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Geschwindigkeitsmessung, Richtlinien, Gefahrenstelle und „fehlendes Zusatzschild“

Derzeit sind – aus welchen Gründen auch immer – die mit der Beachtung der Richtlinien für die Geschwindigkeitsmessung zusammenhängenden Fragen im Gespräch. Nachdem gerade erst das OLG Stuttgart seine Rechtsprechung in dem Bereich (teilweise) nach einer Änderung der Richtlinien in Baden-Württemberg geändert hat (vgl. hier OLG Stuttgart), kommt jetzt eine Entscheidung aus Niedersachsen.

Das OLG Celle befasst sich in OLG Celle, Beschl. v. v. 25. 7. 2011 – 311 SsRs 114/11 auch mit der Richtlinienproblematik, und zwar mit einer vom Verteidiger aufgeworfenen Fragestellung, die m.E. bislang noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung gewesen ist.

Der Betroffene hatte gegen die Messung eingewendet, an der Stelle, an der gemessen worden sei, nämlich nur 80m nach dem geschwindigkeitsbegrenzenden Schild, habe nicht gemessen werden dürfen, da es sich nicht um einen Ausnahmefall i.S. der Richtlinie gehandelt habe. Zudem hatte er moniert, dass bei der ihn betreffenden Messung die Geschwindigkeitsüberschreitung durch das Aufstellen weiterer Verkehrszeichen an einer vorgezogenen Position ? wie es bei einer späteren Messung erfolgt sei – hätte vermieden werden können.

Das OLG Celle setzt sich mit beiden Einwänden auseinander, und zwar wie folgt:

  1. Nach Nr. 4 Satz 3 der Anlage zur niedersächsischen Richtlinie sei eine Unterschreitung des Regelabstands wegen der unmittelbar hinter der Messanlage liegenden Gefahrstelle zulässig gewesen sei. Bei der Ausübung des Ermessens, welche Gründe ein Abweichen von der Regel rechtfertigen, ist nach Ansicht des OLG Celle den Straßenverkehrsbehörden ein weiter Spielraum einzuräumen. Ist, wie hier, eine Gefahrenstelle vorhanden, so obliegt es grds. der Verkehrsbehörde, anhand der Gegebenheiten vor Ort zu entscheiden, wo die Messstelle eingerichtet wird; diese Entscheidung ist von den Gerichten hinzunehmen, soweit nicht ausnahmsweise die Grenze zur Willkür überschritten wird. Anhaltspunkte für letzteres hat das OLG verneint.
  2. Willkür sieht das OLG insbesondere auch darin begründet, dass eine Unterschreitung des Mindestabstands durch das Aufstellen weiterer Verkehrszeichen an einer vorgezogenen Position, wie es bei einer weiteren Messung erfolgt sei, hätte vermieden werden können. Bestandteil der Richtlinie, auf deren Einhaltung der Betroffene nach Art. 3 GG Anspruch hat, sei eben auch die Ausnahmeregelung in Nr. 4 Satz 3 der Anlage; die Richtlinie enthalte hingegen an keiner Stelle eine Einschränkung dahingehend, dass die Ausnahme nicht gelte, wenn ein Verkehrszeichen auch in größerer Entfernung von einer Gefahrstelle hätte aufgestellt werden können, was im übrigen sehr oft der Fall sein dürfte. Eine nicht existierende Regelung kann indes keinen Anspruch auf Gleichbehandlung begründen.

Aufgepasst in Baden-Württemberg: Blitzen vor dem Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung erlaubt….

Autofahrer in Baden-Württemberg müssen jetzt aufpassen. Das OLG Stuttgart hat nämlich in OLG Stuttgart, Beschl. v.04.07.2011, 4 Ss 261/11 seine Rechtsprechung geändert.

Während es – auf der Grundlage einer früher in BW geltenden Verwaltungsvorschrift/Richtlinie – davon ausgegangen ist, dass eine Geschwindigkeitsmessung kurz vor dem Ende einer Geschwindigkeitsbegrenzung nicht zulässig ist, hat es diese Rechtsprechung – nach Aufhebung der Richtlinie – aufgegeben. In den Fällen darf der Kraftfahrer also nicht mehr von einem Richtlinienverstoß und damit nicht üblichen Verhältnissen i.S. von § 1 BKatV ausgehen. Und: Es ist auf die Fahrtrichtung des Betroffenen abzustellen, wenn es um die Zuordnung zum Verkehrsschild geht. In den Gründen heißt es:

„Geschwindigkeitsmessungen sollen grundsätzlich in einem Abstand von 150 m zu den jeweiligen beschränkenden Verkehrszeichen stattfinden. Davon kann bei gefährlichen Stellen (Unfallstellen, Gefahrenstellen) sowie im unmittelbaren Umfeld von Schulen, Kindergärten oder Baustellen abgewichen werden.“

Die Vorschrift beschreibt somit den Abstand der Messstelle zu einem Verkehrszeichen, das den Beginn einer Geschwindigkeitsbeschränkung anzeigt wie etwa der Ortseingangstafel (Zeichen 310 der Anlage 3 zur StVO i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) oder dem Zeichen 274 der Anlage 2 zur StVO. Da vor einem solchen Verkehrszeichen die Geschwindigkeit nicht beschränkt ist, bezieht sich der Abstand von 150 m auf den Bereich nach dem Zeichen. Darüber hinaus ist von dieser Regelung nicht die Geschwindigkeitsmessung bei einem solchen Verkehrszeichen erfasst, das eine Geschwindigkeitsbeschränkung aufhebt (etwa Zeichen 311 der Anlage 3 zur StVO i. V. m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO oder Zeichen 278 der Anlage 2 zur StVO).

Vorliegend wurde der Betroffene 90 m vor der Ortstafel gemessen. Zwar ist erfahrungsgemäß die Ortseingangs- mit der Ortsausgangstafel verbunden, so dass die Messung weniger als 150 m vor der Ortseingangstafel und damit entgegen der o.a. Vorschrift erfolgt sein könnte. Gleichwohl wurde das Messgerät korrekt aufgestellt, denn es ist auf die Fahrtrichtung des Betroffenen abzustellen, in der es kein beschränkendes Verkehrszeichen gab; die Ortseingangstafel hat hier außer Betracht zu bleiben.“

Das OLG hat übrigens in der Entscheidung DAR 2011, 210 gerade noch anders entschieden. Aber da hatte man wohl die Änderung/Aufhebung der Richtlinie übersehen.

Der konkrete Verstoß gegen die Richtlinien zur Verkehrsüberwachung ist Einzelfall

Das OLG Stuttgart hat sich gerade in seinem Beschl. v. 03.02.2011 – 2 Ss 8/11 mit den Auswirkungen des Verstoßes gegen die Richtlinien zur Verkehrsüberwachung befasst.  In einem weiteren Beschl. des OLG Stuttgart v. 25.03.2011 – 2 Ss 153/11 behandelt das OLG einen „Nebenkriegsschauplatz“.

Der Betroffene hatte dort im Zulassungsverfahren zur Rechtsbeschwerde (§ 80 OWiG) die Wertung des AG angegriffen, das davon ausgegangen war, dass eine konkrete Bushaltestelle eine gefährliche Stelle i.S. von Nr. 4.2 Abs. 5 S. 6 der baden-württembergischen VwV VkSA vom 19.12.2006 darstellt. Das OLG sagt:

„Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob eine bestimmte Stelle (hier: Bushaltestelle) eine gefährliche Stelle im Sinne von Richtlinien zur Verkehrsüberwachung darstellt.“

Indem das OLG davon ausgeht, dass es sich insoweit um eine Frage des Einzelfalls handelt, schied eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Nachprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts aus (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

Richtlinienverstoß – Absehen vom Fahrverbot ist möglich

In der Rechtsprechung ist schon lange weitgehend einhellige Meinung, dass ein Verstoß gegen Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung, insbesondere bei Geschwindigkeitsmessungen, Auswirkungen beim Fahrverbot haben kann.

Das bestätigt jetzt das OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.02.2011 – 2 Ss 8/11, indem es ausführt, dass dann, wenn eine Geschwindigkeitsmessung nicht den Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung entspricht, sich, wenn der Tatrichter dennoch die für den Verkehrsverstoß vorgesehenen Regelfolgen des BKat festsetzt, den Urteilsgründen entnehmen lassen muss, ob der Geschwindigkeitsmessung eine Ausnahme i.S. der Richtlinien zugrunde gelegen hat.Denn nur dann dürfen die Richtlinien „missachtet“ werden.

Alter Wein in neuen Schläuchen – Geschwindigkeitsmessung unter Richtlinienverstoß

Ein alt bekannntes Problem ist Gegenstand des OLG Stuttgart, Beschl. v. 03.02.2011 – 2 Ss 8/11 gewesen. Nämlich letztlich die Frage, was die Folge bei einem Verstoß gegen die Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung ist.

Das OLG Stuttgart schließt sich der h.M. der OLG an und geht von Auswirkungen beim Fahrverbot aus. Weitere Folge: Entspricht eine Geschwindigkeitsmessung nicht den Richtlinien für die polizeiliche Verkehrsüberwachung, muss sich, wenn der Tatrichter dennoch die für den Verkehrsverstoß vorgesehenen Regelfolgen des BKat festsetzt, den Urteilsgründen entnehmen lassen, ob der Geschwindigkeitsmessung eine Ausnahme Fall i.S. der Richtlinien zugrunde gelegen hat.