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Der übersehene Grünpfeil

Dem Betroffenen wird ein Rotlichtverstoß (§ 37 StVO) zur Last gelegt. ER trägt vor, er sei an der fraglichen Kreuzung, die Tatort des Rotlichtverstoßes gewesen sein soll, rechts am grünen Pfeil abgebogen und sei nach F. gefahren, ohne andere Verkehrsteilnehmer zu behindern. Damit hat sich der Betroffene auf § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 8-10 StVO berufen. Diese Vorschriften sehen vor, dass nach dem Anhalten das Abbiegen nach rechts auch bei rotem Licht der Lichtzeichenanlage erlaubt ist, wenn rechts neben dem Lichtzeichen „Rot“ ein Schild mit grünem Pfeil auf schwarzem Grund (Grünpfeil) angebracht ist. Der Fahrzeugführer darf dann aus dem rechten Fahrstreifen heraus abbiegen, wobei er sich so verhalten muss, dass eine Behinderung oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Das AG setzt sich in seinem Urteil mit dieser Einlassung des Betroffenen mit keinem Wort auseinander. Das führt zur Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Versagungen des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Und das, obwohl die Rechtsbeschwerde insoweit nicht ausreichend begründet war.Es gelten an der Stelle nämlich die strengen Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (Verfahrensrüge), so der schon etwas ältere OLG Braunschweig, Beschl. v. 30.09.2011 – Ss (OWiZ) 154/11:

„Zwar muss bei der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs grundsätzlich dargelegt werden, was der Betroffene im Falle seiner Anhörung geltend gemacht hätte. Dies gilt aber nicht, wenn die Versagung rechtlichen Gehörs darin liegt, dass ein Verteidigungsvorbringen nicht berücksichtigt worden ist, da es in einem solchen Fall für die Beruhensfrage nicht darauf ankommt, was der Betroffene noch weiter hätte vortragen können, sondern nur darauf, ob das nicht berücksichtigte Verteidigungsvorbringen entscheidungserheblich sein könnte (vgl. OLG Köln, 12.04.2002, Ss 141/02 nach juris, Rn. 12 m. w. N.). Die Rüge erscheint auch begründet…“

Geschwindigkeitsmessung – mündliche Zulassung eines Messgerätes – geht das?

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Folgender Sachverhalt hat das AG Stuttgart und dann das OLG Stuttgart beschäftigt: Die PTB teilt der Eichdirektion Hessen am 29. 06.2010 mit, die Prüfungen der neuen Softwareversion 1.5.5 für das Überwachungsgerät Poliscan Speed seien erfolgreich abgeschlossen, weshalb der Zulassung dieser Software seitens der PTB nichts im Wege stehe. Die Zulassung werde in den nächsten Tagen erfolgen. Die Eichdirektion erstellte am 15.07 .2010 für das Gerät den Eichschein, mit dem die Eichung vom Vortage mit einer Eichgültigkeit bis Ende 2011 bescheinigt wurde. Die schriftliche Bauartzulassung des Messgerätes mit der neuen Softwareversion durch die PTB erfolgte am 21. 07. 2010. Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass die Software vor der schriftlichen Bauartzulassung vom 21.072010 zuvor mündlich zugelassen worden sei, sodass der Eichschein am 15.07.2010 hätte erteilt werden dürfen. Es ist von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen. Der Betroffene hat das anders gesehen.

Das OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.02.2012 – 4 Ss 39/12 schließt sich dem AG an:

Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass damit kein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH (St 39, 291) vorliegt. Im Zeitpunkt der Erteilung des Eichscheines waren die technischen Prüfungen durch die PTB abgeschlossen. Es stand fest, dass das Überwachungsgerät mit der neuen Softwareversion zugelassen würde. Die schriftliche Zulassung erfolgte dann auch knapp eine Woche nach Ausstellung des Eichscheines. Deshalb kann es keinem Zweifel unterliegen, dass das Gerät den Anforderungen der Technik entsprach. Es ist unschädlich, dass die schriftliche Bauartzulassung am Tag der Ausstellung des Eichscheines noch nicht vorlag. Dies ergibt sich aus dem Zweck des Eichgesetzes, die Messsicherheit zu gewährleisten und das Vertrauen in amtliche Messungen zu stärken (§ 1 Nr. 2 und 3 EichG). Dieser Zweck wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Zulassungsschein erst eine Woche nach der Eichung vorlag.

Darüber hinaus hat nach h. M. (OLG Jena VRS 115, 431 [435]; OLG Köln VRS 101, 140; a. A. Böttger in Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Auflage, Rn. 660) ein Verstoß gegen § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EichG nicht zur Folge, dass die Messung im Bußgeldverfahren unverwertbar ist. Vielmehr ist lediglich ein Sicherheitsabschlag vorzunehmen. Dies zeigt, dass für das Bußgeldverfahren die materielle Richtigkeit der Messung maßgebend ist. Wenn schon keine Unverwertbarkeit in dem Fall angenommen wird, in dem überhaupt keine Eichung vorliegt, so kann in Fällen wie dem vorliegenden, in dem feststeht, dass die Bauart zugelassen wird, aber der Zulassungsbescheid erst wenige Tage nach der Eichung vorliegt, erst recht von einer uneingeschränkten Verwertbarkeit ausgegangen werden. Eines Sicherheitsabschlages bedarf es nicht, da die Eichung materiell richtig war. Deshalb liegt trotz des formalen Mangels bei der Eichung ein standardisierten Messverfahren vor. Im Übrigen hätte der formale Mangel mit der erneuten Erteilung eines gleichlautenden Eichscheins nach Vorliegen der schriftlichen Bauartzulassung geheilt werden können.

Na ja, das kann man auch anders sehen.

Die Absicht, „schulmeisterlich zu belehren“…

reicht nicht aus, um einen Antrag des Betroffenen, ihn von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden (§ 73 Abs. 2 OWiG), abzulehnen. So das OLG Frankfurt in OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.07.2011 – 2 Ss-OWi 375/11. Dort hatte das AG einen Entbindungsantrag des Betroffenen abgelehnt mit der Begründung – so lässt es sich dem OLG Frankfurt-Beschluss entnehmen -, „dass es dem Betroffenen die Funktionsweise des Messgeräts erläutern und ihn über Sinn und Zweck von Ge­schwindigkeitsmessungen belehren wolle.“ Man ist ja schon erstaunt, wozu die StPO/das OWiG offenbar verpflichtet…

Dazu das OLG Frankfurt in seinem Beschluss:

Eine zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führende Gehörsverletzung muss deshalb nicht immer vorliegen, wenn in Folge der rechtsfehlerhaften Ablehnung eines Entbindungsantrages nach § 73 Abs. 2 OWiG und anschließender Verwerfung des Ein­spruchs gegen den Bußgeldbescheid nach § 74. Abs. 2 OWiG die Einlassung des Be­troffenen zur Sache unberücksichtigt geblieben ist. Anders läge es, wenn das Amts­gericht unter gleichsam willkürlicher Verletzung seiner prozessualen Fürsorgepflicht und/oder des Grundsatzes eines fairen Verfahrens das unabdingbare Mindestmaß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verletzt hätte (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811). Dies wird bei Maßnahmen angenommen, die auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruhen und unter kei­nem Gesichtspunkt vertretbar erscheinen.

Das ist hier der Fall. Vorliegend hat das Amtsgericht die Entscheidung über die Ab­lehnung des Entbindungsantrages damit begründet, dass es dem Betroffenen die Funktionsweise des Messgeräts erläutern und ihn über Sinn und Zweck von Ge­schwindigkeitsmessungen belehren wolle. Hieraus ergibt sich gleichzeitig, dass das Amtsgericht die Anwesenheit des Betroffenen — auch nicht ansatzweise – zur Auf­klärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts für erforderlich erachtete. Die Erzwingung der Anwesenheit des Betroffenen allein mit dem Ziel, diesen in der Haupt­verhandlung schulmeisterhaft zu belehren, stellt sich aber nach Auffassung des Se­nats als Maßnahme dar, die auf einer unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maß­stäben des § 73 Abs. 2 OWG völlig entfernenden Erwägung beruht und unter keinem Gesichtspunkt vertretbar erscheint.“

Zutreffend. M.E. nicht zutreffend ist i.Ü. der grundsätzliche Ansatz des OLG, dass in den Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Ablehnung eines berechtigten Entbindungsantrags die Versagung rechtlichen Gehörs und die damit begründete Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG offenbar nur bei willkürlichem Handeln des AG in Betracht kommen soll. Das scheint ständige Rechtsprechung des OLG zu sein. Ist m.E. aber nicht richtig und wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung der anderen OLG auch anders gesehen.

Der konkrete Verstoß gegen die Richtlinien zur Verkehrsüberwachung ist Einzelfall

Das OLG Stuttgart hat sich gerade in seinem Beschl. v. 03.02.2011 – 2 Ss 8/11 mit den Auswirkungen des Verstoßes gegen die Richtlinien zur Verkehrsüberwachung befasst.  In einem weiteren Beschl. des OLG Stuttgart v. 25.03.2011 – 2 Ss 153/11 behandelt das OLG einen „Nebenkriegsschauplatz“.

Der Betroffene hatte dort im Zulassungsverfahren zur Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) die Wertung des AG angegriffen, das davon ausgegangen war, dass eine konkrete Bushaltestelle eine gefährliche Stelle i.S. von Nr. 4.2 Abs. 5 S. 6 der baden-württembergischen VwV VkSA vom 19.12.2006 darstellt. Das OLG sagt:

„Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob eine bestimmte Stelle (hier: Bushaltestelle) eine gefährliche Stelle im Sinne von Richtlinien zur Verkehrsüberwachung darstellt.“

Indem das OLG davon ausgeht, dass es sich insoweit um eine Frage des Einzelfalls handelt, schied eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Nachprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts aus (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Manchmal ist man fassungslos, oder: KG muss Tatrichter an die Auswirkungen des „nemo-tenetur-Grundsatzes“ erinnern

Gestern habe ich mal wieder einen Schwung Entscheidungen vom KG bekommen. Darunter auch eine – Beschl. v. 11.06.2010 – 3 Ws (B) 270/10 – , vor der man im Grunde fassungslos steht. Nicht wegen der Entscheidung des KG, sondern wegen der zugrunde liegenden amtsgerichtlichen Entscheidung. Da führt der Amtsrichter in seinen Urteilsgründen doch allen Ernstes zum prozessualen Verhalten des Betroffenen aus, dass sein

Versuch…, dadurch die Aufklärung des Sachverhaltes zu verhindern oder zumindest zu erschweren, dass er sich zur Sache nicht einließ, … gescheitert ist“.

Das KG dazu:

Seine Berufung auf das Schweigerecht, auf das der Tatrichter ihn zuvor hingewiesen hatte, wird damit als Mittel gewertet, dem etwas Ungehöriges anhaftet, weil es darauf abzielt, die Aufklärung des Sachverhaltes durch das Gericht zumindest zu erschweren. Diese Wertung lässt besorgen, dass der Tatrichter das dem Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare entstammende Recht zu schweigen, das zu den elementaren Wesensmerkmalen eines rechtsstaatlichen Verfahrens gehört, nicht als solches ansieht, sondern als unlauter und seine Tätigkeit unnötig erschwerend begreift. Da er zugleich die Geldbuße gegenüber der ‑ auch bei der höheren Geschwindigkeitsüberschreitung maßgeblichen ‑ Regelbuße des Bußgeldbescheides verdoppelte, liegt die Annahme nahe, dass er hierbei eben dieses prozessuale Verhalten des Betroffenen zu dessen Lasten berücksichtigt hat.“

Ergebnis: Natürlich Aufhebung. Und: Das KG hat die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen; offenbar ging es davon aus, dass bei dem Tatrichter der bloße Hinweis auf den Rechtsfehler mit der Bitte um Beachtung in zukünftigen Fällen nicht ausreichen würde.