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Nur gewaltfreie Straftaten in der Bewährungszeit – kein Widerruf der Strafaussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe

Das OLG Hamm, Beschl. v. 10.11.2011 – III-1 Ws 573/11 behandelt den Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten lebenslangen Freiheitsstrafe. Das OLG weist darauf hin, gewaltfreie Straftaten in der Bewährungszeit grundsätzlich nicht zum Widerruf der Strafaussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe führen können. Die Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung lebenslanger Freiheitsstrafe wegen erneuter Straffälligkeit des Verurteilten müsse sich nach der Erwartung richten, auf der die Strafaussetzung beruhte. Die Begehung von Straftaten, die weder Gewaltdelikte noch sonst schwerwiegende Straftaten ähnlichen Charakters darstellen, rechtfertigten einen Widerruf daher grundsätzlich nicht. Dies gelte zumindest dann, wenn sich die Strafaussetzung auf die Erwartung stützt, der Verurteilte werde künftig keine Gewalttaten begehen und diese Erwartung durch die Nachverurteilung nicht in Frage gestellt wird.

Im Einzelnen:

Gemäß § 57a Abs. 3 S. 2 StGB gelten für den Widerruf der Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe die Regelungen in § 56f StGB entsprechend. Gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB widerruft das Gericht die Strafaussetzung, wenn der Verurteilte in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat. Die Entscheidung über den Widerruf muss sich an dieser Erwartung ausrichten. Sie kann nach keinem anderen Maßstab erfolgen als demjenigen, der bei der Strafaussetzung angelegt worden ist (KG NStZ 2004, 156, zit. bei JURIS Rdnr 7). Beim Widerruf der Aussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist zudem zu berücksichtigen, dass im Falle des Widerrufs vom Verurteilten kein zeitiger Strafrest zu verbüßen ist, der Verurteilte vielmehr wieder in eine zeitlich unbeschränkte, möglicherweise bis zu seinem Lebensende dauernde Verwahrung genommen wird (OLG Karlsruhe NStZ 2011, 92, zit. bei JURIS Rdnr 9; Schönke/Schröder-Stree/Kinzig § 57a Rdnr 17; Fischer, 57. Aufl. § 57a Rdnr 25). Daher gilt hier in verstärktem Maße, dass nicht jede in der Bewährungszeit begangene Straftat zum Widerruf führen kann, sondern nur erneute Gewaltdelikte oder sonstige schwerwiegende Straftaten ähnlichen Charakters (OLG Karlsruhe a.a.O.; KG a.a.O. JURIS Rdnr 6; Schönke/Schröder a.a.O.). Der Prüfungsmaßstab kann grundsätzlich kein anderer sein als derjenige, der bei der Aussetzung des Strafrestes einer lebenslangen Freiheitsstrafe angelegt wird (OLG Karlsruhe a.a.O., KG a.a.O., jew. m.w.N.). Bei lebenslanger Freiheitsstrafe darf die Annahme fortbestehender Gefährlichkeit des Täters indes nur auf Delikte von Art und Schwere bezogen werden, wie sie in der begangenen Tat zu Tage getreten ist (OLG Karlsruhe a.a.O.; KG a.a.O. JURIS Rdnr 7, BVerfG NStZ 1998, 374, KG NStZ-RR 1997, 382, 383).

OLG redet Tacheles – Grundkurs beim Verwerfungsurteil, oder: So nicht…

Gleich im ersten OWi-Beschluss des Jahres – 1 ssRs 1/12 – hat sich die Vorsitzende des 1. Strafsenats – Senat für Bußgeldsachen – des OLG Koblenz einen Amtsrichter zur Brust genommen. Offenbar kein Einzelfall seine dem OLG-Beschluss zugrunde liegenden Entscheidung, anders lassen sich die deutlichen Worte des OLG nicht erklären. Es geht im Grunde um eine „ausgeschriebene“, ganz einfache Frage, nämlich die nach den Voraussetzungen für ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG. Aber beim AG Linz hatte das OLG wohl dennoch Anlass zu einem kleinen Grundkurs zu den anstehenden Fragen, wenn es im OLG Koblenz, Beschl. v. 16.01.2012 – 1 SsRs 1/12 „ergänzend bemerkt“:

Ergänzend bemerkt der Senat, dass dem Bußgeldrichter des erkennenden Amtsgerichts offensichtlich die Bedeutung der §§ 73, 74 Abs. 2 OWiG nicht bewusst ist. Nach der Formulierung „Das persönliche Erscheinen war angeordnet“ in den Urteilsgründen ist zweifelhaft, ob dem Richter der Sinn der Neufassung des § 73 OWiG durch das OWiGÄndG vom 26. Januar 1998, gültig ab 1. März 1998 bekannt ist. Weiter scheint dem Richter nicht klar zu sein, dass die Entbindung des Betroffenen von der Anwesenheitspflicht nicht in seinem Ermessen liegt (vgl. auch Senatsentscheidung vom 17.11.2011, 1 SsRs 137/11), sondern anzuordnen ist, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (Göhler, a.a.O. § 73 Rdnr. 5). Offensichtlich meint der Richter auch — insoweit fehlerhaft (vgl. Senatsbeschluss vom 02.10.2003, 1 Ss 279/03, ZfSch 2004, 90) — eine Entscheidung nach § 74 Abs. 2 OWiG könne immer dann getroffen werden, wenn weder der entschuldigte oder unentschuldigte Betroffene noch der Verteidiger in der Hauptverhandlung erschienen sei. Nach § 74 Abs. 1 OWiG ist aber gegen den nicht erschienen Betroffenen, der von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden war, in seiner Abwesenheit zu verhandeln, auch wenn kein Verteidiger erschienen ist (Göhler, a.a.O., § 74 Rdnr. 9).

Vielleicht hilft es ja…

TOA auch bei Nichtannahme einer Entschuldigung

Ein strafmildernder Strafzumessungsgesichtspunkt kann der (gelungene) Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB) sein. Allerdings ist es in der Praxis häufig nicht so ganz einfach, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, weil ja auch das Opfer ein wenig „mitspielen“ muss. Von daher ist der BGH, Beschl. v. 19.10.2011 – 2 StR 344/11 ganz interessant, in dem der BGH in einem Missbrauchsverfahren noch einmal kurz zu den Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB Stellung genommen hat.

Dazu:
Ein Täter-Opfer-Ausgleich setzt einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muss. Hierfür ist eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung Voraussetzung. Das Bemühen des Täters muss Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein, und das Opfer muss die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren. Ein Vergleichabschluss zwischen Angeklagtem und Opfer – zu dem war es im Verfahren gekommen –  kann diese Voraussetzungen auch dann erfüllen, wenn das Opfer die Entschuldigung des Angeklagten nicht angenommen hat.

Hinweisenswert das Letzte: Die Entschuldigung muss nicht angenommen worden sein:

Entgegen dem Revisionsvorbringen begegnet es weiter keinen rechtlichen Bedenken, dass sich den Urteilsgründen – was wünschenswert gewesen wäre – die exakte Vergleichssumme nicht entnehmen lässt. Die Feststellung in den Urteilsfeststellungen, dass ein Vergleich abgeschlossen wurde, die Mitteilung der monatlichen zu zahlenden Summe und die Tatsache, dass die Nebenklägerin die Zahlungen angenommen hat, reichen hier in Verbindung mit den weiteren im Urteil aufgeführten Umständen aus, um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB für den Senat zu belegen.

Soweit die Revision im Übrigen meint, die vereinbarten Zahlungen und die versuchte Entschuldigung genügten mit Rücksicht auf das Tatbild und die Tatfolgen für das Opfer nicht für die Annahme eines Täter-Opfer-Ausgleichs, ersetzt sie lediglich die Wertung des Landgerichts durch ihre eigene, ohne Rechtsfehler aufzuzeigen.“

1,82 Promille – keine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad

Der Angeklagte war auf dem Fahrrad mit einer BAK von 1,82 ‰ unterwegs. Anklage wegen einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt. Die verneint das LG Dessau, Urt. v. 22.03.2011 -7 Ns 593 Js 21502/10 mit einer interessanten Argumentation:

Eine vorsätzliche Begehensweise konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Zwar spricht die bei dem Angeklagten festgestellte hohe Blutalkoholkonzentration dafür, dass er sich der Möglichkeit seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bewusst gewesen sein könnte. Allerdings kann nicht allein aufgrund des Blutalkoholgehaltes auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden. Vielmehr müssen hierfür weitere Indizien herangezogen werden. Vorliegend haben sich jedoch keine weiteren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat. Er ist bisher weder strafrechtlich in Erscheinung getreten, noch durch besonders vorsichtige Fahrweise oder das Benutzen von Schleichwegen aufgefallen. Stattdessen ist er vom Stadtfest aus kommend mit seinem Fahrrad – und nicht mit einem PKW — eine gut beleuchtete Durchgangsstraße entlanggefahren. Dabei fuhr er in Schlangenlinien direkt auf den deutlich sichtbaren, am Straßenrand stehenden Polizeiwagen zu, anstatt vom Fahrrad abzusteigen oder umzudrehen. Zudem trat er gegenüber den Polizeibeamten nicht schuldbewusst oder reumütig auf; sondern wirkte eher aufgebracht. Aufgrund dieser Umstände ist die Kammer trotz des hohen Blutalkoholgehaltes davon ausgegangen, dass der Angeklagte lediglich fahrlässig und nicht vorsätzlich gehandelt hat.“

Den Angeklagten „rettet“ also seine Fahrweise und sein Auftreten :-). Wegen der 1,82 ‰ kommt das dicke Ende dann aber noch an anderer Stelle.

Schöne Rechtsprechungszusammenstellung beim VG Gelsenkirchen

Der VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 12.08.2011 – 14 L 716/11– befasst sich mit Fragen zum Fahrtenbuch (§ 31a StVzO). Er enthält keine neuen Aussagen, wenn er feststellt, dass die unterbliebene Übersendung eines Anhörungsbogens im Ordnungswidrigkeitenverfahren für die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage unerheblich ist, wenn der Fahrzeughalter im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens durch den Ermittlungsdienst der Behörde zu dem Verkehrsverstoß und dem möglichen Fahrer befragt wurde. Bei Verkehrsverstößen, die mit einem Firmenfahrzeug eines Kaufmanns im geschäftlichen Zusammenhang begangen worden sind, treffe die Geschäftsleitung eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Es falle in ihre Sphäre, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrszuwiderhandlung ohne Rücksicht auf die Erinnerung Einzelner festgestellt werden könne, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat.

Lesenswert aber wegen der Zusammenstellung der Rechtsprechung.