Archiv für den Monat: Februar 2010

Sicherungshaft: Bestimmte Tatsachen müssen die Gefährlichkeit belegen

Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO) macht in der praktischen Anwendung häufig Schwierigkeiten. Nachdem die Vorschrift durch das 2. OpferRRG geändert worden ist, hat jetzt das OLG Karlsruhe in seinem Beschl. v. 10.02.2010 – 2 Ws 35/10 darauf hingewiesen, dass die Bejahung von „Wiederholungsgefahr“ i.S. § 112a StPO auf bestimmte Tatsachen gegründet werden muss, die eine so starke Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die Gefahr besteht, er werde bis zur rechtskräftigen Verurteilung in der den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Sache gleichartige Taten wie die Anlasstaten begehen. Die allgemeine Befürchtung, es könne möglicherweise in einem unbestimmten Zeitraum zu gleichartigen Taten kommen, genügt nicht. Es handelt sich zwar um „Sicherungshaft“, aber: Es müssen eben doch konkrete Tatsachen vorliegen und benannt werden, die die Gefährlichkeistprognose stützen. Da machen es sich die Instanzgerichte manchmal zu einfach.

Rekordblitzer auf der BAB A 2: Nettoeinnahme 7 Mio €/Jahr

In Blogs ist ja schon häufiger über den „Rekordblitzer“ auf der BAB A 2 bei Bielefeld – die Stadt gitb es wirklich – berichtet worden. Heute haben die „Westfälischen Nachrichten“ das Thema noch einmal aufgegriffen. Interessante und eindrucksvolle Zahlen, die man da lesen kann. Allerdings wohl wirklich eine gefahrenträchtige Stelle. Wegen der Einzelheiten kann man sich hier informieren: http://www.westfaelische-nachrichten.de/aktuelles/nrw/1277980_Der_Rekord_Blitzer.html

BVerwG zum Führerscheintourismus: Überprüfung des Wohnsitzes bei ausländischen EU-Fahrerlaubnissen möglich/zulässig/erforderlich

Seit einigen Jahren ist der Führerscheintourismus ein verkehrsrechtlicher Dauerbrenner. Heute hat sich dann auch das BVerwG damit befasst. Es hat entschieden, dass die deutschen Fahrerlaubnisbehörden dem Inhaber eines ausländischen EU-Führerscheins das Recht entziehen können, von dieser Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, wenn Ermittlungen bei den Behörden des Ausstellermitgliedstaates von dort herrührende unbestreitbare Informationen ergeben, dass der Fahrerlaubnisinhaber zum Zeitpunkt der Erteilung dieses Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellermitgliedstaat hatte.

Den Klägern war in der Bundesrepublik Deutschland wegen Verkehrsverstößen ihre deutsche Fahrerlaubnis entzogen worden. Das für die Wiedererteilung erforderliche medizinisch-psychologische Gutachten legten sie nicht vor. Stattdessen erwarben sie eine Fahrerlaubnis in Polen; in den dort ausgestellten Führerscheinen war jeweils ein Wohnsitz in Polen eingetragen. Nachdem die deutschen Fahrerlaubnisbehörden hiervon Kenntnis erhielten, forderten sie die Kläger auf, zur Beseitigung von fortbestehenden Zweifeln an ihrer Fahreignung ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Als die Kläger dieser Aufforderung nicht nachkamen, wurde ihnen die Befugnis aberkannt, von ihrer polnischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Hiergegen machten die Kläger insbesondere geltend, dass der gemeinschaftsrechtliche Grundsatz, wonach die von einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilte Fahrerlaubnis anzuerkennen sei, schon der Anforderung des Gutachtens, erst Recht aber der nachfolgenden Aberkennungsentscheidung entgegenstehe. In den Vorinstanzen blieben ihre Klagen ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidungen maßgeblich darauf gestützt, es sei nach den Angaben der Kläger im Aberkennungsverfahren und den Eintragungen im deutschen Melderegister sicher, dass sie bei Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis ihren Wohnsitz nicht in Polen, sondern in Deutschland gehabt hätten.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Berufungsentscheidungen aufgehoben und die Sachen zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Wie der Europäische Gerichtshof mit Beschluss vom 9. Juli 2009 – Rs. C 445/08, Wierer – entschieden hat, kann die Beschränkung einer EU-Fahrerlaubnis nicht darauf gestützt werden, dass sich aus den Angaben des Betroffenen im Aberkennungsverfahren ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis ergibt. Der Europäische Gerichtshof hat in diesem Beschluss aber anerkannt, dass die deutschen Verwaltungsbehörden und Gerichte Informationen beim Ausstellermitgliedstaat einholen können. Hierzu besteht Anlass, wenn es ernstliche Zweifel an dem ausländischen Wohnsitz gibt. Teilt der Ausstellermitgliedstaat selbst mit, dass der Führerscheininhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz nicht dort hatte, steht das europäische Gemeinschaftsrecht einer Beschränkung der EU-Fahrerlaubnis nicht entgegen. Da das Berufungsgericht hierzu bislang keine Feststellungen getroffen hat, etwa durch Nachfrage bei polnischen Einwohnermeldebehörden, konnte über die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisbeschränkungen noch nicht abschließend entschieden werden.

BVerwG 3 C.15.09 und 16.09 – Urteile vom 25. Februar 2010

Quelle PM 12/2010 des BVerwG v. 25.02.2010

Videomessung: OLG Dresden sagt: § 100h kann nur Ermächtigungsgrundlage sein, wenn anlassbezogen gemessen wird

Im Moment flattern nur so die Beschlüsse der OLG zur Videomessung im Straßenverkehr ins Haus. Jetz hat auch das OLG Dresden entschieden. Es geht in seiner Entscheidung vom 02.02.2010 – SS (OWi) 788/09 davon aus, dass § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO Rechtsgrundlage für eine Videoaufzeichnung im Straßenverkehr nur sein, kann, wenn die Aufzeichnung anlassbezogen und lediglich zur Identifizierung des Betroffenen als Verdächtigen erfolgte. Etwas anderes gelte, wenn der Messbeamte die Videoaufzeichnung ununterbrochen durchlaufen lässt, so dass auch eine Vielzahl von sich verkehrsgerecht verhaltenden Fahrern erfasst würde, um dann diejenigen herauszufiltern, die verdächtig sind, eine Ordnungswidrigkeit begangen zu haben. Für den Fall will sich das OLG der Auffassung des OLG Oldenburg anschließen und wohl von einem Beweisverwertungsverbot ausgehen. Da sich diese Vorgaben aus dem amtsgerichtlichen Urteil (AG Meissen) nicht nachvollziehn ließen, hat das OLG aufgehoben und zurückverwiesen.

Fahrtunterbrechung beim Dauerdelikt: Eine oder zwei Fahrten?

In der Praxis ist die Frage, ob eine Fahrtunterbrechung bei einem Dauerdelikt, wie z.B. Fahren ohne Fahrerlaubnis, § 316 StGB, zu zwei Taten führt, von erheblicher Bedeutung für die Höhe der Strafe und/oder die Dauer der Entziehung der Fahrerlaubnis. So auch in dem der Entscheidung des AG Lüdinghausen vom 02.02.2010 – 9 Ds-82 Js 8979/09-186/09, zugrunde liegenden Sachverhalt. Da war der Angeklagte ohne gültige Fahrerlaubnis auf öffentliche Straßen gefahren und von der Polizei wegen zu hoher Geschwindigkeit angehalten worden. Ihm wurde die Weiterfahrt untersagt. Zunächst hat er sein Kleinkraftrad dann auch geschoben, jedoch war ihm dies schon nach 350 Metern zu mühsam, so dass er sich entschied, wieder aufzusteigen, den Motor anzulassen und mit dem Kleinkraftrad weiterzufahren. Dabei wurde er von der Polizei beobachtet. Das AG hat den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen verurteilt.

Die Entscheidung ist zwar grds. zutreffend. Zwar haben hier beide Fahrten in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang und auch in einem örtlich und zeitlich engen Zusammenhang gestanden, doch hat es sich deshalb nicht um eine einheitliche Tat gehandelt. Das Anhalten durch die beiden Polizeibeamten und die Kontrollsituation mit dem zunächst gefassten Vorsatz des Angeklagten, das Kleinkraftrad weiter zu schieben, hat die Tat im materiell-rechtlichen Sinn unterbrochen. Nach dem (Aufsteigen auf das Kleinkraftrad hat der Angeklagte nicht nur einen neuen Tatentschluss gefasst, sondern auch eine neue Tat begonnen. Das AG verweist allerdings darauf, dass es zudem darauf ankommt bzw. ankommen kann, ob der Täter von Anfang an vorhatte, die Fahrt fortzusetzen (vgl. dazu schon BGH StraFo 2009, 432 = VRR 2009, 363 [Ls.]); LG Potsdam DAR 2009, 285; AG Lüdinghausen VA 2007, 166; DAR 2009, 102; s. auch noch OLG Hamm VA 2008, 173). Darauf kann es aber m.E. nicht ankommen. Die Frage, ob eine natürlich Handlungseinheit vorliegt, ist vielmehr von den äußeren Gegebenheiten und dem gesamten Erscheinungsbild des Tatgeschehens abhängig zu machen.