Archiv für den Monat: Januar 2016

Akteneinsicht a la AG Neunkirchen, oder: Geht auch anders/richtig – Verfahren ausgesetzt

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

© Avanti/Ralf Poller – Fotolia.com

Nach meinem Ärger über den AG Aichach, Beschl. v. 13.01.2016 – 3 OWi 93/15 – (vgl. dazu Akteneinsicht a la AG Aichach; oder: „Schuss nicht gehört“ bzw. BGH-Richter sollten sich nicht „umfangreiche und tiefgründige Gedanken“ machen), eine Entscheidung des AG Neunkirchen, über die der Kollege Gratz vom VerkehrsrechtsBlog gestern schon berichtet hat und die er mir freundlicher Weise zur Verfügung gestellt hat.

In dem Beschluss geht es zwar nicht um die Unterlagen, die im AG Aichach, Beschl. v. 13.01.2016 – 3 OWi 93/15 – eine Rolle gespielt haben, sondern um die Rohmessdaten, aber an der grundsätzlichen Frage ändert das m.E. nichts. Die Verteidigerin hat die Überlassung dieser Daten beantragt, sie bislang aber noch nicht bekommen. Das AG Neunkirchen setzt im AG Neunkirchen, Beschl. v. 30.12.2015 – 19 OWi 365/15 – das Verfahren aus bis die Verteidigung die unverschlüsselten Rohmessdaten erhalten hat.

„Die Verteidigerin hat die Herausgabe der Rohmessdaten der tatgegenständlichen Messung vom 18.06.2015 bei der zentralen Bußgeldbehörde beantragt, aber bislang nicht erhalten. Aufgrund des im vorliegenden Fall gegebenen standardisierten Messverfahrens, hat der Betroffene aus seinem Recht auf ein faires Verfahrens einen Anspruch auf eine effektive Verteidigung, wozu der Erhalt der Rohmessdaten unverzichtbar ist, da es dem Betroffenen obliegt, eventuelle Messfehler substantiiert vorzutragen.“

Geht also auch anders/richtig…

Akteneinsicht a la AG Aichach; oder: „Schuss nicht gehört?“ bzw. BGH-Richter sollten sich nicht „umfangreiche und tiefgründige Gedanken“ machen

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

© Avanti/Ralf Poller – Fotolia.com

Aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der amtsgerichtlichen Entscheidungen zur Akteneinsicht im Bußgeldverfahren hat mir ein Kollege den AG Aichach, Beschl. v. 13.01.2016 – 3 OWi 93/15 – geschickt. Bei dem Frage ich mich allerdings, ob die dort entscheidende Amtsrichterin eigentlich – um es etwas drastischer auszudrücken –  „den Schuss noch gehört hat“, so wie sie den Verteidiger abkanzelt?. Und die „BGH-Richter“ bekommen auch gleich noch einen mit.

Der Antrag auf Einsicht in umfangreiche Messunterlagen wird abgelehnt, und zwar mit folgender Begründung:

„Im Übrigen ist im Hinblick auf die Erörterungen des Verteidigers noch in der gebotenen Kürze Folgendes auszuführen:

–         Auf die Gebrauchsanweisung konnte der Verteidiger mithilfe des ihm mitgeteilten, aber offensichtlich von ihm bislang nicht verfolgten Links bereits seit November 2015 zugreifen.

–         Schulungsnachweise, Angaben zur ordnungsgemäßen Aufstellung des Messgeräts, zur Wartung und Eichung der eingesetzten Gerätschaften können durch Einvernahme des Messbeamten im Rahmen der Hauptverhandlung eingesehen und entsprechende Fragen hierzu zügig geklärt werden. Es handelt sich jeweils um einfache und leicht verständliche Angaben bzw. Unterlagen, die der Zeuge regelmäßig in der Sitzung bei sich hat. Dabei genügen -sofern von Seiten der Verteidigung nicht nachvollziehbare, berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der dem Gericht vorgelegten Kopien vorgetragen werden- regelmäßig einfache Abschriften der entsprechenden Unterlagen. Eine Vorwegnahme der Hauptverhandlung kann und darf die Akteneinsicht nicht sein.

–         Sofern die Verteidigung meint, schon jetzt Original-Messdaten zu benötigen und sich dabei auf das OLG Naumburg beruft, verkennt sie, dass diese Entscheidung einen Fall betraf, bei dem tatsächlich ein Sachverständigengutachten erholt wurde, In einem solchen Fall sind der Verteidigung selbstverständlich alle Unterlagen zugänglich zu machen, die auch der Sachverständige zur Verfügung hatte. Ein Sachverständiger wurde vom Gericht aber bislang weder beauftragt noch einem solchen Unterlagen zugänglich gemacht.

– Die Verteidigung verkennt im Übrigen den Hintergrund sowie Sinn und Zweck der standardisierten Messverfahren: Bevor Messverfahren zugelassen werden, werden umfangreiche Prüfungen durchgeführt, an deren erfolgreichem Ende die PTB-Zulassung und damit die Standardisierung steht. Deren Zweck ist es gerade, nicht in jedem Fall eine Einzelfallprüfung vornehmen zu müssen, sondern nur dann, wenn sich konkrete Anhaltspunkte für Messfehler finden. Dabei beruht die Standardisierung auf der umfangreichen PTB-Zulassung.

– Schließlich sind noch folgende Erwägungen zu bedenken: Auch wenn sich BGH-Richter umfangreiche und tiefgründige Gedanken zum OWI-Verfahren machen, ist der Gesamtkontext dieser Verfahren nicht aus dem Blick zu verlieren: Es handelt sich um Massenverfahren, die lediglich Verwaltungsunrecht zum Gegenstand haben. Sie sind regelmäßig nicht wie umfangreiche Strafverfahren zu führen, wie sich bereits aus den Regelungen zur erleichterten Beweisaufnahme ergibt. Insofern ist auch die Verhältnismäßigkeit nicht aus dem Blick zu verlieren. Selbst wenn der hiesige Betroffene angesichts seiner massiven Vorahndungen davon ausgehen sollte, dass es bei ihm „ums Ganze“ -um ein Fahrverbot oder gar den Verlust seiner Fahrerlaubnis- geht, bleibt es bei reinem Verwaltungsunrecht.“

Ist m.E. schon ganz schön „frech“, wie da argumentiert wird, und m.E. auch noch falsch. Warum, das ergibt sich aus den „umfangreichen und tiefgründige Gedanken zum OWI-Verfahren“, die RiBGH Cierniak sich in zfs 2012, 662 gemacht hat. Und wer den „den Hintergrund sowie Sinn und Zweck der standardisierten Messverfahren“ verkennt, liegt m.E. auf der Hand. Die Messung mit einem standardisierten Messverfahren hat doch nicht zur Folge, dass die Rechte des Betroffenen „mit Füßen getreten werden können/dürfen“ Wie bitte schön, soll er denn ein SV-Gutachten zur Messung erstellen lassen und/oder diese überprüfen lassen können, wenn er nicht alle die Messung betreffenden Unterlagen kennt. Und natürlich beruht auf denen auch – zumindest mittelbar – der Vorwurf. Alles in allem eine dieser Entscheidung, bei der man den Eindruck hat, die Amtsrichterin weiß alles, vor allem besser. Und das berechtigt sie dann wohl auch, sich nicht mit abweichender Rechtsprechung auseinander zu setzen. Aber dafür hätte sie sich dann „umfangreiche und tiefgründige Gedanken zum OWI-Verfahren“ machen müssen.

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Muss der Angeklagte auch den schlecht arbeitenden Pflichtverteidiger bezahlen?

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

© haru_natsu_kobo Fotolia.com

Die Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Muss der Angeklagte auch den schlecht arbeitenden Pflichtverteidiger bezahlen?, war mal wieder eine, die von allgemeinerem Interesse war. Das sagt jedenfalls die Statistik 🙂 . Und ich kann es mir an sich mit den Antworten einfach machen und verweise nur auf die zu dem Posting eingegangenen Kommentare, die sich sehr schön und – zum Teil – auch sehr umfangreich, vor allem aber richtig, mit der Problematik auseinander gesetzt haben.

Ich hatte dem Kollegen natürlich auch geantwortet. Daraus hat sich dann noch ein kleines „Email-Hin-und-Her“ entwickelt, dass ich dann hier einstelle:

Meine erste Anwort:

Hallo, in aller Kürze: M.E. nein. Dem Kostenansatz über die Nr. 9007 KV GKG wird man nicht die Schlechterfüllung entgegenhalten können. Der Angeklagte hat auch nur einen Anspruch auf einen Verteidiger, nicht einen auf einen „guten“. Wer sollte auch überprüfen, ob eine Schlechterfüllung vorliegt.“

Darauf antwortet der Kollege dann noch einmal:

Sie sind aber schnell.

Nicht Schlechterfüllung, sondern Nichterfüllung. Nicht schlecht plädiert, kein Antrag, keine Begründung.

Sie meinen, er muß in einem Zivilprozeß eine Freistellungsklage bzw. Zahlungsklage erheben?

Er bekommt von der Justiz einen Pflichtverteidiger, den er im Zweifel nicht will, muß dessen Vergütung erstatten und kann dann zusehen, wie er zu seinem Geld kommt? Der Revisor prüft doch im Detail, ob die Vergütung angefallen ist, beispielsweise, ob er den Termin wahrgenommen hat und wie lange der Termin andauerte. Aus dem Protokoll ist ersichtlich, ob ein Antrag gestellt wurde. Wohl eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens.

Sei’s drum.

Herzlichen Dank fürs Mitdenken und eine gute Woche und viele Enkelin-Kontakte.

Ich habe darauf dann wie folgt repliziert:

„Hallo, die Stellung des Antrags ist nicht Voraussetzung für das Anfallen der Terminsgebühr. Allein die Anwesenheit. Die Dauer des Termins spielt allenfalls für den Längenzuschlag eine Rolle. M.E. bringt das nicht.

Die Enkelin dankt.“

Und dann hat der Kollege „aufgegeben:

Oh. Peinlich. Nicht weitererzählen, höchstens anonym …

Weitererzählt habe ich, aber eben nur anonym – wie übrigens immer. Im Übrigen dürfte es auch im schwer fallen, in einem Zivilverfahren einen „Schadensersatzanspruch“ durchzusetzen. Der nach seinen Angaben schlecht verteidigte Angeklagte müsste ja die Voraussetzungen des Haftungsanspruchs nachweisen, was ihm kaum gelingen wird. Denn es müsste ja u.a. das nicht gehaltene Plädoyer kausal für die Verurteilung gewesen sein.

Eskalation – Stinkefinger, Vollbremsung – im Straßenverkehr – wenn kein „Eingriff“, dann aber „Nötigung“

entnommen wikimedia.org Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

entnommen wikimedia.org
Author Harald Wolfgang Schmidt at de.wikipedia

Zum weiteren Wochenauftakt dann „tiefstes Verkehrsrecht“ mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2015 – 5 RVs 139/15. Es geht um ein Verfahren u.a. wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 StGB). Insoweit bringt der Beschluss an sich zwar nichts Neues, da er sich auf der Linie der obergerichtlichen Rechtsprechung bewegt. Er zeigt aber, dass sich die Tatgerichte mit der Umsetzung dieser Rechtsprechung – gelinde ausgedrückt – schwer tun, was allerdings auch nichts Neues ist: Man kann also schreiben: “ er zeigt aber mal wieder…“.

In dem Verfahren ging es um eine Situation im (innerörtlichen) Straßenverkehr, die in der Praxis gar nicht so selten sein dürfte: Der eine Verkehrsteilnehmer ärgert sich über den anderen und dessen Fahrmanöver, weil danach abbremsen musste. Dann fährt man nahe auf, man zeigt sich den berühmten „Stinkefinger“ und mehr. Und dann: „Nunmehr machte der Angeklagte aus Verärgerung und um I2 zu maßregeln ohne verkehrsbedingten Grund eine Vollbremsung; dabei hoffte und vertraute er – schon weil er wegen seines Fahrens ohne Fahrerlaubnis keinesfalls mit der Polizei Kontakt haben wollte –, dass es nicht zu einem Unfall kommen werde. I2 machte ebenfalls eine Vollbremsung, konnte aber einen leichten Zusammenstoß nicht verhindern. Der Angeklagte fuhr zunächst weiter. I2 verfolgte ihn. Nach einigen Metern hielt der Angeklagte und sodann auch I2 an.“

AG und LG verurteilen den Angeklagten wegen der Vollbremsung wegen eines Verstoßes gegen § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB. Das OLG hebt auf

Zwar kann ein willkürliches Abbremsen aus hoher Geschwindigkeit, um den nachfolgenden Kraftfahrzeugführer zu einer scharfen Bremsung oder Vollbremsung zu zwingen, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr durch Hindernisbereiten im Sinne des § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen (vgl. Senatsbeschluss vom 04. Juni 2013 – 5 RVs 41/13 – sowie den Beschluss des hiesigen 4. Strafsenats vom 11. September 2014 – 4 RVs 111/14 –, DAR 2015, 399; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 315 b Rdnr. 7, 11). Jedoch ist im vorliegenden Fall bereits zweifelhaft, ob überhaupt von einem Abbremsen bei „hoher Geschwindigkeit“ ausgegangen werden kann. Hinsichtlich des konkreten Abbremsvorgangs, der zum Unfall geführt hat, finden sich keine Feststellungen zur gefahrenen Geschwindigkeit, für den ersten Bremsvorgang des Angeklagten hat das Landgericht eine Geschwindigkeit von „etwa 40 km/h“ festgestellt. Eine solche oder noch geringere Geschwindigkeit würde in der konkreten Situation noch keinen verkehrsfremden Eingriff in Gestalt einer „groben Einwirkung von einigem Gewicht“ (vgl. hierzu BGHSt 26, 176, 177 f.; BGH, NZV 1998, 36) darstellen.

Vor allem aber gilt, dass die Vorschrift des § 315 b Abs. 1 StGB in der Regel einen von außen in den Straßenverkehr hineinwirkenden verkehrsfremden Eingriff voraussetzt und eine Anwendung der Vorschrift bei Handlungen im – wie hier – fließenden Verkehr nur dann in Betracht kommt, wenn es sich um einen verkehrswidrigen Inneneingriff handelt, d.h. der Täter als Verkehrsteilnehmer einen Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr pervertiert. Hierfür muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrswidriger Absicht hinzukommen, dass es mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz (z.B. als Waffe oder Schadenswerkzeug) missbraucht wird (vgl. BGHSt 48, 233, 237 f.; BGH, NStZ 2010, 391, 392; NZV 2012, 249; Beschluss des hiesigen 1. Strafsenats vom 20. Februar 2014 – 1 RVs 15/14 –, DAR 2014, 594). Diese Grundsätze gelten für alle Tatbestandsvarianten des § 315 b Abs. 1 StGB, also auch für den hier in Rede stehenden Fall nach § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. BGHR § 315 b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten 4; Fischer, a.a.O., § 315 b Rdnr. 9).

Den für eine Verurteilung erforderlichen Schädigungsvorsatz hat das Landgericht nicht festgestellt. Vielmehr lässt die vom Landgericht gewählte Formulierung „dabei hoffte und vertraute er – schon weil er wegen seines Fahrens ohne Fahrerlaubnis keinesfalls mit der Polizei Kontakt haben wollte –, dass es nicht zu einem Unfall kommen werde“ darauf schließen, der Angeklagte habe ein Unfallgeschehen gerade nicht billigend in Kauf genommen. Zwar billigt der Täter auch einen an sich unerwünschten, aber notwendigen Erfolg, wenn er sich mit ihm um eines erstrebten Zieles willen abfindet und die als möglich erkannte Folge hinzunehmen bereit ist (vgl. BGH, NStZ 1994, 584; Fischer, a.a.O., § 15 Rdnr. 9b). Jedoch lässt sich den bislang getroffenen Feststellungen auch nicht entnehmen, der Angeklagte habe das Ziel, den Zeugen I2 „zu maßregeln“, nur durch eine (Be-)Schädigung dessen Fahrzeugs herbeiführen können. Es spricht mehr dafür, dass der Angeklagte dieses Ziel bereits dadurch zu erreichen glaubte, dass er den Zeugen überhaupt zu einem Abbremsen des eigenen Fahrzeugs zwang.

Also: Schädigungsvorsatz mal wieder nicht festgestellt. Das wird – das sieht auch das OLG – im 2. Durchgang nicht einfach(er), so dass die Verurteilung nach § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB entfallen kann/wird. Aber dann bleibt ggf. immer noch eine Nötigung nach § 240 StGB.

Das AG München schaut (presserechtlich) in die Zukunft, oder: In München/beim LG München ist auch eine Datenbank „Presse“

Justizpalast_in_MuenchenIch erinnere: Ich hatte im vergangenen Jahr einen – etwas länger dauernden – Schriftwechsel mit dem AG München um die Übersendung von Entscheidungen des AG München. Das ist ein paar mal hin und her gegangen, bevor ich dann die Antwort des Präsidenten des AG München vom 02.09.2015 erhalten habe (vgl. dazu Die Dickfelligkeit des AG München, oder: Ich gebe es auf…., oder: Es röhrt der Elefant und er gebiert eine Maus). In der hatte der Präsident des AG München mir mitgeteilt: „Ob es sich bei der Informationsübermittlung an Presse und Fachschrifttum zu Publikationszwecken um eine (da anonymisiert: Teil-) Auskunftserteilung i.S.d. §§ 474 ff. StPO mit dort geregelten Voraussetzungen und Zuständigkeiten handelt oder aber um einen nach Landespressegesetz zu beurteilenden Informationsanspruch, wird nicht einheitlich gesehen (vgl. BeckOK StPO/Wittig StPO § 475 Rn. 4). Künftig werden beim Amtsgericht München derartige Anfragen einheitlich durch die von mir entsprechend Art. 4 BayPrG hierzu beauftragte Pressestelle beantwortet werden.“ Darüber hatte ich mich dann in meinem o.a. Posting ein wenig mokiert, hatte dann aber die positiven Auswirkungen dieser Rechtsauffassung bei meiner nächsten Anfrage erlebt, die in einer „Turbo-Geschwindigkeit“ erledigt worden ist (dazu „Positiv erschüttert“, oder: So dickfellig sind die gar nicht beim AG München).

Und nun? Nun muss/kann ich noch einen drauf setzen. Denn: Nach diesem Schriftwechsel hat es den BVerfG, Beschl. v. 14.09.2015 – – 1 BvR 857/15 – gegeben. In dem hat das BVerfG der Verfassungsbeschwerde eines Zeitungverlages gegen eine Entscheidung des OVG Jena stattgegeben. Das OVG hatte es im Eilrechtsschutzverfahren abgelehnt, einen LG-Präsidenten zur Zusendung einer anonymisierten Urteilskopie über ein von hohem Medieninteresse begleitetes Strafverfahren zu verpflichten. Das BVerfG sieht darin eine Verletzung des Grundrechts auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

Nun, so weit, so gut. Was hat das aber mit meinem „Streit“ mit dem AG München zu tun. M.E. schon eine ganze Menge. Denn das AG München hat die Vorgaben des BVerfG wohl schon vorab geahnt – da sag noch mal einer, in Bayern lebe man nicht am Puls der Zeit 🙂 -, wenn es „Art. 4 BayPrG “ ins Spiel bringt und auch meine Anfrage als „Presseanfrage“ behandelt. Und es hat noch weiter in die Zukunft geblickt. Denn inzwischen gibt es eine Verfügung des LG München I, die sich mit der Problematik und der Umsetzung der Entscheidung des BVerfG v. 14.09.2015 befasst. Das ist die LG München I, Verf. v. 19.01.2016 – 6 AR 5 u. 6/15, auf die ich über openJur gestoßen bin. Die geht sogar dann gleich noch einen Schritt weiter und sieht auch „öffentliche Datenbanken“ von der Entscheidung des BVerfG umfasst. Hier die Leitsätze dieser Verfügung:

  1. Die alleinige Anwendung der Vorschriften über die Akteneinsicht aus der StPO auf Auskunftsbegehren der Presse und Datenbanken ist nach der jüngsten Entscheidung des BVerfG v. 14.09.2015 – 1 BvR 857/15 – zu diesem Themenkomplex nicht mehr haltbar.
  2. Öffentliche Datenbanken sind bei der Frage, ob dort veröffentlichungswürdige Gerichtsentscheidungen eingestellt werden dürfen, anderen Presseorganen, die solche Entscheidungen veröffentlichen oder in ihrer Berichterstattung verwerten wollen, gleichzustellen.
  3. Ein berechtigtes Interesse des Datenbankbetreibers ergibt sich schon aus dem Interesse an der Veröffentlichung einer Entscheidung, die von allgemeinem Interesse, also veröffentlichungswürdig, ist.“

Und wenn man nun konsequent ist (hoffentlich!!), muss man m.E. auch jedes Blog, das über gerichtliche Entscheidungen berichtet, als „Presse und Datenbank“ ansehen. Sicherlich nicht die „klassische Presse“ oder die „klassiche Datenbank“, aber eben eine neue Form der Berichterstattung, die man m.E. wird mit einbeziehen können/müssen; ich hoffe, dass ich hier jetzt keinen presserechtlichen Blödsinn geschrieben habe. Für mich und mein Blog stellt sich die Frage nicht so sehr, da ich als Herausgeber von StRR, VRR und Coautor bei RVGreport, ZAP und diversen Zeitschriften aus dem IWW-Verlag meine, zur Presse zu gehören. Nun, in Bayern muss man/ich den Streit ja eh nicht mehr führen – und in den anderen Bundesländern hoffentlich auch nicht. Aber mit der „Einheit der Rechtsordnung“ ist das ja manchmal so eine Sache.

Ach so: Dann bleibt noch die Frage: Wann liegt denn ein „berechtigtes Interesse des Datenbankbetreibers“ vor. Das LG München I sagt, wenn die „Veröffentlichung einer Entscheidung, die von allgemeinem Interesse, also veröffentlichungswürdig, ist.“ Das löst sich m.E. zumindest dann ganz einfach, wenn das Gericht selbst zu der Entscheidung eine PM herausgegeben hat. Deutlicher kann man m.E. nicht zeigen, dass die Entscheidung „veröffentlichungswürdig“ ist.