Nach dem Beitrag des RiBGH Cierniak in zfs 2012, 664 (vgl. hier Prozessuale Anforderungen an den Nachweis von Verkehrsverstößen” und dazu unseren Beitrag hier) und auch dem OLG Naumburg, Beschl. v. 05.11.2012 – 2 Ss (Bz) 100/12 wird man m.E. die Entscheidungen, die sich mit der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren betreffend Bedienungsanleitung und Unterlagen befassen, in solche aus der Zeit „vor Cierniak“ und solche aus der Zeit „nach Cierniak“ einteilen müssen. Zu den Entscheidungen „vor Cierniak“ gehört der AG Westerstede, Beschl. v. 02.11.2012 – 48 OWi 350/12, der drei Kernaussagen enthält zur Einsicht in das Referenzvideo, zur Art und Weise der Akteneinsicht und zur Lebensakte:
Dem Verteidiger ist Einsicht in das Referenzvideo zu gewähren, welches bei Einrichtung der Messstelle erstellt wurde. Der Betroffenen steht es zu, bereits im Verfahren der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, ob die Messstelle entsprechenden den Vorgaben der Herstellerfirma ordnungsgemäß eingerichtet wurde. Da weitere Nachweise diesbezüglich nicht vorliegen, bedarf es der Übersendung des Referenzvideos,
Soweit der Verteidiger hingegen gerichtliche Entscheidung bezüglich der Versagung der Übersendung der Bedienungsanleitung beantragt hat, war dieser Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Zwar führt der Verteidiger zutreffend aus, dass das Akteneinsichtsrecht auch die Bedienungsanleitung des Messgeräts umfasst (vgl. AG Westerstede, Beschluss vom 27.06.2012 — 48 OWi 241/12 sowie auch bspw. AG Lüdinghausen, Beschluss vom 09.02,2012 – 19 OWi 19/12; AG Herford, Beschluss vom 20.09.2010 – 11 OWi 624/10; LG Ellwangen, Beschluss vom 14.09.2009 — 1 Os 166/09). Diesem Recht wurde jedoch vorliegend bereits durch die Bußgeldstelle hinreichend entsprochen, indem der Verteidiger mit E-Mail vom 06.07.2012 darauf hingewiesen wurde, dass die entsprechende Bedienungsanleitung auf der Internetseite der Herstellerfirma VIDIT GmbH eingesehen werden kann. Dem Verteidiger wird somit eine kostenlose Einsichtnahme in die Bedienungsanleitung und folglich Überprüfung der Messung ermöglicht, ohne dass es hierfür einer Vervielfältigung und Aktenübersendung bedarf. Eine entsprechende Vorgehensweise ist dem Verteidiger auch zumutbar, da sie ohne erheblichen Aufwand durchzuführen ist.
Ebenso war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung bezüglich der Versagung der Übersendung der Lebensakte als unbegründet zurückzuweisen. Die Verwaltungsbehörde hat diesbezüglich mitgeteilt, dass eine Lebensakte für das eingesetzte Messgerät nicht geführt wird. Mangels Vorhandensein einer solchen Akte kann folglich auch keine Kopie hiervon erstellt oder Einsicht hierin gewährt werden.
Dazu ist zu sagen:
- Zum Referenzvideo geht der Beschluss ok.
- Das gilt m.E. auch zum Verweis auf die Möglichkeit der Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung im Internet. Das ist m.E. zumutbar. Angesichts der Umstandes, dass heute jedes Rechtsanwaltsbüro über einen Internetzugang verfügen dürfte, wird man der Entscheidung zustimmen können. Voraussetzung ist aber, dass die Bedienungsanleitung dort ohne Probleme und/oder besondere Zugangserfordernisse eingesehen werden und ggf. auch ausgedruckt werden kann (so wohl auch Cierniak zfs 12, 664, 674). Anderenfalls läuft das Akteneinsichtsrecht ins Leere.
- Zur Lebensakte stellt sich die Frage, ob dem Verteidiger dann nicht Auskünfte zu erteilen sind?