Archiv für den Monat: August 2012

Nach dem Beschluss ist Schluss – wie lange kann ich ablehnen

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Nichts wesentliche Neues bringt der KG, Beschl. v. 05.04.2012 – 4 Ws 31/12 -, aber dennoch ist er mir einen kurzen Hinweis auf die mögliche Unzulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs wert. Dieses ist nämlich in den Fällen der Entscheidung des Gerichts im Beschlussweg unzulässig, wenn es nachträglich gestellt wird. An sich gibt es ja sonst in den Fällen keine zeitlichen Beschränkungen für ein Ablehnungsgesuch, anders als bei der Ablehnung in der Hauptverhandlung. Dazu das KG:

„Entscheidet das Gericht im Beschlusswege, so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist. Eine nachträgliche Ablehnung eines Richters nach dessen Mitwirkung an einer Entscheidung sieht das Prozessrecht nicht vor.“

Davon gibt es – wie könnte es anders sein – natürlich eine Ausnahme: Ist ein Antrag nach § 33a StPO gestellt, kann die Ablehnung noch erklärt werden.

Eins, zwei, drei – meins, oder: Der betrügerische Ankauf von Plagiatsfelgen bei ebay

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Ebay beschäftigt immer wieder auch die Rechtsprechung. Häufig sind es zivilrechtliche Fragen, wie Abschluss des Vertrages oder Abbruch einer Auktion, häufig aber auch strafrechtliche Probleme. Solche lagen dem BGH, Beschl. v. 27.06.2012  – 2 StR 79/12 zugrunde.

Da ginge es um einen Angeklagten, der einen Reifen- und Felgenhandel über ebay betrieb. Dort bot er dort auch Felgen und Reifen zu Komplettpreisen an, bei denen er wahrheitswidrig angab, es handele sich um hochwertige Originalfelgen der Marke Porsche. Tatsächlich handelte es sich aber um von ihm für durchschnittlich 800 Euro pro Felgensatz in Italien eingekaufte und mit einem Porsche-Emblem versehene Plagiatsfelgen, die keine Freigabe des Kraftfahrtbundesamts besaßen und in die (teilweise von ihm selbst) eine gefälschte Prüfnummer eingeschlagen war. Die Strafkammer des LG je Felgensatz von einem Schaden in Höhe von 1.000 Euro ausgegangen. Die Plagiatsfelgen seien für die Käufer nicht wertlos gewesen, hätten aber gegenüber entsprechenden Originalfelgen einen Minderwert von nicht mehr als 500 Euro gehabt. Ein weiterer Schaden liege darin, dass die Plagiatsfelgen erst nach behördlicher Zulassung im Straßenverkehr genutzt werden durften; der Aufwand dafür sei mit mindestens 500 Euro je Felgensatz zu veranschlagen. Dem BGH hat das für die Annahme eine Betrugsschadens i.S. des § 263 StGB nicht gereicht:

Das Landgericht hat bei der Bestimmung des Schadens i.S.v. § 263 Abs. 1 StGB einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt, indem es zur Schadensermittlung den Minderwert der Plagiatsfelgen gegenüber den Originalfelgen herangezogen hat. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar auch zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts des Vermögens des Verfügenden führt (Prinzip der Gesamtsaldierung; vgl. BGHSt 53, 199, 201 mwN). Wird bei einem Kauf über Umstände getäuscht, die den Verkehrswert der Sache maßgeblich mitbestimmen, erleidet der dadurch zum Kaufabschluss bewogene Kunde einen Schaden regelmäßig nur dann, wenn die Sache objetiv den vereinbarten Preis nicht wert ist. Unerheblich ist demgegenüber regelmäßig, ob die gelieferte Ware von geringerem Wert ist als die vertraglich ver-einbarte. Daher ist beim Fehlen einer vom Verkäufer fälschlich zugesicherten Eigenschaft der Kaufsache der Käufer nicht stets und ohne Rücksicht darauf, ob die Sache trotz Fehlens der zugesicherten Eigenschaft den vereinbarten Preis wert ist, durch den Abschluss des Vertrages betrügerisch geschädigt (vgl. BGHSt 16, 220, 221 f.; BGH wistra 1986, 169, 170; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 263 Rn. 111).“

Der BGH vermisst dann u.a. ausreichende Feststellungen zum objektiven Wert der Felgen und zu den Kosten für die behördliche Zulassung. Denn auch diese Folgekosten können allenfalls insoweit einen Vermögensschaden begründen, als der Wert der gelieferten Felgensätze nicht entsprechend höher lag als das gezahlte Entgelt. Und schließlich: Ein Gefährdungsvermögensschaden kann sich schließlich daraus ergeben, dass die Plagiatsfelgen gemäß § 143 Abs. 5 Satz 1 MarkenG der Einziehung unterliegen können. Aber auch dazu hätten mehr Feststellungen getroffen werden müssen.

Strafzumessung – Doppelverwertungsverbot – manchmal ist es auch richtig

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I.d.R. führen Verstöße gegen das sog. Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB zu Aufhebung des Urteils, zumindest aber zu der Feststellung, dass die Strafzumessung fehlerhaft ist. Das ist jedoch nicht immer der Fall. Eine Ausnahme behandelt der BGH, Beschl. v. 28.06.2012 – 2 StR 61/12, ergangen in einem Totschlagsverfahren. Da merkt der 2., Strafsenat an:

Zwar verstößt es in der Regel gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, wenn der Umstand, dass der Angeklagte mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt hat, als solcher straferschwerend verwertet wird, weil damit nur der Normalfall des § 212 StGB gekennzeichnet wird (BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 1, 3, 4, 5; BGH NStZ 2008, 624; aA S/S/W-StGB/Eschelbach § 46 Rn. 185). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Täter – wie hier festgestellt – absichtlich einen Menschen tötet, er also nicht nur um den Todeseintritt sicher weiß, sondern es ihm vielmehr darauf ankommt. Ebenso ist
es nicht ausgeschlossen, eine zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges notwendige, das Mordmerkmal der Grausamkeit noch nicht erfüllende Tötungshandlung unter dem Gesichtspunkt der besonderen Handlungsintensität straf-schärfend zu berücksichtigen.

Polizei ade – zumindest beim Blechschadenunfall?

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Der münsterische Polizeipräsident H. Wimber ist immer für Diskussionsanstöße gut. Nachdem er sich vor einiger Zeit für die Freigabe weicher Drogen eingesetzt hat, hat er in den letzten Tagen mit einem Vorschlag überrascht, der nun mehr oder weniger heftig diskutiert wird. Vorgeschlagen hat er nämlich u.a.: Die Polizei soll nicht mehr bei Verkehrsunfällen mit Blechschäden zur Unfallstelle kommen müssen. Es werde dort nämlich i.d.R. mit einem Personalaufwand von zwei Polizeibeamten und einem Zeitaufwand von ein bis zwei Stunden der Sachverhalt für Haftpflichtversicherer geklärt. Das sei nicht Aufgabe der Polizei.

Na ja.

  • Wirklich für den Haftpflichtversicherer oder nicht doch auch für die unfallbeteiligten Bürger?
  • Und führt das Nichterscheinen der Polizei nicht ggf. dazu, dass dann an anderer Stelle sehr viel mehr Arbeit entsteht, die ggf. durch eine polizeiliche Unfallaufnahme hätte vermieden werden können? Nämlich bei den Gerichten, wenn der Unfallhergang streitig wird.
  • Und wie bitte schön sollen die Unfallbeteiligten den Unfallhergang klären und/oder Feststellungen treffen? Können/dürfen sie die Straße sperren, um Feststellungen zum Stand der Fahrzeuge pp. treffen zu können? Wie beweissicher sind die getroffenen Feststellungen?

Da tun sich m.E. eine ganze Menge Fragen auf. Hintergrund für den Vorschlag dürften fiskalische Erwägungen sein. Die Polizei soll sich mit anderen Aufgaben beschäftigen.

Erste Reaktionen auf den Vorschlag liegen vor. Die Deutsche Polizeigewerkschaft lehnt ihn ab. Die Haftpflichtversicherer haben sich auch schon gemeldet. H. Wimber hatte nämlich darauf hingewiesen, dass es sachverständige private Firmen gebe, „die das gegen Bezahlung regeln“. Dazu haben die Haftpflichtversicherer schon mitgeteilt, dass es nicht ihre Aufgabe sei, solche Dinge zu bezahlen.

P.S.: Ich denke, dass bei einem Unfall wie auf dem beigefügten Bild die Polizei auch in Zukunft noch kommen wird/muss/soll. 🙂

Bewährungswiderruf? Jein!, oder: Nicht mit der einen Hand genommen, was mit der anderen Hand bekommen.

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Eine in meinen Augen „weise Entscheidung“, die der OLG Hamm, Beschl. v. 24.07.2012  1 Ws 322/12 – betreffend einen Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung getroffen hat.

Nach dem Sachverhalt ist der Verurteilte  zu einer Freiheitsstrafe zur Bewährung verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Es kommt in laufender Bewährungszeit zu einer neuen Straftat, die zu einer neuen Verurteilung führt. Es wird das Vorliegen der Voraussetzungen des § 35 BtMG bejaht. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe wird dann auch gem. § 35 BtMG zurückgestellt. Die Strafvollstreckungskammer widerruft aber dennoch die Bewährung aus der ersten Verurteilung. Die Zurückstellung der Strafe aus dem zweiten Urteil gem. § 35 BtMG spreche nicht gegen den Widerruf, da der Verurteilte die zunächst begonnene Therapie abgebrochen und der Erfolg der -seinerzeit noch geplanten- Therapie in der Therapieeinrichtung ungewiss sei. Im Fall des rechtskräftigen Widerrufs der Reststrafe stehe es dem Verurteilten indes frei, auch auf Zurückstellung der Strafe aus dem ersten Urteil gem. § 35 BtMG anzutragen.

Das OLG Hamm kommt zur Zurückstellung des Widerrufs der Strafe aus der ersten Verurteilung für die Dauer der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG betreffend die zweite Verurteilung.

Zwar liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung gem. § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB aufgrund der unmittelbar in Anschluss an die Strafaussetzung begangenen einschlägigen Straftaten des Verurteilten unzweifelhaft vor, wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkannt hat. Der Widerruf der Strafaussetzung kommt jedoch nicht in Betracht, wenn mildere Mittel gem. § 56f Abs. 2 StGB ausreichend sind. Hiermit setzt sich die Strafvollstreckungskammer nicht hinreichend auseinander. Das wäre aber vorliegend erforderlich gewesen, weil es nahe lag, dem Verurteilten entweder eine Therapieweisung zur Fortsetzung der begonnenen Langzeitentwöhnungsbehandlung zu erteilen oder aber jedenfalls vom Widerruf zum jetzigen Zeitpunkt abzusehen.

 Nach allgemeiner Ansicht müssen einschlägige Rückfalltaten Drogen- oder Alkoholabhängiger einer günstigen Sozialprognose nicht zwingend entgegen stehen, wenn neue tatsächliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Einzelfall günstig zu beeinflussen (OLG Hamm, B. v. 20.05.2008, 5 Ws 172 und 173/08; OLG Schleswig B. v. 25.04.2008, 2 Ws 164/08, StraFo 2008, 344; OLG Celle, B. v. 14.02.2012, 1 Ws 54/12, zit. bei JURIS Rdnr 5ff, Fischer, 59. Aufl. § 56f Rdnr 14, jew. m.w.N.). Eine stationäre Drogenlangzeittherapie gemäß § 35 BtMG ist in der Regel als günstige Möglichkeit der Wiedereingliederung Drogenabhängiger in die Gesellschaft anzusehen (KG Berlin, B. v. 02.04.2001, 5 Ws 167/01; OLG Düsseldorf, B. v. 09.12.1996, 1 Ws 1061/96, StV 1998, 215, jew. zit. nach JURIS). Dies gilt insbesondere dann, wenn die Drogenabhängigkeit des Verurteilten noch nicht lange andauert, die Verbüßung von Freiheitsstrafe erstmalig bevorsteht und stationäre Langzeittherapiemaßnahmen bislang noch nicht stattgefunden haben (KG a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.).

Und die günstige Sozialprognose hat das OLG aufgrund der Umstände des Einzelfalls bejaht. M.E. zutreffend: Denn sonst würde mit der einen Hand genommen, was der Verurteilte mit der anderen Hand bekommen hat. Die Chance der Wiedereingliederung.