Archiv für den Monat: April 2022

Wieviel Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall? oder: 10.000 EUR sind nach Mittelfuß-OP genug.

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Und heute dann im vorösterlichen Kessel Buntes seit längerem mal wieder etwas zum Schmerzensgeld, und zwar das OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.01.2022 – 1 U 188/20.

Geklagt hat ein seinerzeit 17-Jähriger, der nach einem Verkehrsunfall, der sich am 07.08.2015 ereignet hat, Schadensersatz und weiteres Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls verlangt hat. Der Kläger befand sich vom 07.08.2015 bis 14.08.2015 in stationärer Behandlung, er wurde u.a. am linken Mittelfuß operiert. Die eingesetzten Drähte wurden am 03.11.2015 entfernt. Ob weitere Verletzungen und Verletzungsfolgen eingetreten sind bzw. drohen, ist zwischen den Parteien umstritten.

Gezalt worden sind vorgerichtlich insgesamt 10.000 € als Schmerzensgeld gezahlt.Und das war nach Auffassung des OLG genug:

„2. Dem Kläger ist aus dem streitgegenständlichen Unfall kein den vorgerichtlich bezahlten Betrag von 10.000 € übersteigendes Schmerzensgeld erwachsen.

Aufgrund der erlittenen Verletzungen – mehrere Brüche der Großzehe und zweier Mittelfußknochen am linken Fuß sowie Hämatome im Bereich der Beine und des Bauchs sowie eine Schädelprellung und ein HWS-Distorsion – hat der Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld. Dessen Bemessung orientiert sich an der primären Funktion, dem Geschädigten einen Ausgleich für die Einbußen zu verschaffen. Der Verletzte soll durch das Schmerzensgeld in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht worden sind (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2010, Az. 21 U 14/08, Juris). Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind alle in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, namentlich der Umfang und die Dauer der Schmerzen, verbleibende Behinderungen und Leiden sowie die durch die unfallbedingten Dauerschäden verursachten Beeinträchtigungen in der Lebensführung (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.1994, Az. VI ZR 93/94; BGH, Urteil vom 20.03.2001, Az. VI ZR 325/99; jeweils Juris). Weitere Bemessungskriterien sind etwa die Dauer der stationären Behandlung sowie der Arbeitsunfähigkeit, Operationen und ggfl. die Unübersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufes, insbesondere das Bestehenbleiben von dauernden Behinderungen oder Entstellungen (Senatsurteil vom 18.07.2007, Az. 1 U 80/07).

Die Höhe der Entschädigung darf dabei den aus der Rechtsprechung ersichtlichen Rahmen nicht sprengen, zumal die Belastung letztlich von der Gemeinschaft aller Versicherten zu tragen ist (Senatsurteile vom 18.07.2007, Az. 1 U 80/07, und vom 01.12.1999, Az. 1 U 94/98). Daher muss sich die Höhe des Schmerzensgeldes in das Gesamtsystem der Schmerzensgeldjudikatur einfügen. Aus Gründen der rechtlichen Gleichbehandlung soll die Größenordnung dem Betragsrahmen entsprechen, der in vergleichbaren Fällen zugrunde gelegt worden ist (OLG Hamm, Urteil vom 21.12.2010, Az. 21 U 14/08, Juris Rn. 62). Hiervon ist bei den vorgerichtlich gezahlten 10.000 € auszugehen (vgl. OLG Oldenburg, Urteil vom 03.12.1996, Az. 5 U 104/96; OLG Frankfurt, Urteil vom 31.05.2012, Az. 16 U 169/11; OLG Hamm, Urteil vom 09.11.1998, Az. 32 U 137/98; jeweils Juris). Berücksichtigt ist dabei, dass der Kläger wegen der Fußverletzung mehrfach jeweils für einige Tage stationär behandelt werden musste und er neben den Fußverletzungen auch weitere, offenbar aber folgenlos verheilte Verletzungen am Leib und am Kopf erlitten hatte. Der Sachverständige hat hinsichtlich der bleibenden Beeinträchtigungen des Klägers ausführlich und nachvollziehbar ausgeführt, dass nach der Korrektur der Brüche mittels Kirschner-Drähten nur eine geringgradige Bewegungseinschränkung der beiden betroffenen Zehen verblieben ist, die als solche die Lebensführung des Klägers nicht messbar beeinträchtigt. Die Einlagen für die Schuhe sind zur Behebung einer unfallunabhängigen, vorbestehenden Fußfehlstellung, die inzwischen zu Beschwerden im Bewegungsablauf geführt haben, erforderlich geworden. Prof. Dr. pp. hat zudem darauf hingewiesen, dass eine unfallbedingte Arthrose – zumindest in den Gelenken der betroffenen Zehen – extrem unwahrscheinlich ist. Das grundsätzlich für jedes Gelenk bestehende Arthroserisiko wurde unfallbedingt nicht signifikant erhöht, selbst wenn nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass sich wegen der verbliebenen Fehlhaltung künftig doch in diesen oder anderen Gelenken des Bewegungsapparates unfallbedingt entzündliche Verschleißerscheinungen (Arthrosen) bilden können.

Die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des Landgerichts München vom 7.11.2002 (19 O 15423/00), betrifft einen nicht vergleichbaren Fall. Der dortige Verletzte hatte einen Trümmerbruch am linken Fuß und eine Fraktur der linken Großzehe erlitten. Festgestellt war, dass sich der Zustand des Geschädigten verschlimmern werde und mit orthopädischen Hilfsmitteln sowie mit Korrektur- bzw. Versteifungsoperationen gerechnet werden müsse. Hinzu kam, dass der Verletzte bei seiner Berufsausübung die Unfallfolgen zunehmend spürte, ohne dies kompensieren zu können. Im Streitfall hingegen hat der Sachverständige nicht nur konstatiert, dass ein gutes Heilungsergebnis vorliegt, sondern auch, dass keine Beschwerden mehr auftreten. Bewegungsgedingte Schmerzen konnten bei seiner Untersuchung (5 Jahre nach dem Unfall) nicht mehr ausgelöst werden. Er ist weder einen Muskelrückgang zu verzeichnen noch sind Zehen versteift; ebenso wenig leidet der Kläger an Narbenschmerzen oder anderen Empfindungsstörungen. Seine Fußfehlstellung basiert nach Prof. Dr. pp. nicht auf dem Unfall, sondern war vorher schon dezent ausgeprägt und nötigt in weit größerem Ausmaß als die leicht deformierte Fehlstellung der großen und der 2. Zehe am linken Fuß zum Tragen von Einlagen, um Fehlbelastungen – die Gelenkschäden und Schmerzen zur Folge haben könnten – vorzubeugen.“

Ich habe da mal eine Frage: Wie rechne ich den „Besprechungstermin“ bei der Kammer ab?

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Und dann noch etwas zum Überlegen für die Ostertage, nämlich:

„….

Abrechnungsfrage: Pflichtverteidiger, zwei Wochen vor der Hauptverhandlung findet eine Vorbesprechung in Anwesenheit der Kammer (ohne schöpfen), in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft und des Vertreters der Nebenklage statt.

Zu diesem Termin wurde auch seitens der Kammer geladen..

Nachdem nichts anderes an Gebührenziffern einschlägig ist, habe ich einen Hauptverhandlungstermin abgerechnet. Der Rechtspfleger rügt das jetzt.

Eine Hauptverhandlung war es natürlich nicht, ganz ohne Kosten möchte ich diesen Termin nicht absolviert haben.

Ideen? Entscheidungen?“

Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Adhäsionsverfahren, oder: Miterledigung von Vermögensangelegenheiten

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Und dann die zweite Entscheidung, der OLG Hamm, Beschl. v. 07.03.2022 – 1 Ws 579/21 – zur Abrechnung von Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren. Allerdings wird sich über diesen Beschluss nur der Nebenklägervertreter „gefreut“ haben, der Verteidiger des Angeklagten weniger. Aber die Ausführungen des OLG zur Nr. 4143 VV RVG haben in anderen Fällen auch für Verteidiger positive Auswirkungen-

Folgender Sachverhalt: Gegen den ehemaligen Angeklagten war ein Verfahren wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs anhängig. In dem Verfahren ist die Geschädigte gemäß §§ 395 Abs. 1 Nr. 1, 396 StPO als Nebenklägerin zugelassen und ihr gleichzeitig die für sie bereits im Ermittlungsverfahren tätige Rechtsanwältin als Beistand nach § 397a Abs. 1 Nr. 1 StPO bestellt worden war. Im ersten Hauptverhandlungstermin kam es zu einem Rechtsgespräch (§ 257c StPO), in dem die Vorsitzende der Strafkammer die Zahlung einer Schadenskompensation thematisierte. Nachdem der Verteidiger mitgeteilt hatte, er könne sich eine solche in Höhe eines Betrages von ca. 15.000,00 Euro vorstellen, wies die Kammervorsitzende auf die Möglichkeit einer (ratenweisen) Zahlung der Schadenskompensation im Rahmen einer Bewährungsauflage hin. Darauf erklärte die Nebenklagevertreterin u.a., sie müsse insbesondere mit ihrer Mandantin besprechen, ob der Betrag in Höhe von 15.000,00 Euro für diese in Betracht komme.

Der ehemalige Angeklagte ist dann wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach der im Urteil getroffenen Kosten- und Auslagenentscheidung hat der Verurteilte „die Kosten des Verfahrens, einschließlich der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin“, zu tragen. Gemäß Ziffer 4. des von der Strafkammer am selben Tage gefassten und verkündeten Bewährungsbeschlusses wurde dem Verurteilten auferlegt, „zur Schadenswiedergutmachung und Zahlung auf ein der Geschädigten aufgrund der abgeurteilten Tat zustehendes Schmerzensgeld an die Geschädigte einen Betrag von 17.500 Euro zu zahlen“.

In den durch Kostenfestsetzungsbeschluss des LG festgesetzten Kosten, die von dem Verurteilten an die Nebenklägerin zu erstatten waren, war auch eine 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG in Höhe von 1.372,00 EUR enthalten. Zur Begründung wurde insoweit ausgeführt, die Gebühr sei entstanden, zumal die nach Ziff. 4 des Bewährungsbeschlusses getroffene Zahlungsauflage einen vermögensrechtlichen Anspruch der Geschädigten betreffe, der im Strafverfahren miterledigt worden sei.

Gegen die Festsetzung der 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG hat der Verurteilte sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist der Ansicht, die Gebühr sei nicht entstanden, wobei er u.a. eine Parallele zu dem Gebührentatbestand nach Nr. 4141 VV RVG zieht, der eine abschließende Aufzählung enthalte. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG vorgelegt. Der Vertreter der Staatskasse beim OLG ist der Ansicht, die 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG sei zwar entstanden, aber nicht erstattungsfähig. Das Rechtsmittel hatte beim OLG keinen Erfolg:

„1. Die durch den angefochtenen Beschluss festgesetzte 2,0 Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG (i.d. bis zum 29. Dezember 2020 gültigen Fassung, vgl. dazu nachfolgend) ist entstanden.

Dazu hat das Dez. 10 des Oberlandesgerichts Hamm in der Zuschrift vom 04. Januar 2022 u.a. Folgendes ausgeführt:

„Zur Entstehung:

Da die Nebenklägerin ihre Anwältin in 2020 und damit noch vor Inkrafttreten des KostRÄG 2021 beauftragt hat (II/329, 331), ist gemäß § 60 Abs. 1 RVG das RVG in der Fassung bis Ende 2020 anzuwenden.

Die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG aF entsteht für das erstinstanzliche Verfahren über vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten oder seines Erben.

Die Gebühr entsteht für jeden Rechtsanwalt, der mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt wird, auch für den Nebenklägervertreter, wenn er neben der Vertretung in dem Nebenklageverfahren von dem Verletzten noch mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt wird. Erforderlich ist immer, dass der Rechtsanwalt ausdrücklich auch für die Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen beauftragt wird (BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 1 c ff.).

Die Gebühr entsteht aber nicht nur, wenn ein Adhäsionsverfahren im eigentlichen Sinne anhängig ist. Sie entsteht auch, wenn vermögensrechtliche Ansprüche im Strafverfahren lediglich miterledigt werden.

Als Verfahrensgebühr verdient der Rechtsanwalt die Gebühr für das „Betreiben des Geschäfts“ [vgl. Teil 4 Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG a.F. – Anm. des Senats]. Abgegolten werden auch die Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf das Adhäsionsverfahren im Hauptverhandlungstermin und zu dessen Vorbereitung erbringt. Es kommt aber nicht darauf an, dass der Rechtsanwalt gegenüber dem Gericht tätig wird (Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn. 6 ff; BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 5); es muss also auch kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt sein (BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 5; Toussaint/Felix, 51. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn. 17).

Die als Verfahrensgebühr ausgestaltete Wertgebühr entsteht für jeden mit der Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen im Strafverfahren beauftragten Rechtsanwalt mit dem Betreiben des Geschäfts. Dies können neben der Beschaffung der Information durch das Gespräch mit dem Mandanten und die Beratung des Mandanten auch Tätigkeiten bei der Frage der Schadenswiedergutmachung als Bewährungsauflage sein (BeckOK RVG/Knaudt, 54. Ed. 1.12.2021, RVG VV 4143 Rn. 3, 4).

Es genügt, wenn der Rechtsanwalt im Vorfeld eines beabsichtigten Adhäsionsantrags Informationen einholt oder wenn er in der Hauptverhandlung einen Vergleich abschließt, auch ohne dass zuvor ein förmlicher Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO gestellt wurde (Riedel/Sußbauer RVG/Kremer, 10. Aufl. 2015, RVG VV 4143 Rn. 9). Zu den Tätigkeiten kann die Prüfung der Anspruchshöhe, die Beratung des Mandanten oder auch die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen gehören (Toussaint/Felix, 51. Aufl. 2021, RVG VV 4143 Rn. 16).

Die Gebühr verbleibt dem Anwalt auch, wenn das Gericht von einer Entscheidung über den vermögensrechtlichen Anspruch absieht, weil sich der vermögensrechtliche Anspruch für eine Entscheidung im Strafverfahren nicht eignet (Riedel/Sußbauer RVG/Kremer, 10. Aufl. 2015, RVG VV 4143 Rn. 10)“.

Diesen vollumfänglich zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Danach ist die verfahrensgegenständliche Gebühr jedenfalls im Rahmen des am 14. Januar 2021 geführten Rechtsgesprächs mit der Aufnahme der Informationen hinsichtlich der Schadenskompensation bzw. des Schmerzensgeldes entstanden, worauf gleichfalls das hiesige Dezernat 10 in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat. Denn die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VV RVG a.F. entsteht – wie hier – im Falle der Beauftragung mit der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Strafverfahren bereits mit der ersten (darauf gerichteten) Tätigkeit des Rechtsanwalts (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 14. September 2009 zu 1 Ws 343/09, zitiert nach juris Rn. 18).

Da die Gebühr bereits durch das Betreiben des Geschäfts entsteht, ist die verbindliche Erledigung von vermögensrechtlichen Ansprüchen, insbesondere durch einen gerichtlichen Vergleich oder einen Vertrag, auch dann, wenn – wie hier ¬kein förmlicher Adhäsionsantrag gestellt wird, nicht erforderlich (a.A. LG Hanau, Beschluss vom 02.September 2014 zu 3 Qs 68/14, BeckRS 2015, 7829 Rn. 20, wonach „ein formloses Thematisieren etwaiger zivilrechtlicher Ansprüche ohne verbindliche Erledigung selbiger ohne das Vorliegen eines Adhäsionsantrages nicht zum Entstehen der Gebühr führen kann“.)…..“

Mitwirkung des Rechtsanwalts an der Einstellung?, oder: „Mein Mandant wird derzeit schweigen…“

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Heute ist zwar Karfreitag, aber ich stelle trotz des Feiertages dann wie üblich Gebührenentscheidungen vor. Herausgesucht habe ich „richtige“ Entscheidungen, quasi „kleine Ostereier“ 🙂 .

Ich starte mit dem AG Strausberg, Urt. v. 24.03.2022 – 9 C 166/21, das mit der Kollege Nowak aus Strausberg geschickt hat. Der Kollege ist von der Rechtsschutzversicherung seines ehemaligen Mandanten auf Rückzahlung eines Teilbetrages in Höhe von 190,40 EUR (Nr. 5115 VV RVG zuzüglich anteiliger USt) aus einem von der Versicherung geleisteten Vorschlusses aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1. BGB. in Anspruch genommen worden. Die Klage hatte keinen Erfolg:

„1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Vorschlusses i.H. eines Teilbetrages von 190,40 € aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB. Ein hierauf gerichteter Anspruch scheitert bereits daran, dass der Beklagte nicht passivlegitimiert ist. Im Übrigen hat die Klägerin nicht ohne Rechtsgrund (an die Versicherungsnehmerin ) geleistet.

a) Bei der Vorschusszahlung der Klägerin handelt es sich um eine Leistung kraft Anweisung.

Die Versicherungsnehmerin hat, vertreten durch den Beklagten, die Klägerin angewiesen, die fällige Versicherungsleistung an den Beklagten zu zahlen. Mit dem Vollzug dieser Anweisung wollte die Klägerin ihre im sogenannten Deckungsverhältnis fällige Verbindlichkeit aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag gegenüber der Versicherungsnehmerin erfüllen.

Die Versicherungsnehmerin wollte durch den Vollzug der der Klägerin erteilten Weisung ihre im sogenannten Valutaverhältnis fällige Verbindlichkeit aus dem Rechtsbesorgungsvertrag gegenüber dem Beklagten tilgen. Die Parteien des Rechtsstreits stehen zueinander nur im sogenannten Vollzugsverhältnis und haben miteinander keine bereicherungsrechtlich relevante Leistungsbeziehung. In Anweisungsfällen muss der Bereicherungsausgleich aber nach ständiger Rechtsprechung (u.a. BGH. NJW 2003, 582; BGH. NJW 2004, 1315; BGH. NJW 2008, 2331) innerhalb der jeweiligen Leistungsverhältnisse erfolgen. Etwaige vertragliche Regelungen zwischen der Klägerin und der Versicherungsnehmerin, die eine unmittelbare Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs gegen den Beklagten zulassen, sind nicht ersichtlich.

b) Selbst wenn der Beklagte der richtige Anspruchsgegner wäre, stünde der Klägerin der geltend gemachte Rückerstattungsanspruch nicht zu. Denn die im Streit stehende Erledigungsgebühr nach Nr. 5115 VV RVG ist, da das gegen die Versicherungsnehmerin vor der Verwaltungsbehörde eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren durch die Mitwirkung des Beklagten endgültig eingestellt worden ist, entstanden.

Der Beklagte hat sich mit Schreiben vom 29.09.2018 an die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg gewandt, die Vertretung der Frau angezeigt, um Akteneinsicht gebeten und darüber hinaus erklärt, dass seine Mandantschaft derzeit von ihrem Schweigerecht Gebrauch macht und eine Stellungnahme gegebenenfalls binnen drei Wochen nach Gewährung vollständiger Akteneinsicht erfolgt. Durch dieses Schreiben hat der Beklagte bei der endgültigen Einstellung des Verfahrens mitgewirkt. Denn der Inhalt des Schreibens war objektiv geeignet, die endgültige Verfahrenseinstellung zu fördern. Der Umstand, dass es in dem anwaltlichen Schreiben heißt, die Mandantschaft werde derzeit von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen, ändert hieran nichts. Anhand der Äußerung war nämlich zu vermuten, dass sich die Betroffene nach der Akteneinsicht auch weiterhin und damit endgültig auf ihr Schweigerecht berufen würde, wenn sich nach der durch den Beklagten genommenen Akteneinsicht externe Beweismöglichkeiten nicht abzeichnen würden, die Bußgeldstelle also allein auf die Bestätigung durch die Betroffene angewiesen wäre. Der Bußgeldstelle war folglich schon nach dieser Äußerung eine umfassende Würdigung der Beweislage möglich, die offenkundig die Entscheidung über die endgültige Verfahrenseinstellung beeinflusste. Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann daher auch der konkreten Äußerung des Beklagten im vorliegenden Fall die erforderliche objektive Eignung der Förderung einer endgültigen Verfahrenseinstellung nicht abgesprochen werden.“

Ähnlich AG Augsburg, Urt. v. 20.12.2021 – 21 C 2535/21– …..

Vollstreckung III: Rechtliches Gehör gewährt?, oder: Spätestens bei der mündlichen Anhörung

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Und als dritte Entscheidung zum Vollstreckungsrecht dann noch der KG, Beschl. v. 29.12.2021 – 2 Ws 147/21 – zum rechtliches Gehör im Vollstreckungsverfahren.

Die Strafvollstreckungskammer hat eine „Zwei-Drittel-Entlassung“ auf Bewährung abgelehnt. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel des Verurteilten hatte Erfolg:.

„Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem durchgreifenden Verfahrensfehler.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:

„Soweit die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Reststrafen zur Bewährung abgelehnt hat, ist ihre Entscheidung verfahrensfehlerhaft zustande gekommen und kann daher keinen Bestand haben; denn sie hat ihre Entscheidung ohne ausreichende Anhörung des Verurteilten getroffen.

Der Zweck der gemäß § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO zwingend erforderlichen Anhörung des Verurteilten liegt zum einen in der Gewährung rechtlichen Gehörs, zum anderen darin, den Sachverhalt zu ermitteln und sich durch einen unmittelbaren und aktuellen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten eine zuverlässige Entscheidungsgrund-lage zu verschaffen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 19. September 2012 – 2 Ws 269 – 270/12 –, juris, m. w. N.). Daher müssen spätestens im Zeitpunkt der mündlichen Anhörung dem Verurteilten die Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt und der Staatsanwaltschaft bekannt sein oder bekannt gemacht werden, insbesondere so-weit darin belastende Umstände, die entscheidungserheblich sind, enthalten sind (vgl. KG a.a.O.). Diesen Anforderungen wird das Verfahren der Kammer nicht gerecht.

Die Kammer hat das rechtliche Gehör des Verurteilten in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem sie aufgrund von Tatsachen entschieden hat, zu denen er in der mündlichen Anhörung nicht gehört werden konnte, weil sie zu diesem Zeitpunkt allen Beteiligten noch unbekannt waren. Denn sie hat ihrer Entscheidung die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Tegel vom 3. Dezember 2021 zugrunde gelegt, die nach dem glaubhaften Vortrag des Verteidigers nicht Gegenstand der am selben Tage durchgeführten mündlichen Anhörung war und nach Aktenlage weder dem Verurteilten noch dem Verteidiger vor der Anhörung bekannt gemacht worden ist. Vielmehr dürfte die Stellungnahme, die erst am 3. Dezember 2021 um 15:47 Uhr von der Justizvollzugsanstalt versandt wurde, ausweislich des Protokolls der Anhörung erst nach dem Anhörungstermin bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen sein. Die Stellungnahme vom 3. Dezember 2021 entsprach zwar in weiten Teilen der vorangegangenen Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 13. August 2021, die Gegenstand der Erörterungen im Anhörungstermin war. Sie enthielt indes auch neue entscheidungserhebliche Gesichtspunkte. Dies gilt insbesondere für die Ausführungen zu den Stimmungsschwankungen und Verhaltensweisen des Verurteilten. Der Fehler hat sich auch auf die Entscheidung ausgewirkt; denn die Strafvollstreckungs-kammer hat die Stellungnahme vom 3. Dezember 2021 – was sich aus deren voll-ständiger Einrückung in den Beschluss ergibt – auch auf die erst in der neuen Stellungnahme mitgeteilten Tatsachen gestützt.

Unter diesen Umständen wird die Anhörung ihrem Zweck, dem entscheidenden Gericht einen aktuellen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten zu verschaffen, nicht mehr gerecht.

Das Beschwerdegericht kann in der Sache entgegen § 309 Abs. 2 StPO nicht selbst entscheiden. Zwar kann das rechtliche Gehör grundsätzlich im Beschwerdeverfahren nachgeholt werden (vgl. KG a.a.O.). Vorliegend ist die Zurückverweisung jedoch unumgänglich, weil das Landgericht die nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO zwingend vor-geschriebene mündliche Anhörung des Verurteilten nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat und dies einen im Beschwerderechtszug nicht heilbaren Verfahrensmangel darstellt (vgl. KG a.a.O.).“

Diese Ausführungen treffen zu. Der Senat schließt sich ihnen an.“