Im „Kessel Buntes“ dann heute zunächst etwas zum elektronischen Dokument, und zwar den OLG Nürnberg, Beschl. v. 31.01.2022 – 3 W 149/22.
Im Beschluss geht es u.a. um die Zulässigkeit eines Antrags auf Durchführung eines selbständigen Beweissicherungsverfahrens und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt worden. Das LG hat den Antragsteller auf die Unwirksamkeit des Eingangs der Dokumente nach § 130a ZPO hingewiesen, da die Dokumente nicht kopierbar und durchsuchbar seien. Der Antragsteller übersandte daraufhin die Schriftsätze erneut an das LG. Das wies die Anträge als unzulässig zurück, weil sie nicht formgerecht bei Gericht eingegangen seien. Die Beschwerde hatte dann beim OLG Erfolg:
„Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Landgericht Nürnberg-Fürth den Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweissicherungsverfahrens und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Nichteinhaltung der Vorgaben zum Dateiformat nach § 130a Abs. 2 ZPO als unzulässig verworfen.
1. Nach § 130a Abs. 2 S. 1 ZPO muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Ob ein Dokument zur Bearbeitung bei Gericht geeignet ist, richtet sich gemäß § 130 a Abs. 2 S. 2 ZPO nach den Bestimmungen der Elektronischer-Rechtsverkehr-VO (ERVV) und den ergänzend hierzu erlassenen Bekanntmachungen (ERVB). Genügt das elektronische Dokument diesen Vorgaben, ist es für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet; ein im internen Gerichtsbetrieb auftretender Fehler führt dagegen nicht zur Unwirksamkeit der Einreichung (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2020 – X ZR 119/18, GRUR 2020, 980, Rn. 13 – Aktivitätsüberwachung).
a) Nach § 2 Abs. 1 S. 1 ERVV in der bis zum 31.12.2021 geltenden Fassung ist das elektronische Dokument in druckbarer, kopierbarer und, soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln. Dies bedeutet, dass in den das Dokument enthaltenen Eigenschaften der Datei nicht die Möglichkeit des Drucks ausgeschlossen werden oder die Datei mit einem Kennwort zum Öffnen versehen sein darf (Kersting/Wettich, in Handbuch Multimedia-Recht, 57. EL Sept. 2021, Teil 24, B. Elektronischer Rechtsverkehr, Rn. 20). Den Bedingungen der ERVV entspricht das Dokument auch dann nicht, wenn es verschlüsselt oder mit Viren verseucht oder mit einer anderen schädlichen Software verbunden ist (Fritsche, in MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 130a ZPO Rn. 4; BT-Drucksache 19/28399, S. 13). Das Merkmal der „Kopierbarkeit“ bezieht sich (lediglich) auf eine PDF-Sicherheitseigenschaft, mit der die Kopierbarkeit des Inhalts der PDF-Datei mit einem PDF-Anzeigeprogramm ausgeschlossen werden kann (Müller, NZS 2018, 207 [211]).
Nicht jeder Verstoß gegen die ERVV soll zur starren Rechtsfolge der (nach § 130 a Abs. 6 ZPO heilbaren) Formunwirksamkeit führen. Denn § 130 a Abs. 2 ZPO, den die ERVV näher ausgestaltet, soll lediglich gewährleisten, dass eingereichte elektronische Dokumente für das Gericht lesbar und bearbeitungsfähig sind (BT-Drs. 17/12634, S. 25). Vor dem Hintergrund dieses Zwecks ist auch die Rechtsfolge eines Verstoßes zu bestimmen: Formunwirksamkeit tritt dann ein, wenn der Verstoß dazu führt, dass eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist, z.B. weil sich die eingereichte Datei nicht öffnen bzw. der elektronischen Akte nicht hinzufügen lässt oder weil sie schadcodebelastet ist. Demgegenüber führen Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs, wenn sie lediglich einen bestimmten Bearbeitungskomfort sicherstellen sollen, nicht aber der Lesbarkeit und Bearbeitbarkeit als solches entgegenstehen (OLG Koblenz, Beschluss vom 23.11.2020 – 3 U 1442/20, NJOZ 2021, 758, Rn. 9; Anders, in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 130a Rn. 10a).
b) Mit Gesetz vom 05.10.2021 hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2022 die technischen Rahmenbedingungen entschärft. Zwingend vorgegeben wird nach § 130a Abs. 1 S. 2 ZPO i.V.m. § 2 Abs. 1 ERVV n.F. nunmehr (lediglich) das Dateiformat als PDF. Der Verstoß gegen andere technische Standards soll nur noch dann zur Formunwirksamkeit führen, wenn er dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist (BT-Drs. 19/28399, S. 33, 40). Damit trägt der Gesetzgeber einzelnen Gerichtsentscheidungen Rechnung, die im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Zugang zu Gericht die Einreichung eines elektronischen Dokuments für wirksam erachtet haben, wenn es trotz Unterschreitens der technischen Anforderungen für das Gericht lesbar und bearbeitbar war (von Selle, in BeckOK ZPO, 43. Ed. 01.01.2022, § 130a Rn. 9.2).
Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Maßstabes kann der gestellte Antrag nicht als unzulässig verworfen werden.
a) Es ist bereits zweifelhaft, ob die Annahme des Landgerichts – wonach die Anträge nicht formgerecht bei Gericht eingegangen seien, da die eingereichten Dokumente nicht in weiterbearbeitbarer Weise kopierbar seien – zutreffend ist.
Die von der Antragstellerseite eingereichten Dokumente wurden als PDF übersandt und besaßen, wie glaubhaft gemacht, unter anderem die Eigenschaft, dass „Kopieren von Inhalt“ zulässig sei. Dem widersprechen auch nicht die Ausführungen des Landgerichts im angegriffenen Beschluss. Denn das Landgericht führte selbst aus, dass es Teile aus den eingereichten Dokumenten kopiert habe.
Soweit das Landgericht bemängelt, dass ein Problem beim nachträglichen Einfügen der kopierten Teile in ein anderes elektronisches Dokument bestanden habe, weil dabei eine unleserliche und sinnentstellte Buchstabenreihung entstanden sei, führt dies nicht zur Unzulässigkeit des Antrags nach § 130a Abs. 2 S. 1 ZPO in der zum Zeitpunkt des Antragseingangs am 20.10.2021 geltenden Fassung. Denn es handelt sich dabei nicht um einen im Verantwortungsbereich des Antragstellers liegenden Mangel der Bearbeitungseignung. Maßgeblich dafür ist, dass die vom Antragsteller übersandten Dokumente nicht mit einem Kennwort zum Öffnen oder schädlicher Software versehen waren oder bei ihnen die Möglichkeit des Kopierens ausgeschlossen wurde. Die vom Landgericht beschriebenen Probleme beim Einfügen in ein Drittdokument sind vielmehr vergleichbar mit einem im internen Gerichtsbetrieb auftretenden Fehler, der nicht zur Unwirksamkeit der Einreichung führt.
b) Darauf kommt es jedoch nicht streitentscheidend an, da es sich jedenfalls bei dem vom Landgericht gerügten Formmangel nicht um einen Verstoß handelt, der – auch vor dem Hintergrund der mit Wirkung zum 01.01.2022 erfolgten Gesetzesänderung – zur Formunwirksamkeit der Anträge führt. Denn die Möglichkeit der Weiterverarbeitung von kopierten Dokumenten soll lediglich einen bestimmten Bearbeitungskomfort sicherstellen, steht aber nicht der Lesbarkeit und Bearbeitbarkeit als solches entgegen. Für Letzteres ist ausreichend, dass sich die Dateien – wie vorliegend unstreitig gegeben – öffnen und lesen lassen, der elektronischen Akte hinzugefügt werden können und nicht schadcodebelastet sind. Folgerichtig bestätigte – wie durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht – der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts nach telefonischer Nachfrage vom 26.11.2021 dem Antragsteller die Bearbeitbarkeit der versandten Unterlagen. Vor diesem Hintergrund wäre die Zurückweisung des Antrags als unzulässig wegen der Formvorschrift des § 130a Abs. 2 ZPO eine Missachtung der Verfassungsrechtsprechung, die es verbietet, den Zugang zu Gericht durch Anforderungen des formellen Rechts unverhältnismäßig zu erschweren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.10.2004 – 1 BvR 894/04, NJW 2005, 814).“