Archiv für den Monat: Dezember 2013

Wie kommt man an der Vernehmung von 166 Zeugen vorbei?

© Dan Race - Fotolia.com

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Im BGH, Beschl. v. 15.10.2013 – 3 StR 154/13 – hat der BGH die Ablehnung eines Beweisantrages durch das LG in einem Betrugsverfahren beanstandet.  Das LG hatte bereits 89- nach dem Vortrag des Angeklagten unzufriedener – Kunden/Zeugen vernommen. Einen Beweisantrag auf Vernehmung weiterer – zufriedener – 166 Zeugen/Kunden hat es dann mit der Begründung abgelehnt, der Beweisantrag sei nicht hinreichend bestimmt. Im Übrigen seien „die Beweismittel“ für die Entscheidung ohne Bedeutung. Für die Frage, ob sich der Angeklagte wegen Betruges strafbar gemacht habe, sei die Anzahl der zufriedenen Kunden nicht entscheidend. Auch wenn sich die Beweisbehauptungen bestätigten, würde der Anklagevorwurf nicht notwendigerweise entfallen.1. Der gestellte Antrag genügt den inhaltlichen Voraussetzungen, die an einen Beweisantrag zu stellen sind. Er enthält, ohne dass dies einer besonde-ren Erläuterung bedarf, insbesondere ausreichend bestimmte Beweistatsachen und -mittel. Diese Begründung hat der BGH u.a. deshalb beanstandet, weil die Strafkammer nicht dazu Stellung genommen habe, welchen Einfluss die unter Beweis gestellten Umstände auf ihre Überzeugungsbildung gehabt hätten.

Soweit, so gut. Der Strafkammer steht also die Vernehmung weiterer 166 Zeugen ins Haus. Oder? Nun, nicht unbedingt, denn der BGH sagt, wie sie das ggf. vermeiden kann. Denn:

1. Es bedarf hier keines näheren Eingehens darauf, ob das Landgericht den fraglichen Beweisantrag in antizipierender Würdigung der aufgestellten Beweisbehauptungen vor dem Hintergrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen Beweisergebnisses in vollem Umfang wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der vorgebrachten Beweistatsachen rechtsfehlerfrei mit der Begründung hätte ablehnen können, selbst wenn alle 166 benannten Zeugen den in ihr Wissen gestellten Sachverhalt bestätigen würden, hätte dies angesichts der Angaben der 89 vernommenen Zeugen sowie des sonstigen bisherigen Beweisertrags keinen Einfluss auf seine Überzeugung, der Angeklagte habe die bei ihm beschäftigten Telefonisten systematisch zu irreführenden Angaben gegenüber den von ihnen angerufenen Gewerbetreibenden veranlasst. Selbst  wenn dies zu verneinen wäre, wird der neue Tatrichter nicht unter allen Umständen sämtliche 166 benannten Zeugen vernehmen müssen. Sollte sich etwa durch Einvernahme einiger dieser Zeugen herausstellen, dass diese das Beweisvorbringen nicht bestätigen und der Umstand, dass sie auf die Fragebogenaktion der Polizei nicht reagierten, nicht darauf beruhte, dass durch die Firma des Angeklagten die versprochenen Werbeleistungen entsprechend den telefonischen Versprechungen zufriedenstellend erbracht worden sind, so würde – bei ansonsten identischem Beweisergebnis wie in der ersten Hauptverhandlung – jedenfalls hierdurch eine breitere und je nach den Umständen auch tragfähige Grundlage für eine antizipierende Würdigung der in das Wissen der restlichen der 166 benannten Zeugen geschaffen (vgl. zum Umfang der Beweisaufnahme in „Massenverfahren“, der zur tatrichterlichen Klärung der Voraussetzung serienmäßigen Betruges erforderlich ist, auch BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 – 1 StR 263/12, NStZ 2013, 422).

Man darf gespannt sein, was die Strafkammer macht, wenn man es denn erfährt.

„Auch du mein Sohn Brutus“ – OLG Bamberg zu PoliscanSpeed, oder: Das haben wir immer schon so gemacht

Poliscan Speed - RadarErst jetzt hat das OLG Bamberg den OLG Bamberg, Beschl. v. 26.04. 2013 – 2 Ss OWi 349/13 – veröffentlicht, so dass wir erst jetzt und nicht schon seit Frühjahr 2013 wissen: Auch das OLG Bamberg sieht das Messverfahren „PoliscanSpeed“ als standardisiertes Verfahren an. Allerdings m.E. ohne (eigene) Begründung, sondern letztlich nur aufgrund eines Hinweises auf die PTB und die anderen OLG, die es eben so machen. Also: Das haben wir immer schon so gemacht. Ausgeführt wird nur:

b) Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessverfahren PoliScanSpeed erfüllt die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens, d.h. eines durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahrens, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und seines Ablaufs so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGHSt 43, 277). Diesen Anforderungen genügt das PoliScanSpeed-Verfahren, dessen Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur innerstaatlichen Eichung zugelassen ist und bei dem die Geschwindigkeitsmessung von besonders geschultem Personal unter Beachtung der Betriebsanleitung des Geräteherstellers sowie der Zulassungsbedingungen der PTB durchgeführt wird. Dies bietet hinreichende Gewähr für eine zuverlässige Anwendung des PoliScanSpeed-Messverfahrens (vgl. wie hier u.a. schon OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20.01.2010 – 5 Ss [OWi] 206/09 [bei juris]; KG, Beschluss vom 26.02.2010 – 3 Ws [B] 94/10 = DAR 2010, 331 f. = VRS 118 [2010], 367 ff. = SVR 2010, 274 f. und OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.04.2010 – 2 Ss OWi 236/10 [bei juris]).

M.E. schade, dass nicht mal endlich ein OLG sich mit dem Verfahren und die dagegen von Sachverständigen vorgebrachten Einwände auseinandersetzt. Genug Veröffentlichungen dazu hat es ja in der letzten Zeit gegeben.

Pflichti 7: Sich „verständigen“ ist schwierig

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Der Kollege Siebers hatte bereits in seinem Blog unter Verständigung ist ein Fall notwendiger Verteidigung auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 04.12.2013 – 2 Ss 151/13 – hingewiesen, der zur Frage der Pflichtverteidigung im Fall von Verständigungsgesprächen Stellung nimmt. Er hat mir den Beschluss dankenswerter Weise zukommen lassen, so dass ich nun auch die Möglichkeit habe, dazu zu bloggen und ihn einzustellen. Das OLG führt zu der Problematik in einer „Segelanweisung“ aus:

Auch hinsichtlich des im ersten Rechtszug unverteidigten X. liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor. Das Urteil beruhte auf einer Verständigung im Sinne von § 257 c StPO, was die Rechtslage schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO macht, weil ein Angeklagter sich bei der Erörterung einer solchen Verfahrensweise in der Regel nicht selbst wirksam verteidigen kann.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.03.2013 (2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 NJW 2013, 1058) und zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (zuletzt: BGH, Urt. v. 3. September 2013 – 5 StR 318/13 -, juris; Urt. v. 7. August 2013 – 5 StR 253/13 , juris; Beschluss vom 6. August 2013 – 3 StR 212/13 -, juris; Urt. v. 10. Juli 2013 — 2 StR 47/13 juris; Beschluss vom 25. Juni 2013 — 1 StR 163/13 — juris; Beschluss vom 22. Mai 2013 — 4 StR 121/13 juris; Beschluss vom 25. April 2013 — 5 StR 139/13 juris; Beschluss vom 11. April 2013 1 StR 563/12 —, juris; Beschluss vom 05. März 2013 — 5 StR 423/12 BGHSt 58, 184-192; Urteil vom 28. Februar 2013 — 4 StR 537/12 juris; Beschluss vom 21. Februar 2013 1 StR 633/12 juris) zeigen überdeutlich, dass die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften, die die strafprozessuale Verständigung regeln, selbst für Berufsrichter äußerst kompliziert und fehleranfällig ist. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass ein Angeklagter, der nicht Volljurist ist, seine Rechte irr Rahmen des undurchsichtigen Verfahrens, das einer Verständigung vorauszugehen hat, ohne juristischen Beistand erkennen und somit wahrnehmen kann. Deshalb ist bereits die Erörterung einer Verständigung regelmäßig Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO.

Dies gilt auch, wenn – wie hier — ein auf einer Verständigung beruhendes Urteil aufgehoben worden ist. Denn der Angeklagte bedarf zur sachgerechten Vorbereitung seiner Verteidigung bereits vor Beginn der neuen Hauptverhandlung einer Belehrung, welche Bedeutung seine im Rahmen der Verständigung abgegebene Erklärung für das weitere Verfahren haben kann.“

Die Bedeutung der Entscheidung liegt nicht im landgerichtlichen Bereich, sondern mehr bei den amtsgerichtlichen Verfahren, denn gerade bei den AG wird gern und häufig ohne den – ggf. „störenden“ – Verteidiger verhandelt.

Was ist los in Bayern? Aufstand der AG?

712px-Coat_of_arms_of_Bavaria_svgEbenso klein/kurz, aber ebenso fein wie der AG Verden (Aller), Beschl. v. 04.12.2013 – 9a Gs 924 Js 43392/13 (3757/13) (vgl. dazu Manchmal ist es gut, wenn man Decken im Auto hat) ist das AG Traunstein, Urt. v. 14. 11. 2013 –  520 OWi 360 Js 20361/13 (2), in dem das AG von der Festsetzung eines Fahrverbotes nach einem Abstandsverstoß abgesehen hat., und zwar mit folgender Begründung:

„Von der Verhängung eines Fahrverbotes wurde ausnahmsweise abgesehen. Der Betroffene hat zwischenzeitlich an einem Aufbauseminar für Kraftfahrer gemäß § 4 Abs. 8 StVG teilgenommen. Er ist beruflich deutschlandweit tätig und hierfür auf seinen Führerschein angewiesen. Bisher wurde gegen ihn ausweislich des Auszuges aus dem Verkehrszentralregister vom 16.10.2013 noch keine erhöhte Geldbuße verhängt. Die Erziehungsfunktion des Fahrverbotes ist vorliegend ausnahmsweise entbehrlich, da der Betroffene durch die deutliche Erhöhung der Geldbuße nun ausreichend gewarnt wurde. „

Das AG Traunstein ist damit nach dem AG Miesbach das zweite bayerische AG, das dem OLG Bamberg in der Frage die Gefolgschaft verweigert. Das OLG sieht die Frage nämlich anders. Was ist los in Bayern? Aufstand der AG?

Manchmal ist es gut, wenn man Decken im Auto hat

entnommen wikimedia.org Original uploader was Sekai3 at en.wikipedia

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Klein/kurz, aber fein für den Beschuldigten ist der AG Verden (Aller), Beschl. v. 04.12.2013 – 9a Gs 924 Js 43392/13 (3757/13) -, in dem das AG von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a Stopp abgesehen hat. Begründung: Kein Regelfall, da der Beschuldigte in seinem Fahrzeug übernachten wollte und es auf einem Parkplatz einer Disko nur wenige Meter bewegt hat. Beweis: Mitgeführte Decken. Das liest sich beim AG dann so…..

„Zwar liegt nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen ein Verstoß gegen § 316 Abs.1 StGB vor, da es sich bei dem Parkplatz einer Diskothek um öffentlichen Verkehrsraum handelt, zugunsten des Beschuldigten ist jedoch anzunehmen, dass er gerade nicht am Straßenverkehr teilnehmen, sondern – was mitgeführte Decken belegen – in seinem Fahrzeug übernachten wollte und es dazu nur wenige Meter auf dem Parkplatzgelände bewegt hat.

Es ist somit nicht fernliegend, dass in der Hauptverhandlung eine Ausnahme von der Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB anzunehmen sein wird.“