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Unverhältnismäßige Durchsuchung, oder: Man sollte erst mal ein wenig ermitteln

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Zum Mittag dann eine Entscheidung des BVerfG, und zwar den BVerfG, Beschl. v. 10.01.2018 – 2 BvR 2993/14. Mal wieder einer zu einer Durchsuchungsproblematik. Ergangen ist er in einem Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung. Der Beschwerdeführer ist alleiniger Geschäftsführer einer K. GmbH mit Sitz in N., die seit 1998 ein international tätiges Unternehmen für Krantechnik betreibt. Sie stand in langjähriger Geschäftsbeziehung mit der Firma B. mit Sitz in B, von „wegen aller in Betracht kommender Delikte insbesondere gemäß §§ 264, 263, 266 StGB“. Auf der Grundlage wird u.a. ein Verfahren wegen Insolvenzverschleppung eingeleitet und es ergeht Durchsuchungsbeschluss. Das Verfahren wird dann später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Nun stand der Durchsuchungsbeschluss auf dem Prüfstand beim BVerfG und hat die Prüfung nicht bestanden.

Im Grunde enthält der Beschluss nichts Neues, sondern nur das Übliche vom BVerfG zum Anfnagsverdacht und zur Verhältnismäßigkeit, was man – leider – immer wieder/häufig lesen muss. Das BVerfG referiert seine  Rechtsprechung und führt dann aus:

b) Die angegriffenen Entscheidungen tragen diesen Maßstäben nicht Rechnung. Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnung plausible Gründe für einen gegen den Beschwerdeführer gerichteten Anfangsverdacht der Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 4 InsO vorlagen. Jedenfalls war der Verdachtsgrad so schwach, dass sich die Anordnung einer Durchsuchung als unverhältnismäßig darstellt.

aa) Für eine Zahlungsunfähigkeit der K… GmbH sprach, dass ausweislich der Strafanzeige des B… eine langjährige Geschäftsbeziehung zwischen beiden Unternehmen bestand und die K… GmbH die Kranmieten bis August 2013 offenbar regelmäßig wie vereinbart gezahlt hatte. Seitdem aber blieben jegliche Zahlungen aus und der Beschwerdeführer begründete dies nach den Angaben des B… in einem Telefonat im Dezember 2013 mit einer finanziellen Notlage. Danach, so die Strafanzeige weiter, ließ sich der Beschwerdeführer gegenüber Anrufern verleugnen und gab keine Auskunft über die Standorte der vermieteten Krane. Den von B… vorgelegten vorprozessualen Anwaltsschreiben der K… GmbH ließ sich zudem nicht entnehmen, dass in der Sache Einwendungen gegen die Forderungen erhoben werden sollten oder die Aufrechnung mit Gegenforderungen erklärt werden sollte. Sie beschränkten sich auf die Aufforderung, B… möge die fraglichen Mietverträge vorlegen. Da die K… GmbH gleichzeitig jedoch nicht bestritt, im Besitz von Kranen des B… zu sein, erschien es wenig verständlich, dass sie die Mietverträge nicht kennen wollte. Es sprachen daher manche Gründe dafür, ihr vorprozessuales Agieren als bloßes Hinhalten aufzufassen.

Allerdings ging aus dem mit der Strafanzeige vorgelegten Aufforderungsschreiben des Anzeigeerstatters vom 6. Dezember 2013 und insbesondere der beigefügten Forderungsaufstellung hervor, dass B… selbst Gegenforderungen der K… GmbH verrechnete, wobei er sie nur in deutlich geringerer Höhe als von dieser in Rechnung gestellt anerkannte. Angesichts der ganz offensichtlich bestehenden Gegenansprüche erschien die Zahlungsverweigerung der K… GmbH mit einem gewöhnlichen Geschäftsgebaren unter Geschäftspartnern somit nicht von vornherein unvereinbar.

Vor allem aber fehlten nähere Erkenntnisse zu den finanziellen Verhältnissen der K… GmbH bei Erlass der Durchsuchungsanordnung vollständig. Es waren keine Informationen darüber vorhanden, welche Umsätze sie erzielte, in welcher Höhe und gegenüber wie vielen Gläubigern fällige Verbindlichkeiten bestanden und inwiefern den Verbindlichkeiten Kapital und eigene realisierbare Forderungen gegenüberstanden. Unbekannt war insbesondere, ob die K… GmbH auch Forderungen anderer Gläubiger trotz Mahnungen nicht bediente. Der Ermittlungsakte lässt sich noch nicht einmal entnehmen, dass vor Erlass des Durchsuchungsbeschlusses ermittelt worden war, ob der Beschwerdeführer einen Insolvenzantrag gestellt hatte. Das in der Akte befindliche Auskunftsersuchen der Polizei an das Insolvenzgericht datiert jedenfalls erst vom 4. Juni 2014.

Wenn in dem Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts die Auffassung vertreten wird, der mit einer Durchsuchung verbundene schwerwiegende Grundrechtseingriff könne auch mit der möglichen Entlastung des Beschwerdeführers gerechtfertigt werden, legt dies – wie der Generalbundesanwalt zu Recht anmerkt – im Übrigen nahe, dass die Durchsuchung erst der Begründung des Anfangsverdachts dienen sollte.

bb) Bei dieser Sachlage waren die Ermittlungsbehörden zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit gehalten, alle in Betracht kommenden, nahe liegenden und grundrechtsschonenderen Ermittlungsmaßnahmen auszuschöpfen, bevor sie eine Durchsuchung in Betracht ziehen durften. Solche grundrechtsschonenderen Ermittlungsmaßnahmen standen zahlreich zur Verfügung und waren ohne großen Aufwand zu bewerkstelligen.

Die Staatsanwaltschaft hätte etwa bei dem zentralen Vollstreckungsgericht des Landes Brandenburg Einsicht in das Schuldnerverzeichnis nehmen (vgl. § 882f Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 ZPO) und auf diese Weise in Erfahrung bringen können, ob in der Vergangenheit Zwangsvollstreckungsverfahren gegen die K… GmbH betrieben worden waren, die zu einer Eintragungsanordnung geführt hatten. Auf einfache Weise hätte so ermittelt werden können, ob der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der K… GmbH in der Vergangenheit die Vermögensauskunft abgegeben hatte oder dieser Pflicht unentschuldigt nicht nachgekommen war und ob etwaige Vollstreckungsverfahren nicht zur Befriedigung der beitreibenden Gläubiger geführt hatten. In ein eventuell für die K… GmbH abgegebenes Vermögensverzeichnis hätte nach § 802k Abs. 1 Satz 2 ZPO Einsicht genommen werden können. Da die K… GmbH als Kapitalgesellschaft gemäß § 325 HGB zur Offenlegung ihrer Jahresabschlüsse verpflichtet ist, waren ihre Jahresabschlüsse für die vergangenen Jahre zudem über die Internetseite des Bundesanzeigers ohne weiteres zugänglich. Ergänzend hätte die Staatsanwaltschaft die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gemäß § 24c Abs. 3 Nr. 2 KWG um Auskünfte aus der Kontenabrufdatei ersuchen und auf dieser Grundlage gemäß § 161 Abs. 1 StPO die einzelnen Kreditinstitute um Informationen über die Kontoumsätze der K… GmbH bitten können. Die genannten Informationsquellen hätten bereits eine recht zuverlässige Einschätzung über die Finanzlage der K… GmbH ermöglicht, die gegebenenfalls noch durch eine Bonitätsauskunft einer privaten Wirtschaftsauskunftei hätte erhärtet werden können.

Daneben hätte die Staatsanwaltschaft Einsicht in die zivilgerichtlichen Akten nehmen oder auch den Anzeigeerstatter zu dem Fortgang des Zivilprozesses vernehmen lassen können. Aus dem dort zu Tage tretenden prozessualen Verhalten der K… GmbH hätten sich gegebenenfalls Anhaltspunkte für oder gegen eine Zahlungsunfähigkeit gewinnen lassen können.“

U-Haft, oder: HV-Termin in der Berufung erst nach 7 Monaten ist zu spät

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Den Tag eröffnet heute der OLG Celle, Beschl. v. 12.01.2018 – 1 Ws 3/18 – ergangen in einer Haftsache, und zwar zur Haft im Berufungsverfahren. Der Angeklagte befindet sich in einem Verfahren wegen Diebstahls seit dem 26.11.2016 fortlaufend in Untersuchungshaft. Das AG hat den Angeklagten mit Urteil vom 27.04.2017 u.a. wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in Tatmehrheit mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren 8 Monaten verurteilt. Dre Haftbefehl ist aufrecht erhalten worden.

Die Akten sind im Berufungsverfahren am 28.06.2017 beim LG eingegangen. Und dann geht es wie folgt weiter:

„Da der zuständige Strafkammervorsitzende krankheitsbedingt bis zum 4. September 2017 verhindert und der erste nach der Geschäfts-verteilung zuständige Vertreter bis zum 7. Juli 2017 im Urlaub war, wurde die Sache am 29. Juni 2017 zunächst der zweiten Vertreterin vorgelegt. Diese sah sich an einer weiteren Förderung des Verfahrens gehindert und verfügte die Vorlage an den ersten Vertreter nach dessen Urlaubsrückkehr.

Der erste Vertreter verfügte nach seiner Urlaubsrückkehr am 10. Juli 2017 sodann die Abfrage des Berufungsziels, ohne bereits konkrete Terminvorschläge zu unterbreiten.

Mit Verfügung vom 8. August 2017 wurden sodann gegenüber den drei am Verfahren beteiligten Verteidigern Terminvorschläge für 13 Hauptverhandlungstage ab dem 10. Oktober bis zum 29. November 2017 unterbreitet. Nach Rückmeldung fanden sich übereinstimmende Termine der Verteidiger nur am 9., 14. und 29. November, woraufhin mit Verfügung vom 28. August 2017 weitere 13 Terminvorschläge zwischen dem 1. Februar 2018 und dem 23. Februar 2018 unterbreitet wurden. Temin zur Berufungshauptverhandlung wurde sodann mit Verfügung vom 15. September 2017 beginnend ab dem 6. Februar 2018 und sechs weiteren Folgeterminen anberaumt. Zeugen und ein Sachverständiger sind nur für die ersten drei Hauptverhandlungstage geladen worden.“

Dagegen die Haftbeschwerde des Angeklagten, die beim OLG Erfolg hat. Das OLG hat den Haftbefehl unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG, u.a. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, über den ich auch schon berichtet habe – s. “Wir sind überlastet”, oder: Haftgrund “Überlastung” gibt es nicht…..) aufgehoben. Kurz gefasste Begründung: Innerhalb von sieben Monaten hätte man HV-Termine finden können/müssen:

„Nach diesen Grundsätzen war in der vorliegenden Sache die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

So ist bereits nicht nachvollziehbar, weshalb die Abfrage nach dem Berufungsziel nicht be-reits mit der Unterbreitung von vorsorglichen Terminvorschlägen verbunden worden war. Soweit für den Monat Oktober und November gegenüber den Verteidigern sodann konkrete Terminvorschläge unterbreitet, welche nur an drei Hauptverhandlungsterminen zu übereinstimmenden Vakanzen bei den Verteidigern führten, war hierdurch ein Verstoß gegen das für Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot zwar noch nicht berührt. Soweit dagegen im weiteren Verlauf ohne aus den Akten erkennbare und nachvollziehbare Begründung Terminvorschläge für einen Zeitraum ab dem 1. Februar 2018 unterbreitet wurden, ist nicht erkennbar, dass diese Verfahrensverzögerung bei vorausschauender und das Beschleunigungs-gebot berücksichtigender Planung unvermeidbar war.

Angesichts der Dauer der erstinstanzlichen Hauptverhandlungstermine mit einem Kurztermin und zwei weiteren Terminen mit einer Dauer von nur rund einer Stunde bei insgesamt fünf Hauptverhandlungstagen sowie der nunmehr erfolgten Ladung von Zeugen und einem Sach-verständigen an lediglich drei anberaumten Berufungshauptverhandlungstagen ist bereits zweifelhaft, ob mehr als drei Hauptverhandlungstage erforderlich sein werden. Angesichts des Umstands, dass seitens der Verteidiger bereits drei gemeinsame Hauptverhandlungstage im November 2017 gefunden werden konnten, hätte sich bei einer erneuten Korrespondenz mit der Verteidigung und vorausschauender ergänzender Terminplanung im Dezember der hier nur scheinbar unbehebbare Konflikt zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern des Beschleunigungsgebots in Haftsachen und dem sich aus Art 2 Abs., 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Recht eines jeden Angeklagten, sich nach Möglichkeit vom Anwalt des Vertrauens vertreten zu lassen, voraussichtlich auflösen lassen.“

Ich hätte wahrscheinlich noch früher „angesetzt“. denn: Reicht eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und acht Monaten, wovon bereits sieben Monate verbüßt sind, aus, um die Fluchtgefahr zu begründen? M.E. schwieirg. Und da „hoppelt“ das OLG ohne konkrete Begründung drüber weg.

Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, so nicht und jetzt nicht mehr

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Und zum Tagesschluss dann noch etwas für Verkehrsrechtler, nämlich den LG Koblenz, Beschl. v. 10.10.2017 – 3 Qs 84/17. Es geht um die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis in einem Verfahren wegen eines gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB). Begangen haben sollte der Beschuldigte den am 03.01.2017. Im Rahmen der Hauptverhandlung vom 30.08.2017 wurde, nachdem das Gericht dem Angeklagten den rechtlichen Hinweis erteilt hatte, dass eine Strafbarkeit nur nach § 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB in Betracht komme, dann gem. § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Eine Begründung des Beschlusses erfolgte ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nicht. Die Hauptverhandlung wurde sodann ausgesetzt.

Dagegen die Beschwerde, die beim LG Koblnez Erfolg hat. Dem LG gefällt die „Begründung“ der Entscheidung und nicht und hat Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit:

„Die gemäß § 304 StPO zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Denn gemäß § 34 StPO sind die mit einem Rechtsmittel angreifbaren Entscheidungen zu begründen. Dazu reicht im Falle der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO die knappe Mitteilung des Sachverhalts, seine strafrechtliche Würdigung und die Angabe der Gründe, aus denen sich die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ergibt (vgl. LG Zweibrücken, Beschluss vom 17.09.2010, Qs 94/10,-juris).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss – auch unter Berücksichtigung der Nichtabhilfeentscheidung sowie des Ergänzungsbeschlusses – vorliegend jedoch nicht gerecht. Denn der der Entscheidung zugrunde gelegte Lebenssachverhalt wurde bisher überhaupt nicht mitgeteilt. Die bloße Bezugnahme auf die nach Auffassung des Gerichts anwendbaren Rechtsnormen genügt insoweit nicht. Die in dem Ergänzungsbeschluss mitgeteilte rechtliche Würdigung entspricht darüber hinaus weder derjenigen in dem Strafbefehl vom 31.05.2017 noch dem rechtlichen Hinweis in der Hauptverhandlung vom 30.08.2017. Vor diesem Hintergrund bleibt unklar, von welchem Lebenssachverhalt das Amtsgericht bei Beschlusserlass ausgegangen ist.

Das Fehlen einer hinreichenden Begründung stellt auch einen gewichtigen Verfahrensmangel dar. Zum einen erschwert es dem Angeklagten eine sachgerechte Anfechtung der Entscheidung. Zum anderen ist es der Kammer hierdurch verwehrt, die Gründe der angefochtenen Entscheidung zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen. Die fehlende Überprüfungsmöglichkeit würde im Ergebnis auf eine Kompetenzverlagerung hinauslaufen, da die Kammer praktisch in erster Instanz tätig werden und entscheiden müsste. Eine solche Kompetenzverlagerung kommt – da sie mit dem Verlust einer Instanz für den Angeklagten verbunden wäre – nicht in Betracht.

Der angefochtene Beschluss war daher bereits aufgrund seiner unzureichenden Begründung aufzuheben.

Im Übrigen erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aber auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht gerecht. Zwar kann grundsätzlich die Fahrerlaubnis auch Verfahrensabschnitt vorläufig nach § 111a StPO entzogen werden. Bei einer vorläufigen Entziehung erst längere Zeit nach der Tatbegehung ist jedoch, da es sich bei § 111a StPO um eine Eilentscheidung handelt, besonders sorgfältig die Einhaltung und Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen (OLG Hamm, Beschluss vom 13.12.2001 – 2 Ws 304/01). Dabei ist insbesondere die Schwere des Verkehrsverstoßes und der Grad der von dem Täter ausgehenden Gefahr einerseits sowie das Ausmaß einer etwaigen Verfahrensverzögerung, die Dauer des Zeitablaufs und die – etwaigen beruflichen – Belange des Angeklagten andererseits gegeneinander abzuwägen.

Nach Abwägung der Umstände des vorliegenden Falles erscheint die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aber nicht verhältnismäßig. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis lag die angeklagte Tat bereits nahezu 9 Monate zurück. Der Tatvorwurf erscheint – gegenüber der ursprünglich im Strafbefehl getroffenen Annahme – nach der durchgeführten Hauptverhandlung auch weniger schwerwiegend. Entgegen der rechtlichen Würdigung im Strafbefehl geht das Amtsgericht Mayen nach dem Ergänzungsbeschluss vom 22.09.2017 nämlich selbst „nur“ noch von einer Strafbarkeit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 3 Nr. 1 StGB (Vorsatz-Fahrlässigkeits-Konstellation) aus. Der 53-jährige Angeklagte, der seine Fahrerlaubnis auch zur Ausübung seiner nebenberuflichen Tätigkeit nutzt, ist bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten. Auch sein Fahreignungsregister enthält keine Eintragungen. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis war auf dieser Grundlage nicht geboten.“

Auch mehr als 17 Monate nach der Tat noch „vorläufige“ Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: „Unwohl“

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Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

„Unwohl“ ist mir bei dem KG, Beschl. v. 08.02.2017 – 3 Ws 39/17- 121 AR 22/17. Es geht um die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis trotz des Zeitablaufs von 11 Monaten seit Begehung der Tat. Der Beschluss teilt folgende Eckdaten mit:

03.08.2015: vermutlicher Tattag für das zur Last gelegte unerlaubte Entfernen vom Unfallort.
18.08.2015: Der Angeklagte steht als Tatverdächtiger fest.‘
24.05.2016: Anklageerhebung
12.07.2016: Vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis
31.08.2016: Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, u.a. Entziehung der Fahrerlaubnis mitz Sperrfrist von 12 Monaten
Dagegen Berufung des Angeklagten.
31.01.2017: Ablehnung der Aufhebung durch das LG/Berufungsgericht.
08.02.2017: Entscheidung des KG

Das KG meint: Noch ok. Die vorläufige Entziehung ist noch verhältnismäßig.

„b) Die Entscheidung des Landgerichts ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis trotz des Zeitablaufs noch verhältnismäßig. Dass die Tat bereits am 3. August 2015 begangen und die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erst am 12. Juli 2016 angeordnet wurde, ist unschädlich, da in der Zwischenzeit die Ermittlungen, das Zwischenverfahren und das Hauptverfahren andauerten und der Angeklagte kein schutzwürdiges Vertrauen auf den vorläufigen Erhalt seiner Fahrerlaubnis bilden konnte……

…..Bleibt dieser nach der ihm angelasteten Tat weiter im Besitze seiner Fahrerlaubnis und nimmt beanstandungsfrei am Straßenverkehr teil, wächst sein Vertrauen in den Bestand der Fahrerlaubnis, während die Möglichkeit ihres vorläufigen Entzuges nach
§ 111a Abs. 1 Satz 1 StPO ihren Charakter als Eilmaßnahme zunehmend verliert. Wann letztere nicht mehr in Betracht kommt, wird von der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (vgl. BVerfG a.a.O.; Senat, Beschlüsse vom 1. April 2011
3 Ws 153/11 – und 29. Juli 2016 – 3 Ws 398/16 –) und hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab.

Dies führt vorliegend dazu, dass die Strafkammer das ihr eingeräumte Ermessen (noch) nicht verletzt hat, wobei dahinstehen kann, wann konkret der Verhältnismä-ßigkeitsgrundsatz verletzt ist. Der Senat übersieht insoweit nicht, dass die Fahrerlaubnis 11 Monate nach der am 3. August 2015 angeblich begangenen Tat entzogen wurde, obwohl dem Angeklagten bereits Mitte August 2015 rechtliches Gehör gewährt worden ist und es von Seiten der Strafverfolgungsbehörden nahegelegen hätte, zu diesem Zeitpunkt die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zu beantragen. Tatsächlich erließ jedoch erst der Amtsrichter – ohne ersichtlichen Antrag der Amtsanwaltschaft und ohne dass sich die Erkenntnislage erkennbar verändert hatte – nach Eröffnung des Hauptverfahrens und Anberaumung des Hauptverhandlungstermins den entsprechenden Beschluss.

Die lange Zeitdauer zwischen angeblicher Tatbegehung und vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis wird vorliegend jedoch dadurch relativiert, dass eine (etwaig) unterbliebene Verfahrensbeschleunigung das Ermittlungsverfahren und nicht den Zeitraum ab der vorläufigen Entziehung betraf. Der Beschluss wurde auch in angemessener Zeit nach Eingang der Akten beim Amtsgericht erlassen und das Verfahren im weiteren Verlauf, sowohl durch das Amtsgericht als auch durch das Berufungsgericht, angemessen gefördert. Zu berücksichtigen ist insoweit des Weiteren, dass der anwaltlich vertretene Angeklagte darüber hinaus die Möglichkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis im Hauptverfahren ernsthaft in Betracht ziehen musste. Sein Vertrauensschutz bezüglich der im Ermittlungsverfahren und im Zwischenverfahren unterbliebenen vorläufigen Entziehung wiegt nicht so schwer, dass die angefochtene Entscheidung der Strafkammer ermessensfehlerhaft erscheint.“

Nun ja: Wie gesagt: Unwohl, denn es wird erst 11 Monate nach der Tat entzogen und zum Zeitpunkt der Entscheidung des LG sind bereits mehr als 17 Monate vergangen. Wie ist es denn da mit „Vorbewährung“? Dazu finde ich im Beschluss nichts.

Abschleppen, oder: Wer eine unpassierbare Engstelle „baut“, darf sofort abgeschleppt werden

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Heute dann zuerst eine Entscheidung aus dem Bereich des „Abschlepprechts“. Ich stelle das VG Koblenz, Urt. v. 14.07.2017 – 5 K 520/17.KO – vor. Das VG hat damit die Klage einer Falschparkerin abgewiesen, mit der diese gegen die ihr auferlegten Kosten für eine Abschleppmaßnahme vorgegangen ist. Das VG hat also die Falschparkerin quasi dazu verurteilt, die Kosten in Höhe von 189,63 € für die  Abschleppmaßnahme zu tragen. Die Klägerin hatte ihr Fahrzeug im Torbogen einer Straße in Koblenz geparkt. Dadurch entstand eine Engstelle von 2,40 m. Zulieferer eines angrenzenden Gewerbebetriebs konnten diesen nicht mehr anfahren. Daraufhin beauftragte die beklagte Stadt ein Abschleppunternehmen mit der Umsetzung des Fahrzeugs und setzte gegenüber der Klägerin die dafür entstandenen Kosten in Höhe von 189,63 € fest. Dagegen hat die Klägerin nach erfolglosem Widerspruch Klage erhoben. Begründung: Der „normale“ Verkehr habe die betroffene Stelle passieren können. Außerdem sei die Abschleppmaßnahme schon nach unverhältnismäßig kurzer Zeit veranlasst worden.

Das VG macht es kurz und zackig:

„Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt die Kammer auf die Begründung des Widerspruchsbescheids vom 4. April 2017 Bezug und folgt dieser (§ 117 Abs. 5 VwGO).

Mit Blick auf das Klagevorbringen ist lediglich ergänzend auszuführen, dass die Klägerin ihr Fahrzeug verbotswidrig abgestellt hat. Damit bestand zugleich das Handlungsgebot, das Fahrzeug sofort wieder zu entfernen, um so für ordnungsgemäße Verkehrszustände zu sorgen. Daher erweist sich die Maßnahme der Beklagte insgesamt als verhältnismäßig. Es besteht schon grundsätzlich keine Nachforschungspflicht der Behörden nach dem Aufenthaltsort des Fahrers. Gleichwohl haben die Bediensteten der Beklagten versucht, die Klägerin im Anschluss an eine Halterfeststellung ausfindig zu machen. Dieser Versuch blieb allerdings erfolglos. Danach ist von dem Zeitpunkt der Beauftragung des Abschleppdienstes bis zum Abschleppen des Fahrzeugs noch einige Zeit vergangen. Ein längeres Zuwarten war mit Blick auf die Situation nicht geboten.“