Schlagwort-Archive: Beweisaufnahme

OWi II: War Betroffener oder Verteidiger Fahrer?, oder: Rollentausch in der Hauptverhandlung?

Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

In diesem „zweiten“ Posting stelle ich dann den LG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 27.03.2025 – 23 Qs 11/25 – vor. Der hätte an sich auch gut in die Rubrik „Kurioses“ gepasst.

Es geht um Folgendes: Gegen den Betroffenen ist wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h ein Bußgeldbescheid erlassen worden. Dagegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger Einspruch eingelegt. Auf den Einspruch bestimmt das AG Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung und lädt sowohl den Verteidiger als auch den Betroffenen zum Termin.

In der Hauptverhandlung hat das Gericht dann beschlossen, die Hauptverhandlung auszusetzen. Weiterhin erließ es den mit der Beschwerde angefochtenen Beweisbeschluss und ordnete unter anderem an, dass zur Klärung der Frage, ob die auf dem Lichtbild abgebildete Person der Betroffene oder der Beschwerdeführer – der Verteidiger – sei, ein fotometrisches Gutachten unter Einbeziehung des Verteidigers einzuholen.

Am 16.12.2024 vermerkte die Vorsitzende, dass ausweislich des Internetauftritts des Beschwerdeführers/Verteidgers dieser eindeutig, das Fahrzeug geführt habe. Der Betroffene und der Beschwerdeführer hätten im Hauptverhandlungstermin offensichtlich Rollen getauscht. Am 18.12.2024 verfügte die Vorsitzende, dass sie Einsicht in die Homepage des Beschwerdeführers genommen habe. Als Verteidiger sei wohl der Beschwerdeführer aufgetreten. Es sei jedoch unklar, ob der Betroffene persönlich im Termin gewesen sei.

Dagegen die Beschwerde des Rechtsanwalts, die beim LG Erfolg hatte:

„Die gemäß §§ 46 OWiG, 304 StPO zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Beschwerde ist vorliegend auch nicht nach § 305 S.1 StPO ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen und nicht dem Anwendungsbereich des § 305 S. 2 StPO unterfallen, nicht der Beschwerde. Der Urteilsfällung vorausgehend sind solche Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Urteil stehen, seiner Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen (KG Berlin, Beschluss vom 10. Mai 2012, 4 Ws 42/12, juris, Rn. 5). Maßnahmen hingegen, die eine vom Urteil nicht umfasste, selbständige Beschwer eines Verfahrensbeteiligten bewirken sowie vom erkennenden Gericht nicht bei Erlass des Urteils und auch nicht im Rahmen einer Urteilsanfechtung nachprüfbar sind, bleiben selbständig anfechtbar (OLG Köln BeckRS 2024, 17212; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, 68. Aufl., § 305, Rn. 4). Dies ist hier der Fall. Der Verteidiger ist selbst nicht Betroffener und selbst beschwert. Die Anordnung der Begutachtung betreffend seine Person ist im Rahmen einer Urteilsanfechtung nicht möglich.

Nach § 77 Abs. 1 S. 1 OWiG bestimmt das Gericht den Umfang der Beweisaufnahme unbeschadet der Pflicht, die Wahrheit von Amts wegen zu erforschen. Im gerichtlichen Bußgeldverfahren gilt uneingeschränkt der Grundsatz der Amtsaufklärung (BGHSt. 25, 365, 368 = NJW 1974, 2295; OLG Koblenz VRS 51, 443, VRS 73, 301; BayObLGSt. 1970, 58; OLG Karlsruhe NStZ 1988, 226).

In Bußgeldverfahren ist der Richter jedoch nicht befugt, den Umfang der Beweisaufnahme nach freiem Ermessen zu bestimmen (ebenso Göhler/Seitz/Bauer Rn. 4); sein Ermessen ist vielmehr gebunden und wird durch die Pflicht zur Sachaufklärung begrenzt (KG VRS 39, 434; OLG Koblenz VRS 48, 120; OLG Stuttgart Justiz 1970, 115). Der Umfang der Aufklärungspflicht reicht soweit, wie die dem Gericht aus den Akten, durch Anträge oder Beweisanregungen oder auf sonstige Weise bekannt gewordenen Tatsachen zum Gebrauch von Beweismitteln drängen oder ihn nahelegen (BGHSt. 3, 169, 175 = NJW 1952, 1343; 10, 116, 118 = NJW 1957, 598; 23, 176, 187 = NJW 1970, 523; 30, 131, 140 = NJW 1981, 2267; OLG Hamm JMBINW 1980, 70; NStZ 1984, 462 = VRS 67, 450, 453; OLG Koblenz VRS 48, 120; 51, 443; 55, 130; OLG Stuttgart NJW 1981, 2525; Meyer-Goßner/Schmitt § 244 Rn. 12).

Die Entscheidung nach § 77 OWiG ist eine Ermessensentscheidung, die das Beschwerdegericht folglich nur eingeschränkt, nämlich auf Ermessensfehler zu überprüfen befugt ist. Das Beschwerdegericht kann mithin nur überprüfen, ob der Tatrichter sein Ermessen verkannt, die Grenzen seines Ermessens überschritten oder von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Das Beschwerdegericht kann also nicht eine eigene Ermessensentscheidung, die genauso gut hätte getroffen werden können, an die Stelle einer ermessensfehlerfreien Ermessensentscheidung des Ausgangsgerichts treffen. Ist allerdings die Entscheidung des Ausgangsgerichts ermessensfehlerhaft, so hat das Beschwerdegericht nach § 309 Abs. 2 StPO in der Sache zu entscheiden.

Gemessen an diesen Anforderungen leidet die Entscheidung des Amtsgerichts an Ermessensfehlgebrauch. Für die Sachaufklärung ist die Einbeziehung des Beschwerdeführers nicht erforderlich. Auf die Frage, ob der Betroffene oder der Beschwerdeführer der Fahrer war, kommt es nicht an. Das Gericht hat eine Sachentscheidung hinsichtlich des Betroffenen zu treffen und zu entscheiden, ob dieser als Fahrzeugführer identifiziert werden kann. Die Entscheidung der Kammer bedeutet jedoch nicht, dass der Sachverständige gehindert wäre, Fotos von dritten Personen, die sich in der Akte befinden, hinzuzuziehen.“

Klassischer Fehler XII: Mal wieder letztes Wort nicht gewährt

© J.J.Brown - Fotolia.com

© J.J.Brown – Fotolia.com

Über Verfahrensfehler in Zusammenhang mit der Gewährung/Nichtgewährung des letzten Wortes (§ 258 StPO) habe ich hier schon häufiger berichtet (vgl. z.B. Letztes Wort vergessen? Kein Problem. Machen wir es eben noch mal. – So geht es aber nicht., oder: Das letzte und (zunächst auch) das allerletzte Wort – das hat der Angeklagte). Fehler werden in dem Zusammenhang häufig gemacht, wenn nach dem zunächst gewährten letzten Wort – ich will es mal untechnisch ausdrücken – „in der Hauptverhandlung noch irgendetwas passiert“, dann aber dem Angeklagten ggf. nicht noch einmal die Gelegenheit zum letzten Wort gegeben worden ist.

So auch der Geschehensablauf, der dem BGH, Beschl. v. 24.06.2014 – 3 StR 185/14– zugrunde liegt. Da hatten der Angeklagte und der Nebenkläger im Hauptverhandlungstermin v. 16.12.2013  im Adhäsionsverfahren einen Vergleich über die Zahlung von 15.000 € geschlossen, wobei ein Teilbetrag von 5.000 € am 18.12.2013 fällig war. Nachdem dann die Vertreterin der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger des Angeklagten an demselben Prozesstag ihre Schlussvorträge gehalten und ihre Anträge gestellt hatten, hatte der Angeklagte das letzte Wort. Am darauf folgenden Sitzungstag, dem 18.12.2013, übergab der Angeklagte an den Nebenkläger 5.000 € in bar. Nach Beratung wurde sodann das Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten (erneut) das letzte Wort gewährt wurde. Das Urteil enthält dann später die Feststellung der Zahlung von 5.000 €.

Der BGH hebt auf:

Diese Verfahrensweise verstieß gegen § 258 Abs. 2 Halbsatz 2, Abs. 3 StPO.

Im Falle des Wiedereintritts in die Hauptverhandlung müssen die in § 258 StPO vorgeschriebenen Worterteilungen – mithin auch das letzte Wort des Angeklagten im Sinne des § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO – wiederholt werden. Ein Wiedereintritt in die Hauptverhandlung setzt keinen Gerichtsbeschluss oder eine sonstige ausdrückliche Anordnung voraus, sondern kann auch stillschweigend geschehen. Er liegt insbesondere bei allen Prozesshandlungen vor, die ihrer Natur nach in den Bereich der Beweisaufnahme gehören (vgl. LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 258 Rn. 4 ff., 7). So verhielt es sich hier:

Die sich aus den Urteilsgründen ergebende Feststellung des Landgerichts über die Barzahlung von 5.000 € war ein – selbständiges, nicht nur einen Annex zum Vergleichsschluss darstellendes – zur Beweisaufnahme im „materiellen Sinne“ (vgl. LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 3) über die Wiedergutmachung des vom Angeklagten angerichteten Schadens gehörendes Prozessgeschehen. Es führte daher – auch ohne eine förmliche Anordnung der Fortsetzung der Beweisaufnahme – zum Wiedereintritt in die Hauptverhandlung und machte eine Wiederholung der in § 258 StPO vorgeschriebenen Worterteilungen einschließlich der Gewährung des letzten Wortes des Angeklagten erforderlich.

Dieser Rechtsfehler hat die Aufhebung des Strafausspruches zur Folge. Die Nichterteilung des letzten Wortes begründet nicht ausnahmslos die Revision, sondern nur dann, wenn und soweit das Urteil darauf beruht. Dies kann in-des nur in besonderen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 1968 – 4 StR 190/68, BGHSt 22, 278, 280 f.; LR/Stuckenberg, aaO, Rn. 60 ff., 69). Vorliegend kann der Senat im Hinblick auf die Beweislage zur Täterschaft des Angeklagten, der diese nach den Gesamtumständen eingeräumt hat, und die Tatsache, dass das nach dem letzten Wort des Angeklagten stattgefundene Prozessgeschehen ausschließlich für die Strafzumessung relevant war, ausschließen, dass der Schuldspruch auf dem Verfahrensverstoß beruht. Dies gilt indes nicht für den Strafausspruch (vgl. BGH, Beschluss vom 13. April 1999 – 4 StR 117/99, NStZ 1999, 473). Dieser bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

M.E. ist/wäre man als Strafkammer „auf der sicheren Seite“, wenn man immer dann, wenn nach dem letzten Wort „noch etwas passiert“ ist, dem Angeklagten sicherheitshalber noch einmal das letzte Wort gewähren würde. Schaden kann das m.E. jedenfalls nicht.

Klassischer Fehler V: Der übersehene Wiedereintritt in die Beweisaufnahme

© Corgarashu – Fotolia.com

© Corgarashu – Fotolia.com

Die Reihe: „Klassischer Fehler….“ setze ich dann heute mal fort mit dem BGH, Beschl. v. 11.03.2014 – 5 StR 70/14: Nichts Weltbewegendes, aber in meinen Augen eben doch ein klassischer Fehler, der immer wieder zur Aufhebung führt. Nämlich der übersehene Wiedereintritt in die Beweisaufnahme und das danach nicht noch einmal gewährte letzte Wort, also ein Verstoß gegen § 258 StPO. Dazu ganz klassisch und kurz der BGH:

„a) Am 21. Hauptverhandlungstag wurde die Beweisaufnahme geschlossen; der Staatsanwalt hielt seinen Schlussvortrag. Am folgenden Hauptverhandlungstag plädierten die Verteidiger; der Angeklagte S. gab eine Schlusserklärung ab, der Angeklagte G. nahm die hierzu eingeräumte Gelegenheit nicht wahr. Nachdem beide Angeklagte das letzte Wort gehabt hatten, wurde die Sitzung unterbrochen. Zu Beginn des letzten Hauptverhandlungstages stellte der Verteidiger des Angeklagten S. mehrere Beweisanträge, zu denen der Staatsanwalt Stellung nahm, denen sich der Verteidiger des Angeklagten G. anschloss und die sodann mit gerichtlichen Beschlüssen zurückgewiesen wurden. Im Anschluss wurde das Urteil verkündet, ohne dass die Angeklagten nochmals Gelegenheit zum letzten Wort gehabt hätten.

b) Diese durch das Sitzungsprotokoll bewiesene (§ 274 Satz 1 StPO) Verfahrensweise hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Denn das Landgericht war wieder in die Beweisaufnahme eingetreten, indem es Beweisanträge entgegengenommen, hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und die Anträge durch Beschlüsse zurückgewiesen hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1988 – 4 StR 543/88, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 6). Das nahm den vorausgegangenen Schlusserklärungen der Angeklagten (bzw. der Gelegenheit hierzu) die Bedeutung des letzten Wortes und machte dessen nochmalige Gewährung erforderlich (BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 – 4 StR 193/96, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 8; BGH, Beschluss vom 10. März 1998 – 1 StR 32/98). Ein Fall, in dem dies ausnahmsweise für entbehrlich erachtet werden könnte, liegt nicht vor.

c) Der Verfahrensverstoß macht die Aufhebung des Urteils, soweit es die Beschwerdeführer betrifft, notwendig. Die Nichterteilung des letzten Wortes begründet zwar nicht stets und ausnahmslos die Revision, sondern nur dann, wenn und soweit das Urteil auf dem Fehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Dies ist hier indes nicht auszuschließen. Denn die Angeklagten haben zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen geschwiegen; möglicherweise hätten sie sich erstmalig zur Sache geäußert, wenn ihnen die Gelegenheit zum letzten Wort noch einmal eingeräumt worden wäre (vgl. BGH aaO).“

Wie kommt man an der Vernehmung von 166 Zeugen vorbei?

© Dan Race - Fotolia.com

© Dan Race – Fotolia.com

Im BGH, Beschl. v. 15.10.2013 – 3 StR 154/13 – hat der BGH die Ablehnung eines Beweisantrages durch das LG in einem Betrugsverfahren beanstandet.  Das LG hatte bereits 89- nach dem Vortrag des Angeklagten unzufriedener – Kunden/Zeugen vernommen. Einen Beweisantrag auf Vernehmung weiterer – zufriedener – 166 Zeugen/Kunden hat es dann mit der Begründung abgelehnt, der Beweisantrag sei nicht hinreichend bestimmt. Im Übrigen seien „die Beweismittel“ für die Entscheidung ohne Bedeutung. Für die Frage, ob sich der Angeklagte wegen Betruges strafbar gemacht habe, sei die Anzahl der zufriedenen Kunden nicht entscheidend. Auch wenn sich die Beweisbehauptungen bestätigten, würde der Anklagevorwurf nicht notwendigerweise entfallen.1. Der gestellte Antrag genügt den inhaltlichen Voraussetzungen, die an einen Beweisantrag zu stellen sind. Er enthält, ohne dass dies einer besonde-ren Erläuterung bedarf, insbesondere ausreichend bestimmte Beweistatsachen und -mittel. Diese Begründung hat der BGH u.a. deshalb beanstandet, weil die Strafkammer nicht dazu Stellung genommen habe, welchen Einfluss die unter Beweis gestellten Umstände auf ihre Überzeugungsbildung gehabt hätten.

Soweit, so gut. Der Strafkammer steht also die Vernehmung weiterer 166 Zeugen ins Haus. Oder? Nun, nicht unbedingt, denn der BGH sagt, wie sie das ggf. vermeiden kann. Denn:

1. Es bedarf hier keines näheren Eingehens darauf, ob das Landgericht den fraglichen Beweisantrag in antizipierender Würdigung der aufgestellten Beweisbehauptungen vor dem Hintergrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen Beweisergebnisses in vollem Umfang wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der vorgebrachten Beweistatsachen rechtsfehlerfrei mit der Begründung hätte ablehnen können, selbst wenn alle 166 benannten Zeugen den in ihr Wissen gestellten Sachverhalt bestätigen würden, hätte dies angesichts der Angaben der 89 vernommenen Zeugen sowie des sonstigen bisherigen Beweisertrags keinen Einfluss auf seine Überzeugung, der Angeklagte habe die bei ihm beschäftigten Telefonisten systematisch zu irreführenden Angaben gegenüber den von ihnen angerufenen Gewerbetreibenden veranlasst. Selbst  wenn dies zu verneinen wäre, wird der neue Tatrichter nicht unter allen Umständen sämtliche 166 benannten Zeugen vernehmen müssen. Sollte sich etwa durch Einvernahme einiger dieser Zeugen herausstellen, dass diese das Beweisvorbringen nicht bestätigen und der Umstand, dass sie auf die Fragebogenaktion der Polizei nicht reagierten, nicht darauf beruhte, dass durch die Firma des Angeklagten die versprochenen Werbeleistungen entsprechend den telefonischen Versprechungen zufriedenstellend erbracht worden sind, so würde – bei ansonsten identischem Beweisergebnis wie in der ersten Hauptverhandlung – jedenfalls hierdurch eine breitere und je nach den Umständen auch tragfähige Grundlage für eine antizipierende Würdigung der in das Wissen der restlichen der 166 benannten Zeugen geschaffen (vgl. zum Umfang der Beweisaufnahme in „Massenverfahren“, der zur tatrichterlichen Klärung der Voraussetzung serienmäßigen Betruges erforderlich ist, auch BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 – 1 StR 263/12, NStZ 2013, 422).

Man darf gespannt sein, was die Strafkammer macht, wenn man es denn erfährt.

Mal wieder das „letzte Wort“ nicht gewährt…

© m.schuckart - Fotolia.com

© m.schuckart – Fotolia.com

Letztes/allerletztes Wort spielt im Bereich der revisionsrechtlichen Verfahrensrügen insofern eine große Rolle, weil Verfahrensfehler in dem Bereich i.d.R. zur Aufhebung führen. Fehler werden hier insbesondere dann gemacht, wenn dem Angeklagten zwar das letzte Wort gewährt, dann aber noch Erörterungen in der Hauptverhandlung stattfinden und danach dann dem Angeklagten nicht noch einmal das (aller)letzte Wort gewährt wird. Und die Gefahr, in der die Instnazgerichte bzw. deren Urteile an der Stelle schweben, ist, wie der BGH, Beschl. v. 18.09.2013 – 1 StR 380/13 beweist groß, bzw. es ist nur ein schmaler Graft, auf dem man wandelt. In dem in einem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ergangenen Beschluss heißt es:

„1. Zwar ist dem Angeklagten nach Beendigung der Beweisaufnahme und den Schlussvorträgen von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung zunächst die Möglichkeit zum letzten Wort gewährt worden, die er auch zu Ausführungen genutzt hat. Jedoch ist das Landgericht nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung und geheimer Beratung des Gerichts wieder in die Verhandlung eingetreten und hat der Neben- und Adhäsionsklägerin durch Beschluss für das Adhäsionsverfahren Prozesskostenhilfe gewährt. Hieran anschließend hätte dem Angeklagten erneut Gelegenheit zum letzten Wort erteilt werden müssen, weil – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend hinweist – jeder (auch stillschweigende) Wiedereintritt in die Verhandlung den vorausgegangenen Ausführungen des Angeklagten die rechtliche Bedeutung als Schlussvortrag und als letztes Wort nimmt und die erneute Beachtung des § 258 StPO erforderlich macht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152 mwN). Diese Verpflichtung besteht nur dann nicht, wenn nach dem letzten Wort ausschließlich Vorgänge erörtert wer-den, die auf die gerichtliche Entscheidung keinen Einfluss haben können (vgl. BGH, Beschluss vom 31. März 1987 – 1 StR 94/87, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 2). Solches war hier jedoch nicht der Fall, weil die Strafkammer (unter Einschluss der Schöffen) nach Gewährung des letzten Wortes die Erfolgsaussicht des Adhäsionsantrags geprüft und dann in öffentlicher Verhandlung mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe die hinreichende Aussicht dieses Antrags auf Erfolg auch bejaht hat. Die somit gebotene erneute Erteilung des letzten Wortes ist unterblieben. Dies stellt einen Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO dar….“

Als Vorsitzender kann man sich gegen Fehler an der Stelle m.E. nur dadurch schützen, dass man, auch wenn dem Angeklagten schon das letzte Wort gewährt ist, ihn noch mal reden lässt, wenn nach dem „letzten Wort“ noch etwas erörtert worden ist.