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Besetzung I: Zurückweisung der Besetzungsrüge, oder: Ist eine Verfassungsbeschwerde zulässig?

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Auf geht es in die 8. KW./2022 – und wieder ohne Corona. Derzeit gibt es zu der Thematik weniger Entscheidungen. Gott sei Dank.

Ich stelle heute zwei Entscheidungen zu Besetzungsfragen vor, und zwar zunächst den BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 – 2 BvR 2076/21 u. 2 BvR 2113/21 – betreffend (erfolglose) Verfassungsbeschwerden bezüglich der Entbindung eines Schöffen im Strafprozess.

Folgender Sachverhalt: Grundlage ist ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtMG. Die Angeklagten rügen mit ihren Verfassungsbeschwerden einen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Entzug des gesetzlichen Richters. Sie machen geltend, der Kammervorsitzende habe in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise die Verhinderung eines Schöffen angenommen. Im Besetzungsrügeverfahren nach § 222b Abs. 2 und Abs. 3 StPO hätten dann sowohl das LG Leipzig als auch das OLG Dresden in willkürlicher Weise über ihre Besetzungsrügen entschieden.

Einer der Hauptschöffen und die nach diesem Schöffen zu berufende Ersatzschöffin wurden vom Kammervorsitzenden – von den Angeklagten unbeanstandet – wegen Urlaubs von der Pflicht zum Schöffendienst entbunden. Auf Anordnung des Vorsitzenden lud die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle telefonisch den nächsten Hilfsschöffen. Die Beamtin fertigte eine Aktennotiz über das Gespräch, wonach der Schöffe mitgeteilt habe, er müsse am 09.082021 um 8:10 Uhr „einen Termin zur Führerscheinprüfung“ wahrnehmen. Der entsprechende Nachweis werde über die Fahrschule zugesandt. Noch am selben Tag leitete der Schöffe eine E-Mail der Fahrschule weiter, mit der ihm eine Mitarbeiterin einer Fahrschule die angekündigte Bescheinigung der Fahrschule zugesandt hatte. Er versah diese E-Mail mit einer Signaturzeile, die auf seinen Beruf als Prüfingenieur hinwies. Das der E-Mail als Anlage beigefügte Dokument war mit „Entschuldigung“ überschrieben. Dem Schöffen wurde bescheinigt, er nehme am 09.08.2021 von 7:15 Uhr bis 9:20 Uhr „in [der] Fahrschule an der praktischen Fahrprüfung [und] an einer Fahrstunde teil“.

Die Verteidigerinnen haben die Besetzungsrüge erhoben, die das LG als unbegründet angesehen und dem OLG vorgelegt hat. Das OLG hat die Besetzungsrüge als unbegründet verworfen. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext des Beschlusses.

Die Verteidigerinnen haben gegen den Beschluss des LG und des OLG Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das BVerfG hat die nicht zur Entscheidung angenommen:

„Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, denn die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt den Verfassungsbeschwerden nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt. Soweit sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16. September 2021 richten, sind sie unzulässig (I.). Im Übrigen sind sie unbegründet (II.).

I.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16. September 2021 richten, sind sie unzulässig.

Die Entscheidung eines Tatgerichts, einem Besetzungseinwand nicht abzuhelfen und das Verfahren nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO dem Rechtsmittelgericht vorzulegen, ist als reines Verfahrensinternum nicht gesondert mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar. Das Tatgericht trifft keine abschließende Entscheidung, sondern setzt – wie bei einer Nichtabhilfeentscheidung im Beschwerdeverfahren nach § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Dezember 2020 – 2 BvR 1787/20 -, Rn. 43) – lediglich den Instanzenzug in Gang. Ein Interesse, dass über die Verfassungsmäßigkeit der Zwischenentscheidung des Landgerichts selbst und nicht erst in Verbindung mit der Überprüfung der den Instanzenzug des § 222b Abs. 3 StPO abschließenden Entscheidung des Oberlandesgerichts erkannt wird, ist hier weder dargetan noch ersichtlich (vgl. BVerfGE 1, 322 <324 f.>; 58, 1 <23>).

II.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 28. Oktober 2021 richten, sind sie zwar zulässig (1.). Allerdings sind sie unbegründet, da den Beschwerdeführern der gesetzliche Richter nicht in einer Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Weise entzogen wurde (2.).

1. Die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts sind zulässig, denn sie stellen den Lebenssachverhalt in einer eine tragfähige verfassungsrechtliche Prüfung ermöglichenden Weise dar und setzen sich mit den dem Verfahren zugrundeliegenden Verfassungsfragen hinreichend substantiiert auseinander. Ferner ist diese Entscheidung gesondert mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar (a). Nach Abschluss des Besetzungsrügeverfahrens steht den Beschwerdeführern zudem ein weiterer Rechtsweg gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht offen, und sie haben auch keine anderweitige Möglichkeit, den behaupteten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im fachgerichtlichen Verfahren geltend zu machen (b).

a) Durch das am 13. Dezember 2019 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl I S. 2121) wurde für Strafverfahren, die im ersten Rechtszug vor dem Land- oder Oberlandesgericht verhandelt werden, ein spezielles Besetzungsrügeverfahren geschaffen. Wie zuvor gilt: Wird die Gerichtsbesetzung den Regeln des § 222a StPO entsprechend zugestellt, ist ein Verfahrensbeteiligter gehalten, innerhalb einer Woche nach Zustellung die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts zu rügen. Gemäß § 222b Abs. 2 StPO entscheidet das derzeit mit der Sache befasste Gericht über die Besetzungsrüge. Die Begründungs- und Substantiierungserfordernisse für diese Rüge sind nach § 222b Abs. 1 Sätzen 2 und 4 StPO dem Revisionsrecht nachgebildet. Eingeführt wurde mit § 222b Abs. 3 StPO ein Instanzenzug im Verfahren über die Besetzungsrüge. Erachtet sich das derzeit mit der Sache befasste Gericht als zuständig, ist es gehalten, das Verfahren dem jeweiligen Rechtsmittelgericht vorzulegen. Das Rechtsmittelgericht entscheidet dann abschließend über die Besetzungsrüge. Einen weiteren Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts sieht das Strafprozessrecht nicht vor.

Die eingeführten Regelungen zum Instanzenzug im Besetzungsrügeverfahren gehen einher mit einer Beschränkung der Rügemöglichkeiten im Revisionsrecht; § 338 Abs. 1 Nr. 1 StPO wurde ebenfalls neu gefasst. Das Verfahren nach § 222b Abs. 3 StPO soll eine endgültige Klärung des Besetzungseinwandes im fachgerichtlichen Verfahren herbeiführen. § 338 Abs. 1 Nr. 1 StPO enthält nicht nur eine Präklusionsregelung. Ein Verfahrensbeteiligter, der das Vorabentscheidungsverfahren des § 222b Abs. 3 StPO nicht durchführt, kann nach Ablauf der in § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmten Wochenfrist mit der Besetzungsrüge nicht mehr gehört werden. Für den Fall, dass auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten das Rügeverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO durchgeführt wurde, entzieht § 338 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StPO in der nun geltenden Fassung dem Revisionsgericht darüber hinaus die Möglichkeit, die Ordnungsmäßigkeit der Gerichtsbesetzung zu überprüfen. Helfen weder das Tatgericht noch das Rechtsmittelgericht dem form- und fristgerecht erhobenen Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung ab, ist die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts bindend. Sie steht der Überprüfung des Besetzungseinwands in der Revisionsinstanz entgegen.

Mit der Einführung des Instanzenzugs in § 222b Abs. 3 StPO hat der Gesetzgeber mithin ein selbstständiges Zwischenverfahren geschaffen, in dem abschließend über eine verfassungsrechtlich determinierte Rechtsfrage befunden wird. Die Entscheidung über diese Rechtsfrage kann im weiteren fachgerichtlichen Instanzenzug nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden. In einem solchen Fall ist die Verfassungsbeschwerde gegen die im Zwischenverfahren ergangene Entscheidung zuzulassen (vgl. BVerfGE 1, 322 <325>; 24, 56 <61>; 58, 1 <23>).

b) Die Beschwerdeführer haben der ihr auferlegten Pflicht Genüge getan, über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur des geltend gemachten Verfassungsverstoßes bereits im fachgerichtlichen Verfahren zu erwirken (vgl. BVerfGE 31, 364 <368>; 73, 322 <325>). Insbesondere haben sie die Besetzungsrüge in einer den Vorgaben der § 222b Abs. 1 Sätze 2 und 4, § 345 Abs. 2 StPO genügenden Weise erhoben und zu den von ihnen als wesentlich erachteten Gesichtspunkten ausgeführt. Nach der Durchführung des Verfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO bleibt es ihnen überdies verwehrt, die behauptete Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Revisionsverfahren zu rügen. Im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt die Revision damit einen offensichtlich aussichtslosen Rechtsbehelf dar, auf den die Beschwerdeführer vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde nicht verwiesen werden können (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>).

2. Die Verfassungsbeschwerden sind allerdings unbegründet, denn die Beschwerdeführer sind nicht in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.  ……..“

Die Kosten im Verfassungsbeschwerdeverfahren, oder: Billigkeitsentscheidung

Als zweite Entscheidung dann mal etwas ganz Anderes, nämlich etwas Kostenrechtliches vom BVerfG. Das hat im BVerfG, Beschl. v. 10.01.2022 – 2 BvR 1851/21 – zu § 34a Abs. 3 BVerfGG Stellung genommen, also Kostenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren:

„1. Über die Verfassungsbeschwerde, mit der sich der Beschwerdeführer gegen die Ablehnung seines Asylantrags gewendet hat, ist nicht mehr zu entscheiden, weil der Beschwerdeführer das Verfassungsbeschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2021 für erledigt erklärt hat.

2. Die Auslagenerstattung war in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang anzuordnen.

a) Über die Auslagenerstattung ist gemäß § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stellt im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (vgl. BVerfGE 49, 70 <89>) dar (vgl. BVerfGE 66, 152 <154>). Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung kann insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. So ist es billig, einer beschwerdeführenden Person die Erstattung ihrer Auslagen zuzuerkennen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall ? falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind ? davon ausgegangen werden kann, dass sie das Begehren der beschwerdeführenden Person selbst für berechtigt erachtet hat (vgl. BVerfGE 85, 109 <114 ff.>; 87, 394 <397 f.>). Im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts findet eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247 <264 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 12. März 2021 – 2 BvR 2069/19 -, Rn. 3).

b) Nach diesen Maßstäben entspricht es der Billigkeit, die Auslagenerstattung zu zwei Dritteln anzuordnen.

Die Auslagenerstattung ist anzuordnen, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs gerichtet hat. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat diese mit Beschluss vom 26. November 2021 aufgehoben und damit zum Ausdruck gebracht, dass er das Begehren des Beschwerdeführers insoweit selbst für berechtigt erachtet hat.

Soweit sich der Beschwerdeführer auch gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts gewendet hat, ist die Auslagenerstattung nicht anzuordnen. Zum einen ist dieses durch den Verwaltungsgerichtshof nicht aufgehoben worden. Zum anderen war die Verfassungsbeschwerde insoweit mangels hinreichender Begründung (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) offensichtlich unzulässig, sodass eine Auslagenerstattung aus Billigkeitsgesichtspunkten ausscheidet (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Februar 2018 – 2 BvR 2628/17 -, Rn. 2).

3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Bevollmächtigten für das Verfassungsbeschwerdeverfahren erledigt sich, soweit das Land Baden-Württemberg zur Kostenerstattung verpflichtet wird (vgl. BVerfGE 62, 392 <397>; 71, 122 <136 f.>; 105, 239 <252>). Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt, weil die vom Beschwerdeführer beabsichtigte Rechtsverfolgung mangels hinreichender Erfolgsaussicht die Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden §§ 114 ff. ZPO (vgl. BVerfGE 1, 109 <112>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Juni 2021 – 2 BvR 307/21 -, Rn. 2) nicht erfüllt.

4. Die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 f.>).“

OWi I: Dauerbrenner Einsicht in Messunterlagen, oder: Verfassungsbeschwerde in Bayern und einige AG

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Urheber Jepessen

Und heute dann mal ein wenig OWi.

Und ich starte mit Entscheidungen zur (Akten)Einsicht, dem Dauerbrenner im OWi-Verfahren.

Zunächst der Hinweis auf den BayVerfGH, Beschl. v. 13.01.2022 – 61-VI-19. Ergangen ist er in einem Verfahren, in dem um beim OLG Bamberg um die (Akten)Einsicht in Unterlagen und Daten von Geschwindigkeitsmessungen gestritten worden ist. Die „Besonderheit“: Die Einsicht war im Verwaltungsverfahren nicht geltend gemacht und demgemäß auch kein Antrag nach 3 62 OWiG gestellt. Erst im gerichtlichen Verfahren ist Überlassung der Daten beantragt worden.

Das BayVerfGH hat die Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf den Grundsatz der materiellen Subsidiarität als unzulässig angesehen, weil eben nicht schon bei der Verwaltungsbehörde Einsicht beantragt worden ist. Insoweit m.E. nichts Neues.

Geltend gemacht worden war dann noch, das die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde nicht gemäß § 80a Abs. 3 OWiG auf den Senat übertragen worden war und die Sache nicht nach § 121 Abs. 2 GVG dem BGH vorgelegt worden ist. Das sagt der BayverfGH: Zulässig, aber unbegründet:

„Entsprechend kommt hier ein Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV dadurch in Betracht, dass der Einzelrichter am Bayerischen Obersten Landesgericht die Sache nicht gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG auf den mit drei Richtern besetzten Senat übertragen hat, der dann in eigener Verantwortung über eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 GVG i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG hätte entscheiden müssen (vgl. Bär in Graf, BeckOK OWiG, § 80 a Rn. 11; Hadamitzky in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Auflage 2018, § 80 a Rn. 10). Zu einer eigenständigen Vorlage der Rechtsbeschwerde gemäß § 121 Abs. 2 GVG wäre der Einzelrichter nicht befugt gewesen (BGH vom 28.7.1998 BGHSt 44, 144).

2. Vorliegend ist aber nicht davon auszugehen, dass der Richter, der den angegriffenen Beschluss erlassen hat, in willkürlicher, offensichtlich unhaltbarer Weise die Voraussetzungen des § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG verneint hat……“

Und dann noch ein wenig von den AG:

Der Verteidiger hat auch bei einem standardisierten Messverfahren Anspruch auf Zurverfügungstellung des Schulungsnachweises des Messbeamten und einer Kopie der digitalen Falldaten im gerätespezifischen Formal nebst dazugehörigem öffentlichen Schlüssel (Token) für die gesamte Messreihe des Vorfallstages.

Benötigt der Verteidiger die Daten der kompletten Messserie, um die Vollständigkeit des Messfilms und das Vorliegen von Besonderheiten im Rahmen von Messungen zu überprüfen, ist die Bußgeldbehörde aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 – verpflichtet, die digitalen Daten der kompletten Messserie des Tattages an den Verteidiger herauszugeben. Ein Anspruch auf Einsicht in die sogenannte Lebensakte des Messgeräts besteht nicht.

Der Betroffene hat ein Recht auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen zu dem ihn betreffenden Messvorgang.

Rücknahme der Verfassungsbeschwerde, oder: Gegenstandswert nur 5.000 EUR und nicht 30.000.000 EUR

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Und dann am Ende der Pfingstwoche noch die gebührenrechtlichen Entscheidungen.

Heute beginne ich mit einem „kleinen“ Beschluss vom BVerfG. Das hatte nach Rücknahme einer Verfassungsbeschwerde über einen Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes zu entscheiden. Zur Erinnerung: Die Gebühren nach § 37 RVG sind der Höhe nach vom Gegenstandswert abhängig.

Das BVerfG hat im BVerfG, Beschl. v. 10.05.2021 – 2 BvR 2863/17 – den Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes auf 30.000.000 EUR (!) zurückgewiesen.:

„Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts ist unzulässig. Für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts besteht kein Rechtsschutzbedürfnis.

Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG beträgt der Mindestgegenstandswert im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 5.000 Euro. Ein höherer Gegenstandswert kommt in Fällen, in denen eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen oder zurückgenommen worden ist, regelmäßig nicht in Betracht. Umstände, die hier ausnahmsweise einen höheren Gegenstandswert rechtfertigen könnten, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Ist deshalb vom Mindestgegenstandswert auszugehen, so besteht für die gerichtliche Festsetzung des Gegenstandswerts kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BVerfGE 79, 365 <369>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juni 2018 – 2 BvR 2263/16 -).“

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.“

Na, das merkt man aber auf dem Konto 🙂 .

Ermittlungserzwingungsantrag, oder: Voraussetzungen und Antragsbegründung

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An sich wollte ich heute an Ostermontag nichts Fachliches bringen. Aber bei dem Wetter dann lieber doch, denn es regnet und ist sehr windig – zumindest hier. Also kein „Draußenwetter“. Und das bedeutet, dass ich einen „normalen Tag“ mache.

Ich starte dann in die beginnende 14. KW. mit einem Beschluss des BVerfG zum Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO).

Geltend gemacht worden ist die Nichteinleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und betreffend folgenden Sachverhalt: Der Sohn der Beschwerdeführer randalierte nach vorigem erheblichen Drogenkonsum am Abend des 18.04.2016 in der Innenstadt von Emmerich, wurde gegen 20:40 Uhr von der Polizei gestellt, unter Anwendung von Zwangsmaßnahmen zu Boden gebracht, in Bauchlage mit Handschellen fixiert und festgenommen. Er kollabierte während der Festnahme und verstarb trotz durchgeführter Reanimationsmaßnahmen am 19.04. 2016 um 04:30 Uhr im Krankenhaus an multiplem Organversagen.

Die Eltern haben dann am 11.07.2016 Strafanzeige wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, der Körperverletzung mit Todesfolge und unterlassener Hilfeleistung gegen die eingesetzten Polizeibeamten erstattet. Ermittlungen sind nicht aufgenommen worden. Dagegen dann die Beschwerde, die bei der GStA auch keinen Erfolg hatte, ebenso das sog. Klageerzwingungsverfahren beim OLG.

Und auch die Verfassungsbeschwerde ist beim BVerfG erfolglos geblieben. Das hat die Verfassungsbeschwerde im BVerfG, Beschl. v. 23.02.2021 – 2 BvR 1304/17 – nicht zur Entscheidung angenommen:

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist.

1. Die Verfassungsbeschwerde genügt offensichtlich nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG, denn ihre Begründung lässt eine Verletzung von Rechten im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG inhaltlich nachvollziehbar nicht erkennen. Zudem enthält sie vielfach lediglich pauschale Verweisungen auf frühere Schriftsätze und verkennt, dass es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist, verfassungsrechtlich Relevantes aus den in Bezug genommenen Schriftsätzen herauszusuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>).

Darüber hinaus haben die Beschwerdeführer für die verfassungsrechtliche Beurteilung unverzichtbare Unterlagen, insbesondere das in Bezug genommene Handyvideo, dessen Inhalt nach Auffassung der Beschwerdeführer in ein gerichtsmedizinisches Gutachten hätte einfließen müssen, aber auch die in dem Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft erwähnten nicht näher spezifizierten Zeugenaussagen beziehungsweise die Zeugenaussage der Rettungsassistenten und die Anhörung der eingesetzten Polizeibeamten, innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG weder vorgelegt noch ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben (vgl. BVerfGE 78, 320 <327>; 88, 40 <45>; 93, 266 <288>; BVerfGK 5, 170 <171>).

2. Im Übrigen steht der Annahmefähigkeit der Verfassungsbeschwerde auch entgegen, dass das Oberlandesgericht Düsseldorf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung der Beschwerdeführer im Ergebnis zu Recht als unzulässig zurückgewiesen hat.

a) Ein Klageerzwingungsantrag ist grundsätzlich unzulässig, wenn in Bezug genommene Bestandteile in die Antragsschrift hineinkopiert werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2017 – 2 BvR 225/16 -, Rn. 7; VerfGH Berlin, Beschluss vom 30. April 2004 – VerfGH 128/03 -, Rn. 20 f.; OLG Düsseldorf, StV 1983, S. 498; OLG Celle, NStZ 1997, S. 406; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16. Dezember 2014 – 1 Ws 521/14 -, Rn. 15). Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, sich den entscheidungserheblichen Sachverhalt selbst aus Anlagen zusammenzustellen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 8. September 2003 – 1 Ws 242/03 -, Rn. 8), insbesondere, wenn durch das Einkopieren von Strafanzeigen oder Beschwerdeschriften die Sachdarstellung verunklart wird. Ausnahmen hiervon werden nur für zulässig erachtet, wenn es auf den Wortlaut der eingefügten Unterlagen ankommt und das Hineinkopieren lediglich das – anderenfalls notwendige – vollständige Abschreiben dieser Unterlagen ersetzt. Entscheidend ist, dass das Gericht nicht gezwungen wird, sich den relevanten Verfahrensstoff aus einer Vielzahl (möglicherweise unsystematisierter) Kopien selbst zusammenzustellen (vgl. OLG Hamm, a.a.O., Leitsatz und Rn. 15).

Ein Ermittlungserzwingungsantrag unterliegt als Sonderform des Klageerzwingungsantrages (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 172 Rn. 19) jedenfalls insoweit grundsätzlich demselben Maßstab. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung daher bereits aus diesem Grunde unzulässig.

b) Darüber hinaus kommt statt der Klageerzwingung eine bloße Ermittlungserzwingung nur in engen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 175 Rn. 16 ff. m.w.N.).

aa) Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht aus rechtlichen Gründen verneint und deshalb den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht nicht aufgeklärt hat. In solchen Fällen kann das Oberlandesgericht ein auf Klageerzwingung gerichtetes Verfahren mit der Anordnung abschließen, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufzunehmen habe (vgl. OLG Koblenz, NStZ 1995, S. 50 <51>; Beschluss vom 4. November 2016 – 2 Ws 396/16 -, Rn. 6 m.w.N.; OLG Zweibrücken, GA 1981, S. 94 <95>; KG, NStZ 1990, S. 355; Graalmann-Scheerer, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor, weil die Staatsanwaltschaft letztlich nicht aus Rechtsgründen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen hat. Zwar hat die Staatsanwaltschaft Kleve ihre Entscheidung formal – und in der Sache unzutreffend – darauf gestützt, dass gegen die an der Festnahme beteiligten Polizeibeamten schon kein Anfangsverdacht im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO bestehe, gleichwohl aber zuvor Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht angestellt. Das zeigt insbesondere die Einholung eines forensisch toxikologischen Gutachtens und Nachfragen beim Obduzenten zu der (Mit-)Ursächlichkeit der Fixierung in Bauchlage et cetera, sodass es sich in der Sache um eine Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO handelt.

Dem entsprechen auch die Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf in ihrem Bescheid vom 11. Januar 2017. Sie führt dort aus, dass ungeachtet der bereits in dem toxikologischen Gutachten nachgewiesenen Kokain-Konzentrationen im Blut des Opfers, die im formal-toxischen Bereich lagen und geeignet waren, zu dem eingetretenen Kreislaufzusammenbruch zu führen, Kausalverlauf und Todeserfolg für die eingesetzten Beamten auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen und der Inaugenscheinnahme des Handyvideos nicht vorhersehbar waren. In Anbetracht der Gefahr die von dem Opfer ausging, seien die getroffenen Fahndungsmaßnahmen und die Festnahme auch unter Anwendung von Zwangsmitteln aufgrund der massiven Gegenwehr erforderlich und geboten gewesen, sodass von der Inaugenscheinnahme des Handyvideos durch die Obduzenten kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten sei.

bb) Soweit die Beschwerdeführer vor diesem Hintergrund die Verletzung des aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG folgenden Anspruchs auf effektive Strafverfolgung rügen, fehlt es sowohl an einer hinreichend substantiierten Auseinandersetzung mit den hierfür geltenden verfassungsgerichtlichen Maßstäben, als auch an einem den Verstoß belegenden Sachvortrag.

Grundlage des Anspruchs auf effektive Strafverfolgung ist vor allem die staatliche Schutzpflicht für höchstpersönliche Rechtsgüter. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichten den Staat, sich dort schützend und fördernd vor das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo dieser nicht selbst für ihre Integrität sorgen kann (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>; 46, 160 <164>; 121, 317 <356>; BVerfGK 17, 1 <5>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2018 – 2 BvR 1550/17 -, Rn. 38). Ein Anspruch auf bestimmte einklagbare Maßnahmen ergibt sich aus diesem aber grundsätzlich nicht, weil die Rechtsordnung in der Regel keinen grundrechtlich radizierten Anspruch auf eine Strafverfolgung Dritter kennt (vgl. BVerfGE 51, 176 <187>; 88, 203 <262 f.>; BVerfGK 17, 1 <5>; BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 9. April 2002 – 2 BvR 710/01 -, Rn. 5; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2020 – 2 BvR 859/17 -, Rn. 20; stRspr).

Die Staatsanwaltschaft hat umfangreiche Ermittlungen dazu durchgeführt, inwieweit der Nachweis geführt werden kann, dass das Verhalten der an der Festnahme des Sohnes der Beschwerdeführer beteiligten Polizeibeamten (zumindest auch) todesursächlich war. Es ist nicht ersichtlich, dass die begehrten Ermittlungen oder Schlussfolgerungen geeignet wären, einen hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO – also die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung der Beschuldigten in einer Hauptverhandlung – zu begründen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2018 – 2 BvR 1550/17 -, Rn. 21)…..“