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„Untersuchungshaft bei Unterfinanzierung“, oder: Haftgrund fehlendes Personal?

© Klaus Eppele - Fotolia.com

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Unter dem Betreff „Untersuchungshaft bei Unterfinanzierung“ hat mir der Kollege Garcia vom Blog De Legisbus den BVerfG, Beschl. v. 30.07.2014 – 2 BvR 1457/14 – übersandt und gemeint, dass der doch vielleicht ein Posting wert wäre. In der Tat, das ist er; er hat es dann ja heute  auch bis in die Tagespresse geschafft. Dort allerdings u.a. unter dem „Eyechatcher“ „Mutmaßlicher Vergewaltiger kommt frei – weil die deutsche Justiz zu lahm war„. Vergewaltigung und U-Haft-Aufhebung ist immer ein Thema, aber: Jedes Ding hat zwei Seiten und man muss – auch bei schweren Vorwürfen – die anstehenden U-Haft-Fragen eben aus Sicht des angeblichen Täters sehen, da es um dessen persönliche Freiheit geht. Und dazu findet das BVerfG (mal wieder) klare und deutliche Worte – so wie ich sie länger nicht mehr gelesen habe. Sie zementieren, was schon seit längerem ständige Rechtsprechung des BVerfG ist: Den „Haft(fortdauer)grund fehlendes Personal“ gibt es nicht.

Kurz zum Sachverhalt der Entscheidung des BVerfG:

  • 18-jähriger, nicht vorbestrafter Angeklagter
  • In Haft seit dem 14.08. 2013
  •  Tatverdacht der Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung
  • geständig, keine Beweisanträge
  • Haftgründe Flucht- und Wiederholungsgefahr
  • Am 29.01.2014 Anklageerhebung
  • 25.02.2014 Sechs-Monats-Haftprüfung
  • 02.04.2014 Eröffnung des Hauptverfahrens; Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung 14., 15., 20., 22. und 24.10.2014.
  • 29.04.2014 Haftfortdauerbeschluss des LG mit Hinweis auf Überlastung der Kammer
  • 04.06.2014 Aufhebung der Oktoberhauptverhandlungstermine und neue Hauptverhandlungstermine für den 9., 10., 19. und 22.09.2014.
  • 10.06. 2014 zweiten (Neun-Monats-)Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO
  • 27.06.2014 Verfassungsbeschwerde

Die von der Kammer und dem OLG angeführten Gründe für die zögerliche Behandlung haben das BVerfG nicht überzeugt. Es stellt noch einmal seine ständige Rechtsprechung in diesen Fragen vor und führt dann zur Sache aus:

„II.
Diesen Maßstäben genügen die angegriffenen Beschlüsse nicht. Sie enthalten keine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung für die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft.

1. Bereits die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts verkennt Inhalt und Tragweite der verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Rechtfertigung einer Fortdauer von Untersuchungshaft, indem sie ausschließlich auf die Auslastung der Kammer abstellt. Die Begründung einer Haftfortdauerentscheidung allein durch die Dokumentation des Geschäftsanfalls der großen Strafkammern bei dem Landgericht München I seit dem Jahr 2006 ist in jeder Hinsicht sachfremd. Die geschilderte Personalsituation am Landgericht München I steht in keinem Zusammenhang zu den Erwägungen, die für eine zu treffende Haftfortdauerentscheidung maßgeblich sein dürfen. Die als unzureichend empfundene personelle Ausstattung eines Gerichts vermag eine längere als die verfahrensangemessene Untersuchungshaft eines Beschuldigten in keinem Fall zu rechtfertigen. Kann dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot in Haftsachen nicht Rechnung getragen werden, weil der Staat seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte nicht nachkommt, haben die mit der Haftprüfung betrauten Fachgerichte die verfassungsrechtlich gebotenen Konsequenzen zu ziehen, indem sie die Haftentscheidung aufheben; ansonsten verfehlen sie die ihnen obliegende Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen (vgl. BVerfGK 6, 384 <397>).

2. Auch der im Rahmen der zweiten Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO ergangene Beschluss des Oberlandesgerichts führt keine verfassungsrechtlich trag- fähigen Gründe für die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft an. Das Verfahren ist, unabhängig davon, ob wegen bereits davor eingetretener Eröffnungsreife sogar auf einen früheren Zeitpunkt als auf den 2. April 2014 – dem Datum des Eröffnungsbeschlusses – abzustellen wäre, nicht in der durch das Gewicht des Freiheitseingriffs gebotenen Zügigkeit mit einem Beginn der Hauptverhandlung binnen drei Monaten nach Eröffnung des Hauptverfahrens gefördert worden. Darüber hinaus wird sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des geplanten Beginns der Hauptverhandlung im September 2014 schon deutlich länger als ein Jahr in Untersuchungshaft befunden haben. Vor diesem Hintergrund ist eine Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft nur ausnahmsweise möglich; ihre Fortdauer hätte daher besonders sorgfältig begründet werden müssen.

Indes zeigt der Beschluss keine besonderen – objektiven – Umstände auf, welche die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft ausnahmsweise verfassungsrechtlich hinnehmbar erscheinen lassen könnten. Er wird damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung von Haftfortdauerentscheidungen nicht gerecht.

(a) Die Ausführungen des Oberlandesgerichts, die auf Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes abstellen, die zudem bereits im Jahre 2012 in Kraft getreten sind, lassen von vornherein keinen spezifischen Zusammenhang zu der zu treffenden Haftfortdauerentscheidung erkennen. Eine Änderung der allgemeinen Vorschriften über die Besetzung der großen Strafkammern in § 76 GVG stellt keine Besonderheit eines konkreten Strafverfahrens dar, erst recht keine, die dem Beschwerdeführer zuzurechnen wäre.

(b) Soweit das Oberlandesgericht ausführt, die Fortdauer der Untersuchungshaft sei trotz ihrer langen Dauer deswegen nicht zu beanstanden, weil das Präsidium des Landgerichts München I im Rahmen seiner Möglichkeiten auf die sich zuspitzende Belastungssituation der Jugendkammer reagiert habe, stellt dies ebenfalls keinen verfassungsrechtlich tragfähigen Grund für die Haftfortdauer dar. Allenfalls kurzfristige, unvermeidbare und unvorhersehbare Belastungssituationen eines Gerichts wären im Einzelfall geeignet, eine Verzögerung in der Verfahrensförderung zu rechtfertigen. Diese Voraussetzungen lassen sich dem Beschluss des Oberlandesgerichts jedoch nicht entnehmen. Seine Ausführungen sprechen vielmehr dafür, dass sich die Überlastungssituation schon über längere Zeit aufgebaut hat. Eine solche Überlastung des Gerichts fällt in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft; sie ist dem Beschwerdeführer in keinem Fall zuzurechnen.

(c) Auch auf die Schwere der Tat kann hier für die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht abgestellt werden. Es hätte einer eingehenden Begründung bedurft, inwieweit allein die Schwere des Tatvorwurfes im vorliegenden Fall eine deutlich längere Verfahrens- und damit auch Untersuchungshaftdauer erfordert, die das Oberlandesgericht indes vermissen lässt. Dies gilt umso mehr, als es sich ersichtlich um einen insgesamt einfach gelagerten Fall handelt. Infolge des weitgehenden Geständnisses des Beschwerdeführers ist der Sachverhalt, abgesehen von Randfragen und der Feststellung seiner Schuldfähigkeit durch ein in der Hauptverhandlung zu erstattendes Sachverständigengutachten, im Wesentlichen bereits geklärt. Es ist nicht erkennbar, dass umfangreiche Beweiserhebungen zu erwarten sind; entsprechende Anträge hat der Beschwerdeführer jedenfalls bislang nicht gestellt.“

Das nennt man dann in Bayern wohl eine „Watschn“, natürlich auch gegen die Kammer und gegen das OLG. Dass man etwas „sachfremd“ begründet habe, liest man als Richter nicht gern, und schon gar nicht in einer Entscheidung des BVerfG. Eine viel größere „Watschn“ ist der Beschluss aber mal wieder für die Politik, die der Justiz einfach nicht die zur Bewältigung ihrer Aufgaben erforderlichen Sachmittel zur Verfügung stellt. Wenn die Sache dann aber beim BVerfG angekommen ist, kneift man! Denn der Beschluss führt aus:

Das Bayerische Staatsministerium für Justiz hat von einer Stellungnahme abgesehen.“

Peinlich und feige, LG und OLG dann alleine zu lassen. Da lobe ich mir doch den GBA. Der hatte die Zeichen der Zeit erkannt. Denn:

„Der Generalbundesanwalt vertritt in seiner Stellungnahme die Auffassung, der Verfassungsbeschwerde könne der Erfolg nicht versagt werden. Es fehle an einer tragfähigen Begründung für die Fortdauer der Untersuchungshaft.“

Das OLG dann allerdings auch. Denn nach den Berichten in der Tagespresse ist der Angeklagte frei gelassen worden. Das wollte man sich dann doch nicht antun. Das nämlich ggf. das BVerfG selbst den Angeklagten hätte frei lassen müssen. Denn das wäre gewesen: Schlimmer geht nimmer.

Nettostraferwartung – darauf kommt es an

entnommen wikimedia.org Urheber Robb at de.wikipedia

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Nichts wesentlich Neues bringt der OLG Frankfurt, Beschl. v. 03.01.2014 – 1 Ws 206/13. Eines Hinweises wert ist die Entscheidung aber deshalb, weil sie die bei der Anordnung und Aufrechterhaltung eines Haftbefehls für die Beurteilung der Fluchtgefahr zu beachtenden Umstände noch einmal ins Gedächtnis ruft (vgl. dazu eingehend Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Aufl., 2013, Rn. 2557 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung). Dabei ist die Straferwartung ein (maßgebliches) Kriterium, aber sie allein kann die Fluchtgefahr i.d.R. nicht begründen. Daneben sind auch alle anderen Umstände von Bedeutung und abzuwägen, wie z.B. in der Entscheidung das hohe Alter der Angeklagte. Und das OLG weist eben noch einmal darauf hin, dass bei der Ermittlung der vom Beschuldigten/Angeklagten noch zu erwartenden Strafe von der sog. Nettostraferwartung auszugehen ist:

„Auch der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, auf welchen die Strafkammer die Aufrechterhaltung des Haftbefehls stützt, liegt nicht mehr vor. Fluchtgefahr besteht, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde (vgl. Meyer-Goßner a. a. O., § 112 Rdnr. 17). Die nichtrechtskräftige Verurteilung der Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten bietet aber unter Anrechnung der bisher – vom 14.09.2011 bis zum 12.11.2013 – erlittenen Untersuchungshaft von ca. 26 Monaten sowie der nach dem Urteil vom 12.11.2013 anzurechnenden Auslieferungshaftzeiten – vom 16.01.2000 bis zum 22.03.2000 und vom 30.10.2007 bis zum 28.11.2007 – von insgesamt ca. 3 Monaten keinen erheblichen Anreiz mehr, sich dem weiteren Fortgang des Strafverfahrens einschließlich der Strafvollstreckung nicht zur Verfügung zu halten. Bei der Frage der Straferwartung kommt es auf den tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzug an; zu berücksichtigen ist daher, dass die Untersuchungshaft angerechnet wird und ob die Angeklagte mit einer Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung nach § 57 StGB rechnen kann (vgl. Meyer-Goßner a. a. O. Rdnr. 23 m. w. N.). Maßgeblich für die Bewertung des Fluchtanreizes ist damit die Netto-Straferwartung. Die Angeklagte hat aber vorliegend keine weitere Strafvollstreckung mehr zu erwarten. Aufgrund der bisher erlittenen Untersuchungs- und Auslieferungshaft, welche anzurechnen sind hat die Angeklagte bereits ca. 2 Jahre und 5 Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe verbüßt, so dass lediglich noch ca. 1 Jahr und 1 Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe offen stehen. Diese sind nach derzeitigem Sachstand aber bei der Nettostraferwartung nicht zu berücksichtigen, da die Angeklagte hiernach mit einer Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB rechnen kann. Der hiermit maßgebliche 2/3-Zeitpunkt – welcher bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten nach einer Verbüßung von 2 Jahren und 4 Monaten erreicht ist – bezogen auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ist aber bereits um einen Monat überschritten. Es ist derzeit auch nicht ersichtlich, dass die zwischenzeitlich fast 80 Jahre alte Angeklagte – hinsichtlich derer bei der Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB auch zu berücksichtigen sein wird, dass die letzte ihr vorgeworfene Tat vom …19… (Tat zu Ziffer 4. der Anklageschrift vom 24.10.2011) bereits über 35 Jahre zurückliegt – nicht mit einer Reststrafenaussetzung rechnen könnte. Auch die in der Anklageschrift aufgeführte Verurteilung in Land1 im Jahre 19… wegen des Besitzes von Kriegswaffen und Sprengstoff (Tatzeit August 197…) rechtfertigt insoweit keine maßgeblich abweichende Bewertung. In Deutschland ist die Angeklagte nicht vorbestraft.“

Inhaftierter Beschuldigter? = Immer Pflichtverteidiger

© chris52 - Fotolia.com

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Im Jahr 2009 ist die Vorschrift des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO in die StPO eingefügt worden. Sie soll die notwendige Verteidigung des inhaftierten Beschuldigten sicher stellen. Diesem ist ein Pflichtverteidiger beizuordnen. Schon bald nach In krafttreten der Neuregelung haben sich Streitfragen bei der Auslegung der Vorschrift aufgetan. Dazu gehört(e) u.a. die Fragen, ob dem Beschuldigten auch dann ein notwendiger Verteidiger beigeordnet werden muss, wenn er sich nicht im zu verhandelnden Verfahren, sondern in einem anderen Verfahren inhaftiert ist. Vom Sinn und Zweck der Vorschrift her liegt m.E. die Antwort auf der Hand. Ja, es muss. Und so sieht es auch die obergerichtliche Rechtsprechung, wie z.B. das OLG Hamm in dem schon etwas älteren OLG Hamm, Beschl. v. 03.09.2013 – 4 RVs 111/13 – auf den ich erst jetzt gestoßen bin:

„..Gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, wenn gegen den Angeklagten – wie vorliegend – während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112 a StPO vollstreckt wird. Dabei ist die Vorschrift nach zutreffender obergerichtlicher Rechtsprechung (zu vgl. OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 22.04.2010 – 3 Ws 351/10 -, zit. nach […]; Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflg., § 140 StPO Rdnr. 14 m.w.N.) dahingehend zu verstehen, dass sie nur dann gilt, wenn Untersuchungshaft tatsächlich vollstreckt wird, dann aber für alle gegen den Angeklagten geführten Strafverfahren, ohne dass es darauf ankommt, in welchem die Untersuchungshaft vollzogen wird (zu vgl. Meyer-Goßner a.a.O). Insofern ist es unerheblich, dass der Angeklagte sich nicht für das vorliegende Verfahren, sondern ein gesondertes Strafverfahren in Untersuchungshaft befand. Das Amtsgericht wäre auch bereits vor Beginn der Hauptverhandlung am 29.01.2013 gehalten gewesen, die Bestellung eines notwendigen Verteidigers vorzunehmen, da dies nach Bekanntwerden der Inhaftierung unverzüglich zu erfolgen hat (§ 141 Abs. 3 S. 4 StPO) und mithin vorliegend zeitnah nach dem 09.01.2013 hätte erfolgen können und müssen…“

Wiederholungsgefahr – wann? Bei 1.000 € oder mehr oder immer?

© Andy Dean - Fotolia.com

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Der (subsidiäre) Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist in der Praxis unbeliebt, wird von den Gerichten aber „gern“ genommen. Daher heute mal ein Posting zu zwei Entscheidungen zur Frage, wann eine erhebliche Straftat im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO vorliegt. Gegensätzlicher kann man die Rechtsfrage kaum beantworten, als es einerseits das OLG Celle im OLG Celle, Beschl v. 19.12.2013 – 1 Ws 561/13, bzw. andererseits das LG Bremen im LG Bremen, Beschl. v. 27.02.2012 – 41 Qs 275/12 (350 Js 9657/12), der mir erst jetzt übersandt worden ist, tun.

Es geht um die Frage: Ist ein Einbruchdiebstahl (§ 243 StGB) eine erhebliche Tat, ggf. immer oder ggf. unter welchen Voraussetzungen?

Dazu sagt das OLG Celle:

„1. Zwar wird von der Rechtsprechung zu weiten Teilen angenommen, die Erheblichkeit im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO fehle bei einer Schadenssumme von weniger als 2.000 Euro (so etwa OLG Sachsen-Anhalt, StV 2012, 353; OLG Hamm, StV 2011, 291;  ThürOLG StV 2009, 251; OLG Oldenburg, StV 2005, 618; a.A.: KG OLGSt StPO § 112a Nr. 4). Dies gilt aber nicht stets und auch nicht uneingeschränkt. Die Höhe des durch die Tat entstandenen bzw. zu befürchtenden Schadens ist zwar ein wesentliches, indessen lediglich eines von mehreren in Betracht kommenden Kriterien für die Würdigung, ob eine Tat erheblich in diesem Sinne ist (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juni 2013 ? 1 Ws 218/13). Den maßgeblichen Entscheidungen lagen Straftaten des Betrugs oder des Diebstahls nach § 243 StGB zugrunde. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist indessen ein Wohnungseinbruchdiebstahl nach Maßgabe von § 244 StGB, bei dem ein die Rechtsordnung in erheblichem Maße beeinträchtigendes Geschehen sich nicht allein am Wert des schließlich erlangten Diebesgutes bemisst. Denn zum einen hängt es letztlich vom Zufall und von den konkreten, im Vornherein indessen nicht absehbaren Umständen ab, wie hoch die Beute schließlich ausfällt, und zum anderen tritt in nicht unbedeutendem Maße hinzu, dass die Rechtsordnung zumindest aus Sicht der betroffenen Be- und auch Anwohner bei unbefugtem Einsteigen in einen Wohnraum – vor allem auch psychisch – in ganz erheblicher Weise beeinträchtigt wird. Der Wert des erlangten Diebesgutes ist nach aller kriminologischer Erfahrung hierbei regelmäßig nachrangig. Derartige Taten sind sowohl vom Unrechtsgehalt als auch von der aufgewendeten kriminellen Energie mit sonstigen Vermögenstaten nicht zu vergleichen. Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung und deren „Gefühl der Geborgenheit im Recht“ (Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 56. Aufl. § 112a Rn. 9) werden gerade bei Serieneinbruchstaten ungleich mehr beeinträchtigt. Demnach sind Amts- und Landgericht auch vor dem Hintergrund, dass die Vorschrift des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als vorbeugende Schutzmaßnahme eher restriktiv auszulegen ist (BVerfGE 19, 342), völlig zutreffend von der Erheblichkeit im Sinne von § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO ausgegangen. Hinzu kommt, dass der Angeschuldigte bei früheren bzw. weiteren Taten des Wohnungseinbruchs Diebesgut auch im Wert von jeweils deutlich mehr als 2.000 Euro erbeutet hatte. Dass das Urteil vom 12. November 2013 nicht rechtskräftig ist, steht dem bei der Prüfung von Untersuchungshaft nicht entgegen. Die Besorgnis weiterer erheblicher Taten steht hiernach nicht in Frage.

Demgegenüber das LG Bremen:

c) Die am 05.05.2012 ab 21.19 Uhr in der in Bremerhaven begangene Tat zu Lasten des Geschädigter pp, derer der Beschuldigte dringend tatverdächtig ist, ist keine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Tat gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Da die Katalogtaten nach § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO von generell schwerwiegender Natur sind, können nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes bzw. solche, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen, als Anlasstaten in Betracht kommen (OLG Jena StV 2009, 251). Maßgeblich für die Beurteilung sind insbesondere Art und Umfang des jeweiligen angerichteten Schadens (BVerfG, NJW 1973, 1363). Dabei ist jede der wiederholt begangenen Taten separat zu betrachten (OLG Hamm StV 2011, 291 m.w.N.). Ein Schaden von bis zu 1.000,- wird dabei noch nicht als überdurchschnittlich schwer eingestuft (OLG Jena StV 2009, 251; OLG Hamm StV 2011, 291; OLG Frankfurt StV 2010, 583). Bei der Tat wurde keine Beute erlangt, der durch die Sachbeschädigungen eingetretene Schaden erreicht 1.000,- realistischerweise nicht. Mangels überdurchschnittlichen Schadens ist eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung nicht gegeben. Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass die Tat von einer Bande begangen wurde, die in Verdacht steht, in und um Bremerhaven vergleichbare Taten begangen zu haben.

Haft II: Auch Richter dürfen Urlaub machen, aber sonst bitte mehr als ein HV-Tag/Woche

HaftraumEbenfalls eine „klassische“ Verfahrenskonstellation behandelt der KG, Beschl. v. 29.06.2013 –  4 Ws 92/13 (vgl. zu klassischen Haftfragen zuletzt das Posting Haft I: Keine Doppelakten – kein Haftbefehl). Da hatte das LG dem Angeklagten Haftverschonung gewährt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das KG verworfen. Begründung: Die Außervollzugsetzung war aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geboten.

„b) Darüber hinaus ist die Haftverschonung mittlerweile auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit veranlasst. Die Hauptverhandlung ist unter Berücksichtigung der von Verfassungs wegen zu beachtenden Anforderungen (vgl. nur BVerfG StV 2008, 198) – bei objektiver Betrachtung, bei der es auf eine wie auch immer geartete Vorwerfbarkeit oder ein Verschulden nicht ankommt, sondern allein zu prüfen ist, ob eine Verfahrensverzögerung der Sphäre des Staates zuzurechnen ist oder nicht (vgl. BVerfG NJW 2006, 672, 673 f.; StV 2006, 703, 704, 705) – nicht in der gebotenen konzentrierten Form durchgeführt worden.

Anfangs war dies allerdings noch der Fall. Der Senat hat die Fortdauer der Untersuchungshaft im Januar 2013 (auch) mit Blick darauf angeordnet, dass sich gegen die vorgesehene Gestaltung der Hauptverhandlung (zehn Hauptverhandlungstage in der Zeit vom 8. März bis 19. April 2013) keine Bedenken ergaben. In der Zeit danach kam es jedoch innerhalb eines Zeitraums von 13 Wochen zu lediglich sechs Verhandlungstagen, von denen einer nur eine knappe halbe Stunde und zwei weitere nur zwei Stunden bzw. wenig mehr als zwei Stunden dauerten und damit die Anforderungen an die gewöhnliche Verhandlungsdauer (vgl. dazu etwa BVerfG StraFo 2013, 160 m.w.N.) verfehlten.

Zwar war in den Monaten Mai und Juni ein Teil der Verhandlungspausen durch die Erkrankung eines Gerichtsmitglieds veranlasst und müssen auch Berufsrichter (wie auch weitere notwendige Verfahrensbeteiligte) nicht auf ihren Erholungsurlaub, der hier im Juli zu einer Verhandlungspause von drei Wochen geführt hat, verzichten. Überdies ist das Bestreben der Strafkammer erkennbar und anzuerkennen, ungeachtet ihrer Belastung mit weiteren Verfahren und der überraschenden Konfrontation mit neuen Beweismitteln durch die Staatsanwaltschaft die Hauptverhandlung in möglichst konzentrierten Form fortzusetzen, wobei allerdings in der bereits geplanten Zeit bis zum 19. September 2013 eine Hauptverhandlungsdichte von durchschnittlich mehr als einem ganztägigen Termin in der Woche nur knapp erreicht werden und somit ein Ausgleich für bereits eingetretene Verzögerungen nicht möglich sein wird. Soweit es die Belastung des Gerichts mit anderen umfangreichen Verfahren angeht, die einer bestmöglichen Verfahrenförderung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG entgegenstand und -steht, wirkt sich dieser Gesichtspunkt, der Folge der gegebenen Ausstattung der Justiz mit personellen und sächlichen Mitteln ist, aber nicht zu Lasten des Angeklagten aus (vgl. nur BVerfG NJW 2006, 668, 671 m.w.N.). Hinzu kommt, dass in Fällen schon länger andauernder Untersuchungshaft die Anforderungen an die Verfahrensförderung im Regelfall besonders hoch sind; hier können schon kleinere Verzögerungen die Annahme eines Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das hinsichtlich seiner begrenzenden Wirkung auf die Dauer der Untersuchungshaft zugleich im Zusammenhang mit dem Beschleunigungsgebot steht (vgl. BVerfG NJW 2006, 1336, 1337), begründen (vgl. hierzu BVerfG NJW 2006, 677, 679; StV 2006, 703, 704). In derartigen Fällen ist die Fortdauer der Untersuchungshaft bei Verzögerungen, die der staatlich verfassten Gemeinschaft zuzurechnen sind, jedenfalls für Angeklagte, die nicht ihrerseits durch unangemessenes Prozessverhalten vermeidbare Verzögerungen verursachen, nicht mehr vertretbar.“

M.E. hätte das LG sogar noch weiter gehen müssen. Denn ist der Haftbefehl nicht mehr verhältnismäßig, stellt sich immer auch die Frage, ober er überhaupt aufrecht erhalten werden darf. M.E. nicht. Das hatte das KG aber hier aufgrund der Verfahrenslage – Beschwerde der StA – nicht zu prüfen.