitzverlegung der pp. a die Anschrift pp., pp. am 19.4.2017, dass dem Angeklagten diese Anschrift als Wohnanschrift des neubestellten Geschäftsführers der pp. , bekannt war.

Dem Angeklagten war im Zeitpunkt der Beurkundung am 20.9.2017 bekannt, dass die bei den vorangegangenen Beurkundungen im Zusammenhang mit der Personengruppe um pp. beteiligten Personen nach den Beurkundungen nur schwer oder nicht mehr erreichbar gewesen waren. Dies ergibt sich u.a. aus den diversen Versuchen des Angeklagten, bei den beteiligten Personen seine Zahlungsforderungen einzutreiben (vgl. etwa Beweismittel 2/1), sowie aus der Mitteilung des Amtsgerichts Lübeck vom 25.8.2016, nach der das Amtsgericht dem neu eingetragenen Geschäftsführer der pp. die Vorschussrechnung nicht habe übermitteln können und Anzeichen für eine wirtschaftliche Neugründung der Gesellschaft bestünden (Beweismittel 2/1).

Schließlich informierte die Verkäuferin der Geschäftsanteile der pp., in deren Auftrag der Angeklagte im Jahr 2016 Beurkundungen vorgenommen hatte, den Angeklagten am 30.12.2016 darüber, dass die auf der Käuferseite beteiligten Personen, u.a. pp. und pp., noch vor dem Abschluss des Beurkundungsverfahrens im Namen der pp. Warenbestellungen in Höhe von ca. 83.000 € getätigt, jedoch nicht bezahlt hätten (Beweismittel 2/1).

Der Umstand einer am 20.9.2017 fehlenden oder für den Angeklagten nicht erkennbaren Insolvenzreife der pp. steht aufgrund der vorstehenden Indizien einem hinreichenden Tatverdacht nicht entgegen. Dasselbe gilt für die Vorgänge um die „Kaufpreiszahlung“ für den Erwerb der Gesellschaftsanteile der pp.

Indes können Indizien, die sich aus nach dem 20.9.2017 vom Angeklagten vorgenommenen Beurkundungen ergäben (vgl. Anklageschrift, S. 19 f., Fallakten I, V), keine Kenntnis des Angeklagten am Tattag des 20.9.2017 begründen. Denn gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB muss der Tatvorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung, hier der Beurkundung am 20.9.2017, vorliegen (BGH vom 7.9.2017 ? 2 StR 18/17).

Die aufgrund der vorstehenden Indizien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bestehende Kenntnis des Angeklagten von einer bevorstehenden Straftat bezog sich auf eine von pp. und pp. zu begehende Insolvenzverschleppung in Bezug auf die pp.  Denn diese Indizien begründen den hinreichenden Verdacht einer Kenntnis des Angeklagten von der Vorbereitung einer „Bestattung“ der pp.. Im Rahmen einer „Firmenbestattung“ ist die Begehung von Straftaten gemäß § 15a Abs. 1 S. 1, Abs. 4 Nr. 1 InsO vorhersehbar. Der Angeklagte musste am 20.9.2017 keine bestimmte Vorstellung von den Einzelheiten der zu begehenden Insolvenzverschleppung haben.“

StGB I: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, oder: Entkleidung einer Frau im Beisein männlicher Beamter

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Ich stelle heute dann StGB-Entscheidungen vor, die eins gemeinsam haben: Es handelt sich um nicht alltägliche Fallgestaltungen.

Schon etwas älter ist die erste Entscheidung, die ich vorstelle. Es handelt sich um den BayObLG, Beschl. v. 07.12.2022 – 206 StRR 296/22. Das LG hatte die Angeklagte wegen eines Geschehens, das noch in der „Corona-Zeit“ liegt wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit drei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung“ verurteilt.

Dagegen die Revision der Angeklagten, die nur teilweise Erfolg hatte. Das BayObLG hat nämlich die Revision wegen eines Teils des Berufungsurteils verworfen, insoweit bitte selbst lesen. Wegen eines weiteren Teils hatte sie hingegen Erfolg. Insoweit geht es um die Frage der Strafbarkeit wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) durch Widerstandshandlungen einer weiblichen Person, die aufgrund polizeirechtlicher Vorschriften zur Durchsetzung einer Platzverweisung in Gewahrsam genommen und in eine Haftzelle verbracht wurde, gegen ihre Entkleidung, die nach zunächst erfolglosen Maßnahmen weiblicher Polizeibeamtinnen unter Anwendung unmittelbaren Zwangs unter Beteiligung mehrerer männlicher Polizeibeamter bis auf den Slip durchgeführt wurde. Dazu das BayObLG:

„Die Revision erweist sich hingegen als begründet, soweit das Verhalten der Angeklagten im zweiten Teilkomplex des Gesamtgeschehens zu einer Verurteilung geführt hat. Das Berufungsurteil weist insoweit durchgreifende Darstellungs- und Erörterungsmängel auf.

1. Ein Schuldspruch wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte setzt, was das Landgericht im Ansatz zutreffend gesehen hat, in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 3 StGB die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Diensthandlung voraus (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 114 Rn. 6). Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen fehlt es hieran, wie die Revision zu Recht beanstandet. Auch die Generalstaatsanwaltschaft schließt sich dem in ihrer Stellungnahme vom 21. September 2022 im Ergebnis an; soweit die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft die Entkleidung der Angeklagten in der Haftzelle betreffen, nimmt der Senat hierauf ergänzend zu den nachfolgenden Ausführungen Bezug.

a) Der von der Angeklagten geleistete tätliche Widerstand richtete sich ausweislich der Feststellungen nicht gegen ihre Ingewahrsamnahme als solche gemäß Art. 17 PAG in der zur Tatzeit geltenden, von der aktuellen Rechtslage abweichenden Fassung vom 25. Mai 2018 bis 31. Juli 2021. Gegen ihre Verbringung zur Polizeidienststelle hat sich die Angeklagte nicht gewehrt. Tätlichen Widerstand leistete sie vielmehr erst gegen die ihr in der Haftzelle erteilte Aufforderung, sich (offensichtlich: vollständig oder nahezu vollständig) zu entkleiden, sowie gegen ihre zwangsweise Entkleidung, vorgenommen durch zwei Polizeibeamtinnen, die dabei von männlichen Beamten unterstützt wurden (UA S. 8), wobei der Senat anmerkt, dass in den Urteilsfeststellungen lediglich das Hinzukommen eines männlichen Beamten (POM …) geschildert wird, während sich aus den Aussagen der Zeugen eine Unterstützung durch drei männliche Beamte ergibt (UA S. 14, S. 15), von welchen einer sogar den BH der Angeklagten geöffnet hat (UA S. 15).

b) Ob die Ingewahrsamnahme der Angeklagten nach Art. 17 PAG gerechtfertigt war, begegnet zwar Bedenken, eine abschließende Entscheidung ist aber auf der Grundlage der insoweit lückenhaften Feststellungen weder möglich noch ist sie erforderlich. Selbst wenn eine etwaige weitere Sachverhaltsaufklärung durch den neuen Tatrichter die Beurteilung erlauben würde, dass die Ingewahrsamnahme als solche rechtmäßig war, stellt dies kein Präjudiz für die Rechtmäßigkeit der Entkleidungsanordnung dar. Die Frage der Anordnung der Ingewahrsamnahme und deren Vollzug sind grundsätzlich voneinander zu scheiden (BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 2005, 2 BvR 447/05, juris Rn. 61). Auch wenn die Anordnung der Ingewahrsamnahme rechtmäßig ist, kann sich eine einzelne Maßnahme während des Vollzugs als rechtwidrig erweisen (BVerfG a.a.O.).

c) Die Maßnahme der Entkleidung, gegen die die Angeklagte Widerstand leistete, stellt einen gravierenden, jedenfalls durch die festgestellten Tatsachen nicht zu rechtfertigenden Grundrechtseingriff dar und war damit rechtswidrig.

(1) Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellen allgemein einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 GG dar (VG Augsburg, Urteil vom 10. Dezember 2021, Au 8 K 20.1952, juris Rn. 28; BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2009, 2 BvR 455/08, juris Rn. 25 für eine mit einer Entkleidung verbundene Durchsuchung). Neben dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist auch die Menschenwürde, Art. 1 GG, tangiert. Die Maßnahme einer Entkleidung kann allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn sie zum Schutz der in Gewahrsam genommenen Person selbst oder zum Schutz der Beamten vor Gefahren für Leib und Leben im Einzelfall geboten erscheinen (VG Augsburg a.a.O.).

(2) Der Senat kann den Feststellungen keine tatsächlichen Umstände entnehmen, die die Entkleidung der Angeklagten hätten rechtfertigen können.

aa) Nach den Angaben der als Zeugin vernommenen Polizeibeamtin pp. habe sich die Anordnung auf „Vorschriften der HVOPol“ gestützt (UA S. 8, 14); eine konkrete Bestimmung wurde dabei von ihr nicht genannt. Weiter nach Aussage der Zeugin – der sich die Berufungskammer ohne weitere Erörterung kritiklos angeschlossen hat (UA S. 17) –, seien „in einem BH meistens Metallbügel verarbeitet, die man leicht entnehmen könne und die dann gefährlich sein könnten“ (UA S.17).

Auf diese Behauptungen und Wertungen lässt sich die Maßnahme indessen nicht stützen. Nr. 3 Abs. 1 der Haftvollzugordnung der Polizei (HVPol), die zur Tatzeit in Geltung war (Fassung vom 5. April 1978) und inzwischen außer Kraft ist (seit 1. Mai 2022) ordnete an, dass ein Polizeihäftling sachlich, gerecht und unter Achtung der Menschenwürde zu behandeln sei. Gemäß der auch vom Landgericht herangezogenen Nr. 16 Abs. 1 der HVPol waren Gegenstände des Polizeihäftlings, die u.a. zur Schädigung von Leben und Gesundheit verwendet werden konnten, zu beschlagnahmen; beispielhaft waren Messer, Werkzeuge, Gürtel, Hosenträger u.a. genannt. Nach Nr. 16 Abs. 2 der HVPol war ein Polizeihäftling auf die nach Abs. 1 sicherzustellenden Gegenstände gründlich zu durchsuchen.

Von einer Entkleidung ist in der Verordnung nicht die Rede. Selbst wenn unterstellt wird, dass in einen BH Metallbügel eingearbeitet sein können – worauf sich die Annahme, dies sei „meistens“ der Fall, stützt, ist nicht dargelegt und dürfte auch tatsächlich nicht zutreffen – erschließt sich dem Senat nicht, warum zur Feststellung, ob ein solcher BH von der Angeklagten getragen wurde, deren vollständige Entkleidung notwendig gewesen sein sollte, insbesondere auch der Bekleidung des Unterkörpers, wobei in den Feststellungen nicht einmal mitgeteilt wird, worin diese Kleidung bestand und ob von dieser irgendeine Gefahr ausgehen konnte. Dass es bedeutend mildere Maßnahmen zur Feststellung, ob der BH der Angeklagten im konkreten Fall tatsächlich so beschaffen war, dass er als Werkzeug zur Schädigung von Leben oder Gesundheit hätte verwendet werden können (z.B. Abtasten durch eine weibliche Beamtin unter der Oberbekleidung, ggf. Ablegen des BH unterhalb der Kleidung durch die Angeklagte), liegt auf der Hand. Feststellungen, wonach solche milderen Eingriffe im konkreten Fall nicht möglich gewesen wären, sind nicht getroffen. Die vollständige Entkleidung der Angeklagten – das Gericht teilt in den Feststellungen nicht mit, ob und welche Kleidungsstücke die Angeklagte anbehalten durfte, lediglich aus einer Zeugenaussage ergibt sich, dass sie wenigstens ihren Slip habe anbehalten dürfen (UA S. 15) – stellt sich im Hinblick darauf als grob unverhältnismäßig und als schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Angeklagten dar.

bb) Dass eine, wie von einer Zeugin geschildert, etwaige „allgemeine Anordnung des Polizeipräsidiums“ und „eine seit Jahren bewährte Praxis“ (UA S. 17) nicht geeignet sind, einen derart gravierenden Eingriff wie das vollständige Entkleiden einer in Polizeigewahrsam genommenen Person unabhängig von den Umständen des konkreten Einzelfalls zu rechtfertigen, bedarf keiner weiteren Erörterung. Derartige Faktoren können fehlende gesetzliche Eingriffsgrundlagen nicht ersetzen.

cc) Feststellungen dazu, dass sich die Entkleidung der Angeklagten aus anderen Gründen als zum Zweck der Sicherstellung eines etwaig getragenen Büstenhalters mit eingearbeiteten Bügeln als erforderlich erwiesen habe, sind nicht getroffen. Im Übrigen unterlassen es die Urteilsgründe zudem, mitzuteilen, ob und welche Art von BH von der Angeklagten tatsächlich getragen wurde.

(2) Hinzu kommt schließlich noch, dass die Entkleidung der Angeklagten – bei andauerndem Widerstand ihrerseits – unter Hinzuziehung männlicher Beamter stattgefunden hat, wobei sich zudem ein offener Widerspruch zwischen den Feststellungen (UA S. 8: PHM … sei „in die Zelle gekommen, um zu helfen“) und der erhobenen Beweise (UA S. 14): PHM … [männlich] habe sich zusammen mit PHM … [männlich] und PHM … [männlich] in die Zelle begeben, danach sei der Körper der Angeklagten fixiert worden. Schließlich habe der männliche Beamte … den BH-Verschluss geöffnet (UA S. 15).

Die Beteiligung männlicher Beamter an der Entkleidung der Angeklagten beinhaltet zunächst einen eklatanten Verstoß gegen Nr. 16 Abs. 4 HVPol, welcher anordnet dass, bei der körperlichen Durchsuchung von Frauen Männer nicht einmal anwesend sein durften, was nach dem Gesetzeszweck nicht nur für die Durchsuchung des Körpers, sondern auch für eine Durchsuchung gemäß Nr. 16 Abs. 2 HVPol nach Gegenständen im Sinne der Nr. 16 Abs. 1 HVPol zumindest dann gelten musste, wenn diese Durchsuchung in der Bekleidung vorgenommen wurde oder gar mit deren fast vollständiger Entfernung vom Körper der Betroffenen verbunden war. Zudem liegt gleichzeitig ein Verstoß gegen Art. 21 Abs. 3 PAG in der zur Tatzeit geltenden Fassung vom 24. Juli 2017, insoweit gleichlautend mit der geltenden Fassung, vor, wonach Personen nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärzten durchsucht werden durften. Dies ist nur dann anders, wenn die sofortige Durchsuchung zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist. Dafür, dass diese Voraussetzungen vorgelegen hätten, ergibt sich aus den Feststellungen nicht im Ansatz ein Hinweis. Ob ein BH, der als gefährlicher Gegenstand hätte missbraucht werden können, getragen wurde, hätte sich, wie dargelegt, durch Maßnahmen deutlich geringerer Eingriffsintensität als durch das fast vollständige Entkleiden der Angeklagten unter Beteiligung dreier männlicher Beamter feststellen lassen, ggf. sogar unter Festhaltung der bekleideten Angeklagten durch männliche Beamte und Überprüfung der Beschaffenheit des BHs unter der Oberbekleidung durch eine weibliche Beamtin.

d) Soweit die Angeklagte gegen die Maßnahme des zwangsweisen Entkleidens tätlichen Widerstand geleistet hat, kann sie sich somit wegen deren jedenfalls auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsurteils bestehenden Rechtswidrigkeit weder wegen eines tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte nach § 114 StGB noch – vom Berufungsgericht ohnehin übersehen – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB schuldig gemacht haben. Der Schuldspruch wird vom Revisionsgericht aufgehoben.“