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U-Haft II: Länge der U-Haft, oder: Auslieferungshaft und/oder Warten auf den Neubeginn der HV

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Das zweite Posting zu Haftfragen ist dann auch der Länger der U-Haft gewidmet, und zwar im Zusammenhang mit der Fortdauer der U-Haft und der sich stellenden Frage der Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO). Dazu stelle ich zwei Entscheidungen vor:

Zunächst kommt hier der OLG Hamm, Beschl. v. 08.06.2021 – 3 Ws 169/21. Der Angeklagte war ins Ausland geflohen und hatte sich für einige Zeit in Senegal in Auslieferungshaft befunden. Dazu meint das OLG in seinen Leitsätzen:

1. Eine lange im Ausland erlittene Auslieferungshaft auf Grund eines Europäischen Haftbefehls aus Deutschland begründet alleine noch keine Unverhältnismäßigkeit im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 2 StPO.

2. Etwaige Erschwerungen durch die Haftbedingungen im Senegal führen nicht zu einer Unverhältnismäßigkeit im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 2 StPO, wenn der Angeklagte solche Erschwerungen erst durch seine vorausgegangene Flucht nach Afrika schuldhaft verursacht hat.

Als zweite Entscheidung stelle ich dann den OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.4.2021 – 3 Ws 129/21 – vor. Da lagen zwischen einer ein erstinstanzliches landgerichtlichess Urteil e aufhebenden Entscheidung des BGH im Revisionsverfahren und der geplanten neuen Hauptverhandlung nahezu 18 Monate. Das war dem OLG Karlsruhe selbst unter Berücksichtigung von Verstößen gegen Auflagen nach § 116 Abs. 4 StPO zu viel. Es hat daher den Haftbefehl aufgehoben:

„Die zulässige Beschwerde des Angeklagten ist begründet.

Zwar sind in dem Verhalten des Angeklagten durchaus beharrliche und gröbliche Zuwiderhandlungen gegen die erteilten Anweisungen im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 1 StPO zu sehen, aber der Haftbefehl ist gemäß § 120 Abs. 1 StPO aufzuheben, da der Beschleunigungsgrundsatz verletzt ist.

Untersuchungshaftsachen sind von Beginn an und während der gesamten Dauer des Strafverfahrens mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben (BVerfG, StV 2009, 479 — juris). Die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Beschleunigungsgebot gelten nicht nur für den vollstreckten Haftbefehl, sondern sind auch für einen gemäß § 116 StPO außer Vollzug gesetzten Haftbefehl von Bedeutung (BVerfG, NJW 2006, 668 — juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.12.2014, 1 Ws 293/14 — juris). Denn auch die Beschränkungen, denen der Beschuldigte bzw. Angeklagte durch Auflagen und Weisungen ausgesetzt ist, dürfen nicht länger andauern, als es nach den Umständen des Falles erforderlich ist (hierzu insgesamt: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63.Aufl., Rdn. 3 und 5 zu § 120 m. w. N.)

Zwischen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.11.2019 und der geplanten Hauptverhandlung am 18.5.2021 liegen nahezu 18 Monate. Hinreichende Gründe, die diese Verzögerung in einer Haftsache rechtfertigen würden, sind aus dem oben dargestellten Ablauf nichtersichtlich. Der Haftbefehl ist daher wegen Verstoßes gegen das in Haftsachen stets zu beachtende Beschleunigungsverbot aufzuheben.“

Durchsuchung I: Beschwerdeberechtigung einer Stadtratsfraktion, oder: Verhältnismäßigkeit

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Ich eröffne die neue Woche dann mit zwei Entscheidungen zur Durchsuchung. Beide kommen vom LG Nürnberg-Fürth.

Zunächst der LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 31.03.2021 – 12 Qs 11/21. Es geht um die Durchsuchung der Räume einer Stadtratsfraktion. Das LG sagt: Die Fraktion ist beschwerdeberechtigt, also war die Beschwerde zulässig. Und begründet war sie auch:

1. Die Beschwerde ist zulässig erhoben worden.

a) Die Fraktion Y. im E. Stadtrat ist beschwerdeberechtigt. Gegen eine Durchsuchung von Räumen kann sich wenden, wer durch sie in seinen Rechten beeinträchtigt wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 304 Rn. 6). Das ist bei der Fraktion im Stadtrat hinsichtlich ihrer eigenen Fraktionsräume der Fall. Bei einer Stadtratsfraktion handelt es sich nach in Bayern maßgeblicher Rechtslage um einen nicht rechtsfähigen Verein bürgerlichen Rechts (BayVGH, Urteil vom 9. März 1988 – 4 B 86.03226, NJW 1988, 2754, 2756; Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, 30. EL Februar 2020, Art. 33 Rn. 4; anders z.B. für NRW OVG Münster, Beschluss vom 21. November 1988 – 15 B 2380/88, juris). Auf einen solchen findet das Recht der Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB) Anwendung (§ 54 Satz 1 BGB). Aufgrund der durch den Bundesgerichtshof anerkannten Teilrechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (zusammenfassend dazu etwa Westermann in Ermann, BGB, 16. Aufl., § 54 Rn. 1 ff.) spricht alles dafür, die Fraktion als solche als Berechtigte hinsichtlich der ihr von der Kommune im Rathaus für die Fraktionsarbeit zur Verfügung gestellten Räume anzusehen.

b) Das Rechtsschutzbedürfnis und die Beschwer der Beschwerdeführerin sind gegeben. Die sie belastende Durchsuchung ist noch nicht abgeschlossen. Eine Durchsuchungsmaßnahme gilt solange als nicht abgeschlossen, solange die Durchsicht der dabei mitgenommenen Unterlagen nach § 110 StPO andauert (BGH, Beschluss vom 3. September 1997 – StB 12/97, juris; Kammer, Beschluss vom 5. März 2021 – 12 Qs 4/21, juris Rn. 13; Tsambikakis in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 129). Das ist noch der Fall. Zwar hat die Kriminalpolizei zwischenzeitlich die fünf sichergestellten Rechner an die Beschwerdeführerin wieder herausgegeben. Allerdings hat sie den PC Fujitsu gespiegelt, um ihn nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens auswerten zu können. Damit ist die Durchsicht für die Ermittlungsbehörden noch nicht abgeschlossen und demgemäß dauert die Durchsuchung an.

2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der angegriffene Durchsuchungsbeschluss ist rechtswidrig.

a) Der rechtliche Ausgangspunkt des Amtsgerichts im angegriffenen Durchsuchungsbeschluss und in der Nichtabhilfeentscheidung, wonach die Durchsuchung vorliegend auf § 102 StPO gestützt werden konnte, ist nicht zu beanstanden.

Nach der verfassungsrechtlich unbedenklichen (BVerfG, Beschluss vom 9. August 2019 – 2 BvR 1684/18, juris Rn. 33) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erlaubt § 102 StPO auch die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln von Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen, die der Verdächtige nur mitbenutzt, die ihm vom Arbeitgeber zur Arbeitsausübung überlassen worden sind (BGH, Beschluss vom 8. April 1998 – StB 5/98, juris). Weiterhin kann auf dieser Eingriffsgrundlage durchsucht werden, wenn Dritte Mitinhaber der tatsächlichen Herrschaft über Räumlichkeiten sind, die von Verdächtigen bewohnt werden (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1985 – 5 StR 338/85, juris). Überträgt man die in diesen Entscheidungen liegenden Wertungen auf den gegebenen Fall, kann man die Durchsuchung der Fraktionsräume wegen einer mutmaßlichen Straftat des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden auf § 102 StPO stützen.

b) Die Kammer hat Zweifel, ob vorliegend überhaupt der Anfangsverdacht einer Straftat als Voraussetzung für den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses angenommen werden kann.

Als möglicherweise erfüllter Straftatbestand kommt vorliegend, wie das Amtsgericht zutreffend gesehen hat, lediglich § 33 KunstUrhG in Betracht. § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB scheitert am fehlenden Bezug zum höchstpersönlichen Lebensbereich, § 201a Abs. 2 StGB am fehlenden erheblichen Schaden für das Ansehen der Abgebildeten. Nach § 33 KunstUrhG wird bestraft, wer entgegen den §§ 22, 23 KunstUrhG ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. Gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG können auch ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte verbreitet und zur Schau gestellt werden. Letzteres kommt hier ernsthaft in Betracht.

Die Betreiber der Internetseite, auf der die inkriminierten Bilder eingestellt wurden, können sich im Grundsatz auf Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG berufen (streitig ist, ob online-Medien dabei unter die Rundfunk- oder die Pressefreiheit fallen, vgl. Grabenwarter in Maunz/Dürig, GG, 92. EL August 2020, Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 Rn. 247 ff. m.N. zur Diskussion). Ausweislich ihrer Selbstbeschreibung (https://de.indymedia.org/mission-statement) ist indymedia „ein Zusammenschluss von unabhängigen Medienorganisationen und hunderten von JournalistInnen, die nichthierarchische, nicht konzerngebundene Berichterstattung leisten. Indymedia ist eine demokratische Medienplattform für die Verbreitung einer radikalen, sorgfältigen, und leidenschaftlichen Sicht der Realität…“. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte, die diese Selbsteinschätzung in Frage stellen würden, sind der Akte nicht zu entnehmen.

Schon bei der Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, ist daher eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten einerseits und den Rechten der Medien andererseits vorzunehmen. Dabei ist der Beurteilung ein normativer Maßstab zugrunde zu legen, welcher die Freiheit der Berichterstattung und zugleich den Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre ausreichend berücksichtigt. Maßgebend ist hierbei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das Zeitgeschehen. Der Begriff des Zeitgeschehens ist zugunsten der Freiheit der Berichterstattung in einem weiten Sinn zu verstehen; er umfasst nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Ein Informationsinteresse besteht allerdings nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (Dreyer in Dreyer/Kotthoff/Meckel/Hentsch, Urheberrecht, 4. Aufl., § 23 Rn. 9 ff. m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 9. Februar 2017 – 1 BvR 967/15, juris Rn. 15 ff.; Beschluss vom 23. Juni 2020 – 1 BvR 1716/17, juris Rn. 12). Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse – im örtlichen Rahmen der konkret betroffenen Stadtgesellschaft – sein kann zu erfahren, dass sich eine politische Partei an einem Ort zu Versammlungen trifft und dass man hieran bestimmte politische Bewertungen anknüpfen kann. Die ins Netz hochgeladenen Bilder berühren im Übrigen nicht die Privat- oder Intimsphäre der Abgebildeten, sondern zeigen sie bei einer Parteiversammlung im Gastraum einer Gaststätte. Durften danach die Bilder auf de.indymedia.org möglicherweise zulässig veröffentlicht werden, käme mangels Haupttat aber keine strafbare Beihilfe in Betracht.

Eine Abwägung im vorstehend nur angedeuteten Sinne, die in Fällen wie diesem zwingend angestellt werden muss, ist in der vorgelegten Akte nicht ansatzweise dokumentiert. Die Kammer muss sie an dieser Stelle aber auch nicht nachholen, weil die Beschwerde jedenfalls aus nachfolgenden Erwägungen Erfolg hat.

c) Unterstellt man eine Strafbarkeit dem Grunde nach, ist die Beschwerde wegen fehlender Verhältnismäßigkeit, namentlich wegen fehlender Angemessenheit des Durchsuchungsbeschlusses begründet.

Die maßgeblichen Abwägungskriterien für die Beurteilung der Angemessenheit sind bei der Durchsuchungsanordnung vor allem die Schwere des Tatvorwurfs und der Grad des konkreten Tatverdachts. Weiterhin können z.B. die Erfolgsaussichten der Durchsuchung, die Bedeutung des potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren, die Zahl der Straftaten oder die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat einbezogen werden (Tsambikakis in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 105 Rn. 64 m.w.N.).

Der Tatvorwurf ist hier kein schwerer. Der Gesetzgeber drückt die Schwere des Tatvorwurfs abstrakt durch die mit einem Straftatbestand verknüpfte Strafdrohung aus. § 33 KunstUrhG bewegt sich mit einer Strafdrohung von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe, die hier nochmal gem. § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB herabgesetzt wird, am untersten Rand. Die ins Netz gestellten Bilder rechtfertigen konkret keine hohe Strafe (die Privat- oder Intimsphäre der Abgebildeten ist nicht berührt). Dementsprechend hat die Staatsanwaltschaft in ihrem Strafbefehlsantrag lediglich eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen beantragt.

Der Tatverdacht gegen den Beschuldigten war bis zur Durchsuchung – und ist es noch – nur schwach begründet. Ausweislich des Akteninhalts haben Ermittlungen zu der Behauptung des die Tat bestreitenden Beschuldigten, es hätten auch andere Personen vom Bürgersteig aus in den Gastraum hinein fotografiert, vor der Durchsuchung noch nicht stattgefunden. Ebenso wenig finden sich dort Erkenntnisse zu der unbekannten Person des vermeintlichen Haupttäters, der die Bilder auf der Internetplattform eingestellt haben soll und zu seiner Beziehung zu dem Beschuldigten. Die Wahrscheinlichkeit, bei der Durchsuchung die inkriminierten Bilder zu finden, war nach kriminalistischer Erfahrung überdies gering. Unmittelbar vor Beantragung des Strafbefehls setzte die Staatsanwaltschaft den Verteidiger des Beschuldigten nämlich über den Tatvorwurf im Wege der Akteneinsicht in Kenntnis. Erfahrungsgemäß reagieren Beschuldigte auf die Eröffnung des Tatvorwurfs durch Beseitigung von belastendem Beweismaterial. Es ist – jedenfalls nachdem die Bilder bereits online gestellt worden sind – kein nachvollziehbares Motiv erkennbar, warum der Beschuldigte, sollte er die Bilder tatsächlich bereitgestellt haben, weiter im Besitz von Datenträgern mit ihn belastenden Bildern verbleiben sollte.

Die Angemessenheit des Durchsuchungsbeschlusses wird entgegen den Ausführungen in der Zuschrift der Staatsanwaltschaft vom 30. März 2021 nicht dadurch begründet, dass diese der Kriminalpolizei einzelne Weisungen erteilt hat, die den Umfang der durchzuführenden Datensichtung begrenzen sollten. Diese Weisungen sind nämlich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses unerheblich. Das Ermittlungsverfahren, in dem die Staatsanwaltschaft „die Herrin des Verfahrens“ ist und in dem sie den Umfang ihrer Ermittlungen selbst steuern kann, war beendet, als sie ihren Strafbefehlsantrag gestellt hat. Die Verantwortlichkeit für die Anordnung der Durchsuchung und deren Umfang liegt seitdem allein beim Amtsgericht Erlangen. Vonseiten des Amtsgerichts sind aber keine Einschränkungen des Durchsuchungsumfangs bei der Beschwerdeführerin angeordnet worden.

Im Hinblick auf die Beschwerdeführerin ist schlussendlich deren Beziehung zu der Haupttat des vermeintlichen Unbekannten nicht belegt. Zwar war nach Erkenntnissen der Polizei der Fraktionsgeschäftsführer … mit vor der Gaststätte gestanden, als der Beschuldigte dort fotografierte. Ausweislich der Flugblätter, die in die Briefkästen in der Nachbarschaft der Gaststätte „…“ eingeworfen wurden und auf denen auf die Internetseite der indymedia hingewiesen wurde, zeichnet aber nicht die Beschwerdeführerin, sondern die „antifaschistische Aktion“ dafür verantwortlich; sie dürfte auch für das Hochladen der Bilder auf die Internetseite verantwortlich sein. Die Kammer geht mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon aus, dass die „antifaschistische Aktion“ mit der Beschwerdeführerin nicht (teil)personenidentisch ist. Im bereits zitierten Beschluss vom 8. April 1998 (StB 5/98, juris Rn. 5) weist der Bundesgerichtshof zutreffend darauf hin, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der auf § 102 StPO gestützten Durchsuchung in der gegebenen Konstellation eine gewisse Respektierung der Sphäre des Mitgewahrsamsinhabers gebietet. Das ist hier nach allem nicht hinreichend geschehen.“

Die oft horrenden SV-Kosten in „KiPo-Verfahren“, oder: Ggf. unverhältnismäßig, wenn höher als die Geldstrafe?

entnommen openclipart.org

Freitag ist RVG-Tag, also stelle ich gebühren- oder kostenrechtliche Entscheidungen vor. Heute Kostenrecht.

Ich beginne mit einem Beschluss des BVerfG zu einer kostenrechtlichen Problematik, nämlich dem BVerfG, Beschl. v. 28.12.2020 – 2 BvR 211/19.

Gestritten wird um die Höhe der vom (ehemaligen) Angeklagten/Beschwerdeführer nach einer Verurteilung zu zahlenden Kosten. Gegen ihn ist durch Strafbefehl des AG Düsseldorf vom 13.05.2015 wegen Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten festgesetzt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gemäß § 465 StPO hatte der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Bewährungszeit betrug drei Jahre. Dem Beschwerdeführer wurde u.a. auferlegt, einen Geldbetrag von 23.400 Euro in 36 Monatsraten zu zahlen. Der Beschwerdeführer erfüllte die Auflage. Nach Ablauf der Bewährungszeit wurde die Freiheitsstrafe durch Beschluss des Amtsgerichts vom 29.06.2018 erlassen. Das AnwaltG Düsseldorf stellte ein vor demselben Hintergrund eingeleitetes anwaltsgerichtliches Verfahren gegen den Beschwerdeführer durch Beschluss vom 26.06.2017 gegen Zahlung eines Betrags von 10.000 EUR an eine gemeinnützige Einrichtung ein (§ 116 BRAO i.V.m. § 153a StPO).

Mit Rechnung vom 06.08.2018 forderte die Staatsanwaltschaft vom Beschwerdeführer die Zahlung der Gebühr für das Strafbefehlsverfahren (Nr. 3118 KV GKG) in Höhe von 70 Euro und einer Sachverständigenvergütung (Nr. 9005 KV GKG) in Höhe von 30.711 Euro, insgesamt 30.781 Euro, innerhalb von zwei Wochen. Der als Sachverständigenvergütung angesetzte Betrag in Höhe von 30.711 EUR entsprach einer Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11.12.2013 an die Staatsanwaltschaft , die für dort nicht näher beschriebene Tätigkeiten im Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer einen Zeitaufwand von 300 Stunden mit je 85 Euro (25.500 Euro) zuzüglich Schreib- und Materialkosten in Höhe von 307,56 Euro und 19% Umsatzsteuer in Höhe von 4.903,44 Euro, insgesamt somit 30.711 Euro, auswies.

Und um die Zahlung dieses Betrages – es geht wohl um Auswertung von Datenträgern – wird gestritten. Die Rechtsmittel des ehemaligen Angeklagten hatten keinen Erfolg. Den hatte er aber beim BVerfG:

„I. Der Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 16. November 2018 verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG).

1. Zwar bestehen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht von vornherein Bedenken gegen die strafprozessrechtlichen Kostenregelungen einschließlich des darin verankerten Veranlassungsprinzips (vgl. BVerfGE 18, 302 <304>; 31, 137 <139>; BVerfGK 8, 285 <292 ff.> m.w.N.). Eine außergewöhnlich hohe Kostenbelastung kann jedoch im Rahmen der Strafzumessung als Tatfolge im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden (vgl. BVerfGK 8, 285 <290, 297>; Stöckel, in: KMR, Kommentar zur StPO, vor § 464 Rn. 32 <Februar 2007> m.w.N.; Bruns/Güntge, Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl. 2019, S. 251).

Wenn im Einzelfall die Höhe der Kosten und Auslagen außer Verhältnis zur verhängten Strafe steht, sodass sich die Auferlegung der Kosten mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten als übermäßige Belastung erweist, bieten bei Geldstrafen § 459d Abs. 2 StPO, im Jugendstrafverfahren § 74, § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG sowie allgemein § 10 der Kostenverfügung (KostVfG), die landesrechtlichen Vorschriften über die Beitreibung (vorliegend § 123 Abs. 3 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen) und § 59 Abs. 1 Nr. 3 der Landeshaushaltsordnung Nordrhein-Westfalen hinreichend Möglichkeit, von der Kostenauferlegung oder -beitreibung abzusehen (vgl. BVerfGK 8, 285 <290 f., 297 f.>).

2. Hiernach erweist es sich als unverhältnismäßig (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG), dass der Beschwerdeführer zur Tragung von Verfahrenskosten in Höhe von 30.781 Euro herangezogen wird, ohne in erkennbarer Weise zu berücksichtigen, dass die Kostenbelastung die vom Beschwerdeführer bereits erfüllte Geldauflage in Höhe von 23.400 Euro erheblich übersteigt.

a) Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 13. Mai 2015 hat das Amtsgericht gegen den Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten festgesetzt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gleichzeitig hat es dem Beschwerdeführer auferlegt, einen Geldbetrag von 23.400 Euro in 36 Monatsraten zu je 650 Euro zugunsten der Staatskasse zu zahlen (§ 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StGB). Die Geldauflage dient der Genugtuung für das begangene Unrecht (§ 56b Abs. 1 Satz 1 StGB) und stellt eine strafähnliche Sanktion dar (vgl. BGHSt 59, 172 <174 Rn. 12>; Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 56b Rn. 2). Wie die Höhe der Geldauflage von 23.400 Euro und die Zahlungserleichterung zustande kamen, ist in der beigezogenen Strafakte nicht dokumentiert.

Die Verfahrenskosten in Höhe von 30.711 Euro übersteigen die Geldauflage in Höhe von 23.400 Euro erheblich und gehen in ihrer Belastungswirkung weit darüber hinaus. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer nachgelassen worden war, die Geldauflage in 36 Monatsraten zu je 650 Euro zu erbringen. Mit derselben – offenbar seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden – Ratenhöhe müsste der Beschwerdeführer die Verfahrenskosten in weiteren 48 Monatsraten abzahlen, sodass sich seine Zahlungsverpflichtungen auf insgesamt sieben Jahre – und damit weit länger als die Bewährungszeit von drei Jahren – erstrecken würden.

Bereits das Amtsgericht hätte daher bei der Bemessung der Geldauflage in den Blick nehmen und gegebenenfalls dokumentieren können, ob die Geldauflage auch in Ansehung der diese erheblich übersteigenden Verfahrenskosten eine zumutbare Anforderung an den Beschwerdeführer stellt (§ 56b Abs. 1 Satz 2 StGB). Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die außergewöhnlich hohe Kostenbelastung im Strafbefehlsverfahren in Erwägung gezogen, geschweige denn berücksichtigt worden wäre. Weder aus dem Strafbefehl vom 13. Mai 2015 selbst, noch aus dem Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft oder sonst aus der beigezogenen Akte ist ansatzweise ersichtlich, dass das Gericht oder die Verfahrensbeteiligten davon ausgegangen wären oder zumindest die Möglichkeit bedacht hätten, dass die von der Staatsanwaltschaft bezahlte Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11. Dezember 2013 über 30.711 Euro als Sachverständigenvergütung Teil der vom Beschwerdeführer zu tragenden Verfahrenskosten werden würde.

Dem Beschwerdeführer kann in diesem Zusammenhang nicht vorgehalten werden, dass er den Strafbefehl hat rechtskräftig werden lassen und auch während der Bewährungszeit nicht darauf hingewirkt hat, die Geldauflage zu ändern (§ 56e StGB) und so die (drohende) Kostenbelastung zu verringern. Es ist nicht ersichtlich, dass er Grund zur Annahme hatte, dass ihm nach beanstandungsfreiem Ablauf der Bewährungszeit, insbesondere pünktlicher und vollständiger Zahlung der Geldauflage, eine zusätzliche Kostenbelastung in einer erheblichen, die Geldauflage sogar übersteigenden Höhe drohen würde. Aus der beigezogenen Akte ergibt sich vielmehr, dass dem Beschwerdeführer die Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11. Dezember 2013 über 30.711 Euro erst auf die am 14. August 2018 erhobene Erinnerung am 25. September 2018 von der Staatsanwaltschaft mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt wurde (vgl. Bl. 36 des Vollstreckungshefts).

Der Beschwerdeführer kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass sein Verteidiger im Rahmen der Akteneinsicht auf die Rechnung hätte aufmerksam werden können. Denn die allgemeine Verpflichtung der Gerichte, die Verhältnismäßigkeit von Zahlungspflichten in den Blick zu nehmen und auch mögliche außergewöhnliche Kostenbelastungen zu berücksichtigen, die außer Verhältnis zur verhängten Strafe stehen könnten (vgl. BVerfGK 8, 285 <297 f.>), besteht unabhängig von der Frage, ob eine Obliegenheit des verteidigten Angeklagten bestand, die Akte auf Rechnungen Dritter zu durchsuchen und deren mögliche kostenrechtliche Einordnung zu überprüfen.

b) Da nicht erkennbar ist, dass das Amtsgericht bei der Bemessung der Geldauflage die spätere erheblich höhere Kostenbelastung berücksichtigt hätte, hätten sich die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Kostenansatzes, spätestens aber die Gerichte auf die Erinnerung und die Beschwerde des Beschwerdeführers mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob von dem Ansatz oder der Einziehung der Kosten – zumindest teilweise – abzusehen ist, um eine in Betracht kommende unverhältnismäßige Belastung des Beschwerdeführers abzuwenden. Sie haben sich jedoch darauf beschränkt, die einfachrechtlichen Vorschriften über die Kostenberechnung schematisch anzuwenden, ohne sich mit der – vom Beschwerdeführer ausdrücklich aufgeworfenen – Frage der Verhältnismäßigkeit der Kostenbelastung unter Berücksichtigung der bereits bezahlten Geldauflage auseinanderzusetzen.“

M.E. eine Entscheidung, die in den KiPo-Fällen künftig – nach einer ggf. erfolgten Verurteilung – eine Rolle spielen wird, wenn es um die in diesen Fällen häufig horrenden Kostenforderungen geht.

EV I: Durchsuchungsbeschluss, oder: Etwas Mühe sollte man sich mit der Begründung schon machen

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Heute dann mal ein wenig StPO, und zwar Ermittlungsverfahren.

Zunächst dann hier der LG Berlin, Beschl. v. 20.11.2020 – 517 Qs 63/20 – zu den Anforderungen an einen Durchsuchungsbeschluss. Dem dem Beschluss liegt folgender Verfahrensablauf zurgunde: Am 12.12.2019 beantragt die Staatsanwaltschaft Berlin beim AG einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung der Beschuldigten. Der Antrag geht am 23.12.2019 beim AG ein; am selben Tag fasste die Ermittlungsrichterin den beantragten Beschluss, welcher in der Begründung im Wesentlichen wortgleich mit der des Antrags war. Bei dem Versuch der Vollziehung des Durchsuchungsbeschlusses am 17.06.2020 wurde die Beschuldigte in ihrer Wohnung nicht angetroffen. Das LKA verschob daher die Maßnahme und regte am selben Tag bei der Staatsanwaltschaft die Beantragung der „Verlängerung“ des Durchsuchungsbeschlusses an. Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 24.06.2020 bei dem AG, den Durchsuchungsbeschluss vom 23.12.2019 erneut zu erlassen. Hierauf fasste das AG den Durchsuchungsbeschluss vom 30. 06.2020, der am 06.08.2020 vollzogen wurde.

Dagegen dann die Beschwerde. Das LG stellt die Rechtswidrigkeit des Beschlusses fest.:

„Die Beschwerde ist auch begründet. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts genügt nicht den rechtlichen Anforderungen (1.); eine Heilung im Beschwerdeverfahren ist vorliegend nicht möglich (2.).

1. Der angefochtene Beschluss umschreibt zwar ausreichend den Tatvorwurf sowie die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden sollte, sodass der äußere Rahmen des grundsätzlich unter Richtervorbehalt stehenden Grundrechtseingriffs hinreichend bestimmt und somit messbar und kontrollierbar war (zu diesen auch verfassungsrechtlichen Erfordernissen vgl. u.a. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. April 2003 — 2 BvR 358/03 —, juris Rn. 15 sowie Nichtannahmebeschluss vom 20. April 2004 — 2 BvR 2043/03 —, juris Rn. 3 f.; jeweils m.w.N.).

Es mangelt jedoch an der erforderlichen Darlegung der wesentlichen Verdachtsmomente sowie an den Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit im Einzelfall.

a) Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Der Verdacht muss auf konkreten Tatsachen beruhen; vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen nicht aus. Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung und für die nachträgliche Kontrolle zuständige Richter eigenverantwortlich zu prüfen. Hierzu gehören eine sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und eine umfassende Abwägung zur Feststellung der Verhältnismäßigkeit – insbesondere der Angemessenheit – des Eingriffs im konkreten Fall. Neben der Schwere der Tat ist die Stärke des Tatverdachts mitentscheidend dafür, ob eine strafprozessuale Ermittlungsmaßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht der Grundrechtsbeeinträchtigung steht (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Beschluss vom 20. April 2004 a.a.O., juris Rn. 5 sowie stattgebender Kammerbeschluss vom 11. Februar 2015 — 2 BvR 1694/14).

Die Darlegung der diesen Verdacht einer Straftat begründenden wesentlichen Verdachtsmomente samt Indiztatsachen ist jedenfalls einfachgesetzlich geboten (§ 34 StPO); denn nur hierdurch wird dem Betroffenen eine sachgerechte, umfassende Prüfung ermöglicht, ob der Beschluss rechtmäßig ergangen ist und ob es angezeigt erscheint, hiergegen im Wege der Beschwerde vorzugehen. Darüber hinaus bezweckt das Gebot der umfassenden Begründung des Durchsuchungsbeschlusses die Erleichterung der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung durch das Beschwerdegericht. Die Angabe der wesentlichen Verdachtsmomente darf daher nur dann unterbleiben, wenn dies den Untersuchungszweck gefährden würde (zum Vorstehenden vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08 -, juris Rn. 8).

b) Der angefochtene Beschluss genügt diesen Anforderungen nicht. Die Darlegung der wesentlichen Verdachtsmomente fehlt gänzlich, wobei nicht ersichtlich ist, dass durch eine Darlegung der Untersuchungszweck gefährdet worden wäre. Die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme erschöpfen sich in der Formulierung, die Anordnung der Durchsuchung in dem vorgenannten Umfang sei im Hinblick auf den Tatvorwurf und die Stärke des Tatverdachts verhältnismäßig, insbesondere seien keine milderen Maßnahmen ersichtlich. Derartige allgemeine formelhafte Wendungen genügen indes zur Begründung rechtsmittelfähiger gerichtlicher Entscheidungen grundsätzlich nicht (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage 2020, § 34 Rn. 4; so auch BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 — StB 26/08 —, juris Rn. 7 zum bloßen Verweis auf das „bisherige Ermittlungsergebnis“).

2. Die vorgenannten Darlegungsmängel können durch die Beschwerdekammer nicht geheilt werden, weil der Beschluss in seiner Gesamtheit nicht in ausreichendem Maße erkennen lässt, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für seinen Erlass eigenständig geprüft hat.

a) Zwar können Defizite in der Begründung des Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nachgebessert werden, weil sie – anders als Ausführungen zum Tatvorwurf und zu den zu suchenden Beweismitteln – regelmäßig für die verfassungsrechtlich erforderliche Umgrenzung der Durchsuchungsgestattung ohne Bedeutung sind (vgl. BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 11. Februar 2015 – 2 BvR 1694/14 -, juris Rn. 25 sowie Nichtannahmebeschluss vom 20. April 2004 – 2 BvR 2043/03 -, juris Rn. 5). Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Beschluss in seiner Gesamtheit in ausreichendem Maße erkennen lässt, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für seinen Erlass eigenständig geprüft hat (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 – StB 26/08 -, juris Rn. 9); denn andernfalls würden Sinn und Zweck der präventiven richterlichen Kontrolle unterlaufen (vgl. MüKoStPO/Hauschild, 1. Aufl. 2014, § 105 Rn. 41b sowie Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 105 Rn. 15a).

b) Diese erforderliche Prüfung lässt der Beschluss nicht erkennen. Zwar folgt das nicht bereits aus der im Wesentlichen wörtlichen Übernahme der Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft in den hier angefochtenen Beschluss des Ermittlungsrichters vom 30. Juni 2020 (und im Übrigen auch in den gleichlautenden vorangegangenen Beschluss vom 23. Dezember 2019). Eine solche wörtliche Übernahme ist zwar bedenklich (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03 -, juris Rn. 13), aber möglich, da der Ermittlungsrichter mit seiner Unterschrift bezeugt, dass er den Text geprüft hat und als Richter verantwortet (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 1. August 2014 – 2 BvR 200/14 -, juris Rn. 19). Indes: Die wörtliche Übernahme, die nicht vorhandene Darlegung zu den Verdachtsmomenten und die nur formelhafte Wendung zur Verhältnismäßigkeit schaffen andererseits auch keine Substanz, anhand derer eine eigene Prüfung im Beschluss erkennbar werden könnte.

Dabei wären vorliegend gerade auch angesichts des zeitlichen Ablaufes weitere Ausführungen im Beschluss zu erwarten gewesen. Insbesondere hätte es nahegelegen, sich zumindest knapp zu den Ermittlungsergebnissen zu verhalten, welche nach Erlass des vorangegangenen Durchsuchungsbeschlusses hinzugekommen sind, insbesondere zu den Vernehmungen der Zeugen P und S die nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin den Tatverdacht von ihr abgelenkt haben sollen. Ferner wären Ausführungen dazu zu erwarten gewesen, warum nach mehr als einem Jahr nach der Tat das Tatmittel in Form von Buttersäure bei der Beschwerdeführerin zu vermuten gewesen sein soll.

Eine ausreichende Prüfung ist auch nicht aus dem Verfahrensablauf erkennbar. In dem Übersendungsvermerk des LKA 534 vom 17. Juni 2020 wird die „Verlängerung“ des Durchsuchungsbeschlusses beantragt, da dieser am „23. Juni 2020 seine Gültigkeit“ verliere. Die Staatsanwaltschaft Berlin beantragte daraufhin in der Übersendungsverfügung an das Amtsgericht Tiergarten vom 24. Juni 2020 „den Durchsuchungsbeschluss vom 23. Dezember 2019 erneut aus den Gründen des [damaligen] Antrags“ […] zu erlassen. Am 30. Juni 2020, am Tage des Eingangs auf der Geschäftsstelle des Ermittlungsrichters, erließ das Amtsgericht Tiergarten den neuen Beschluss, gleichlautend zu dem Beschluss vom 23. Dezemnber 2019.“

Corona II: Die Ladung von Zeugen in Corona-Zeiten, oder: Hier „nur“ vor einen Untersuchungsausschuss

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In der zweiten Entscheidung, dem BGH, Beschl. v. 17.11.2020 – 3 ARs 14/20 – hat der 3. Strafsenat zur Ordnungsgemäßheit der Laden eines Zeugen Stellung genommen. Geladen worden ist der ehemalige Vorsitzende der Wirecard AG als Zeuge vor den Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Wirecardpleite. Der Antragsteller war befindet sich derzeit in Untersuchungshaft in der JVA A.. Er hat zur Ladung dahin Stellung genommen, dass wegen der Corona-Pandemie eine Verschubung nach Berlin unverhältnismäßig sei und zu unvertretbaren Gesundheitsrisiken für ihn sowie Mitarbeiter und Insassen der Justizvollzugsanstalt führe. Auch von Seiten der Staatsanwaltschaft bestünden Bedenken wegen der gesundheitlichen Gefahren und sich aufdrängender Sicherheitsrisiken. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebiete die Wahl des mildesten Mittels. In der Justizvollzugsanstalt stehe eine Videoanlage zur Verfügung, über welche die Vernehmung in den Untersuchungsausschuss übertragen werden könne. Hierzu sei der Antragsteller bereit.

Der BGH hat das anders gesehen:

„a) Rechtsgrundlage für die Ladung von Zeugen durch einen Untersuchungsausschuss sind § 20 PUAG sowie gemäß Art. 44 2 Satz 1 GG ergänzend die sinngemäß anzuwendenden Vorschriften der Strafprozessordnung. Dabei ist ebenso wie im Strafverfahren der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2009 – 2 BvE 3/07, BVerfGE 124, 78, 125; zum Strafverfahren etwa BGH, Beschlüsse vom 4. Januar 1993 – StB 27/92, BGHSt 39, 96, 99; vom 5. September 2000 – 1 StR 325/00, NJW 2001, 695, 696). Ein Verstoß dagegen ist nicht ersichtlich.

aa) Bei Eingriffen in individuelle Rechte des Antragstellers sind diese mit den für die Maßnahme sprechenden Gründe abzuwägen; dazu können das Gewicht des Untersuchungsauftrags sowie die Bedeutung des Beweisthemas herangezogen werden (s. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1987 – 2 BvR 1178/86, BVerfGE 77, 1, 59 f.). Dabei ist einerseits in den Blick zu nehmen, dass das in Art. 44 GG gewährleistete Untersuchungsrecht zu den ältesten und wichtigsten Rechten des Parlaments gehört (BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 2 BvE 2/15, BVerfGE 143, 101 107 mwN). Andererseits ist das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten, das nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in diese Rechtsgüter gewährt, sondern zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung darstellt, die staatliche Schutzpflichten begründet (s. etwa BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2016 – 1 BvL 8/15, BVerfGE 142, 313 Rn. 69 mwN). Ein Konflikt zwischen dem Beweiserhebungsrecht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses und dem Gesundheitsschutz ist durch Abwägung der einander widerstreitenden Interessen zu lösen. Führt diese Abwägung zu dem Ergebnis, dass die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen des Betroffenen im konkreten Fall ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll, so verletzt der gleichwohl erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und damit das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Bei der Beurteilung dieser Frage können unter anderem Art und Intensität der zu befürchtenden Schädigung sowie Möglichkeiten, dieser entgegenzuwirken, Beachtung erfordern (entsprechend zu Strafverfahren BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 2 BvR 483/20, NJW 2020, 2327 Rn. 7; vergleichbar zum parlamentarischen Untersuchungsausschuss BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2009 – 2 BvE 3/07, BVerfGE 124, 78, 125). Bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommt staatlichen Stellen zudem ein erheblicher Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 2 BvR 483/20, NJW 2020, 2327 Rn. 8).

bb) Nach den aufgezeigten Maßstäben sind die Ladung des Antragstellers sowie seine geplante Vorführung zur Vernehmung verhältnismäßig und nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner ist insbesondere nicht verpflichtet, von einer persönlichen Vernehmung des Antragstellers abzusehen und sich – wie von diesem gewünscht – mit dessen audiovisueller Einvernahme zu begnügen.

(1) Der Antragsgegner ist sich, wie sich bereits aus seiner an den Antragsteller gerichteten Ladung und insbesondere seiner Stellungnahme zu dem Antrag ergibt, des mit dem neuartigen Corona-Virus einhergehenden Gesundheitsrisikos bewusst und hat insoweit Schutzmaßnahmen getroffen. So sollen die Überstellung als Einzeltransport und die Vorführung unter Beachtung strenger Gesundheits- sowie Hygienevorschriften vorgenommen werden. Während der Vernehmung beträgt der Mindestabstand aller Sitzungsteilnehmer 1,5 Meter; bei Verlassen des Sitzplatzes besteht, wie in sämtlichen Gebäuden des Bundestages, eine „Maskenpflicht“. Der Zeuge erhält zudem die Möglichkeit, sowohl vor der Abfahrt aus der Justizvollzugsanstalt A. als auch im Bundestag als auch in der Justizvollzugsanstalt in Berlin vor dem Rücktransport einen Corona-Schnelltest durchführen zu lassen.

Ein über diese vorgesehenen Maßnahmen noch hinausgehender, nahezu vollständiger Schutz vor jeglicher mit einer Zeugenaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss verbundener Gesundheitsgefahr ist rechtlich nicht geboten, zumal ein gewisses Infektionsrisiko aktuell für die Bevölkerung insgesamt zum allgemeinen Lebensrisiko gehört (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 2 BvR 483/20, NJW 2020, 2327 Rn. 9).

(2) Der Zeugenvernehmung des Antragstellers kommt angesichts seiner früheren Stellung als Vorstandsvorsitzender der Wirecard AG ersichtlich eine herausgehobene Bedeutung zu. Untersuchungsgegenstand des Ausschusses ist unter anderem, „ob und wenn ja, inwieweit ggf. Verbindungen zwischen dem Wirecard-Konzern und inländischen staatlichen Stellen bestanden“ (BT-Drucks. 19/22996 S. 2). Der Antragsteller ist laut Antragsschrift bereit, sich zu seinen Kontakten zu Behördenvertretern sowie Politikern zu äußern „und insoweit zur Aufklärung der untersuchungsrelevanten Sachverhalte beizutragen“.

(3) Gegenüber einer etwaigen audiovisuellen Vernehmung entsprechend Art. 44 Abs. 2 Satz 1 GG, § 247a Abs. 1 Satz 1, § 251 Abs. 2 StPO stellt die unmittelbare Befragung des Zeugen die Regel dar (vgl. zum Strafverfahren BT-Drucks. 13/7165 S. 5; BGH, Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 84/16, NJW 2017, 181 Rn. 11; KK-StPO/Diemer, 8. Aufl., § 247a Rn. 4). Die audiovisuelle Vernehmung weist im Vergleich zu einer unmittelbaren Einvernahme gewisse Defizite auf (s. BGH, Urteil vom 15. September 1999 – 1 StR 286/99, BGHSt 45, 188, 196 f.). Die Anordnung der audiovisuellen Vernehmung steht bei Vorliegen der Voraussetzungen im pflichtgemäßen Ermessen. Hierbei sind die wechselseitigen Interessen aller Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen, gegeneinander abzuwägen und miteinander in Ausgleich zu bringen (zum Strafverfahren BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2014 – 2 BvR 261/14, NJW 2014, 1082 Rn. 29).

Es kann dahinstehen, ob diese für das Strafverfahren entwickelten Maßgaben in gleicher Weise für eine Zeugenaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss gelten. Der Antragsgegner hat sich hier jedenfalls nachvollziehbar von der Erwägung leiten lassen, dass es angesichts der zentralen Bedeutung des Antragstellers für die Erforschung des Untersuchungsgegenstandes und für die weitere Beweisaufnahme auf einen unmittelbaren sowie authentischen Eindruck von dessen gesamten Aussageverhalten ankomme. Es bestehe Anlass zu einer besonders gründlichen Vergewisserung der Glaubhaftigkeit seiner Aussage, zumal diese für die Zuweisung von rechtlicher und politischer Mitverantwortung für die Nichtaufdeckung einer Bilanzmanipulation durch Dritte eine Rolle spielen könne. Dies ist nicht zu beanstanden.

(4) Nach einer Gesamtwürdigung der divergierenden Belange sind die angegriffene Ladung und Vorführung angemessen.

Zwar gehen mit einer Überstellung sowie Vorführung zur Zeugenvernehmung in Berlin zusätzliche Kontakte und mithin erhöhte potentielle Ansteckungsmöglichkeiten einher. Allerdings bestehen keine konkreten Anhaltspunkte für eine tatsächlich bevorstehende Gesundheitsbeeinträchtigung des Antragstellers über das derzeit allgemein gegebene Infektionsrisiko hinaus. Zu dessen Minderung hat der Antragsgegner – ebenso wie die Justizvollzugsanstalt – Maßnahmen ergriffen. Überdies betrifft die Zeugenvernehmung einen Kernbereich des Untersuchungsauftrages, so dass die mit einer audiovisuellen Vernehmung verbundenen Einschränkungen der Aufklärung besonders zu bedenken sind.“

Es ging zwar „nur“ um einen parlamentarischen Untersuchungsausschus, man wird aber die Ausführungen des BGH bei anderen Ladungen heranziehen können.