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StPO II: „Ausforschungsdurchsuchung“ ist unzulässig, oder: Durchsuchung erst nach 11 Monaten

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Die zweite Entscheidung, dem LG Rostock, Beschl. v. 02.11.2022 – 11 Qs 126/22 (2) – hat eine Durchsuchungsmaßnahme zum Gegenstand, die auf den Angaben der ehemaligen Lebensgefährtin des Beschuldigten beruht. Die erstattet am 19.06.2020 Anzeige gegen den Beschuldigten wegen Körperverletzung zum Nachteil ihres Sohnes. Dabei gibt sie an, der ehemalige Lebensgefährte sei „dauerhafter Betäubungsmittelkonsument“, konsumiere überwiegend Alkohol und. Kokain in regelmäßigen Abständen. Er habe ihr auch mal Cannabis im Wert von 20,- EUR verkauft, woher er die Betäubungsmittel beziehen würde, wisse sie nicht. Daraufhin wird am 24.07.2020 eine Strafanzeige von Amts wegen gegen den Beschulidgten wegen Besitzes und Abgabe von Betäubungsmitteln erstattet, das Verfahren jedoch ohne weitere Ermittlung nach Gewährung rechtlichen Gehörs am 22.02.2021 an die Staatsanwaltschaft abverfügt. Auf entsprechende Ermittlungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 31.03.2021 wird die Zeugin dann am 10.06.2021 zu ihren Angaben aus Juni 2020 ergänzend förmlich vernommen. Zum Erwerb des Cannabis vom Beschwerdeführer gibt sie an, dass sie dazu „nicht wirklich was wisse“, dies schon eine ganze Zeit her sei und sie dazu eigentlich auch nichts sagen wolle. Sie habe für die 20,- EUR ungefähr zwei Gramm Cannabis erhalten, dies sei das einzige Mal gewesen. Ob der Beschuldigte auch anderen Personen Betäubungsmittel verkauft habe, wisse sie nicht. Sie habe ihn seit dem Vorfall vor einem Jahr auch nicht mehr gesehen, sie sei sich aber sicher, dass er bis dahin Kokain konsumiert habe. Woher er das Kokain beziehe, wisse sie nicht. Auf die Frage, ob sie wisse, ob und ggf. wo der Beschuldigte in seiner Wohnung Betäubungsmittel lagere, verweigerte sie Angaben.

Das AG hat daraufhin mit Beschluss vom 24.06.2021 die Durchsuchung der Wohnung und der Person des Beschuldigten angeordnet. Ohne zwischenzeitliche weitere Ermittlungsmaßnahmen ist fünfeinhalb Monate nach Erlass der Durchsuchungsanordnung festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer umgezogen war, so dass die Staatsanwaltschaft eine entsprechende „Abänderung“ des Durchsuchungsbeschlusses beantragt hat. Mit Beschluss vom 02.12.2021, der sich im Wortlaut von der Anordnung aus Juni 2021 lediglich in der Wohnanschrift des Beschuldigten unterschied, hat das AG die Durchsuchung angeordnet. Der Vollzug der Durchsuchungsanordnung vom 02.12.2021 erfolgte am 17.05.2022, mithin fünfeinhalb Monate nach deren Erlass.

Die Beschwerde des Beschuldigten hatte Erfolg:

„Vorliegend bestehen bereits durchgreifende Bedenken, dass bei der Durchsuchung aufgrund kriminalistischer Erfahrung die begründete Aussicht bestanden hat, dass der Zweck der Durchsuchung erreicht werden kann. Denn die Durchsuchungsanordnung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die erst zur Begründung eines Verdachtes erforderlich sind (BVerfG StV 2013, 609), sog. Ausforschung. Nach Angaben der Zeugin pp. im Juni 2020 war offenkundig nicht zu erwarten, dass eine Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer Beweismittel für die einmalige Abgabe von zwei Gramm Cannabis erbringen werde. Ebenso wenig war wahrscheinlich, dass bei der Durchsuchung der Wohnung – eineinhalb Jahre nach dem Hinweis der Zeugin – Kokain zum Eigenkonsum aufgefunden werde, zumal über die Regelmäßigkeit, Menge und Lagerung von der Zeugin gerade keine Angaben gemacht worden sind. Angesichts dieser geringen Aussicht auf einen Durchsuchungserfolg hinsichtlich der in Rede stehenden Tatvorwürfe und unter Beachtung der im Beschluss benannten aufzufindenden Beweismittel, liegt es vielmehr nahe, dass die Durchsuchung der Ausforschung der Wohnung gerade erst zur Begründung eines Tatverdachts des Handeltreibens gedient hat. Somit stand die Maßnahme nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftaten und zur Stärke des Tatverdachts (vgl. Mey-er-Goßner/Schmitt/Köhler, 65. Auflage, § 102 StPO, Rn. 15a).

Die Durchsuchungsmaßnahme vom 17.05.2022 ist auch wegen des Zeitablaufs unverhältnismäßig: Ein schwindendes Ahndungsbedürfnis für die Straftat infolge Zeitablaufs kann die Angemessenheit der Zwangsmaßnahme entfallen lassen (BVerfG, Beschluss vom 27.05.1997 – 2 BvR 1992/92). Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist davon auszugehen, dass die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu sichern vermag und damit unzulässig ist (vgl. BVerfGE aaO, Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, 65. Auflage, § 105 StPO, Rn. 8a). Nach Maßgabe objektiver Kriterien wie beispielsweise Art des Tatverdachts und Schwierigkeit der Ermittlungen kann der Durchsuchungsbeschluss auch schon früher seine rechtfertigende Wirkung verlieren (Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, 65. Auflage, § 105 StPO, Rn. 8a). So liegt es hier: Angesichts der einfachen Sachlage und der in Rede stehenden Straftaten der Abgabe von Cannabis in geringer Menge in einem Fall und Besitz von Kokain zum Eigenbedarf ist hier bereits nach fünfeinhalb Monaten die rechtfertigende Wirkung der Anordnung entfallen. Dies erst recht, da nach dem Durchsuchungsbeschluss vom 24.06.2021 zuvor bereits fünfeinhalb Monate verstrichen waren, mithin insgesamt 11 Monate seit Erlass der ersten Durchsuchungsanordnung.“

StPO III: Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme, oder: Beschlagnahme eines Mobiltelefons nach 4 Monaten

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Am Anfang der Woche hatte ich ja schon über den AG Bad Kreuznach, Beschl. v. 17.5.2022 -43 Gs 734/22 – berichtet, und zwar in Zusammenhang mit der materiellen Frage der so. Impfpassfälschung. Ich komme jetzt auf die Entscheidung noch einmal wegen der Frage der Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme, um die es in dem Beschluss geht, zurück.

Ich erinnere: Das Handy ist am 29.12.2021 sicher gestellt worden. Der Verteidiger beantragt dann mit Schriftsatz vom 02.02.2022 u.a. die Freigabe des sichergestellten IPhones und wiederholt diesen Antrag mit Schriftsatz vom 25.04.2022. Daraufhin beantragt die Staatsanwaltschaft gemäß § 98 StPO die Beschlagnahme des Iphones, da es als Beweismittel benötigt werde. Die erfolgte Sicherstellung sei noch verhältnismäßig, da die Auswertung aufgrund des unbekannten Entsperrcodes (Entsperrung durch das LKA ist noch nicht erfolgt) noch nicht erfolgen konnte. Das AG entscheidet am 17.05.2022 und meint: Auch zeitlich noch verhältnismäßig:

„Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach bzw. die Kriminalinspektion Bad Kreuznach hat das IPhone bereits Anfang Januar 2022 dem LKA zur Entsperrung übersandt. Aufgrund der bekannten Auslastung des LKA nimmt dieser Vorgang entsprechend viel Zeit in Anspruch.

Die Entsperrung erfolgt in jedem Fall und nachfolgend auch die Auswertung. Woher der Verteidiger die Erkenntnis hat, die Auswertung werde nur erfolgen, wenn der Beschuldigte die PIN mitteilt, erschließt sich dem Gericht nicht.

Die Staatsanwaltschaft übt keinen unzulässigen Druck auf den Beschuldigten aus. um sein Schweigerecht zu unterlaufen.

Die Staatsanwaltschaft hat lediglich darauf hingewiesen, dass es der Beschuldigte in der Hand hat. den Zeitraum bis zur Auswertung zu verkürzen, indem die Entsperrung durch das LKA nicht mehr erforderlich ist, weil er die PIN zur Verfügung stellt.

Bei der Prüfung. ob die Beschlagnahme noch verhältnismäßig ist, ist dieser Aspekt auch zu berücksichtigen. Der Beschuldigte hat es in der Hand den Fortgang der Ermittlungen zu beschleunigen. Wenn er dies nicht tun will, dauern die Ermittlungen eben entsprechend länger.“

M.E. – gelinde ausgedrückt – sehr dünn an der Stelle. Denn die „bekannte Auslastung des LKA“ ist m.E. kein Umstand, den man dem Beschuldigten anlasten kann. Und die Erwägung: „Der Beschuldigte hat es in der Hand den Fortgang der Ermittlungen zu beschleunigen. Wenn er dies nicht tun will, dauern die Ermittlungen eben entsprechend länger.“ halte ich schlicht für unzulässig. Jedenfalls würde sie in der Strafzumessung auffliegen.

Auto I: Viermonatiges StGB-Fahrverbot als Nebenstrafe, oder: Auch noch nach Zeitablauf von zwei Jahren?

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Ich hoffe, alle haben die Osterfeiertage gut überstanden und sind frisch für die Restwoche. In die starte ich dann mit drei Entscheidungen zum Auto, zwei verkehrsrechtlichen und eine Owi-Entscheidung betreffend das „Auto“

Von den verkehrsrechtlichen Entscheidungen hier zuerst der OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2022 – 4 RVs 2/22, den ich heute zunächst nur wegen der Ausführungen des OLG zum Fahrverbot nach § 44 StGB vorstelle. Wegen anderer Frage komme ich noch einmal auf die Entscheidudng zurück.

Folgender Sachverhalt: Das AG hat den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamten gleichstehenden Personen in Tatmehrheit mit Beleidigung und falscher Verdächtigungen zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätze zu 65 EUR und einem viermonatigen Fahrverbot verurteilt. Das AG hatte festgestellt, dass bei einem Unfall im September 2019 sich ein Helfer um eine am Kopf blutende ältere Radfahrerin gekümmert und sein Auto zur Sicherung auf die Fahrbahn gestellt hatte. Ein Polizeistreifenwagen stellte sich schräg gegenüber. Durch die Lücke konnte der Verkehr einspurig abfließen.

Obwohl der Angeklagte die blutende Frau am Boden liegen sah, blieb er mit seinem Auto stehen und beschwerte sich über die geparkten Fahrzeuge. Dem ankommenden Rettungswagen versperrte er so den Weg zur Unfallstelle. Er fuhr erst weiter, als er dazu mehrmals von der Polizei aufgefordert wurde. Allerdings hielt er wenige Meter später erneut an, öffnete seine Fahrertür und blockierte den Krankenwagen weiter. Nach Überzeugung des AG verzögerte der Angeklagte die Ankunft der Rettungskräfte so um mindestens eine Minute. Außerdem beleidigte der Mann Ersthelfer und stellte unzutreffende Strafanzeigen gegen Polizeibeamte.

Das OLG hat die Revision verworfen. Es führt zum Fahrverbot aus:

„bb) Die Revision greift auch nicht durch, sofern gerügt wird, dass es das Tatgericht bei der Verhängung des viermonatigen Fahrverbots unterlassen hat, die annähernd zweijährige Verfahrensdauer ausdrücklich zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen.

Das Amtsgericht hat ein viermonatiges Fahrverbot für erforderlich, aber auch ausreichend und angemessen erachtet, um auf den Angeklagten „noch einmal einzuwirken“. Hierzu hat es folgendes ausgeführt: „Das gesamte Tatverhalten und sein Nachtatverhalten zeigt, dass es erforderlich ist, dem Angeklagten noch einmal vor Augen zu führen, dass im Straßenverkehr Regeln gelten, die auch dazu dienen, Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer zu retten. Diese Regeln sind wichtiger als das flüssige und schnelle Vorankommen auf den Straßen. Unter nochmaliger Berücksichtigung des Geschehenen und der Persönlichkeit des Angeklagten, wie sie in der Tat und in der mündlichen Hauptverhandlung zu Tage getreten ist, erscheint daher eine Dauer des Fahrverbots von vier Monaten erforderlich und ausreichend.“

Die Verhängung einer Nebenstrafe gem. § 44 StGB steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Ordnet es ein Fahrverbot neben einer allgemeinen Strafe an, so hat es die Wechselwirkung zwischen Haupt- und Nebenstrafe zu bedenken, die beide zusammen die Tatschuld nicht überschreiten dürfen (vgl. nur Fischer, a.a.O., § 44 Rn. 12, 17). Beide Sanktionen verfolgen einen überwiegend identischen Strafzweck, der aber mit unterschiedlichen Mitteln erreicht werden soll. Als Nebenstrafe soll das Fahrverbot zusammen mit der Hauptstrafe diesem Zweck dienen und kommt in aller Regel in Betracht, wenn der mit ihm angestrebte spezialpräventive Zweck mit der Hauptstrafe allein nicht verwirklicht werden kann und die Verhängung deshalb erforderlich ist. Es ist daher stets auch zu prüfen, ob der angestrebte spezialpräventive Erfolg nicht durch eine höher bemessene Hauptstrafe erreicht werden kann (s. hierzu OLG Hamm, NZV 2004, 598, 599).

Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht seinen Ermessenspielraum erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt.

Aus der Formulierung, es sei erforderlich, dem Angeklagten die Straßenverkehrsregeln „noch einmal“ vor Augen zu führen, ist abzuleiten, dass das Tatgericht sich der Wechselwirkung der beiden Strafen bewusst war. Die Abwägung unter Berücksichtigung des Geschehenen und auch der Persönlichkeit des Angeklagten lässt erkennen, dass das Amtsgericht bewusst von einer höher bemessenen Hauptstrafe anstatt einer zusätzlichen Nebenstrafe abgesehen hat. Dies spiegelt sich auch in der äußerst maßvollen Erhöhung der Einsatzstrafe von 90 Tagessätzen auf eine Gesamtgeldstrafe von nur 110 Tagessätzen wider.

Es ist schließlich auch rechtens gewesen, trotz der Verfahrensdauer ein Fahrverbot zu verhängen. Das Fahrverbot ist als Denkzettel für nachlässige und leichtsinnige Fahrer gedacht, um sie vor einem Rückfall zu warnen und ihnen ein Gefühl für den zeitweisen Verlust des Führerscheins und den Verzicht auf die aktive Teilnahme am Straßenverkehr zu vermitteln (vgl. OLG Hamm NZV 2004, 598, 599; BT-Drs. IV/651, S. 12). Längst ist ein überwiegender Teil der Bevölkerung auf die regelmäßige bis ständige Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen, so dass es kaum eine wirkungsvollere Sanktion als das Fahrverbot gibt, um dem nachlässigen oder gar rücksichtslosen Fahrer die Möglichkeit zu geben, sich auf die Gefahren im Straßenverkehr zu besinnen und damit auch auf die Notwendigkeit, dessen Regeln zu beachten. Diese Besinnungsfunktion kann das Fahrverbot in der Regel aber nur dann erfüllen, wenn es sich in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter auswirkt. Vergeht zu viel Zeit, verliert der spezialpräventive und aufrüttelnde Zweck des Fahrverbots seine Wirkung und reduziert sich auf eine bloße Strafe (s. OLG Hamm a.a.O.; s.a. zu einem Fahrverbot gem. § 25 StVG: OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 323; OLG Schleswig, DAR 2000, 584). Zudem kann in einem solchen Fall der spezialpräventive Zweck der Maßnahme bereits durch die lange Zeit des Schwebezustandes und die für den Angeklagten damit verbundene Ungewissheit über das Fahrverbot erreicht sein (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Schleswig a.a.O.). Die Rechtsprechung hat sich insoweit einer Grenze von zwei Jahren zwischen der Tatzeit und der Aburteilung angenähert, wenn die lange Verfahrensdauer nicht vom Angeklagten zu vertreten war und er seit der Tat nicht (erneut) straßenverkehrsrechtlich auffällig geworden ist (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, a.a.O., § 44 Rn. 15). Die Frage, ob bzw. ab wann von einem erheblichen Zeitraum zwischen der Tat und ihrer Ahndung durch ein Fahrverbot auszugehen ist, lässt sich aber nicht anhand bestimmter bzw. starrer Regelgrenzen beantworten, sondern ist im Einzelfall unter Abwägung aller relevanten Umstände zu entscheiden.

Für den vorliegenden Fall ergibt diese Abwägung, dass wegen des Zeitablaufs nicht von einem Fahrverbot abzusehen war. Zwar wurde die Tat bereits am 24. September 2019 begangen und das Urteil erst am 03. September 2021, mithin knapp zwei Jahre später, verkündet. Die Verfahrensdauer ist auch nicht etwa durch den Angeklagten zu vertreten gewesen, sondern beruht auf der vorübergehenden Einstellung und späteren Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens sowie auch eingelegten Rechtsmitteln. Jedoch können die Gründe für die Verfahrensdauer ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der Angeklagte seitdem erneut gegen Straßenverkehrsrecht verstoßen hat. Auch wenn der Zeitablauf hier nahe an die – allerdings nicht starre (s.o.) – 2-Jahres-Grenze heranreicht, bedarf es im Fall des Angeklagten unzweifelhaft der Warnungs- und Besinnungsstrafe des § 44 StGB. Der Angeklagte hat sein Fahrzeug im Straßenverkehr benutzt, um Rettungssanitätern die Zufahrt zu einer schwer verletzten Person zu blockieren. Er hat damit sein Fahrzeug in durchaus schwerwiegender Weise im Straßenverkehr missbraucht, so dass es einer Erörterung, ob wegen der Verfahrensdauer die Denkzettelfunktion des Fahrverbots entfallen musste, gar nicht bedurft hätte. Die eingangs wiedergegebene Formulierung des Tatrichters zeigt aber, dass diesem die lange Verfahrensdauer und sein Ermessenspielraum hinreichend bewusst waren.“

StPO III: Zur Fortdauer eines Arrestbeschlusses, oder: Nicht mehr nach 3 Jahren und 3 Monaten

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Und zu dem Tagesschluss dann noch der AG Bremen, Beschl. v. 18.01.2022 – 91b Gs 1694/21 (710 Js 62699/17) -, den mir der Kollege Burgsmüller aus Bremerhaven geschickt hat. Das AG äußert sich zur Aufhebung einer Arrestanordnung wegen eingetretener Unverhältnismäßigkeit:

„Die Vermögensarreste sind wegen Zeitablaufs und nicht ordnungsgemäßer Verfahren aus Verhältnismäßigkeitserwägungen aufzuheben.

Zwar gelten die starren Überprüfungsfristen des § 111b Abs. 3 StPO a.F. (6 bzw. 12 Monate) durch deren, ersatzlose Streichung nun nicht mehr. Dennoch ist auch weiterhin eine allgemeine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, bei der das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegen das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG abzuwägen ist (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 20.05.2008 – 2 Ws 155/08). Dabei wachsen mit der den Eigentumseingriff intensivierenden Fortdauer der Maßnahme von Verfassungs wegen die Anforderungen an die Rechtfertigung der Anspruchssicherung (BVerfG, Beschluss vom 07.oi.2006 – 2 BvR 583/06 – juris Rn. 5; OLG Stuttgart, Beschluss vom 25.10.2017 – Ws 163/17 -juris Rn. {b; ÖLG Rostock, Beschluss vom 12.04.2018, 20 42/18 -juris Rn. 0).

Seit Erlass der beiden vorgenannten Arrestbeschlüsse und deren teilweise Vollstreckung in Höhe von lediglich 6.119,69 € bzw. 283,51 € sind nunmehr mehr als 3 Jahre und 3 Monate verstrichen. Die Ermittlungen stellen sich sicherlich als umfangreich sowohl bezüglich der   Beweislage insbesondere bezüglich der faktischen Geschäftsführertätigkeit des Beschuldigten als auch bezüglich der Berechnung der konkreten Schadenssumme dar. Allerdings vermögen die seitens der Staatsanwaltschaft Bremen in ihrer Verfügung vom 23.12.2021 umfangreich dargestellten Ermittlungsschritte eine weitere Aufrechterhaltung nicht zu rechtfertigen.

Allein seit der letzten staatsanwaltlichen Ermittlungsverfügung vom 20.05.2021 (BI. 105 Bl. V. d. HA.) sind seitens des beauftragten Hauptzollamtes innerhalb der nunmehr wieder um vergangenen acht Monaten keine weiteren Ermittlungen mehr vorgenommen worden. Dies führt in Anbetracht des durch die Vermögensarreste verursachten starken Eingriffs in die Rechte der Beschuldigten dazu, dass nunmehr von einer Unverhältnismäßigkeit auszugehen ist. Hinzukommt, dass auch nicht abzusehen ist, wann dieses Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft abgeschlossen werden kann, geschweige denn eine Gerichtsentscheidung im Hauptverfahren erwartet werden kann. Zumal der bereits 16.09.2021 als zeitnah angekündigte Schlussbericht des Hauptzollamts Bremen bis tum heutigen Tage nicht vorliegt.“

OWi II: Einige Entscheidungen zu Fahrverbot/Geldbuße, oder: Zeitablauf, Absehen, Urteilsgründe

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Das zweite Posting des Tages dann zum Fahrverbot (§ 25 StVG) und zur Geldbuße, und zwar mit folgenden Entscheidungen:

Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

1. Regelmäßig liegt ab einem Zeitraum von etwa zwei Jahren die Prüfung nahe, ob ein Fahrverbot seine erzieherischen Zwecke im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind.

2. Der Umstand, dass sich der Betroffene zwischen Tatbegehung und tatrichterlichem Urteil – erneut – nicht verkehrsgerecht verhalten hat, spricht für die Erforderlichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes.

Soll vom Regelfall der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, so bedarf es wegen der grundsätzlich gebotenen Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer einer besonders eingehenden und sorgfältigen Überprüfung der Einlassung des Betroffenen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalls auszuschließen und auch dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung der richtigen Rechtsanwendung zu ermöglichen. Deshalb hat das Amtsgericht eine auf Tatsachen gestützte, besonders eingehende Begründung zu geben, in der es im Einzelnen darlegt, welche besonderen Umstände in objektiver und subjektiver Hinsicht es gerechtfertigt erscheinen lassen, vom Regelfahrverbot abzusehen.

Hat der Betroffene Einsicht in das Fehlverhalten gezeigt und ist durch die Vollstreckung eines Fahrverbots nach einer weiteren, nach der abzuurteilenden Tat begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung hinreichend beeindruckt, kann vom Fahrverbot abgesehen werden.

1. Grundsätzlich hat das Tatgericht bei der Verhängung von Geldbußen von mehr als 250,00 Euro keine weiteren Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu treffen, wenn es das Abweichen vom Regelsatz nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt hat.

2. Etwas anderes gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte für außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse vorliegen. Der Bezug von Arbeitslosengeld II, der zwar grundsätzlich darauf hindeuten kann, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht durchschnittlich sind, steht der Entbehrlichkeit weiterer Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen aber nicht entgegen.

3. Der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Betroffenen ist dann durch Zahlungsaufschub oder Ratenzahlung Rechnung zu tragen.