Die oft horrenden SV-Kosten in „KiPo-Verfahren“, oder: Ggf. unverhältnismäßig, wenn höher als die Geldstrafe?

entnommen openclipart.org

Freitag ist RVG-Tag, also stelle ich gebühren- oder kostenrechtliche Entscheidungen vor. Heute Kostenrecht.

Ich beginne mit einem Beschluss des BVerfG zu einer kostenrechtlichen Problematik, nämlich dem BVerfG, Beschl. v. 28.12.2020 – 2 BvR 211/19.

Gestritten wird um die Höhe der vom (ehemaligen) Angeklagten/Beschwerdeführer nach einer Verurteilung zu zahlenden Kosten. Gegen ihn ist durch Strafbefehl des AG Düsseldorf vom 13.05.2015 wegen Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten festgesetzt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gemäß § 465 StPO hatte der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Bewährungszeit betrug drei Jahre. Dem Beschwerdeführer wurde u.a. auferlegt, einen Geldbetrag von 23.400 Euro in 36 Monatsraten zu zahlen. Der Beschwerdeführer erfüllte die Auflage. Nach Ablauf der Bewährungszeit wurde die Freiheitsstrafe durch Beschluss des Amtsgerichts vom 29.06.2018 erlassen. Das AnwaltG Düsseldorf stellte ein vor demselben Hintergrund eingeleitetes anwaltsgerichtliches Verfahren gegen den Beschwerdeführer durch Beschluss vom 26.06.2017 gegen Zahlung eines Betrags von 10.000 EUR an eine gemeinnützige Einrichtung ein (§ 116 BRAO i.V.m. § 153a StPO).

Mit Rechnung vom 06.08.2018 forderte die Staatsanwaltschaft vom Beschwerdeführer die Zahlung der Gebühr für das Strafbefehlsverfahren (Nr. 3118 KV GKG) in Höhe von 70 Euro und einer Sachverständigenvergütung (Nr. 9005 KV GKG) in Höhe von 30.711 Euro, insgesamt 30.781 Euro, innerhalb von zwei Wochen. Der als Sachverständigenvergütung angesetzte Betrag in Höhe von 30.711 EUR entsprach einer Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11.12.2013 an die Staatsanwaltschaft , die für dort nicht näher beschriebene Tätigkeiten im Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer einen Zeitaufwand von 300 Stunden mit je 85 Euro (25.500 Euro) zuzüglich Schreib- und Materialkosten in Höhe von 307,56 Euro und 19% Umsatzsteuer in Höhe von 4.903,44 Euro, insgesamt somit 30.711 Euro, auswies.

Und um die Zahlung dieses Betrages – es geht wohl um Auswertung von Datenträgern – wird gestritten. Die Rechtsmittel des ehemaligen Angeklagten hatten keinen Erfolg. Den hatte er aber beim BVerfG:

„I. Der Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 16. November 2018 verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG).

1. Zwar bestehen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht von vornherein Bedenken gegen die strafprozessrechtlichen Kostenregelungen einschließlich des darin verankerten Veranlassungsprinzips (vgl. BVerfGE 18, 302 <304>; 31, 137 <139>; BVerfGK 8, 285 <292 ff.> m.w.N.). Eine außergewöhnlich hohe Kostenbelastung kann jedoch im Rahmen der Strafzumessung als Tatfolge im Sinne von § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt werden (vgl. BVerfGK 8, 285 <290, 297>; Stöckel, in: KMR, Kommentar zur StPO, vor § 464 Rn. 32 <Februar 2007> m.w.N.; Bruns/Güntge, Das Recht der Strafzumessung, 3. Aufl. 2019, S. 251).

Wenn im Einzelfall die Höhe der Kosten und Auslagen außer Verhältnis zur verhängten Strafe steht, sodass sich die Auferlegung der Kosten mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verurteilten als übermäßige Belastung erweist, bieten bei Geldstrafen § 459d Abs. 2 StPO, im Jugendstrafverfahren § 74, § 109 Abs. 2 Satz 1 JGG sowie allgemein § 10 der Kostenverfügung (KostVfG), die landesrechtlichen Vorschriften über die Beitreibung (vorliegend § 123 Abs. 3 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen) und § 59 Abs. 1 Nr. 3 der Landeshaushaltsordnung Nordrhein-Westfalen hinreichend Möglichkeit, von der Kostenauferlegung oder -beitreibung abzusehen (vgl. BVerfGK 8, 285 <290 f., 297 f.>).

2. Hiernach erweist es sich als unverhältnismäßig (Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG), dass der Beschwerdeführer zur Tragung von Verfahrenskosten in Höhe von 30.781 Euro herangezogen wird, ohne in erkennbarer Weise zu berücksichtigen, dass die Kostenbelastung die vom Beschwerdeführer bereits erfüllte Geldauflage in Höhe von 23.400 Euro erheblich übersteigt.

a) Mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 13. Mai 2015 hat das Amtsgericht gegen den Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten festgesetzt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gleichzeitig hat es dem Beschwerdeführer auferlegt, einen Geldbetrag von 23.400 Euro in 36 Monatsraten zu je 650 Euro zugunsten der Staatskasse zu zahlen (§ 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 StGB). Die Geldauflage dient der Genugtuung für das begangene Unrecht (§ 56b Abs. 1 Satz 1 StGB) und stellt eine strafähnliche Sanktion dar (vgl. BGHSt 59, 172 <174 Rn. 12>; Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 56b Rn. 2). Wie die Höhe der Geldauflage von 23.400 Euro und die Zahlungserleichterung zustande kamen, ist in der beigezogenen Strafakte nicht dokumentiert.

Die Verfahrenskosten in Höhe von 30.711 Euro übersteigen die Geldauflage in Höhe von 23.400 Euro erheblich und gehen in ihrer Belastungswirkung weit darüber hinaus. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer nachgelassen worden war, die Geldauflage in 36 Monatsraten zu je 650 Euro zu erbringen. Mit derselben – offenbar seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden – Ratenhöhe müsste der Beschwerdeführer die Verfahrenskosten in weiteren 48 Monatsraten abzahlen, sodass sich seine Zahlungsverpflichtungen auf insgesamt sieben Jahre – und damit weit länger als die Bewährungszeit von drei Jahren – erstrecken würden.

Bereits das Amtsgericht hätte daher bei der Bemessung der Geldauflage in den Blick nehmen und gegebenenfalls dokumentieren können, ob die Geldauflage auch in Ansehung der diese erheblich übersteigenden Verfahrenskosten eine zumutbare Anforderung an den Beschwerdeführer stellt (§ 56b Abs. 1 Satz 2 StGB). Es bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die außergewöhnlich hohe Kostenbelastung im Strafbefehlsverfahren in Erwägung gezogen, geschweige denn berücksichtigt worden wäre. Weder aus dem Strafbefehl vom 13. Mai 2015 selbst, noch aus dem Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft oder sonst aus der beigezogenen Akte ist ansatzweise ersichtlich, dass das Gericht oder die Verfahrensbeteiligten davon ausgegangen wären oder zumindest die Möglichkeit bedacht hätten, dass die von der Staatsanwaltschaft bezahlte Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11. Dezember 2013 über 30.711 Euro als Sachverständigenvergütung Teil der vom Beschwerdeführer zu tragenden Verfahrenskosten werden würde.

Dem Beschwerdeführer kann in diesem Zusammenhang nicht vorgehalten werden, dass er den Strafbefehl hat rechtskräftig werden lassen und auch während der Bewährungszeit nicht darauf hingewirkt hat, die Geldauflage zu ändern (§ 56e StGB) und so die (drohende) Kostenbelastung zu verringern. Es ist nicht ersichtlich, dass er Grund zur Annahme hatte, dass ihm nach beanstandungsfreiem Ablauf der Bewährungszeit, insbesondere pünktlicher und vollständiger Zahlung der Geldauflage, eine zusätzliche Kostenbelastung in einer erheblichen, die Geldauflage sogar übersteigenden Höhe drohen würde. Aus der beigezogenen Akte ergibt sich vielmehr, dass dem Beschwerdeführer die Rechnung der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vom 11. Dezember 2013 über 30.711 Euro erst auf die am 14. August 2018 erhobene Erinnerung am 25. September 2018 von der Staatsanwaltschaft mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt wurde (vgl. Bl. 36 des Vollstreckungshefts).

Der Beschwerdeführer kann auch nicht darauf verwiesen werden, dass sein Verteidiger im Rahmen der Akteneinsicht auf die Rechnung hätte aufmerksam werden können. Denn die allgemeine Verpflichtung der Gerichte, die Verhältnismäßigkeit von Zahlungspflichten in den Blick zu nehmen und auch mögliche außergewöhnliche Kostenbelastungen zu berücksichtigen, die außer Verhältnis zur verhängten Strafe stehen könnten (vgl. BVerfGK 8, 285 <297 f.>), besteht unabhängig von der Frage, ob eine Obliegenheit des verteidigten Angeklagten bestand, die Akte auf Rechnungen Dritter zu durchsuchen und deren mögliche kostenrechtliche Einordnung zu überprüfen.

b) Da nicht erkennbar ist, dass das Amtsgericht bei der Bemessung der Geldauflage die spätere erheblich höhere Kostenbelastung berücksichtigt hätte, hätten sich die Staatsanwaltschaft im Rahmen des Kostenansatzes, spätestens aber die Gerichte auf die Erinnerung und die Beschwerde des Beschwerdeführers mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob von dem Ansatz oder der Einziehung der Kosten – zumindest teilweise – abzusehen ist, um eine in Betracht kommende unverhältnismäßige Belastung des Beschwerdeführers abzuwenden. Sie haben sich jedoch darauf beschränkt, die einfachrechtlichen Vorschriften über die Kostenberechnung schematisch anzuwenden, ohne sich mit der – vom Beschwerdeführer ausdrücklich aufgeworfenen – Frage der Verhältnismäßigkeit der Kostenbelastung unter Berücksichtigung der bereits bezahlten Geldauflage auseinanderzusetzen.“

M.E. eine Entscheidung, die in den KiPo-Fällen künftig – nach einer ggf. erfolgten Verurteilung – eine Rolle spielen wird, wenn es um die in diesen Fällen häufig horrenden Kostenforderungen geht.

6 Gedanken zu „Die oft horrenden SV-Kosten in „KiPo-Verfahren“, oder: Ggf. unverhältnismäßig, wenn höher als die Geldstrafe?

  1. Titus von Unhold

    Verurteilungen und nervige SV-Kosten ließen sich, auch außerhalb von 184b und 184c-Verfahren, grundsätzlich vermeiden wenn die Datenträger der Mandantschaft vernünftig verschlüsselt wären…

  2. RichterimOLGBezirkMuenchen

    Die Frage, die sich stellt, ist wichtig und richtig. Aber was, wenn es keine Bewährungsstrafe ist? Die Bemessung einer Geldstrafe ist mE nicht der korrekte Weg, die Belastung zu reduzieren. An der TS-Höhe kann man nicht „schrauben“, die ergibt sich aus dem Einkommen und da ist nichts dran zu drehen. Die TS-Anzahl reflektiert den Unrechtsgehalt der Tat an sich. Wenn man da – beispielhaft – aus angemessenen 150 TS wegen der Sachverständigenkosten auf 90 TS runtergeht, sieht das doch direkt danach aus, als wäre die Tat „harmloser“ als die tatsächlich war. Von Führungszeugniseintragungsgrenzen usw. haben wir an der Stelle dann noch gar nicht gesprochen.

    Das kann in der Praxis dazu führen, dass man nicht mehr zur (ggf. reduzierten, dann angemessenen) Geldstrafe greift, sondern lieber direkt die Bewährungsstrafe gibt, bei der man in den Auflagen natürlich flexibler ist. Ob das im Einzelfall für den Beschuldigen nicht ein Bärendienst ist, wenn zB später die Strafaussetzung widerrufen wird?

    Und die Sachverständigenkosten nicht als Auslagen vom Verurteilten zurückzuholen, ist ja auch keine Lösung.

    Fiese Zwickmühle.

    Wie praktisch wäre es, wenn es eine staatliche Stelle gäbe, die man zur Aufklärung von Straftaten heranziehen könnte. Früher gab es das mal. Na, wie hieß das. Ich komm nicht drauf…. Polizei oder so ähnlich. „Ja, aber die haben kein Personal“ – dann geben wir ihnen doch endlich mal Personal :-/ Ich glaube nicht, dass ein POM oder KOK 85 Euro netto die Stunde ausmacht…

  3. Leser

    Personal aufbauen im öD?
    -> Politisch schwierig.
    Personal aufbauen im Bereich der Strafverfolgung?
    -> Noch schwieriger.
    Personal aufbauen im Bereich der Strafverfolgung, um die Verfahrenskosten für Straftäter zu senken?
    -> Unmöglich.

    Durch das Urteil des BVerfG dürften die Steuerzahler(innen) auf den SV-Kosten sitzenbleiben, was eigentlich Anlass sein sollte, doch eigenes Pesonal aufzubauen, um diese Kosten wieder zu senken. Aber wenn man das Argument gelten lässt, könnte und müsste man den auch in vielen anderen Bereichen kaputtgesparten öD insgesamt wieder aufbauen.

  4. n.n.

    Eine mögliche Lösung wäre, die bereits in Rechnung gestellten Kosten des Sachverständigen als Schulden bei der Bemessung der Tagessatzhöhe (§ 40 II StGB) einzubeziehen. Durch den Erlass des Strafbefehls entsteht die Kostengrundentscheidung, weswegen die Schulden auch tatsächlich vorhanden und nicht mehr fiktiv sind. DIe Kosten dürften auch der Höhe nach bei Erlass des Strafbefehls bekannt sein, da die Rechnung ja mit dem Gutachten geschickt wird.

  5. RichterimOLGBezirkMuenchen

    @n.n. – Das lässt sich hören. Löst aber die Folgefrage aus, wie sehr genau sich das dann bei der TS-Höhe auswirkt. Aber zugegeben, das ist ein eleganter Weg aus der Misere.

    Mir würde es trotzdem besser gefallen, wenn das Personal endlich an den Arbeitsanfall angepasst würde 😉

    Vielleicht kann man ja beides parallel machen. Ich denke, eine funktionierende (Straf-)Rechtspflege sollte es uns als Steuerzahlergemeinschaft wert sein.

    Man könnte die Kosten mehr als wieder reinholen, wenn man mal den Ball bei 1 Gramm Gras flachhalten würde… Aber das darf man ja nicht laut sagen….

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