Archiv für den Monat: Juni 2020

Pflichti III: Anreise von Mannheim nach Detmold zur Besprechung, oder: Übernahme der Übernachtungskosten?

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Author User: Mattes

Die dritte und letzte Entscheidung kommt heute vom BGH. Der BGH, Beschl. v.05.05.2020 – 3 BGs 372/20 – befasst sich mit den Reisekosten des Pflichtverteidigers. Der Kollege Endlet, der mir den Beschluss geschickt hat, hat seinen Kanzleisitz in Mannheim. Er verteidigt in einem Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Der Mandant sitzt in der JVA Detmold ein. Der Kollege hat – ich will es mal kurz ausdrücken – „Reisekostenvorschuß“ für Besprechungstermine mit dem Mandanten beantragt, insbesondere also die Übernachtungskosten.

Der Ermittlungsrichter beim BGH hat die zumindest für eine Reise bewilligt:

“ ….. Mit Schriftsatz vom 3. April 2020 beantragt der Pflichtverteidiger festzustellen, dass er bei Haftbesuchen am Vortag anreisen und zum ortsüblichen Tarif in einem Hotel in Detmold übernachten darf. Auf die dem Antrag entgegentretende Stellungnahme des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 8. April 2020 ergänzt der Pflichtverteidiger seinen Vortrag mit Schriftsatz vom 17. April 2020.

Il.

Der Antrag ist in dem aus dem Entscheidungsausspruch ersichtlichen Umfang begründet.

Gemäß § 46 Abs. 2 RVG kann ein Rechtsanwalt schon vor dem Anfall von Auslagen die Feststellung beantragen, dass Aufwendungen erforderlich sind; eine positive Feststellung entfaltet Bindungswirkung für das Kostenfestsetzungsverfahren.

Eine Reise des Pflichtverteidigers zu den beantragten Konditionen war als erforderlich im Sinne von § 46 Abs. 1 RVG anzuerkennen und daher zu genehmigen. Eine persönliche Besprechung des Pflichtverteidigers mit dem Beschuldigten ist zur Wahrnehmung der Verteidigung notwendig. Gerichtsbekannt sind derzeit Besuche in Justizvollzugsanstalten auch für Verteidiger nur eingeschränkt möglich; gleichwohl ist eine hinreichende Besprechungszeit mit dem Beschuldigten zu gewährleisten.

Allerdings besteht auch unter Zugrundelegung des Vortrags des Pflichtverteidigers kein rechtfertigender Grund, generell und unbeschränkt die Durchführung von persönlichen Besprechungsterminen unter Anreise am Vortag — also mit Übernachtung — zu genehmigen und damit als erforderlich festzustellen.“

Pflichti II: Kein Sicherungsverteidiger wegen Corona-Pandemie, oder: Aber Rechtsmittel zulässig

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den OLG Hamm, Beschl. v. 05.05.2020 – 4 Ws 94/20. Den hat der Kollege Urbanzyk aus Coesfeld erstritten.

In dem Verfahren, in dem der Kollege tätig war – Vorwur der sexuellen Nötigung – ist ein Sicherungsverteidiger beantragt worden (jetzt § 144 StPO). Begründet worden ist das mit der Corona-Pandemie und dem Risiko, dass ggf. Verfahrensbeteiligte, also auch der Verteidiger, nicht (weiter) an der Hauptverhandlung teilnehmen können. Das hat das LG abgelehnt. Dagegen die sofortige Beschwerde, die das OLG zurückgewiesen hat. Hier die Begründung, wobei es mir um die Ausführungen des OLG zur Zulässigkeit des Rechtsmittels geht:

„Der Senat nimmt gleichfalls Bezug auf die zutreffenden Erwägungen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft. Ohne weitere Anhaltspunkte (etwa konkrete Krankheitsverdachtsfälle im näheren Umfeld des ersten Pflichtverteidigers o.ä.) ergibt sich derzeit aus der Ansteckungsgefahr mit der Covid-19-Erkrankung kein Risiko, welches nennenswert über das allgemeine Risiko, dass Verfahrensbeteiligte krankheitsbedingt an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen können, hinausgeht. Die Zahl der Infektionen bzw. Neuinfektionen war und ist – bezogen auf die Gesamtbevölkerung – sehr gering. Zudem bestünde selbst im Falle einer Infektion angesichts des meist milden Krankheitsverlaufs und – nach derzeitigem Stand – nach dem Ablauf von zwei Wochen nach einer Infektion nicht mehr bestehender Ansteckungsgefahr eine erheblich überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die Hauptverhandlung bei krankheitsbedingtem Ausfall einzelner Hauptverhandlungstage immer noch innerhalb der Fristen des § 229 StPO fortgesetzt werden kann.

Ergänzend bemerkt der Senat, dass das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 144 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 142 Abs. 7 StPO auch in den Fällen statthaft ist, in denen die erstmalige Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers (Sicherungsverteidigers) abgelehnt wurde. Zwar spricht die Einordnung der Regelung über die Geltung des § 142 Abs. 7 StPO als S. 2 von § 144 Abs. 2 StPO zunächst einmal dafür, dass sich der Verweis auch nur auf Rechtsmittel gegen Entscheidungen nach § 144 Abs. 2 S. 1 StPO (also die Aufhebung der Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers) bezieht. Abgesehen davon, dass kein vernünftiger Grund erkennbar ist, warum die Bestellung oder Nichtbestellung eines (ersten) Pflichtverteidigers nach § 142 Abs. 7 StPO sowie die Aufhebung der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers, nicht aber die Bestellung oder Ablehnung der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anfechtbar sein soll, geht der Gesetzgeber selbst von einer entsprechenden Anfechtbarkeit aller dieser Fälle aus (BT-Drs. 19/13829 S, 50; vgl. auch: Beck-OK-StPO-Krawczyk, 36. Ed., § 144 Rdn. 12).

Der Angeklagte hat auch ein Rechtsschutzinteresse bzgl. eines Rechtsmittels gegen die Nichtbestellung eines Sicherungsverteidigers. § 144 Abs. 1 StPO dient nicht nur dem öffentlichen Interesse der Verfahrenssicherung im Sinne einer effektiven Strafrechtspflege, sondern auch dem Interesse des Angeklagten an der Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes (vgl. BT-Drs. 19/13829 S, 49 f.).“

Pflichti I: Nachträgliche Beiordnung?, oder: Nach wie vor nicht beim KG

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Heute stelle ich dann wieder drei Entscheidungen vor, die mit Pflichtverteidigungsfragen zu tun haben.

An der Spitze der KG, Beschl. v. 09.04.2020 – 2 Ws 30-31/20 – zur (nachträglichen) Auswechslung des Pflichtverteidigers. Ergangen ist der Beschlussin einem Verfahren, in dem um Fortdauer der Sicherungsverwahrung gestrittetn wird. Die wird gegen den Veruretilten seit März 2007 vollstreckt. In der Folgezeit hat die Strafvollstreckungskammer jeweils die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet, zuletzt mit Beschluss vom 12. 06.2019. Diese Entscheidung hat das KG durch Beschluss vom 19.09.2019 – 2 Ws 124/19 – bestätigt. Mit Beschluss vom 12.02.2020 hat die Strafvollstreckungskammer erneut die Fortdauer der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richtet sich u.a. die sofortige Beschwerde.

Zudem hat das LG mit weiterem Beschluss vom 12.02.2020 einen Antrag auf Entlassung „seines bisherigen und Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers“ zurückgewiesen. Die Entscheidung hat der Sicherungsverwahrte mit dem Rechtsmittel der (einfachen) Beschwerde angefochten. Das Rechtsmittel, um das hier geht, hatte keinen Erfolg:

„Die – gemäß § 300 StPO als sofortige Beschwerde auszulegende – Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthaft und rechtzeitig erhoben (§ 311 Abs. 2 StPO). Sie ist jedoch teils unzulässig und im Übrigen unbegründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu u.a. ausgeführt:

„Soweit sie sich gegen die Ablehnung der Entlassung des bisherigen und Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers im Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer wendet, ist sie mangels Beschwer unzulässig. Denn eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für das im Rechtszug abgeschlossene Verfahren ist unzulässig (vgl. KG, Beschluss vom 16. März 2015 – 4 Ws 30/15 –).“

Diese Ausführungen macht sich der Senat zu eigen und weist ergänzend auf Folgendes hin:

a) Soweit sich die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Entlassung des bisherigen und Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers auf das erstinstanzliche Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer bezieht, ist sie – wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat – unzulässig. Denn die für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels erforderliche Beschwer des Rechtsmittelführers (vgl. BGHSt 28, 327, 330; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., vor § 296 Rn. 8) setzt voraus, dass die ergangene Entscheidung einen unmittelbaren Nachteil für den betroffenen Verfahrensbeteiligten bewirkt, seine Rechte und geschützten Interessen unmittelbar beeinträchtigt und die Beseitigung eines unzutreffenden Beschlusses dem Beschwerdeführer die Aussicht auf eine andere, ihm günstige Entscheidung eröffnet (vgl. BGHSt 27, 290, 293; Senat, Beschlüsse vom 21. November 2017 – 2 Ws 182/17 – mwN und vom 15. Dezember 2014 – 2 Ws 379/14 – jeweils mwN). Vorliegend war das Verfahren über die Fortdauer der Unterbringung im ersten Rechtszug mit der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer abgeschlossen.

Der Senat hält an der nach wie vor herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung fest, nach der eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für ein abgeschlossenes Verfahren (vgl. BGH, NStZ-RR 2009, 348; NStZ 1997, 299; Senat aaO mwN) oder einen abgeschlossenen Instanzenzug (vgl. KG, Beschluss vom 16. März 2015 aaO) unzulässig ist und zwar auch dann, wenn der Beiordnungsantrag – wie hier – rechtzeitig gestellt wurde (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24. Oktober 2012 – 3 Ws 215/12 – juris; KG Beschlüsse vom 30. September 2014 – 4 Ws 84/14 –, 12. Januar 2011 – 3 Ws 13/11 – und 4. November 2009 – 3 Ws 717/09 –; Senat StV 2007, 372, 373). Denn die Bestellung des Pflichtverteidigers dient nicht dem Kosteninteresse des Betroffenen oder seines Verteidigers, sondern verfolgt allein den Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist (vgl. OLG Hamm aaO; Senat StV 2007, 372, 373 mwN; Beschlüsse vom 21. November 2017 aaO und 15. Dezember 2014 aaO).

b) Nach § 143 Abs. 1 StPO – neugefasst durch das am 13. Dezember 2019 in Kraft getretene Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 ( I S. 2128) – endet die Bestellung des Pflichtverteidigers erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Da die Bestellung des Pflichtverteidigers dementsprechend über den Abschluss des ersten Instanzenzuges hinaus andauert, ist der Sicherungsverwahrte durch die ablehnende Entscheidung der Strafvollstreckungskammer insoweit beschwert, als diese die Pflichtverteidigerbestellung für die noch nicht abgeschlossene Beschwerdeinstanz betrifft.

Insoweit ist die sofortige Beschwerde jedoch aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses unbegründet. Der Senat merkt insoweit lediglich an, dass § 143 StPO n.F. keine Regelung zur Zurücknahme der Bestellung eines Pflichtverteidigers mehr enthält, sondern nunmehr § 143a StPO n.F. den Verteidigerwechsel regelt. An den inhaltlichen Ausführungen der Strafvollstreckungskammer ändert dies indes nichts.“

Nun ja, das war letztlich zu erwarten. Man wird also wie bisher zwei Richtungen/Meinungen haben: Einmal die OLG, die an der alten Rechtsprechung trotz der Neuregelungen festhalten und die LG, die – nach wie vor und m.E. zutreffend – die nachträgliche Beiordnung für zulässig halten. Unschön.

Versuch III: Versuch durch Verstecken der Beute zur späteren Mitnahme?, oder: „…..jetzt geht es los?“

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Und als dritte Entscheidung zum Versuch stelle ich dann den OLG Dresden, Beschl. v. 28.05.2020 – 2 OLG 22 Ss 369/20 – vor, den mit der Kollege Windisch aus Zwickau geschickt hat.

Das LG hat den Angeklagten auf der Grundlage folgender Feststellungen wegen Versuchs des Diebstahls verurteilt:

„Das Landgericht hat festgestellt, dass sich der Angeklagte am 28. Juli 2018 durch Übersteigen des Zaunes auf das umzäumte Werksgelände der Kommunalentsorgung Chemnitzer Land GmbH (KECL) in Glauchau begeben hatte, um dort nach stehlenswerten Sachen zu suchen. Aus einem Container mit Elektroschrott entnahm er diverse Bauteile (Computer, Beleuchtung, Flachbildmonitor u.a.) mit einem wirtschaftlichen Gesamtwert von nicht mehr als 25,- € und legte die Gegenstände unter einer im hinteren Bereich des Werksgeländes gelegenen Überdachung für eine spätere Mitnahme bereit. Zu dieser kam es nicht mehr, weil der Angeklagte von Beamten der herbeigerufenen Polizei noch auf dem Gelände festgenommen wurde.“

Das OLG hat das anders gesehen und den Angeklagten auf dessen Revision hin frei gesprochen:

„1. Das festgestellte Tatgeschehen erfüllt nicht die Voraussetzungen eines versuchten Diebstahls gemäß §§ 242 Abs. 1 und Abs. 2, 243 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB. Es fehlt an einem unmittelbaren Ansetzen zum Versuch im Sinne des § 22 StGB. Die Handlung des Angeklagten ist lediglich als straflose Vorbereitungshandlung zu bewerten.

a) Nach § 22 StGB versucht eine Straftat, wer nach seiner Tatvorstellung zur Verwirklichung des Tatbestands unmittelbar ansetzt. Der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmales bedarf es hierfür nicht.

Es genügt vielmehr, dass der Täter solche Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Merkmals des gesetzlichen Tatbestandes vorgelagert sind und unmittelbar in die tatbestandliche Handlung einmünden (vgl. BGH, MDR 1979, 152; NStZ 1993, 133; NStZ 1993, 398; NStZ 2001, 415; NStZ 2006, 331; NStZ 2008, 209; NStZ 2014, 447; NJW 2014, 1463; NJW 2014, 1463; KG, BeckRS 2013, 00392); OLG Hamm, BeckRS 2009, 24585). Der Versuch einer Straftat erstreckt sich damit auch auf Gefährdungshandlungen, die nach der Vorstellung des Täters in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen (vgl. BGH, a.a.O., sowie NStZ 1986, 20; NStZ 1987, 20; NStZ 1989, 473; NStZ 1993, 289; wistra 2008, 105; KG, a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).

Für die Annahme eines versuchten Diebstahls kommt es deshalb darauf an, ob der Täter bereits im Sinne des § 22 StGB unmittelbar zum Gewahrsamsbruch angesetzt hat (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 242 Rdnr. 68). Voraussetzung ist, dass er subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und der Täter objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht (vgl. BGH, a.a.O., sowie NStZ 1999, 395; KG, a.a.O.).

b) Angesichts der Vielzahl denkbarer Sachverhaltsgestaltungen bedürfen diese abstrakt-generellen Maßstäbe zur Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium stets einer wertenden Konkretisierung unter Beachtung der Umstände des Einzelfalles. Hierbei können etwa der Grad der Rechtsgutsgefährdung, der aus Sicht des Täters durch die zu beurteilende Handlung bewirkt wird, oder die Dichte des Tatplans Bedeutung gewinnen (vgl. BGH, NStZ 2006, 331; NJW 2014, 447; KG, BeckRS 2013, 00392).

Auch sind bei der Abgrenzung zwischen Vorbereitungs- und Versuchsstadium die strukturellen Besonderheiten des jeweiligen Tatbestandes zu berücksichtigen. Die Feststellung allein, dass der Täter durch seine Tatbeiträge eine objektive Gefahr für das anzugreifende Rechtsgut begründet hat, genügt für die Annahme eines unmittelbaren Ansetzens zum Versuch nach § 22 StGB nicht (vgl. BGH, NStZ 1986, 20; NStZ 1987, 20; NStZ 1989, 473).

c) Nach diesen Maßstäben hatte der Angeklagte noch nicht unmittelbar zum Versuch eines Diebstahls – insbesondere zu einem Gewahrsamsbruch – im Sinne des § 22 StGB angesetzt, als er von der Polizei gestellt und hierdurch an einer weiteren Umsetzung seines Tatplanes gehindert wurde.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen weder subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschritten, noch war er bei der Umsetzung seines Tatplanes objektiv so weit fortgeschritten, dass sein Tun ohne wesentliche Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergehen konnte. Hierzu hätte es vielmehr noch eines weiteren Willensimpulses bedurft.

Indem der Angeklagte die Elektroschrottgeräte aus dem Container nahm und sie unter die Überdachung im hinteren Bereich des Werksgeländes verbrachte, hatte er den Gewahrsam der Berechtigten noch nicht gebrochen.

Gewahrsam ist die von einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Für die Beurteilung kommt es entscheidend auf die Anschauungen des täglichen Lebens und die Verkehrsauffassung an (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 1971, Az. 1 StR 461/70, juris; BGHSt 16, 271; BGH, NJW 1968, 662; NStZ 2014, 40; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 1335; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 140). Gewahrsamsbruch ist die gegen oder ohne den Willen des Gewahrsamsinhabers erfolgende Aufhebung der tatsächlichen Sachherrschaft (vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922; OLG Hamm a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Das bloße Bereitstellen oder Bereitlegen einer Sache innerhalb der Sphäre des Gewahrsamsinhabers zum späteren Abtransport reicht in der Regel weder zur Entziehung des Gewahrsams des Berechtigten (Gewahrsamsbruch), noch zur Gewahrsamserlangung des Täters (Begründung eigenen Gewahrsams) aus. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Sache versteckt, die endgültige Erlangung aber noch mit Schwierigkeiten, etwa dem Überwinden eines weiteren Hindernisses, verbunden ist (vgl. BGH, NJW 1955, 71 [Mauer]). Versteckt der Täter die Sache zunächst innerhalb des Herrschaftsbereiches des Gewahrsamsinhabers, um sie bei späterer Gelegenheit mitzunehmen, so kommt es darauf an, ob nach den Umständen des konkreten Einzelfalles die Zugriffsmöglichkeit des Gewahrsamsinhabers durch das Verbergen tatsächlich schon vereitelt bzw. aufgehoben ist und der spätere Abtransport nur noch der endgültigen Sicherung einer tatsächlich schon erlangten Sachherrschaft des Täters darstellt (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; LG Potsdam, NStZ 2007, 336; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 242 Rdnr. 19).

aa) Die Überdachung auf dem Werksgelände ist der Gewahrsamssphäre des Berechtigten zuzuordnen. Die Elektroteile befanden sich dort zwar nicht an dem durch den Berechtigten für sie vorgesehenen Platz (Container). Die Zugriffsmöglichkeit des Berechtigten war aber durch das Verbringen der Gegenstände unter das Dach weder schon tatsächlich vereitelt noch aufgehoben. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Gewahrsam einen so genannten Beherrschungswillen des Berechtigten voraussetzt, lag in dem Verbringen der Gegenstände unter das Dach noch kein Gewahrsamsbruch. Für die Annahme eines solchen Beherrschungswillens reicht nämlich ein genereller Sachbeherrschungswille hinsichtlich sämtlicher Gegenstände innerhalb der Sphäre des Berechtigten ohne aktuelles Bewusstsein aus (vgl. OLG Hamm, a.a.O.; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 242 Rdnr. 30; Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 242 Rdnr. 71). Dieser erstreckte sich auf sämtliche Gegenstände auf dem Werksgelände und zwar unabhängig davon, wo sie lagern.

bb) Zudem befanden sich die Gegenstände nach den Feststellungen des Landgerichts zu keinem Zeitpunkt in einer so genannten Gewahrsamsenklave des Angeklagten. Eine solche wird angenommen, wenn der Täter kleine Gegenstände innerhalb der Sphäre des Berechtigten in seine Kleidung oder in eine mitgebrachte Tasche steckt (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2015 – 2 OLG 22 Ss 14115 -, juris, Rdnr. 6 m.w.N.; OLG Düsseldorf, NJW 1988, 922), auch wenn er die mitgebrachte Tasche bis zur späteren Abholung in der fremden Gewahrsamssphäre zurücklässt (vgl. OLG Hamm a.a.O.).

Verbringt ein Täter dagegen handliche Elektrogeräte oder -teile lediglich an einen anderen Ort auf dem Gelände des Geschädigten, wird hierdurch mangels Gewahrsamsraums des Täters als Gewahrsamserwerbers sowie mangels einer damit einhergehenden engen Beziehung zur Sache noch keine Gewahrsamsenklave begründet, selbst wenn er die Sachen versteckt (vgl. OLG Hamm a.a.O.). So liegt der Fall hier. Das Dach, unter dem der Angeklagte die in Aussicht genommene Tatbeute zwischenlagerte, ist nicht als Gewahrsamsraum anzusehen, der dem Angeklagten zuzuordnen wäre.

cc) Auch ein Gewahrsamsbruch nach dem sozial-normativ geprägten Gewahrsams-begriff, auf den teilweise ergänzend abgestellt wird (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 140), scheidet aus. Gewahrsam an einer Sache hat danach derjenige, in dessen Tabubereich sich die Sache befindet. Der Bruch fremden Gewahrsams setzt nach diesem Verständnis voraus, dass die fremde Sache aus der generellen Gewahrsamssphäre, dem Tabubereich, des bisherigen Gewahrsalmsinhabers fort-geschafft wurde, in den Tabubereich eines anderen verbracht worden ist und die Rückgewinnung des Gewahrsams durch den bisherigen Inhaber deshalb sozial auffällig und rechtfertigungsbedürftig wäre (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).“

Wie im Lehrbuch 🙂

Versuch II: Ankauf von geklauten Zigaretten, oder: Versuchsbeginn bei der Hehlerei

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In der zweiten Entscheidung zum Versuch, dem KG, Beschl. v. 05.03.2020 – (2) 161 Ss 190/19 (41/19) – setzt sich das KG mit dem  Versuchsbeginn bei  der Hehlerei (§ 259 StGB) auseinander.

Es geht um das Tatbestandsmerkmal des Ankaufens. Der Angeklagte hatte sich bei den Tätern eines Einbruchdiebstahls bereit erklärt, Zigaretten aus deren Einbruchsdiebstahlstaten anzukaufen, um sie weiterzuverkaufen. Und weiter:

Am Morgen des 16. Juni 2016 bot der gesondert Verurteilte B. dem Angeklagten zuvor aus dem Geschäft des Geschädigten J. in der F… chaussee  in Berlin entwendete Tabakwaren im Wert von bis zu etwa 18.000 Euro zum Kauf an. Der Angeklagte erklärte sich in Kenntnis der Herkunft der Ware aus einer Straftat grundsätzlich zum Ankauf bereit und bestellte den gesondert Verfolgten B. zum Abschluss des Geschäfts mit den Worten „Kommst du hier in B… Straße, ich bin da.“ telefonisch zu sich. Der gesondert Verurteilte B. fragte nach „Wo letzte Mal war?“, was der Angeklagte mit „Gestern warst du da.“ bestätigte. Ob es in der Folge zum Ankauf der entwendeten Tabakwaren oder jedenfalls eines Teiles von diesen kam, konnte die Kammer nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen. Dementsprechend konnte die Kammer auch nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen, ob es zu dem vom Angeklagten beabsichtigten, gewinnbringenden Weiterverkauf der gestohlenen Tabakwaren in einem seiner Geschäfte kam.

3. Am Nachmittag des 2. August 2016 bot der gesondert Verfolgte B. dem Angeklagten zuvor aus dem „… Shop“ in der S…Allee in Berlin entwendete Tabakwaren im Umfang von etwa achtzig bis einhundert Stangen Zigaretten zu einem nicht bekannten Preis zum Kauf an. Der Angeklagte bestellte den gesondert Verurteilten B., der angab, dass er die Ware noch nicht gezählt habe, dies aber beim Angeklagten noch tun wolle (wörtlich sagte B. zu den angebotenen Tabakwaren „aber habe nicht gezählt, da muss noch zählen da, ja? Nichts, nicht viel achtzig oder so bis hundert.“) in die „B…“. Ob es in der Folge zum Ankauf der entwendeten Tabakwaren im Umfang von etwa achtzig bis einhundert Stangen Zigaretten kam, konnte die Kammer nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen. Dementsprechend konnte die Kammer auch nicht mit der notwendigen Sicherheit feststellen, ob es zu dem vom Angeklagten beabsichtigten, gewinnbringenden Weiterverkauf der gestohlenen Tabakwaren in einem seiner Geschäfte kam.“

Dem KG reicht das für eine Versuchsstrafbarkeit nicht aus:

„…. Weder durch das Gespräch mit dem gesondert Verurteilten B. am 16. Juni 2016, noch durch das Telefonat am 2. August 2016 hat der Angeklagte zu einer Hehlerei in der Tatbestandsvariante des Ankaufens unmittelbar angesetzt.

Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Abgrenzung strafloser Vorbereitungshandlungen vom strafbaren Versuch liegt ein unmittelbares Ansetzen bei solchen Gefährdungshandlungen vor, die nach der Tätervorstellung in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbar räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los” überschreitet, es eines weiteren Willensimpulses nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht. Dabei ist im Einzelfall bei der Abgrenzung in wertender Betrachtung auf die strukturellen Besonderheiten der jeweiligen Tatbestände Bedacht zu nehmen (vgl. BGHR AO § 373 Versuch 1 mwN; BGH NStZ 2008, 409).

Da die Vollendung der Hehlereivarianten des Sich-Verschaffens und Ankaufens voraussetzt, dass der Erwerber eine vom Vortäter unabhängige (Mit-)Verfügungsgewalt erlangt hat, die ihn in die Lage versetzt, selbstständig über die Sache zu verfügen (vgl. Fischer, StGB 67. Aufl., § 259 Rn. 11 mwN), erfordert in diesem Sinne auch der Versuchsbeginn ein unmittelbares Ansetzen zur Übernahme einer solchen Verfügungsmacht.

Auch der Eintritt in Kaufverhandlungen kann diese Voraussetzungen grundsätzlich erfüllen. Da es jedoch auf das unmittelbare Ansetzen zur Übernahme eigener Verfügungsgewalt ankommt, können reine Absprachen erst dann als Versuch eingestuft werden, wenn die Übergabe der Sache, also die Übertragung der Verfügungsgewalt, unmittelbar nach Abschluss der Verhandlungen erfolgen kann und soll. Dies bedeutet, dass das Aushandeln der Bedingungen zu verbindlichen Vereinbarungen über Ankauf und Abnahme geführt haben und dem Übertragungsakt unmittelbar vorgelagert sein muss. Die bloße Vereinbarung mit dem Vortäter, die Sache abnehmen zu wollen, reicht für einen Versuch des Ankaufens ebenso wenig aus, wie gescheiterte Vertragsverhandlungen. Um eine unmittelbare Einleitung des Übertragungsakts annehmen zu können, müssen die Verhandlungen zumindest eine Einigung über Zeit und Ort der Lieferung erbracht haben (vgl. BGH NStZ 2008, 409; Maier in MüKo-StGB 3. Aufl.,  § 259 Rn. 165, 166 mwN).

Daran fehlt es hier.

Hinsichtlich der Tat zu II. B. 2. lässt es sich den Feststellungen nicht entnehmen, dass der Angeklagte überhaupt in konkrete Verhandlungen eingetreten ist, weil weder über den Preis, noch die Menge der Zigaretten, noch über die Übergabemodalitäten gesprochen wurde. Infolgedessen tragen die Feststellungen erst recht nicht die Annahme, dass sich der Angeklagte und der gesondert Verfolgte B. hinsichtlich des Ankaufes handelseinig geworden sind und eine unmittelbare Übergabe des Diebesgutes erfolgen sollte.

Dasselbe gilt für die Tat zu II. B. 3.: Hier hat das Landgericht bereits selbst festgestellt, dass der Ankauf am Tattag lediglich „telefonisch vorbereitet“ wurde. Rückschlüsse auf konkrete Verhandlungen zu Zahlungs- oder Übergabemodalitäten lassen sich den Feststellungen zur Kommunikation des Angeklagten mit dem gesondert Verurteilten B. nicht entnehmen. Vielmehr folgt aus den festgestellten Äußerungen des gesondert Verfolgten, dass er sich noch nicht einmal einen Überblick über die Menge der gestohlenen Zigaretten verschafft hatte.“