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OLG Celle traut sich :-): Vorlagebeschluss

Vorlagebeschlüsse der OLG in OWi-Verfahren sind ja selten (geworden). Deshalb ist der OLG Celle, Beschl. v.14.11.2011 – 311 SsBs 152/11 eine Meldung wert, wenn auch die Frage, die der BGH entscheiden soll in der Praxis nun nicht eine sehr große Rolle spielen dürfte. Das OLG stellt nämlich zur Diskussion:

Der Senat ist – anders als das OLG Hamm – der Auffassung, dass das Amtsgericht den Einspruch eines nicht vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbundenen Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid auch dann gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG verwerfen darf, wenn das vorangegangene Sachurteil vom Rechtsbeschwerdegericht nur im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben worden war, und legt die Sache daher zur Entscheidung der Rechtsfrage dem BGH vor.2

Das OLG Hamm hatte das anders gesehen und ein Verwerfungsurteil in den Fällen als unzulässig angesehen. Die Begründung des OLG Celle für die a.A. „liest sich nicht schlecht“, Mal sehen, was der BGH daraus macht.

Hut ab vor dem OLG Hamm – Kehrtwende um 180 Grad

Wann liest man schon mal, dass eine Gegenvorstellung eines Verteidigers Erfolg hat bzw., wann räumt ein Gericht schon mal ein, dass etwas überlesen worden ist. So ganz häufig sind die Fälle ja nun nicht. Deshalb ist es um so schöner, wenn man über einen solchen Beschluss berichten kann. Und dann ist es auch noch das OLG Hamm :-), das in OLG Hamm, Beschl. v. 13.07.2011 – III – 4 R Bs 193/11 eine Kehrtwende gemacht hat.

Folgender Sachverhalt: Das OLG hatte zunächst die Rechtsbeschwerde des Verteidigers gegen ein amtsgerichtliches Urteil verworfen. Begründung: Die Rechtsbeschwerde „habe nicht ausreichend ausgeführt, dass der Verteidiger über die besondere Vollmacht verfügt habe, um einen Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG für den Betroffenen wirksam stellen zu können“. Der Verteidiger war erstaunt, denn er hatte vorgetragen, er „habe über eine „Vertretungs- und Verteidigungsvollmacht“ verfügt“. Und er fragte sich, was er denn noch vortragen müsse. Das hat er auch das OLG in seiner Gegenvorstellung gefragt. Und: Das OLG macht eine Kehrtwende und führt dazu aus:

„Bei erneuter Überprüfung der Sach- und Rechtslage muss der Senat jedoch einräumen, die Anforderungen an den Vortrag des Bestehens einer besonderen Vollmacht für die Stellung eines Antrages nach § 73 Abs. 2 OWiG in seiner Entscheidung vom 31. Mai 2011 überspannt zu haben. Mit der Darlegung, der Verteidiger habe über eine „Vertretungs- und Verteidigungsvollmacht“ verfügt, liegt, entgegen der damals geäußerten Rechtsansicht, ein ausreichender Vortrag zu diesem Punkt vor. Andere Zulässigkeitsbedenken hinsichtlich der erhobenen Verfahrensrüge bestehen nicht.“

Damit war die Rechtsbeschwerde zulässig und hatte dann auch in der Sache Erfolg. Sie führte zur Aufhebung wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs. Dazu aber in anderem Zusammenhang mehr.

Verteidiger auch nicht da – Einspruch wird verworfen. Geht das?

Die Frage ist mit einem eindeutigen und klaren „Nein“ zu beantworten. Anders das AG in dem dem Beschl. des OLG Jena v.16.05.2011 – 1 Ss Rs 72/11 (165/11) zugrunde liegenden Verfahren.

Der Sachverhalt: Das AG entbindet den Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung. Er erscheint nicht (warum auch?), der Verteidiger allerdings auch nicht. Das AG verwirft den Einspruch des Betroffenen dann nach § 74 Abs. 2 StPO. Das OLG dazu:

Der Tatrichter hat — ohne zur Sache zu verhandeln und zu entscheiden — ein Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG erlassen, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren. Durch diesen Verfahrensfehler hat er zugleich den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt.

Nach § 74 Abs. 2 OWiG hat das Gericht, wenn ein Betroffener ohne genügende Entschuldigung ausbleibt, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden war, den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen. Diese Voraussetzungen lagen ersichtlich nicht vor, da der Betroffene mit Verfügung vom 15.12.2010 von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden worden war. Der Tatrichter hätte daher nach § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen zur Sache verhandeln müssen. Der Umstand, dass vorliegend auch der Verteidiger des Betroffenen der Hauptverhandlung ferngeblieben war, rechtfertigte den Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG nicht. Im Übrigen verpflichtet § 73 Abs. 3 OWiG den vom Erscheinen entbundenen Betroffenen nicht, sich durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten zu lassen, er kann dies lediglich tun (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Senatsbeschluss vom 04.03.2011, 1 Ss Rs 6/11).

Der Erlass eines Verwerfungsurteils unter Missachtung der gesetzlichen Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG stellt zugleich eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar, da dem Betroffenen durch den unzulässigen Erlass eines solchen Prozessurteils eine Sachverhandlung in Gänze verwehrt wird (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.10.2009, 1 Ss Rs 34/09, 1 Ws 181/09, bei juris m.w.N.; Senatsbeschluss vom 13.12.2010, 1 Ss Rs 112/10).“

Hat das OLG Hamm vor einigen Jahren auch schon mal gesagt. Hätte der Amtsrichter wissen können, steht nämlich auch im Kommentar. Im Übrigen heißt es in § 74 Abs. 2 OWiG: „Bleibt der Betroffene….

Begründung des Verwerfungsurteils: Warum ist es eigentlich so schwer?

Die OLG müssen sich immer wieder mit den Anforderungen an eine ausreichende Begründung eines Verwerfungsurteils (§ 74 Abs. 2 OWi) befassen. Es scheint schwer, um nicht zu sagen zu schwer zu sein. Und dabei ist es im Grunde doch so einfach. Denn, so das OLG Bamberg, Beschl. v. 14.04.2011 – 2 Ss OWI 427/11:

Danach müssen sowohl die Umstände, die nach der Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung entschuldigen sollten, wie auch die Erwägungen des Tatrichters, diese nicht als genügende Entschuldigung anzusehen,» so ausführlich und vollständig dargelegt werden, dass, das Rechtsbeschwerdegericht allein anhand der Urteilsgründe die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen vermag (OLG Hamm NZV 2003, 348 f.; BayObLG WW 1999, 879 f.; OLG Köln NZV 1999, 261 f.; Göhler OWG 15. Auflage § 74 Rdnr. 34, 35). Insbesondere muss aus den Gründen ersichtlich sein, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung zutreffend erkannt und angewendet hat. Insoweit ist maßgeblich; ob der Betroffene nach den Umständen, die dem Tatrichter bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen, tatsächlich entschuldigt ist. Nicht entscheidend ist, ob er sich entschuldigt hat.

Beim OLG Bamberg ging es um einen Verkehrsunfall, den der Betroffene vor dem Hauptverhandlungstermin als Entschuldigung vorgebracht hatte. Dazu das OLG:

„Hierüber hat das Amtsgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Es fehlt im Urteil bereits an einer Darstellung dahingehend, wie, wann und von wem das Amtsgericht über den Verkehrsunfall (des Betroffenen) unterrichtet wurde und welche Maßnahmen es im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht hinsichtlich des Vorliegens eines Entschuldigungsgrundes getroffen hat. Bei Zweifeln an der Richtigkeit eines mitgeteilten Unfalls hätte sich das Amtsgericht im Freibeweisverfahren (etwa durch telefonische. Rücksprache mit dem Mitteiler des Verkehrsunfalls oder dem Betroffenen) die erforderliche Aufklärung verschaffen müssen (zur Amtsaufklärungspflicht vgl. Göhler § 74 Rdnr, 31). Die Formulierung, der Verkehrsunfall sei „nicht nachgewiesen“ lässt im Übrigen besorgen, dass das Amtsgericht seine Aufklärungspflicht im Rahmen eines vorgetragenen Entschuldigungsgrundes, an dem es zweifelte, verkannt hat.“

Verwerfungsurteil/Entbindungsantrag – das hat die Rechtsbeschwerde eine Chance

Die (obergerichtliche) Rechtsprechung muss sich immer wieder mit den sich aus den §§ 73, 74 OWiG ergeben Fragen auseinandersetzen. Dabei geht es i.d.R. um die Frage, wann der Betroffene von der Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden ist (§ 73 Abs. 2 OWiG) und vor allem auch um die Anforderungen an das Verwerfungsurteil (§ 74 Abs. 2 OWiG). Hinzuweisen ist dazu auf folgende aktuelle Rechtsprechung (eingehend zu den Fragen Burhoff/Stephan, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. 2009, Rn. 1677 ff.). Und da hier die obergrichtlichen Vorgaben recht streng sind, hat das ggf. dann eine Rechtsbeschwerde eine Chance. Das zeigen jetzt sehr schön zwei OLG-Entscheidungen, und zwar:

Zunächst OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.08.2010 – 1 (8) SsRs 366/09. Da hat das OLG zum sog. Entbinbdungsantrag Stellung genommen ausgeführt, dass dann, wenn der Betroffene seine Fahrereigenschaft zugestanden und erklärt hate, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen, seine persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung im Sinne von § 73 OWiG im Regelfall entbehrlich ist. Allerdings kann – so das OLG – die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung auch dann noch zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des berechtigterweise schweigenden Betroffenen genügt.

Und dann: OLG Oldenburg, Beschl. v. 31.08.2010, 2 SsRs 170/10. Das OLG Oldenburg hat zu den Anforderungen an die tatrichterliche Entscheidung Stelllung genommen und darauf hingewiesen, dass das AG grds. in den Urteilsgründen die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben entschuldigen sollen, ebenso ausführlich und vollständig darlegen muss wie seine eigenen, in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen. Nur so sei dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Verwerfungsentscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit möglich.

Das Ganze ist aich insofrn von Bedeutung, weil über § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG ggf. eine an sich „zulassungspflichtige“ Rechtsbeschwerde in den zulassungsfreien Bereich kommt, wenn der Anspruch auf das rechtliche Gehör verletzt ist.