Archiv für den Monat: November 2012

Wochenspiegel für die 47 KW., das war mal wieder die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, § 175 StGB a.F. und die Speichelprobe

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Was kann man, wenn man eine Woche abwesend war und das Geschehen nur aus der Ferne auf einem kleinen Black-Berry-Bildschirm verfolgen konnte, tun, um auf den aktuellen Stand des „Blog-Geschehens“ zu kommen? Richtig. Einen Wochenspiegel erstellen. :-). Und das tue ich jetzt und update mich damit selbst. Nachgelesen habe ich und berichtenswert sind daher m.E. folgende Beiträge aus der vergangenen Woche, nämlich u.a. über:

  1. die Kündigung wegen Busfahrens unter Drogeneinfluss,
  2. den Blick zurück auf § 175 StGB a.F.,
  3. den nachträglichen Einbau von Xenon-Scheinwerfern,
  4. den Fall Molath, vgl. auch hier,
  5. die arbeitsrechtliche Frage nach einem eingestellten Ermittlungsverfahren, vgl. auch hier, und hier,
  6. den „abschießenden Staatsanwalt“,
  7. die (nicht) freiwillig abgegebene Speichelprobe,
  8. die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, vgl. auch hier,
  9. die Aufnahme eines Verkehrsunfalls durch die Polizei in NRW,
  10. und dann war da noch das Zusammentreffen von Versicherungsrecht und StGB.

Olle Kamelle: (Nur) ab in den Urlaub – aber keine Wiedereinsetzung? Das BVerfG richtet es

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Bei manchen (Rechts)Fragen denkt man, dass die doch längst entschieden sind und es an der Stelle keine Probleme geben dürfte, zumal, wenn auch das BVerfG sich dazu schon geäußert hat. So sollte es m.E. mit der Frage sein, welche Vorkehrungen eigentlich ein Beschuldigter/Betroffener treffen muss, der sich in Urlaub begibt. Muss er sicher stellen, dass er erreichbar ist bzw. Zustellungen ihn erreichen und was ist, wenn er es nicht tut? Bekommt er Wiedereinsetzung?

Mit dieser m.E. ausgekauten Frage musste sich jetzt das BVerfG noch einmal befassen. Da war der Angeklagte drei Wochen in Urlaub, in der Zeit wird ein Strafbefehl zugestellt, die Einspruchsfrist wird urlaubsbedingt versäumt. AG und LG München verweigern die Wiedereinsetzung. Der BVerfG, Beschl. v. 18.10.2012 – 2 BvR 2776/10 – richtet es dann. Und wenn man sieht, auf welche Entscheidungen das BVerfG verweist, kann man wirklich sagen: Olle Kamelle ;-). Da heißt es:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf es dem Bürger nicht als ein die Wiedereinsetzung ausschließender Umstand zugerechnet werden, wenn er wegen einer nur vorübergehenden Abwesenheit von seiner ständigen Wohnung keine besonderen Vorkehrungen wegen der möglichen Zustellung eines Bußgeldbescheids oder Strafbefehls getroffen hat (vgl. BVerfGE 37, 100 <102>; 40, 88 <91 f.>; 40, 182 <186>; 41, 332 <335>). Es kommt nicht darauf an, ob die urlaubsbedingte Abwesenheit – wie hier – in die „allgemeine Ferienzeit“ oder eine sonstige Jahreszeit fällt. Entscheidend ist allein, dass die Abwesenheit eine nur vorübergehende und relativ kurzfristige – längstens etwa sechs Wochen – von einer sonst ständig benutzten Wohnung ist (vgl. BVerfGE 40, 182 <186>; 41, 332 <336>). Das gilt auch dann, wenn er weiß, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, oder er als Beschuldigter oder Betroffener vernommen wurde (vgl. BVerfGE 25, 158 <166>; 34, 154 <156 f.>).

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Gerichte im Wiedereinsetzungsverfahren haben die Anforderungen an die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ersichtlich überspannt und dem Beschwerdeführer dadurch den ersten Zugang zum Gericht verwehrt.

aa) Sie beruhen auf der Annahme einer Obliegenheit, bereits bei einer vorübergehenden urlaubsbedingten Abwesenheit von nur etwa drei Wochen besondere Vorkehrungen hinsichtlich möglicher Zustellungen zu treffen. Dies widerspricht den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäben.

bb) Der Umstand, dass der Beschwerdeführer als Beschuldigter vernommen worden war und ihm der Tatvorwurf sowie die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekannt gegeben wurden, führt – entgegen der Auffassung des Landgerichts – zu keiner anderen Bewertung, zumal seit der Feststellung der Tat und der Anhörung des Betroffenen am 26. August 2009 bis zur Zustellung des Strafbefehls am 15. Juli 2010 fast ein Jahr vergangen war und daher für den Beschwerdeführer keine besondere Veranlassung bestand, die Zustellung eines Strafbefehls während der allgemeinen Urlaubszeit in Betracht zu ziehen.

Wie weit geht die eigene Sachkunde des Gerichts? Nicht so weit wie manche Richter meinen…

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Wie weit geht die eigene Sachkunde des Gerichts? Die Antwort auf die Frage hat häufig Bedeutung, wenn es um die Einholung von Sachverständigengutachten geht und dann insbesondere, wenn es um Glaubwürdigkeitsgutachten geht. Das nehmen die Tatgerichte häufig eigene Sachkunde für sich in Anspruch, die der BGH ihnen auch einräumt, aber: Nicht immer und nicht immer so weit, wie die Tatgerichte meinen. Das zeigt noch einmal der BGH, Beschl. v. 09.10.2012 – 5 StR 428/12 – ergangen in einem Vergewaltigungsverfahren, in dem die Strafkammer den Beweisantrag der Verteidigerin auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachten mit eigener Sachkunde abgelehnt hatte. Das hat dem BGH gar nicht gefallen:

„c) Die Rüge hat in der Sache Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden. Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (BGH, Beschlüsse vom 1. März 1994 – 5 StR 62/94, StV 1994, 634, vom 29. Oktober 1996 – 4 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 106, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347, und vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 419/09, NStZ 2010, 100, 101). Solche Umstände liegen hier vor.
Die Strafkammer legt ihrer Beweiswürdigung zugrunde, dass der Nebenklägerin der Zugang zu ihrer Erinnerung in Bezug auf die weitere Beziehung mit dem Angeklagten sowie hinsichtlich einiger sehr markanter Gegebenheiten in deren Verlauf aufgrund von „Verdrängungsmechanismen“ bis hin zu vollständiger Amnesie verschlossen war. Betroffen ist insoweit unter anderem der gemeinsame Besuch im Swingerclub im August 2010, den die Nebenklägerin sogar noch bestritten hatte, nachdem ihr die Aufzeichnung eines Telefongesprächs vorgespielt worden war, in dem sie sich beim Angeklagten für den schönen Abend bedankt und es als besonders wichtig be-zeichnet hatte, dass „er gekommen sei“. Mangels – im Urteil nicht dargelegter – besonderer Sachkunde durfte das Landgericht aber nicht davon ausgehen, ein Zustand gänzlicher Erinnerungslosigkeit an derartige Ereignisse bei andererseits voll erhaltenem Erinnerungsvermögen betreffend die Details viel weiter zurückliegender Ereignisse sei möglich und bei der Nebenklägerin eingetreten. Das Landgericht hätte daher entsprechend dem Beweisbegehren des Angeklagten sachverständige Hilfe zuziehen müssen, um diesen Aspekt in Verbindung mit den weiteren Auffälligkeiten im (Aussage-) Verhal-ten der Nebenklägerin und dessen Auswirkungen auf die Beurteilung der Aussagetüchtigkeit insgesamt sachgerecht beurteilen zu können.

Im Übrigen: Gerade noch einmal gut gegangen mit der Verfahrensrüge:

„Mit dem Generalbundesanwalt geht der Senat trotz Nichtvorlage einiger im Beweisantrag benannter Schriftstücke von der Zulässigkeit der Ver-fahrensrüge im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO aus. Denn das Urteil befasst sich eingehend mit den maßgebenden, auch von der Verteidigerin benannten Anknüpfungstatsachen in Bezug auf eine Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin, womit dem Senat die uneingeschränkte Sachprüfung der Verfahrensbeanstandung eröffnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1990 – 1 StR 693/89, BGHSt 36, 384, 385 mwN, Be-schluss vom 23. Mai 2012 – 5 StR 174/12, StraFo 2012, 268).

Beweiswürdigung – so einfach ist das nicht

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Beweiswürdigung – so einfach ist das nicht, ist der Schluss, den man aus dem BGH, Beschl. v. 26.09.2012 – 5 StR 402/12 ziehen kann. Es handelt sich um eine BtM-Sache, in der der Angeklagte vom LG durch die Aussage eines selbst tatbeteiligten Zeugen, dem eine Strafmilderung gewährt worden ist, als überführt angesehen wurde. Der BGH erinnert an die Anforderungen an die Beweiswürdigung in solchen Fällen:

„3. Bereits die unkonstanten Angaben des Zeugen D. aus den früheren Vernehmungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. November 2010 – 2 StR 497/10 und vom 17. Januar 2002 – 3 StR 417/01, StV 2011, 524 und 2002, 470, 471), die das Landgericht über Vorhalte eingeführt hat, hätten ebenso wie die dem Zeugen D. gewährte Strafmilderung Anlass für eine besonders sorgfältige Würdigung seiner Aussage geben müssen. Hinzu kommt, dass in einem Fall, in dem ein Angeklagter zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben eines selbst tatbeteiligten Zeugen überführt werden soll, die Urteilsgründe erkennen lassen müssen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dazu hätte die Strafkammer die Entstehung und den Inhalt der den Angeklagten belasten-den Angaben sowie deren Entwicklung näher darlegen und bewerten müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2008 – 2 StR 147/08, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, unzureichende 19, vom 17. März 2009 – 4 StR 662/08, NStZ-RR 2009, 212, und vom 4. August 2004 – 5 StR 267/04). Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.“

Und dann gibt es noch einen allgemeinen Hinweis:

4. Der Senat weist anhand erhobener Beweisantragsrügen darauf hin, dass Anträge auf Zeugenvernehmung von Vernehmungspersonen über bestimmt behauptete frühere Angaben von Belastungs- und Entlastungszeugen inhaltlich nach Maßgabe des § 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 6 StPO und nicht nach § 244 Abs. 2 StPO zu bescheiden sind.

Mal wieder was zum Fahren ohne Fahrerlaubnis – oder die „ausländische Fahrerlaubnis“

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Im Moment ist es hinsichtlich der mit dem Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) zusammenhängenden Fragen bzw. der EU-Fahrerlaubnis recht ruhig. Hinzuweisen ist dann aber doch auf ein OLG Hamm, Urt. v. 26.09.2012 – III – 3 RVs 46/12, in dem das OLG Hamm zum Umfang der tatsächlichen Feststellungen Stellung genommen hat. Nach Auffassung des OLG Hamm muss nicht in jedem Fall, in dem ein Fahrzeugführer eine ausländische EU-Fahrerlaubnis hat und daher nach § 28 Abs. 1 FeV grundsätzlich zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt ist, auch ohne Anhaltspunkte festgestellt werden, ob sämtliche Ausnahmetatbestände des § 28 Abs. 4 FeV vorliegen.

Das hatte das OLG München vor einiger Zeit anders gesehen:

Es ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch nicht ersichtlich, dass der Angeklagte zu der Zeit, als er seinen Führerschein erwarb, keinen Wohnsitz in Spanien hatte.

Entgegen der Ansicht des OLG München (Beschluss vom 22.06,2012 -4 StRR 069/12) sind tatrichterliche Feststellungen hierzu nicht in jedem Falle erforderlich, wenn die Anwendung des § 281V I Nr. 3 FeV in Betracht kommt. Zwar geht der EuGH bei seiner Beantwortung der entsprechend lautenden Vorlagefrage zu § 28 IV 1 Nr, 3 FeV explizit auf das Wohnsitzerfordernis ein. Bei der Möglichkeit, einen ausländischen EU-Führerschein nicht anzuerkennen, wenn das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllt wurde, handelt es sich jedoch nach der gesetzlichen Konzeption um einen Ausnahmetatbestand (§ 28 IV 1 Nr. 2 FeV), der wie die übrigen Ausnahmetatbestände des § 28 IV FeV selbständig neben § 28 IV 1 Nr. 3 FeV steht. Die Ansicht des OLG München müsste daher konsequenterweise bedeuten, dass in jedem Fall, in dem ein Fahrzeugführer eine ausländische EU-Fahrerlaubnis hat und daher nach § 28 I FeV grundsätzlich zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigt ist, auch ohne Anhaltspunkte festgestellt werden muss, ob sämtliche Ausnahmetatbestände des § 28 IV FeV vorliegen.

Vielmehr sind Feststellungen zu den Ausnahmetatbeständen des § 28 IV FeV, wenn sie im Ergebnis nicht angenommen werden und deshalb ein Freispruch vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis erfolgt, nur dann notwendig, wenn konkrete Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind. Wird ein Ausnahmetatbestand bejaht, erübrigen sich Feststellungen zu den übrigen Ausnahmetatbeständen.

Vorliegend sind keine Anhaltspunkte für die Annahme des § 281VI Nr. 2 FeV er- sichtlich.

Die Abweichung von der Rechtsauffassung des OLG München zwingt nicht zur Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 121 II Nr. 1 GVG. Eine solche muss nur dann erfolgen, wenn die Rechtsauffassung, soweit von ihr ab- gewichen wird, tragende Grundlage für die vorhergehende Entscheidung war (KK- Hannich, 6. Aufl. § 121 GVG, Rn. 38). Mit anderen Worten müsste die vorhergehende Entscheidung unter Zugrundelegung der abweichenden Rechtsauffassung anders ausfallen, um eine Vorlagepflicht zu bejahen.