Archiv für den Monat: Januar 2012

Betreutes Fahren in der Bahn?

Zwei Dinge sind, m.E, bemerkenswert am Gericht: OLG Nürnberg, Urt .v. 30.12.0211 – 14 U 852/10, bei dem es um Schadensersatz in Zusammenhang mit einer Bahnfahrt ging:

  1. Einmal, dass die Klage überhaupt erhoben wurde – sorry, der ein oder andere wird es anders sehen, ich weiß. Man könnte auch sagen: Erst saufen, dann Blödsinn machen (wollen) und dann fragen: Wo bekomme ich Schadensersatz.
  2. Dass die DB, die ich nun wahrlich nicht immer schätze, keine allgemeine Betreuungspflicht hat.

Der Leitsatz des Urteils dazu:

„Klettert ein Fahrgast aus dem Fenster eines anfahrenden Zuges und kommt dabei zu Schaden, so stehen ihm regelmäßig wegen seines überwiegenden Mitverschuldens Schadensersatzansprüche gegen den Bahnbetreiber nicht zu.
Dies gilt auch dann, wenn sich nicht mehr klären lässt, ob er von diesem oder einem nachfolgenden Zug verletzt wurde, selbst wenn letzterer aufgrund eines Fehlverhaltens des Zugbegleiters nicht mehr angehalten werden konnte.

In den Gründen führt das OLG dann aus:

„….

1. Die Beklagte hat keine vertragliche Nebenpflicht dadurch verletzt, dass der von ihr eingesetzte Zugbegleiter als ihr Erfüllungsgehilfe das Hinausklettern des Klägers aus dem Fenster nicht verhinderte. Vor allem bestand auch unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles keine Aufsichtspflicht des Zugbegleiters gegenüber dem Kläger.
a) Das Hinausklettern aus dem Fenster hätte nur durch eine ständige Beaufsichtigung des Klägers durch den Zugbegleiter verhindert werden können. Eine solche war nicht gefordert. Anders wäre es gewesen, wenn Anzeichen dafür bestanden hätten, dass der Kläger den Zug über das Fenster verlassen wollte. Solche gab es aber nicht.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Berufung, dem Zugbegleiter sei bekannt gewesen, dass der Kläger infolge starker Alkoholisierung hilflos gewesen sei und in H. auf der falschen Seite habe aussteigen wollen. Er habe damit rechnen müssen, dass der Kläger auf eine andere Art und Weise versuchen würde, in H. auszusteigen und habe ihn deshalb nicht mehr aus den Augen lassen dürfen, vielmehr an der nächsten Station der Polizei übergeben müssen; vor allem habe der Zugbegleiter den Kläger nicht gefragt, ob dieser in H. aussteigen wollte.
Demgegenüber ist festzustellen, dass der Zugbegleiter, wie dieser bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht am 14.01.2009 (Sitzungsprotokoll Seite 4) bekundete, den Kläger ansprach, als dieser beim Halt in H. auf der falschen Seite aussteigen wollte, ihm erklärte, dass er auf dieser Seite nicht aussteigen dürfe, jener aber nichts antwortete und wieder in das Abteil zurückging und sich dort hinsetzte.
Dieses aus objektiver Sicht regelgerechte Verhalten des Klägers, der den Anweisungen des Zugbegleiters folgte, keine weiteren erkennbaren Anstalten machte, auf der falschen Seite auszusteigen, sondern direkt wieder ins Abteil zurückging und sich dort hinsetzte, ließ eine besondere Überwachungspflicht des Zugbegleiters nicht entstehen…“

Der Kampf am Fußgängerüberweg

Schon etwas älter ist OLG Jena, Beschl. v. 27.06.2011 – 1 SsBs 30/11 und er betrifft auch einen Kraftfahrer, dem das OLG ins Stammbuch schreibt:

„Grundsätzlich muss der Kraftfahrer vor dem Überweg sofort anhalten, wenn er sieht, dass Fußgänger den Überweg betreten oder sonst durch ihr Gesamtverhalten Benutzungsabsicht anzeigen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn ein vorsichtiges Weiterfahren den Fußgänger bei normalem Weitergehen überhaupt nicht beeinflusst, d.h. ihn in keiner Weise beeinträchtigen kann. Dieser Ausnahmefall ist entweder bei einem außergewöhnlich langen oder in der Mitte geteilten Überweg oder sonst nach Verständigung zwischen Fahrzeugführer und Fußgänger denkbar.“

Aber: Dennoch auch an sich wie gemacht für Münster, die Fahrradstadt. Denn hier kämpfen nicht nur Kfz und Fußgänger, sondern vor allem auch Fußgänger und Fahrradfahrer um die Hoheit  am/über den Fußgängerüberweg. § 26 StVO ist da an sich deutlich. Von daher schreibt das OLG Jena die Pflichten des Fahrzeugführeres – und das ist auch der Radfahrer – noch einmal fest.

Durchsuchung: nicht nur Vermutungen, sondern „Butter bei die Fische“…

Eine Durchsuchungsanordnung setzt einen Anfangsverdacht gemäß § 152 Abs. 2 StPO voraus. Dieser muss aber – so die Rechtsprechung des BVerfG – über bloße Vermutungen hinausreichen und auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützt werden. Das wird häufig übersehen, wenn von AG ohne ausreichende konkrete Anhaltspunkte für einen Tatverdacht Durchsuchungen angeordnet werden. Wenn die dann im „Morgengrauen“ vor versammelter Nachbarschaft durchgeführt werden: Ein „schönes“ Erlebnis…

Auf die Notwendigkeit eines ausreichenden Tatverdachts weist dann jetzt auch das LG Oldenburg, Beschl. v. 11.01.2012 – am 11.01.2012 noch einmal hin. Vorgeworfen wurde der Beschuldigten – offenbar eine Wohnungsverwalterin – Untreue (§ 266 StGB) durch nicht Weiterleitung von Mieteinnahmen. Das LG führt aus:

„…Ein konkreter Tatverdacht lässt sich auch nicht aus dem Verhalten der Beschuldigten in den Zivilverfahren ersehen. Die Beschuldigte hat dort die Auskunftserteilung hinsichtlich der von ihr abgeschlossenen Vermietungen verweigert, nachdem sie über Jahre – von den Anzeigeerstattern unbeanstandet – die Abrechnungen ohne. konkrete Benennung und Nachweis der Mieterdaten erstellt hat. Erstinstanzlich hat ihr das Landgericht Oldenburg Recht gegeben und die gegen sie gerichteten Klagen abgewiesen, da der Anspruch der  Kläger auf Rechnungslegung durch Geheimhaltungsinteressen der Beschuldig eingeschränkt gewesen sei. Dieser sei die Offenbarung des von ihr erarbeiteten Kundenstammes unzumutbar. Erst in der Berufungsinstanz hat das Oberlandesgericht zwar zugunsten der Kläger die Beschuldigte zur Auskunftserteilung verurteilt, zugleich aber z.T. die Revision zugelassen. Die Beschuldigte hat insoweit sodann Revision eingelegt. Dass die Beschuldigte die Auskunftsverteilung verweigert, solange eine Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes nicht vorliegt, kann schon keinen Tatverdacht begründen. Dass dies mit widersprüchlichem Vortrag geschehen sei, lässt ebenfalls nicht indiziell auf die Veruntreuung von Mieteinnahmen oder eine Betrugshandlung schließen, sondern kann ebenso gut durch die (begründete oder unbegründete) Zurückhaltung der von ihr erwirtschafteten Kundendaten motiviert sein, die die Beschuldigte den Anzeigeerstattern nach Beendigung des Vermittlungsvertrages nicht preisgeben möchte. Diese – vom Landgericht erstinstanzlich gestützte – Motivation ist auch plausibel, so dass sich der Schluss, die Beschuldigte wolle hierdurch nicht abgeführte Mieteinahmen vertuschen, auch nicht aufdrängt…“

Verfahrensverzögerung – was wird daraus?

Der BGH, Beschl. v. 25.10.2011 – 3 StR 206/11 nimmt zur Verfahrensverzögerung Stellung und führt aus:

„3. Die Kompensationsentscheidung wird von der Teilaufhebung des Urteils nicht erfasst (BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135). Der Angeklagte ist durch die rechtsfehlerhaft überhöhte Entschädigung – acht Monate Freiheitsstrafe bei einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von zwei Jahren und drei Monaten – nicht beschwert. Mit Blick auf die Aus-führungen der Revision und des Generalbundesanwalts weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Höhe der im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu gewährenden Entschädigung sich nicht nach der Höhe der Strafe richtet, auf die das Tatgericht erkannt hat. Die im Wege des sog. Vollstreckungsmodells vorzunehmende Kompensation koppelt den Ausgleich für das erlittene Verfahrensunrecht vielmehr von vornherein von Fragen des Tatunrechts, der Schuld und der Strafhöhe ab. Der Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung stellt eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung dar. Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld spielen weder für die Frage, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist, noch für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (vgl. schon BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 138; s. auch BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09, aaO, 138).“

M.E. nicht ganz deckungsgleich mit dem neuen § 198 GVG, in dem es hießt:

§ 198.
(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Die Fragen dürften interessant werden, wenn es um eine andere Wiedergutmachung i.S. des § 198 Abs. 4, 199 GVG geht. M.E. wird man nur dann über § 198 Abs. 4 GVG eine Entschädigung ablehnen können, wenn das, was man vergleicht, auch gleich ist bzw. auf den gleichen Grundlagen beruht. Das scheint mir so nicht der Fall zu sein.

Fluchtgefahr: Ein alter (?), kranker Mann flieht nicht…

Sehr schön untersucht der KG, Beschl. v. 03.11.2011 – 4 Ws 96/11 im Rahmen einer weiteren Haftbeschwerde das Merkmal „Fluchtgefahr“ i.S. des § 112 Abs. Abs. 2 Nr. 2 StPO und wägt alle maßgeblichen Umstände ab. Ergebnis, keine Fluchtgefahr, da

  1. zu alt,
  2. zu krank,
  3. zu sozial gebunden,
  4. keine (zu) hohe Straferwartung
  5. kein Geld für die Flucht,
  6. sich dem Verfahren gestellt.

Wie gesagt: Schöne Beschluss, an dem man die maßgeblichen Kriterien für/gegen Fluchtgefahr abarbeiten kann.