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Verkehrsrecht II: Vorläufige Entziehung nach § 111a StPO, oder: Nach 16 Monaten noch verhältnismäßig?

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In dem zweiten Entscheidung des Tages behandelt das OLG Stuttgart im OLG Stuttgart, Beschl. v. 22.10.2021 –1 Ws 153/21 – die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 11a StPO) durch Berufungsgericht.

Das AG hatte den Angeklagten wurde wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort am 25.3.2021 zu einer Geldstrafe verurteilt. Ferner hat das AG im Urteil die Entziehung der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins und eine Sperrfrist von acht Monaten angeordnet. Die Tat soll am 04.06.2020 begangen worden sein, der Schaden etwa 3.000 € betragen. Angeklagter und StA haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Mit Beschluss vom 30.08.2021 hat dann das LG dem Angeklagten die Fahrerlaubnis nach § 111a Abs. 1 Satz 1 StPO vorläufig entzogen. Die Beschwerde des Angeklagten blieb beim OLG erfolglos:

„2. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist – auch in Anbetracht des Zeitablaufs – gewahrt. Eine Fahrerlaubnis kann mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Tatgeschehen noch (vorläufig) entzogen werden, wenn nach einer sorgfältigen, am Einzelfall orientierten Abwägung das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der Schutz der Allgemeinheit das Interesse des Fahrerlaubnisinhabers an der uneingeschränkten Nutzung seiner Fahrerlaubnis überwiegt (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 1. April 2011, – 3 Ws 153/11 –, juris).

a) Der Senat verkennt dabei nicht, dass seit der vorgeworfenen Tat fast sechzehn Monate und seit dem erstinstanzlichen Urteil nunmehr sieben Monate vergangen sind. Er hat bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit auch die von der Verteidigung vorgebrachte Rechtsprechung der Landgerichte Ravensburg, Saarbrücken und Koblenz berücksichtigt, die in den dortigen Einzelfällen bei sechs, acht bzw. neun Monaten Zeitablauf die Entziehung der Fahrerlaubnis als unverhältnismäßig beurteilen (vgl. LG Ravensburg, Beschluss vom 22. Mai 1995 – 1 Qs 139/95 –; LG Saarbrücken, Beschluss vom 15. März 2007 – 3 Qs 70/07 – und LG Koblenz, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 3 Qs 84/17 –; jeweils juris).

Doch rechtfertigt der bloße bisherige Zeitablauf nicht zwangsläufig die Annahme, der durch die Tatbegehung indizierte Eignungsmangel sei im Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung entfallen (so auch OLG Koblenz, Beschluss vom 10. Oktober 2007 – 1 Ws 513/07 –, NZV 2008, 47 f., beck-online; ähnlich KG Berlin, Beschluss vom 8. Februar 2017, – 3 Ws 39/17 –, juris). Auch das Bundesverfassungsgericht hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn bei der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO im Einzelfall der Sicherheit des Straßenverkehrs der Vorrang gegenüber dem eingetretenen Zeitablauf und der bei der Staatsanwaltschaft zu beobachtenden Verfahrensverzögerung eingeräumt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. März 2005 – 2 BvR 364/05 –, NJW 2005, 1767 ff., beck-online).

b) Dieser Grundsatz gilt umso mehr, wenn die eingetretene Verfahrensverzögerung nicht auf Seiten der Staatsanwaltschaft oder der Gerichte, sondern in der Sphäre des Angeklagten und seines Verteidigers zu beobachten ist. Zwar stellt § 111a StPO eine vorläufige Maßnahme zur Sicherheit des Straßenverkehrs dar, weswegen der Zeitablauf selbstredend nicht unendlich sein kann. Liegt die Verantwortung für einen überschaubaren Zeitablauf von sechzehn Monaten jedoch auch in der Sphäre des Angeklagten und der Verteidigung, so kann und muss dieser Umstand bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer späteren Maßnahme nach § 111a StPO Berücksichtigung finden. Ein etwaiger Vertrauensschutz bezüglich der im bisherigen Verfahren unterbliebenen vorläufigen Entziehung wiegt nicht so schwer, als dass die angefochtene Entscheidung ermessensfehlerhaft erscheint (so auch KG Berlin, Beschluss vom 8. Februar 2017, – 3 Ws 39/17 –; juris). Vielmehr kann ein Angeklagter kein hinreichend schutzwürdiges Vertrauen auf den (vorläufigen) Erhalt der Fahrerlaubnis gründen, wenn er selbst durch sein Prozessverhalten zu einer Verfahrensverzögerung beigetragen hat.

Zentral ist dabei eine sorgfältige, am Einzelfall orientierte Abwägung der von § 111a StPO geschützten Rechtsgüter mit dem Grundsatz der effektiven Verteidigung nach Art. 6 Abs. 3 EMRK. Eine zulässige Verteidigung darf sich im Ergebnis nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirken. Zugleich ist aber ein einfaches „Abwarten und Bestreiten“ nicht immer zielführend (vgl. hierzu auch Gübner/Krumm, Verteidigungsstrategien bei drohender Fahrerlaubnisentziehung, NJW 2007, 2801 ff., beck-online).

c) Im vorliegenden Fall verlief das bisherige Prozessgeschehen auffallend schleppend, obwohl sowohl die Ermittlungsbehörden als auch die Gerichte das Verfahren am Beschleunigungsgrundsatz orientiert betrieben und gefördert haben. Die Verfahrensverzögerung ist demgegenüber in der Sphäre des Angeklagten und der Verteidigung entstanden. Dabei ist wesentlich, dass nicht die einzelnen Punkte an sich, wohl aber die Gesamtschau der Vorkommnisse zu einer beachtlichen Verfahrensverzögerung geführt haben.

Im Einzelnen:

Der ursprüngliche Strafbefehl wurde am 14. Dezember 2020 erlassen und am 17. Dezember 2020 an die Meldeadresse in B. zugestellt. Er war bereits rechtskräftig geworden, bis der Angeklagte im Rahmen des an eine verworfene Wiedereinsetzung sich anschließendes Beschwerdeverfahren auf einen „Zweitwohnsitz“ in S. aufmerksam machte. Auch fortan konnte keine Zustellung in angemessener und üblicher Zeit erfolgen, da trotz mehrfacher Einwohnermeldeamtsanfragen der Angeklagte fortwährend verschiedene Meldeadressen in B. und S. geltend machte. Dies führte zwischenzeitlich zu einer Doppelzustellung der Beschlüsse.

Bei der Terminierung folgten weitere Verfahrensverzögerungen: Auf Antrag der Verteidigung wurde die erstinstanzlich terminierte Verhandlung auf einen späteren Zeitpunkt verlegt. Das Empfangsbekenntnis des Verteidigers zur zweitinstanzlich terminierten Verhandlung kam nicht in den Rücklauf.

Die Berufungshauptverhandlung am 26. Juli 2021 konnte nicht durchgeführt werden. Der Verteidiger trug insoweit – trotz vorheriger Terminsabstimmung – vor, nicht erscheinen zu können. Seine gegen die Terminierung erhobene Beschwerde zum Oberlandesgericht Stuttgart blieb ebenso erfolglos (1 Ws 118/21) wie sein Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende Richterin wegen Nichtverlegung des Termins. Das diskrepante Verhalten des Verteidigers setzte sich fort, indem er dann zum Termin entgegen seines Vortrags, verhindert zu sein, doch erscheinen konnte.

Die Durchführung des zweitinstanzlichen Termins scheiterte dann jedoch an dem Fernbleiben des Angeklagten. Dieser begab sich am Morgen des Verhandlungstags nicht pflichtgemäß zum Gericht, sondern stellte sich zehn Minuten nach Verhandlungsbeginn einem ihm bis dato völlig unbekannten Arzt vor. Der Angeklagte machte „Durchfall“ geltend, da er Eier gegessen habe. Der Arzt konstatierte, dass der Gesundheitszustand des Angeklagten für eine etwaige Infektion mit Salmonellen zu gut sei. Dem Begehren des Angeklagten, dass er ein Attest für eine Verhandlungsunfähigkeit benötigen würde, kam der Arzt schließlich für einen Tag nach.

Hinsichtlich eines neuen von Seiten der Vorsitzenden der Berufungskammer vorgeschlagenen Termins haben weder der Angeklagte noch der Verteidiger auf die möglichen Verfügbarkeiten eines geeigneten Sachverständigen reagiert, was erneut zu einer Verfahrensverzögerung geführt hat.

Diese einzelnen Verzögerungsaspekte wären für sich genommen jeweils unerheblich, in ihrer Gesamtschau führen sie jedoch zu einem erheblichen Zeitablauf, der aus der Sphäre des Angeklagten und seines Verteidigers resultiert. Der Angeklagte konnte daher kein schützenswertes Vertrauen auf den (vorläufigen) Erhalt der Fahrerlaubnis bilden. Der Grundsatz einer effektiven Verteidigung führt insoweit zu keiner anderen Betrachtungsweise. Im Gegenteil: Berücksichtigt man, dass der Angeklagte in der nun vergangenen Zeit sechzehn Monate lang die jederzeitige Entziehung seiner Fahrerlaubnis befürchten musste, jedoch die ursprünglich vorgesehenen acht Monate Sperrzeit zwischenzeitlich bereits zweimal abgelaufen gewesen wäre, ist darüber nachzudenken, ob eine Verfahrens-verzögerung durch „Abwarten und Bestreiten“ zielführend ist.

Die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis ist daher auch in Anbetracht des Zeitablaufs verhältnismäßig.“

Man ist schon erstaunt, dass das OLG das Prozessverhalten des Angeklagten ins Spiel bringt. Man fragt sich, was das im Hinblick auf die Verkehrssicherheit für eeine Bedeutung für die Entscheidung nach § 111a StPO hat? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier Angeklagter und Verteidiger wegen der Verfahrensverzögerungen – die wir nicht näher kennen – abgestraft werden sollen. Das zeigt aber: Man darf den Bogen auch nicht überspannen 🙂 .

OWi I: Absehen vom Fahrverbot wegen Zeitablaufs?, oder: Nach zwei Jahren ja, aber….

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Heute ist OWi-Tag. Mal wieder, denn im Moment ist es in dem Bereich verhältnismäßig ruhig.

Und ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 16.06.2021 – 1 OLG 53 Ss-OWi 221/21. Problematik: Fahrverbot auch noch längere Zeit nach dem Verkehrsverstoß? Das OLG hat es hier mit dem AG bejaht:

„1. Aus den Urteilsgründen ergibt sich zweifelsfrei, dass das Bußgeldgericht die zu Ziffer 3 erwähnte straßenverkehrsrechtliche Vorbelastung, der zeitlich nach der Ordnungswidrigkeit im vorliegenden Fall liegt, nicht bußgelderhöhend berücksichtigt hat (S. 4 UA).

2. Ebenso zutreffend hat das Bußgeldgericht jedenfalls im Ergebnis erkannt, dass nach mittlerweile gefestigter obergerichtlichen Rechtsprechung der Sinn des Fahrverbots dann in Frage zu stellen ist, wenn die zu ahnende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 24. April 2020, (1 B) 53 Ss-OWi 174/20 (104/20), zit. n. juris, dort Rn. 30 ff.; OLG Bamberg DAR 2008, 651 jeweils m.w.N.). Hinsichtlich dieser Zweijahresfrist kommt es auf Zeitraum zwischen Tatbegehung und der letzten tatrichterlichen Verhandlung an, da der Tatrichter den sich anschließenden Zeitraum zwischen seiner Entscheidung und deren Rechtskraft nicht berücksichtigen kann und das Rechtsbeschwerdegericht lediglich zu prüfen hat, ob das Urteil des Tatrichters, auch was den Rechtsfolgenausspruch, insbesondere die Verhängung und Begründung eines Fahrverbotes betrifft, Rechtsfehler aufweist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24. März 2011, 3 RBs 70/10; OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. August 2011, 2 BsSs 172/11, jew. zit. n. juris).

Dieser Zeitrahmen führt jedoch nicht automatisch zu einem Absehen von einem Fahrverbot, sondern ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, dass eine tatrichterliche Prüfung, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann, geboten ist.

Bei einem Zeitablauf von über zwei Jahren zwischen Tat und Urteil bedarf es auch nach Auffassung des Senats besonderer Umstände für die Annahme, dass ein Fahrverbot noch unbedingt notwendig ist (s.a. OLG Düsseldorf MDR 2000, 829 zum Ganzen: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., StVG, § 25, Rn. 24 m.w.N.). Diese Zwei-Jahres-Frist war bei der Entscheidung des Amtsgerichts zwar abgelaufen, jedoch ist bei der Abwägung der Umstände des konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betroffenen liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind (BayObLG NZV 2004, 210). Dabei kann die Ausschöpfung von Rechtsmitteln und der Gebrauch der in der StPO und dem OWiG eingeräumten Rechte dem Betroffenen nicht als eine von ihm zu vertretende Verfahrensverzögerung entgegen gehalten werden (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2006, 25). Anderes gilt dann, wenn die lange Dauer des Verfahrens (auch) auf Gründe beruht, die in der Spähe des Betroffenen liegen (vgl. dazu KG VRS 102, 127; OLG Köln NZV 2000, 430; OLG Rostock DAR 2001, 421; OLG Celle VRS 108, 118; OLG Karlsruhe DAR 2005, 168). Ein solcher Fall liegt hier vor, denn mehrfach wurde der Hauptverhandlungstermin auf Wunsch des Betroffenen oder seines Verteidigers verschoben und mehrfach ist der Betroffenen zur Hauptverhandlung nicht erschienen, ohne sich vorher zu entschuldigen.

Ungeachtet der Verschleppung des Verfahrens durch den Betroffenen kommt hinzu, dass auch bei einer Verfahrensdauer von insgesamt mehr als 2 Jahren die Anordnung eines Fahrverbots dann noch in Betracht kommt, wenn sich der Betroffene in der Zwischenzeit, also nach der zu ahndenden Ordnungswidrigkeit weitere Ordnungswidrigkeiten hat zuschulden kommen lassen (vgl. OLG Karlsruhe NZV 2004 316; OLG Bamberg DAR 2008, 651; BayObLG NStZ-RR 2004, 57). Auch ein solcher Fall liegt hier vor, wie die in den Gründen unter Ziffer 3 erwähnte, am 29. Oktober 2019 begangene einschlägige Ordnungswidrigkeit verdeutlicht, wegen der bereits ein Fahrverbot gegen den Betroffenen erkannt worden ist. Nur hierauf hat der Bußgeldrichter in seiner Entscheidung zutreffend hingewiesen (S. 4 UA unten) und zu Recht auf ein Fahrverbot erkannt.

Soweit der Betroffene mit Anwaltsschriftsatz vom 11. Juni 2021 die Richtigkeit der Eintragung im Fahreignungsregister bestreitet, wird dies – ungeachtet der Tatsache, dass eine Beweisaufnahme vor dem Rechtsbeschwerdegericht nicht stattfindet – durch den Auszug aus dem Fahreignungsregister vom 29. Juni 2020 widerlegt. Mehr noch: Der Betroffene hat sich vor der angefochtenen Entscheidung einer weiteren einschlägigen Ordnungswidrigkeit schuldig gemacht.“

Und dann mal wieder <<Werbemodus an>>: Eine ganze Menge zum Fahrverbot steht in Burhoff (HRsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche Bußgeldverfahren, 6. Aufl., 2021, das man hier bestellen kann <<Werbemodus aus>>.

Durchsuchung II: Sperrwirkung einer Einstellung, oder: Zeitablauf

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Bei der zweiten Entscheidung handelt es sich um den LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 05.03.2021 – 12 Qs 4/21. In ihm nimmt das LG Stellung zur der Frage der Sperrwirkung einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO und zum Unwirksamwerden eines Durchsuchungsbeschlusses infolge Zeitablaufs. Dazu das LG:

„3. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil die Durchsuchung von Rechts wegen erfolgen durfte.

a) Der Durchsuchungsbeschluss ist rechtmäßig ergangen.

aa) Notwendige Voraussetzung jeder Durchsuchung ist ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO wegen einer bestimmten Straftat. Dieser liegt vor, wenn auf der Grundlage konkreter Tatsachen nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 152 Rn. 4 m.w.N.). Einen solchen konkreten Anfangsverdacht hat der Beschwerdeführer hier selbst geschaffen, indem er in der Sitzung des Amtsgerichts Nürnberg am Morgen des 21. Februar 2020 in der Sache 52 OWi 703 Js … geäußert hat, er habe sein Handy in die Buchse gesteckt und das Ende des Gesprächs (mit den beiden Polizisten) aufgezeichnet.

Darin lag eine Selbstbezichtigung des Beschwerdeführers, eine Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB begangen, zumindest aber versucht zu haben. Nach der genannten Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt. Nichtöffentlich gesprochen ist ein Wort dann, wenn es nicht an die Allgemeinheit gerichtet ist oder nicht über einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinaus verbreitet werden soll (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 201 Rn. 3). Die Nichtöffentlichkeit ist bei der hier durch die Verkehrskontrolle situativ, räumlich und persönlich geschaffenen Eingrenzung gegeben.

bb) An der vorstehenden Beurteilung, dass ein Anfangsverdacht vorliegt, ändert sich nichts dadurch, dass die Staatsanwaltschaft zunächst mit Verfügung vom 6. Mai 2020 das Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Eine Einstellung nach dieser Vorschrift entfaltet keine Sperrwirkung, die einer erneuten Befassung der Staatsanwaltschaft mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt entgegenstünde. Das Ermittlungsverfahren kann vielmehr jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn Anlass dazu besteht. Aufseiten des Beschuldigten besteht insoweit kein Vertrauensschutz auf den Bestand der ursprünglichen Einstellungsverfügung (BGH, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 StR 524/10, juris Rn. 10). Die Kammer merkt an, dass aus der Akte, soweit sie im Rahmen der Beschwerde vorgelegt wurde, nicht nachvollziehbar ist, aufgrund welcher Umstände oder Erwägungen sich die Staatsanwaltschaft dazu entschlossen hat, von ihrer ursprünglichen Einschätzung, die der Verfahrenseinstellung zugrunde gelegen hatte, abzurücken und das Verfahren wieder aufzugreifen. Daraus folgt indessen kein durchgreifendes Argument gegen die Rechtmäßigkeit der erneuten Befassung mit dem Fall, denn es ist umgekehrt auch nicht ersichtlich, dass das Vorgehen der Staatsanwaltschaft sachfremd motiviert gewesen wäre.

cc) Der Annahme eines Anfangsverdachts steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer behauptet, die inkriminierte Tonaufnahme versehentlich – strafrechtlich gesprochen: fahrlässig und damit im konkreten Fall nicht strafbar – gemacht zu haben. Die Ermittlungsbehörden sind nicht gehalten, der eigenen Einschätzung eines Beschuldigten zum subjektiven Tatbestand einer Straftat uneingeschränkt zu folgen, sondern haben eigenständig zu bewerten, ob die feststellbaren Umstände in ihrer Zusammenschau den Rückschluss auf einen Vorsatz zulassen. Nachdem der Beschwerdeführer bei seiner Aussage vor dem Amtsgericht Nürnberg, die dort protokolliert worden ist, nichts in die Richtung äußerte, die Aufnahme sei nur versehentlich erfolgt, und nachdem versehentliche Tonaufnahmen mit einem Mobiltelefon nach aller Erfahrung seltener vorkommen als bewusst vorgenommene, liegt es nahe, im Vortrag des Beschwerdeführers eine bloße sog. Schutzbehauptung zu sehen. Eine solche stellt den Anfangsverdacht nicht infrage.

Ebenso wenig muss die Staatsanwaltschaft der Behauptung eines Beschuldigten glauben, er habe die gesuchte Sache nicht (mehr).

dd) Die übrigen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen, insbesondere die Verhältnismäßigkeit des angegriffenen Beschlusses, liegen vor. Das Auffinden des Tonträgers ist für den Tatnachweis geeignet und erforderlich und die Durchsuchung war, auch in Anbetracht des hohen Stellenwerts der Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung (Art. 13 GG), noch angemessen. Ohne den Tonträger selbst lässt sich nicht belegen, ob die Aufnahme des Gesprächs – verstanden als Tätigkeit des Aufnehmens, die der Beschwerdeführer selbst zugegeben hat – zu einem Erfolg geführt hat. Aufnehmen im Sinne der Strafvorschrift ist das Festhalten des gesprochenen Wortes auf einem Tonträger in der Weise, dass es wieder hörbar gemacht werden kann. Gelingt es nicht, das Wort auf dem Tonträger zu fixieren, liegt nur Versuch (§ 201 Abs. 4 StPO) vor (Schünemann in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 201 Rn. 13). Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist weiter zu sehen, dass die vorgeworfene Straftat nicht lediglich geringfügig ist (zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Beschluss vom 28. September 2008 – 2 BvR 1800/07, juris Rn. 20) und dass es letztlich der Beschwerdeführer war, der durch seine eigene Aussage im Ordnungswidrigkeitsverfahren vor dem Amtsgericht Nürnberg das hiesige Ermittlungsverfahren – ohne Not – provoziert hat.

b) Die Durchsuchung ist auch rechtzeitig vollzogen worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts tritt – außer er wird vorher richterlich bestätigt – ein erlassener Durchsuchungsbeschluss außer Kraft, wenn er nicht spätestens ein halbes Jahr nach Erlass vollzogen wird (BVerfG, Beschluss vom 6. Februar 2002 – 2 BvR 380/01, juris Rn. 13; Beschluss vom 27. Mai 1997 – 2 BvR 1992/92, juris Rn. 29 f.). Hier kann dahinstehen, ob – wozu die Kammer freilich nicht neigt – der zeitliche Abstand zwischen dem Erlass des ersten Beschlusses und der Durchsuchung, fast fünf Monate, zur Unwirksamkeit dieses Beschlusses geführt haben kann. Denn jedenfalls ist der erste Beschluss des Ermittlungsrichters durch dessen berichtigenden Beschluss vom 21. Januar 2021 unmittelbar vor dem Vollzug der Durchsuchungsmaßnahme konkludent bestätigt worden. Auch wenn sich der zweite Beschluss allein auf die Berichtigung der Postleitzahl des Durchsuchungsobjekts bezogen hat, so hat der Ermittlungsrichter damit schlüssig miterklärt, dass er an seinem ursprünglichen Durchsuchungsbeschluss festhält und ihn damit bestätigt. Damit ist der Zeitablauf zwischen dem Erlass des ursprünglichen Durchsuchungsbeschlusses und dessen Vollzug vorliegend unerheblich.“

Auch mehr als 17 Monate nach der Tat noch „vorläufige“ Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: „Unwohl“

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Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

„Unwohl“ ist mir bei dem KG, Beschl. v. 08.02.2017 – 3 Ws 39/17- 121 AR 22/17. Es geht um die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis trotz des Zeitablaufs von 11 Monaten seit Begehung der Tat. Der Beschluss teilt folgende Eckdaten mit:

03.08.2015: vermutlicher Tattag für das zur Last gelegte unerlaubte Entfernen vom Unfallort.
18.08.2015: Der Angeklagte steht als Tatverdächtiger fest.‘
24.05.2016: Anklageerhebung
12.07.2016: Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis
31.08.2016: Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, u.a. Entziehung der Fahrerlaubnis mitz Sperrfrist von 12 Monaten
Dagegen Berufung des Angeklagten.
31.01.2017: Ablehnung der Aufhebung durch das LG/Berufungsgericht.
08.02.2017: Entscheidung des KG

Das KG meint: Noch ok. Die vorläufige Entziehung ist noch verhältnismäßig.

„b) Die Entscheidung des Landgerichts ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis trotz des Zeitablaufs noch verhältnismäßig. Dass die Tat bereits am 3. August 2015 begangen und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erst am 12. Juli 2016 angeordnet wurde, ist unschädlich, da in der Zwischenzeit die Ermittlungen, das Zwischenverfahren und das Hauptverfahren andauerten und der Angeklagte kein schutzwürdiges Vertrauen auf den vorläufigen Erhalt seiner Fahrerlaubnis bilden konnte……

…..Bleibt dieser nach der ihm angelasteten Tat weiter im Besitze seiner Fahrerlaubnis und nimmt beanstandungsfrei am Straßenverkehr teil, wächst sein Vertrauen in den Bestand der Fahrerlaubnis, während die Möglichkeit ihres vorläufigen Entzuges nach
§ 111a Abs. 1 Satz 1 StPO ihren Charakter als Eilmaßnahme zunehmend verliert. Wann letztere nicht mehr in Betracht kommt, wird von der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (vgl. BVerfG a.a.O.; Senat, Beschlüsse vom 1. April 2011
3 Ws 153/11 – und 29. Juli 2016 – 3 Ws 398/16 –) und hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab.

Dies führt vorliegend dazu, dass die Strafkammer das ihr eingeräumte Ermessen (noch) nicht verletzt hat, wobei dahinstehen kann, wann konkret der Verhältnismä-ßigkeitsgrundsatz verletzt ist. Der Senat übersieht insoweit nicht, dass die Fahrerlaubnis 11 Monate nach der am 3. August 2015 angeblich begangenen Tat entzogen wurde, obwohl dem Angeklagten bereits Mitte August 2015 rechtliches Gehör gewährt worden ist und es von Seiten der Strafverfolgungsbehörden nahegelegen hätte, zu diesem Zeitpunkt die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu beantragen. Tatsächlich erließ jedoch erst der Amtsrichter – ohne ersichtlichen Antrag der Amtsanwaltschaft und ohne dass sich die Erkenntnislage erkennbar verändert hatte – nach Eröffnung des Hauptverfahrens und Anberaumung des Hauptverhandlungstermins den entsprechenden Beschluss.

Die lange Zeitdauer zwischen angeblicher Tatbegehung und vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis wird vorliegend jedoch dadurch relativiert, dass eine (etwaig) unterbliebene Verfahrensbeschleunigung das Ermittlungsverfahren und nicht den Zeitraum ab der vorläufigen Entziehung betraf. Der Beschluss wurde auch in angemessener Zeit nach Eingang der Akten beim Amtsgericht erlassen und das Verfahren im weiteren Verlauf, sowohl durch das Amtsgericht als auch durch das Berufungsgericht, angemessen gefördert. Zu berücksichtigen ist insoweit des Weiteren, dass der anwaltlich vertretene Angeklagte darüber hinaus die Möglichkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis im Hauptverfahren ernsthaft in Betracht ziehen musste. Sein Vertrauensschutz bezüglich der im Ermittlungsverfahren und im Zwischenverfahren unterbliebenen vorläufigen Entziehung wiegt nicht so schwer, dass die angefochtene Entscheidung der Strafkammer ermessensfehlerhaft erscheint.“

Nun ja: Wie gesagt: Unwohl, denn es wird erst 11 Monate nach der Tat entzogen und zum Zeitpunkt der Entscheidung des LG sind bereits mehr als 17 Monate vergangen. Wie ist es denn da mit „Vorbewährung“? Dazu finde ich im Beschluss nichts.

OLG Naumburg: Fahrverbot nicht mehr nach zwei Jahren, ggf. auch nicht bei „Zwischeneintrag“

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Im Moment gibt es nicht so viel Entscheidungen zum Fahrverbot nach § 25 StVG. Von daher Dank an den Kollegen Rößler aus Düsseldorf für die Übersendung des OLG Naumburg, Beschl. v.  13.06.2017 – 2 Ws 132/17. Der behandelt nämlich eine Fahrverbotsfrage. Es geht um das Absehen vom Fahrverbot nach längerem Zeitablauf. Insoweit enthält er nichts Neues, da das OLG an der in der Rechtsprechung dazu vorgegebenen Zwei-Jahres-Frist festhält. Aber mit der Variante, dass die ggf. sogar auch gelten kann, wenn der Betroffene zwischenzeitlich verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist. Jedenfalls muss sich das AG mit der Frage dann auseinander setzen:

„Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit ande­ren Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist zwar grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. In der obergericht­lichen Rechtsprechung ist allerdings die Tendenz erkennbar, den Sinn eines Fahrverbotes in Frage zu stellen, wenn die zu ahnende Tat mehr als zwei Jahre zurück liegt.

Im vorliegenden Verfahren liegen zwischen der Tat vom 14.11.2014 und ihrer nunmehrigen Ahndung durch das Amtsgericht Weißenfels am 13.03.2017 fast zwei Jahre und vier Monate. Zwischenzeitlich ist zwar ein weiteres Fehlverhalten des Betroffenen im Straßenverkehr fest­gesteift worden, nämlich gegen den Betroffenen wurde durch Entscheidung der Bußgeldbe­hörde Polizeipräsident Rheinpfalz in Speyer vom 20.05.2015, rechtskräftig seit dem 11.06.2015, wegen verbotswidriger Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons zu einer Geld­buße von 65 Euro verhängt (BA S. 2). Allerdings beruhte die lange Verfahrensdauer bis zum Urteilspruch auch auf Gründen, die außerhalb des Einflussbereiches des Betroffenen lagen [so die Verlegung vom 08.03.2016 auf 10:30 Uhr wegen Verhinderung des Zeugen pp. (BI. 83 R d. A.); die Aufhebung des Termins am 04.04.2016 wegen Lehrgangs des Zeugen ppp. (BI. 102 R d. A.)]. Daher sollte der angefochtenen Entscheidung Ausführungen zu entnehmen sein, ob sich der Tatrichter jedenfalls der Möglichkeit bewusst gewesen war, ob nicht von der Verhängung des Fahrverbots bei gleichzeitiger (weiterer) Erhöhung der festge­setzten Geldbuße abgesehen werden kann. Zwar ist das Gericht bei Vorliegen eines Regel­falls nach der Bußgeldkatalogverordnung, wenn keine durchgreifenden Anhaltspunkte für ein Abweichen erkennbar sind, von der Verpflichtung enthoben, die grundsätzliche Angemes­senheit der Verhängung eines Fahrverbotes besonders zu begründen. Desgleichen sind

auch keine näheren Feststellungen dazu erforderlich, ob der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg auch durch eine Erhöhung der Geldbuße erreicht werden kann. Der Tatrichter muss sich allerdings dieser Möglichkeit bewusst gewesen sein und dies In den Entschel­dungsgründen grundsätzlich erkennen lassen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 09.01.2009 ­4 Ss OWi 6/09). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Hier ist der Urteilsbegründung zwar zu entnehmen, dass für das Gericht keine Veranlassung bestand, von dem gesehenen regelmäßigen Fahrverbot von einem Monat abzuweichen, da entsprechende Gründe weder vorgetragen noch für das Gericht erkennbar waren, allerdings berücksichtigt es hierbei den inzwischen eingetretenen Zeitablauf zwischen Begehen der Ordnungswidrigkeit und Verurteilung der Ordnungswidrigkeit nicht, die ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen könnte.

Dies führt auch zu dem Schluss, dass sich der Tatrichter dieser Möglichkeit eben nicht be­wusst gewesen ist.“