Archiv für den Monat: Juni 2010

Waffengleichheit im Strafverfahren? Hergestellt durch Bestellung eines Pflichtverteidigers

Im Moment reißen die m.E. berichtenswerten Entscheidungen zur Pflichtverteidigung nicht ab. So auch der mir von einem Kollegen zur Verfügung gestellte schon etwas ältere Beschl. des LG Freiburg v. 12.03.2008 – 6 Qs 12/08 E. Hw., der sich zur „Waffengleichheit“ im Strafverfahren – JGG-Verfahren – verhält.

Das LG hält eine Pflichtverteidigerbestellung im Hinblick auf den Grundsatz eines fairen Verfahrens geboten, wenn von mehreren Mitbeschuldigten einige bereits anwaltlich vertreten sind. Eine in der Praxis häufiger anzutreffende Konstellation, die auch bereits das OLG Hamm vor einiger Zeit zur Beiordnung veranlasst hatte (vgl. hier).

Der Pflichtverteidiger und die Verfassungsbeschwerde: Gibt es dafür gesetzliche Gebühren aus der Staatskasse?

Das OLG Rostock, Beschl. v. 02.06.2010 – 1 Ws 127/10 und das LG Neubrandenburg, Beschl. v. 01.02.2010 – 6 Ks 11/07 haben zum sachlichen Umfang der Bestellung des Pflichtverteidigers Stellung genommen und ausgeführt, dass die Bestellung als Pflichtverteidiger nicht auch Tätigkeiten im Rahmen der Verfassungsbeschwerde erfasst.

Trifft m.E. zu, da die Verfassungsbeschwerde ein außerhalb des Strafverfahrens stehender Rechtsbehelf ist, worauf das LG zutreffend hinweist. Folge: Gesetzliche Gebühren aus der Staatskasse gibt es nur im Fall der PKH. Und da ist das VerfG verhältnismäßig streng.

Fahrverbot als Strafe – endgültig Adieu? oder nur „Auf Wiedersehen“ bis zum nächsten Sommerloch?

Die Justizminister haben sich gestern auf ihrer Konferenz nicht über die Einführung des Fahrverbotes als Strafe einigen können. Gut so, aber: Ist damit der Unsinn wirklich vom Tisch, wie die Presse meint? (vgl. auch hier der Kollege Melchior). Ich denke nein und wage die Behauptung: Beim nächsten Sommerloch werden wir die Diskussion wieder bekommen. Vor allem der niedersächsische Justizminister ist m.E. dafür prädestiniert, den Unsinn wieder hervorzukramen und erneut zur Diskussion zu stellen. Wahrscheinlich wird man sich aber jetzt zunächst wieder auf die Abschaffung des § 81a Abs. 2 StPO stürzen, auch das ist ja ein beliebtes Thema.

Nochmals Pflichtverteidigung: Bindung an den Antrag der StA

Der Kollege Feltus freut sich über meinen gestrigen Post zur Pflichtverteidigung, der ihm gerade recht kam. Schön, wenn das Posten was hilft. Daher lege ich nach und verweise auf die Entscheidung des LG Oldenburg v. 01.06.2010 – 4 Qs 182/10.

Das LG hat darauf hingewiesen, dass ein Antrag nach Abschluss der Ermittlungen (§ 169a StPO) gestellter Antrag der Staatsanwaltschaft auf Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht abgelehnt werden kann, er also für das Gericht bindend ist. Und inzidenter hat das LG auch gleich entschieden, dass über diesen Antrag ggf. auch noch nach Abschluss des Verfahrens zu entscheiden ist. Letzteres hat es zwar nicht ausdrücklich gesagt. Es folgt aber aus der Entscheidung, die sonst so ggf. nicht hätte ergehen dürfen/können.

Der (unzulässige) Gebührenverzicht des Rechtsanwalts und seine Auswirkungen auf die Auswechselung des Pflichtverteidigers

Wir kennen alle die Konstellation: Dem Beschuldigten ist ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Er möchte einen neuen. Dann stellt sich die Frage der Auswechselung. Wann die zu erfolgen hat, ist umstritten. Jedenfalls  ist aber die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung der Ansicht, dass dann, wenn der Angeklagte und beide Verteidiger damit einverstanden sind, hierdurch keine Verfahrensverzögerung droht und der Landeskasse keine Mehrkosten entstehen, eine Auswechselung i.d.R. in Betracht kommt. Damit hängt die Frage entscheidend von den „Mehrkosten“ ab.

An dem Punkt scheiden sich dann aber die Geister, wenn es nämlich um die Frage geht, ob der „neue Pflichtverteidiger“ auf seine gesetzlichen Gebühren verzichten kann, mit der Folge, dass er dann beizuordnen/auszuwechseln ist. Das hat jetzt vor kurzem das OLG Naumburg im Beschl. v. 14.04.2010 – 2 Ws 52/10 – verneint. § 49b BRAO gilt nach seiner Auffassung nicht nur für vertragliche Absprachen zwischen dem Mandanten und dem Rechtsanwalt oder nur für nicht auch für gegen die Landeskasse gerichtete Ansprüche, sondern erfasst auch den gesetzlichen Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers. Dieser könne daher nicht, auch nicht teilweise, auf seine gesetzliche Vergütung verzichten (gegen OLG Frankfurt StRR 2008, 69; OLG Bamberg NJW 2006, 1536 f.; OLG Braunschweig, Beschl. v. 28. 07. 2008, 1 Ws 262/08). Schließt man sich dem an, scheidet auch eine einverständliche Auswechselung aus.