Archiv für den Monat: Mai 2012

Echternacher Springprozession beim LG Braunschweig – zwei vor – eins zurück

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Der im Gebührenrecht ergangene LG Braunschweig, Beschl. v.08.03.2012 5 Qs 39/12 erinnert mich ein wenig an die Echternacher Springprozession – vor und zurück. Denn

Der Leitsatz 1:„Für das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VV RVG genügt es, wenn ein vermögensrechtlicher Anspruch in Strafverfahren miterledigt wird. Das Entstehen der Gebühren nach Nr. 4143 VVRVG ist nicht von einem förmlichen Antrag nach § 406 Abs. 1 StPO abhängig“ ist richtig.

Der Leitsatz 2: „Die Tätigkeit des Pflichtverteidigers, die zu einer Einstellung des Verfahrens gem. § 153 a Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 2 StPO gegen Erfüllung einer Auflage zur Schadenswiedergutmachung führt, führt zwar zur Gebühr Nr. 4143 VV RVG, darauf erstreckt sich der Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers jedoch nicht.“ m.E. nicht. M.E. gilt insoweit der Satz: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Gebühr Nr. 4143 VV RVG in einem Fall, wie er der Entscheidung zugrunde liegt, entsteht, dann muss man m.E. diese Gebühr auch „als gesetzliche Gebühr“ entstehen lassen. Wenn der Pflichtverteidiger in Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens tätig wird und dafür – wovon ja auch das LG ausgeht – Gebühren entstehen, dann entstehen sie auch als gesetzliche Gebühren. Hier bekommt dann die Diskussion um die Frage der Erstreckung der Pflichtverteidigerbeiordnung auf das Adhäsionsverfahren Bedeutung, der das LG offensichtlich ausweichen wollte. Sie wäre zwar nicht direkt, aber sicherlich indirekt zu führen gewesen.

„Kann ich mich auf dich verlassen?“ – Haftverschonung auch bei hoher Strafe…

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Das KG, Beschl. v. 02.02.2012 – 4 Ws 10/12 entscheidet noch einmal das, was in der Praxis häufig Schwierigkeiten macht: Haftverschonung (§ 116 StPO) auch bei hoher Straferwartung – ohne allerdings expressis verbis zu sagen, was denn nun eine hohe Strafe ist.

3. Der Senat ist aber der Auffassung, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch ohne deren weiteren Vollzug erreicht werden kann. Die aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen milderen Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO sind geeignet, diesen Zweck zu erreichen. Der Angeklagte war vor seiner Festnahme in den Verbund seiner Familie eingebunden. Dass sich die Einstellung seiner Angehörigen während der seit knapp zwei Monaten vollzogenen Untersuchungshaft entscheidend geändert hätte, ist nicht ersichtlich. Bei der Frage, ob der Senat sich auf den Angeklagten verlassen kann, ist dessen Verhalten im Verfahren von Bedeutung. Der Angeklagte hat sich dem Verfahren auch weiterhin gestellt, als dieses für ihn ungünstig verlief. Dass ihm eine Gesamtfreiheitsstrafe drohte, die vier Jahre übersteigen würde, war dem anwaltlich beratenen Beschwerdeführer jedenfalls nach der Eröffnung des Hauptverfahrens vor der Jugendkammer, der die Sache von dem Jugendschöffengericht unter Hinweis auf den Gesichtspunkt der Strafgewalt vorgelegt worden war, bereits bewusst. Er hat sich der Hauptverhandlung beanstandungsfrei gestellt, obgleich sich die Beweisaufnahme nicht seiner Hoffnung gemäß entwickelte. Am letzten Sitzungstag ist es nach den Plädoyers zu einer dreistündigen Unterbrechung der Hauptverhandlung gekommen, nach deren Ablauf sich der Angeklagte in Kenntnis der Anträge der Staatsanwaltschaft, eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten auszusprechen und einen Haftbefehl zu erlassen, abermals vor das Gericht begeben hat. Seine Wohnmöglichkeit steht ihm weiterhin zur Verfügung. Die getroffenen Maßnahmen sind hiernach geeignet zu verhindern, dass der Angeklagte dem gegebenen Fluchtanreiz nachgibt. Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft Berlin führt der Umstand, dass es einer (dem Angeklagten bisher unbekannten) Mitteilung einer sozialpädagogischen Prozessbegleiterin zufolge in den vergangenen Jahren zu Kontakten des Angeklagten mit den Geschädigten gekommen ist, hinsichtlich der Beurteilung der Fluchtgefahr zu keiner anderen Beurteilung. Ein anderer Haftgrund, für den dies von Belang sein könnte, ist bisher von keiner Seite in den Raum gestellt worden. Im Übrigen überrascht die Tatsache solcher Kontakte angesichts dessen, dass der Angeklagte sich – nicht nur mit Billigung der Kindesmutter, sondern seinem unter Beweis gestellten Vorbringen zufolge auch mit Kenntnis des Jugendamtes – oftmals in der Familienwohnung aufhielt, nicht. Allein die Höhe der hier im Raum stehenden Strafe steht einer Haftverschonung nicht entgegen (vgl. auch KG NJW 1994, 601 sowie KG, Beschlüsse vom 20. Oktober 2006 – 3 Ws 507/06 – und 20. Januar 2011 – 3 Ws 26/11 -; Senat, Beschlüsse vom 16. März 2006 – 4 Ws 40-41/06 – und 5. Dezember 2007 – 4 Ws 158/07 -).“

Schön die Formulierung: „Bei der Frage, ob der Senat sich auf den Angeklagten verlassen kann, ...“. Wollen wir es hoffen, für den Angeklagten und den Senat :-).

Koks im/am Rollstuhl

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Einen etwas ungewöhnlichen Platz zum Verstecken von 3,2 kg Kokain hatte sich ein Drogenschmuggler für den Grenzübergang von Mexiko in die USA ausgesucht. Er hatte, wie in der Tagespresse heute berichtet wird – das Sitzkissen (s)eines Rollstuhls ausgewählt. Aufgefallen ist dann wohl die Dicke des Kissens. Also nicht auf Rosen, sondern auf Drogen gebettet.

Ideen muss man haben :-), nur gebracht hat es nichts.

Anfängerfehler III (?) – na ja, zumindest „unschön“… auf anwaltlicher Seite

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Dieses Mal kein gerichtlicher „Anfängerfehler“ (vgl. dazu die Beiträge hier und hier zu BGH, Beschl. v. 11.04.2012 – 3 StR 108/12 und BGH, Beschl. v. 27.03.2012 – 3 StR 47/12) sondern ein Fehler auf anwaltlicher Seite, nämlich auf Seiten des Vertreters einer Geschädigten, deren „Stiefvater“ getötet worden war. Die hat sich dem Verfahren als Nebenklägerin anschließen wollen und Revision eingelegt.

Der BGH, Beschl. v. 14.02.2012 – 3 StR 7/12 verwirft das Rechtsmittel als unzulässig. Die Begründung:

Der erhobenen öffentlichen Klage können sich die Eltern, Kinder, Geschwister und Ehegatten oder Lebenspartner eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten anschließen (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich jedoch um die Stieftochter des Tatopfers. Dies ergibt sich aus der Anschlusserklärung des Nebenklägervertreters vom 26.05.2011 (Bd. IV, Bl. 10). Entgegen der da-rin geäußerten Ansicht ergibt sich aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15.09.1995 – 3 StR 328/95 – ausdrücklich, dass der Stiefvater eines Getöteten nicht zu den nebenklageberechtigten Per-sonen im Sinne des § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO gehört (vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 395 Rn. 8 ) und auch eine gleichwohl erfolgte Zulassung eine Nebenklägerstellung nicht begründen kann. Mithin gehört auch die Beschwerdeführerin nicht zu dem nebenklageberechtigten Personenkreis und kann deshalb auch kein Rechtsmittel einlegen.“

Sollte man wissen.

Anfängerfehler II – nicht ganz so krass, aber auch falsch

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Nicht ganz so krass wie in BGH, Beschl. v. 11.04.2012 – 3 StR 108/12 (vgl. vorhin hier) ist der Fehler, den das LG Stralsund – ebenfalls in einem Missbrauchsverfahren – gemacht hat und der der Aufhebung durch den BGH, Beschl. v. 27.03.2012 – 3 StR 47/12 zugrunde liegt.

Fehler und Begründung ergeben sich aus der BGH-Begründung wie folgt:

a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung den Antrag gestellt, zum Beweis der Tatsache, dass die Geschädigte D. in der Tatnacht nicht wie von ihr behauptet in sein Zimmer habe gelangen können, die Tatörtlichkeit in Augenschein zu nehmen. Diesen Antrag hat das Landgericht wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beweistatsache beeinflusse selbst im Falle ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse darauf zulasse, ob der Angeklagte die Geschädigte sexuell missbraucht habe.
b) Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Beschluss, mit dem ein Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit der behaupteten Tatsache abgelehnt wird, die Erwägungen anführen, aus denen der Tatrichter ihr aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch beimisst. Geht es wie hier um die Glaubwürdigkeit einer Zeugin, bedarf es der Begründung, warum die zu beweisende Tatsache das Gericht auch im Falle ihres Nachweises unbeeinflusst ließe. Die Anforderungen an die Begründung entsprechen grundsätzlich den Darlegungserfordernissen bei der Würdigung von durch die Beweisaufnahme gewonnenen Indiztatsachen in den Urteilsgründen (BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2006 – 4 StR 251/06, NStZ-RR 2007, 84, 85 mwN).

Dem genügt der Beschluss des Landgerichts nicht. Er teilt weder mit, dass das Landgericht den von ihm als möglich bezeichneten Schluss nicht ziehen wolle, noch begründet er diese Entscheidung mit konkreten Erwägungen. Die Bedeutungslosigkeit lag nicht auf der Hand (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1990 – 5 StR 594/89, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 12), so dass eine fallbezogene Begründung auch nicht unter diesem Aspekt entbehrlich war.

Auch hier: Ständige Rechtsprechung, die eine Strafkammer kennen sollte.