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OWi I: Bekanntes zum Umfang der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, oder: „Nostalgie“

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Im Moment gibt es nicht so viele OWi-Entscheidungen, über die zu berichten wäre. Heute habe ich aber mal wieder drei aus straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren. Es sind alles AG-Entscheidungen.

Den Opener macht der AG Rudolstadt, Beschl. v. 25.03.2021 – 1 OWi 98/21. Es geht noch einmal/mal wieder um den Umfang der Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, und zwar:

„Dem Betroffenen eines Bußgeldverfahrens steht ein umfassendes Akteneinsichtsrecht zu, das in der Regel gemäß § 147 StPO i,V.m. 46 Abs. 1 OWiG über seinen Verteidiger ausgeübt wird. Dieses Recht ist, sofern die Ermittlungen förmlich abgeschlossen sind (§§ 169 a, 147 Abs. 2 StPO i.V.m. 46 Abs. 2, 61 OWiG9, zwar nach Ort, Zeitpunkt und Dauer der Einsichtnahme modifizier-bar, hinsichtlich seines Umfanges aber weder eingeschränkt, noch beschränkbar (Bundesverfassungsgericht Entscheid 62, 338).

Das Einsichtsrecht erstreckt sich aber nicht nur auf sämtliche Unterlagen der Verwaltungsbehörde, die zu den Akten genommen worden sind, auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, sondern auch auf alle sonstigen verfahrensbezogenen Vorgänge, die möglicherweise bedeutsam für das Verfahren sind. Dazu gehört unter anderem auch die zum Zeitpunkt der Messung gültige Version der Bedienungsanleitung (unter anderem: AG Bad Kissingen, Beschluss vom 06,07.2006, 3 OWi 17 Js 7100/06; LG Ellwangen, Beschluss vom 14.12,2009 1 Qs 166/09; AG Herford, Beschluss vom 20,09.2010, AG Ellwangen, am angegebenen Ort; 11 OWi, 624/10, AG Heidelberg, Beschluss vom 31.10.2011, 3 OWi 510 Js 22198/11; AG Lüdinghausen, Beschluss vom 09.02.2012, 19 OWi 10/20; AG Cottbus, 14.09.2012, 83 OWi 1122/12; AG Jena, 03.08.2018, 3 OWi 1194/18, etc.)

Die Bedienungsanleitung ist notwendig, um den gegebenenfalls als Zeugen zu befragenden Messbeamten sachgerecht zur ordnungsgemäßen Durchführung der Messung befragen zu können. Auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit kann die Einsicht in die Bedienungsanleitung des Messgerätes nicht versagt werden. Zum Einen kommt es für die Erfüllung des Akteneinsichtsrechts als Konkretisierung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Rechts auf ein faires Verfahren nicht auf die Frage der Zumutbarkeit für die Verwaltungsbehörde an, zum Andren dürfte die Bedienungsanleitung als Computerdatei vorliegen und deshalb problemlos an den Verteidiger übersandt werden können (vergleiche auch Burhoff VRR 7/2011).

Das Urheberrecht steht der Beifügung einer Kopie der Bedienungsanleitung – ggf. als Computerdatei – nicht entgegen. Die Bedienungsanleitung für ein Messgerät beschreibt lediglich die vorgegebenen technischen Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise und ist deshalb keine eigenständige geistige Schöpfung des Autors (vergleiche: Ellwangen, VRR 2011, 117; AG Ellwangen NZV 2011, 362). Als Bestandteil der Akte ist auch offensichtlich, dass die überlassenen Unterlagen nur auf das vorliegende Verfahren verwandt und insbesondere nicht anderweitig veröffentlicht werden dürfen. So auch das AG Lüdinghausen, Beschluss vom 21.12.2015 zu dem Aktenzeichen: 19 OWi 227/15. Danach kann die Bedienungsanleitung ohne Verletzung des Urheberrechts Verteidigern im Wege der Akteneinsicht zur Verfügung gestellt werden und muss dies auch. Sinn der Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung ist bekanntermaßen die von allen Verfahrensbeteiligten vorzunehmende Prüfung der Messung anhand der Bedienungsanleitung. Hierfür ist es vor allem erforderlich, dass die Bedienungsanleitung bei Bedarf stets für den Prüfenden zur Hand ist. So ist es insbesondere für den Verteidiger wichtig, sich in der Sitzung -bei Bedarf auch ohne Onlinezugang- mit einer in Papierform vorhandenen Bedienungsanleitung zu versehen, um Messungen zu überprüfen.“

Ist ein wenig nostalgisch der Beschluss. Nicht weil er vom 25.03.2021 stammt, also schon ein wenig älter ist, sondern wegen der Thematik und auch der dazu vom AG angeführten Belegstellen. Über die ist die Zeit und die Rechtsprechung inzwischen hinweg gegangen. Aber: Man sieht an dem Beschluss und den Zitaten, wie lange die Fragen die Rechtsprechung schon beschäftigen.

StPO II: Ausschluss der Öffentlichkeit, oder: Wird die Entbindung der Schweigepflicht umfasst?

entnommen wikimedia.org
Urhber: Hichhich – Eigenes Werk

Die zweite StPO-Entscheidung kommt auch vom 4. Strafsenat des BGH. Der hat im BGH, Beschl. v. 17.11.2020 – 4 StR 223/20 – zu einer Frage in Zusammenhang mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit Stellung genommen. Der Angeklagte ist u.a. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen verurteilt worden. Dagegen die Revision, mit der ein Verstoß gege § 171b Abs. 1 GVG geltend gemacht wird, hat keinen Erfolg:

„1. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.

a) Auf die Beanstandung, der von der Strafkammer für den Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Zeugenvernehmung der Ehefrau des Angeklagten angenommene Ausschlussgrund des § 171b Abs. 1 GVG habe tatsächlich nicht vorgelegen, kann die Revision nicht gestützt werden. Denn die gerichtliche Entscheidung, ob die in § 171b Abs. 1 GVG normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Einzelfall vorliegen, ist nach § 171b Abs. 5 GVG unanfechtbar und daher gemäß der Regelung des § 336 Satz 2 StPO der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273, 275; Beschluss vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 268/06, NJW 2007, 709; vgl. Wickern in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 171b GVG Rn. 25). Dem Revisionsgericht ist insoweit eine inhaltliche Überprüfung der Begründung der Ausschließungsentscheidung verwehrt.

b) Die Verfahrensrüge, mit welcher – nach der Klarstellung des Verteidigers in seiner Gegenerklärung zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts – geltend gemacht wird, die durch die Nebenklägerin erklärte Entbindung von der Schweigepflicht hätte der unter Ausschluss der Öffentlichkeit als Zeugin vernommenen Psychotherapeutin in öffentlicher Sitzung mitgeteilt werden müssen, ist unbegründet. Der für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen angeordnete Ausschluss der Öffentlichkeit umfasst alle Verfahrensvorgänge, die . wie etwa die Belehrung des Zeugen, die Verhandlung über seine Entlassung und Vereidigung sowie die Entlassung oder Vereidigung des Zeugen selbst . mit der Vernehmung in enger Verbindung stehen oder sich aus ihr entwickeln und die daher zu diesem Verfahrensabschnitt gehören (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. November 2015 – 5 StR 467/15, NStZ 2016, 118 mwN; vom 20. September 2005 – 3 StR 214/05, NStZ 2006, 117; Urteile vom 14. Mai 1996 – 1 StR 51/96, NJW 1996, 2363; vom 17. Dezember 1987 – 4 StR 614/87, BGHR GVG § 171b Abs. 1 Augenschein 1; vom 10. Juli 1984 –  5 StR 246/84, bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1985, 204, 206; vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 172 GVG Rn. 17 mwN). Zu den in engem Zusammenhang mit der Zeugenvernehmung stehenden Verfahrensvorgängen gehört auch die Information des Zeugen über eine vorliegende Entbindung von seiner Schweigepflicht. Für die Mitteilung der Schweigepflichtsentbindung hat es daher entgegen der Ansicht der Revision keiner Wiederherstellung der Öffentlichkeit bedurft.“

StPO III: Werden von der Mitteilungspflicht auch Erörterungen in anderen Verfahren umfasst?, oder: Offensichtlich unbegründet?

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Und zum Schluss dann der KG, Beschl. v. 25.04.2019 – (3) 161 Ss 42/19 (27/19) . In ihm nimmt das KG zur Mitteilungspflicht (§ 243 Abs. 4 StPO) – also auch „Verständigung“ – betreffend Erörterungen, die vor Hinzuverbindung der Sache in der Hauptverhandlung vor einer anderen Strafkammer geführt wurden, Stellung. Das KG stellt die Frage, ob auch insoweit eine Mitteilungspflicht besteht. Und: Es lässt die Frage offen, neigt aber wohl dazu, sie zu verneinen:

c) Die Verfahrensrüge greift jedoch in der Sache nicht durch.

aa) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO sind Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO mitzuteilen, die außerhalb der Hauptverhandlung stattgefunden haben und deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist. Im Berufungsverfahren ergibt sich die Anwendbarkeit dieser Regelungen aus § 332 StPO.

Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO sind gegeben, wenn bei im Vorfeld (oder neben) der Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen, also jedenfalls dann, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt (vgl. BGH NStZ 2016, 221 m.w.N.). Dabei ist unerheblich, ob diese Gespräche tatsächlich zu einer Verständigung geführt haben oder ergebnislos verlaufen sind (BGH NJW 2014, 3385). Gemessen daran handelt es sich bei den am 16. November 2018 vor der Hauptverhandlung geführten Gesprächen um derartige mitteilungspflichtige Erörterungen, weil das Einlassungsverhalten des Angeklagten mit Überlegungen zu einer konkreten Rechtsfolge (der Strafaussetzung zur Bewährung) verknüpft wurde (vgl. BGH NStZ 2017, 596). Denn Ziel dieses Gespräches war es, das Verfahren in diesem Termin zu erledigen. Ergänzend kann berücksichtigt werden, dass auch der an den Gesprächen beteiligte Vorsitzende Richter der 61. kleinen Strafkammer die Erörterungen als auf eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO gerichtet angesehen und vor diesem Hintergrund hierüber zu Beginn der Hauptverhandlung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO Mitteilung gemacht hat.

bb) Es ist aber zweifelhaft, ob die Vorsitzende der 71. kleinen Strafkammer eine Pflicht zur Mitteilung über den Inhalt des vor der Verfahrensübernahme und ?verbindung vor der 61. kleinen Strafkammer geführten Erörterungsgespräches traf.

Obergerichtliche Entscheidungen zu der Frage, ob Erörterungsgespräche, die vor einer Verfahrensübernahme und –verbindung vor einem anderen Spruchkörper geführt wurden, der Mitteilungspflicht unterliegen, sind – soweit ersichtlich – bisher nicht ergangen.

Anerkannt ist die Pflicht zur Mitteilung der vorausgegangenen Erörterungsgespräche nach erfolgter Neubesetzung der zur Entscheidung berufenen Strafkammer (vgl. BGH NJW 2014, 3385; für den Richterwechsel aufgrund erfolgreicher Besetzungsrüge: BGH NStZ 2016, 221). Der Bundesgerichtshof begründet dies mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes in Gestalt der notwendigen Information der Öffentlichkeit sowie des Angeklagten, um einerseits eine wirksame Kontrolle der Verständigungen durch die Öffentlichkeit zu ermöglichen und andererseits dem Angeklagten zu ermöglichen, Verteidigungsentscheidungen auf der Grundlage umfassender Informationen über – in der Regel in seiner Abwesenheit geführte – Erörterungsgespräche zu treffen. Mit diesem Schutzzweck sei es unvereinbar, in dem Umstand, dass sich die Besetzung einer Strafkammer zwischen dem Erörterungsgespräch und der Hauptverhandlung ändere, was kein seltener Vorgang sei, einen Grund für den Ausschluss der Mitteilungspflicht zu sehen (vgl. BGH NStZ 2016, 221). In gleicher Weise mitzuteilen sind Gespräche, die außerhalb einer anderen, später ausgesetzten Hauptverhandlung stattgefunden haben (vgl. BGH NStZ 2016, 221). Ob nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht eine Pflicht des Vorsitzenden des nunmehr zuständigen Tatgerichts besteht, Erörterungsgespräche, die ein im ersten Rechtsgang zuständiges Tatgericht durchgeführt hat, gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO mitzuteilen, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen (vgl. BGH NStZ 2016, 357). Das Oberlandesgericht Hamburg hat eine solche Pflicht abgelehnt (vgl. OLG Hamburg NStZ 2016, 182). In ähnlicher Weise entschied das Oberlandesgericht Saarbrücken, dass Erörterungen des erstinstanzlichen Gerichts nicht der Mitteilungspflicht des Berufungsgerichts unterliegen (vgl. OLG Saarbrücken BeckRS 2016, 12266). Den Entscheidungen ist zu entnehmen, dass die Mitteilungspflicht nur den Spruchkörper betrifft, welcher selbst an den Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO beteiligt war. Demnach ist Adressat der Mitteilungspflicht nur das Gericht, welches selbst an der vertragsähnlichen Absprache mit der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft über das bei diesem Spruchkörper anhängige Verfahren beteiligt war.

In diesem Sinne hat auch jüngst das Thüringer Oberlandesgericht entschieden, dass die Mitteilungspflicht auch hinsichtlich solcher Erörterungsgespräche bestehe, die unter Beteiligung des Spruchkörpers stattgefunden hatten, bevor dieser andere Verfahren übernommen und zu seinem Verfahren hinzuverbunden hat (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 6. Dezember 2018 – 1 OLG 121 Ss 70/18 – juris).

Ob dies in gleicher Weise dann zu gelten hat, wenn das Verfahren – wie hier – nach Übernahme und Verbindung vor einem anderen – an den Erörterungsgesprächen nicht beteiligten – Spruchkörper geführt wird, erscheint zweifelhaft. Vielmehr spricht der Umstand, dass in dieser Konstellation die zur Entscheidung berufenen Richter nicht selbst an den Erörterungsgesprächen teilgenommen und vor diesem Hintergrund aus eigener Anschauung zu deren Inhalten keine Angaben machen können, für ein spruchkörperbezogenes Verständnis der Mitteilungspflicht (vgl. KK-StPO/Schneider, StPO 8. Aufl., § 243 Rn. 46). Dieser Sichtweise steht der Gesetzeswortlaut auch nicht entgegen. Danach hätte jeder Spruchkörper jeweils über die unter seiner Beteiligung vorgenommenen Erörterungsgespräche nach § 243 Abs. 4 StPO zu informieren.

Auch wird allen Verfahrensbeteiligten durch die Übernahme des Verfahrens durch eine andere Strafkammer und der – im vorliegenden Fall vom Angeklagten befürworteten – Verfahrensverbindung verdeutlicht, dass nunmehr ein anderer Spruchkörper in der Sache zur Entscheidung berufen ist, der an vorausgegangen Erörterungen nicht beteiligt war. Da Ziel des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ist, informelle und unkontrollierte Absprachen zu verhindern, solche aber erkennbar mit dem nach Verbindung des Verfahrens berufenen Spruchkörper nicht getroffen worden sind, spricht auch dieser Umstand dafür, dass die zuletzt zuständige Vorsitzende keine Mitteilungspflicht traf. Einem insoweit ggf. gleichwohl bestehenden Informationsinteresse des Angeklagten kann im Wege der Akteneinsicht nachgegangen werden.

Ein solches spruchkörperbezogenes Verständnis von der Mitteilungspflicht beschränkt darüber hinaus die Problematik im Zusammenhang mit inhaltlich unzureichenden Aufzeichnungen über Erörterungsgespräche auf die Fälle, in denen die Besetzung des Spruchkörpers in der Zeit zwischen dem Erörterungsgespräch und dem Beginn der Hauptverhandlung wechselt. Denn die Erfüllung der Pflicht zur umfassenden und zutreffenden Mitteilung über Erörterungsgespräche ist immer dann besonders erschwert, wenn die Mitglieder des erkennenden Spruchkörpers an diesen nicht beteiligt waren und die vorliegenden Aufzeichnungen über die Gesprächsinhalte nicht den Anforderungen an die Mitteilung im Sinne des § 243 Abs. 4 StPO genügen. Ein solcher Fall ist auch hier gegeben, nachdem die in der Hauptverhandlung vom 16. November 2018 zu Protokoll genommene Mitteilung über das vor Aufruf zur Hauptverhandlung erfolgte Erörterungsgespräch inhaltlich lückenhaft war und – für sich genommen – der Mitteilungspflicht nicht genügt hätte. Die Mitteilungspflicht umfasst nicht nur die Tatsache, dass es Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO gegeben hat, sondern erstreckt sich auch auf deren wesentlichen Inhalt. Dementsprechend ist im Rahmen der Mitteilung nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO – unabhängig davon, ob eine Verständigung im Sinne des § 257c StPO tatsächlich getroffen wird – insbesondere darzulegen, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertraten und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils stieß (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2018 – 2 StR 417/18 -, juris; NStZ 2017, 363 m.w.N.). Dem wird die Mitteilung des Vorsitzenden der 61. kleinen Strafkammer nicht gerecht, da aus dieser insbesondere nicht hervorgeht, welchen Standpunkt der Vertreter der Staatsanwaltschaft einnahm. Angesichts dessen hätte auch eine Verlesung dieser Angaben einer Mitteilungsplicht nicht Genüge getan. Dieser Umstand hätte im Falle der Annahme einer Mitteilungspflicht der Vorsitzenden der 71. kleinen Strafkammer die Frage aufgeworfen, ob den übernehmenden Spruchkörper eine Pflicht zur Aufklärung des unzureichend aktenkundigen Inhaltes der Erörterungen trifft, deren Erfüllung wegen des schnellen Personalwechsels in den Strafkammern mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein könnte.

cc) Die aufgeworfene Rechtsfrage bedarf indessen vorliegend keiner Entscheidung, da der Senat jedenfalls ausschließen kann, dass das Urteil hierauf beruht….“

In der Sache stimme ich dem KG ja zu, aber zum Verfahren dann doch eine kleine Anmerkung. Das KG verwirft die Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet. Nun ja, da habe ich so meine Bedenken: Ist eine Revision, deren Verwerfung man auf rund neun Seiten begründet, „offensichtlich unbegründet“. M.E.  nicht, denn, wenn ich neun Seiten Begründung brauche, dann ist eben nicht ohne längere Prüfung erkennbar, dass der Rechtsmittel keinen Erfolg haben wird. Was erkennbar ist, liegt auf der Hand: Das KG will nicht nach § 349 Abs. 5 StPO verfahren und in die Hauptverhandlung gehen müssen. Das ist „offensichtlich“, nicht aber die Unbegründetheit der Revision 🙂 .

Gebetsmühle des BGH III: Die Einlassung des Angeklagten im Urteil, oder: Hilferuf in eigener Sache

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Die dritte Entscheidung unter dem Stichwort „Gebetsmühle“ betrifft die Urteilgründe, und zwar deren Umfang und die Darstellung der Einlassung des Angeklagten. Auch dazu nimmt der BGH immer wieder Stellung, hier dann jetzt im BGH, Beschl. v. 6.11.2018 – 4 StR 266/18. In Zusammenhang mit dem u.a. letzten Satz handelt es sich quasi um einen Hilferuf des BGH in eigener Sache:

„2. Mit Blick auf die wörtliche Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten in den schriftlichen Urteilsgründen weist der Senat auf Folgendes hin: Auch wenn sich – wie es hier der Fall war – der Angeklagte bei seiner Einlassung in der Hauptverhandlung der Hilfe seines Verteidigers in der Form bedient, dass der Verteidiger mit seinem Einverständnis oder seiner Billigung für ihn eine schriftlich vorbereitete Erklärung abgibt und das Schriftstück sodann vom Gericht entgegengenommen und – unnötigerweise – als Anlage zum Protokoll der Hauptverhandlung genommen wird, wird der Inhalt der Erklärung nicht im Wege des Urkundenbeweises, sondern als mündliche Äußerung des Angeklagten in die Hauptverhandlung eingeführt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2008 – 3 StR 516/08, NStZ 2009, 282, 283; vom 10. November 2008 – 3 StR 390/08, NStZ 2009, 173; vom 27. Februar 2007 – 3 StR 38/07, NStZ 2007, 349). Die wörtliche Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten birgt vielmehr die Gefahr eines Verstoßes gegen § 261 StPO (vgl. LR/Sander, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 174 [für eine Erklärung des Angeklagten]; BGH, Beschluss vom 22. November 1988 – 1 StR 559/88, BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 15 [für das Schreiben eines Zeugen]; OLG Bamberg, Beschluss vom 29. Mai 2018 – 3 OLG 130 Ss 30/18, juris [für Protokolle über die Vernehmung einer Zeugin]).

Im Übrigen ist das Tatgericht – unabhängig davon, wie die Einlassung des Angeklagten erfolgt ist – gehalten, sie im Urteil tunlichst unter Beschränkung auf ihren wesentlichen Inhalt mitzuteilen.“

Hilferuf des BGH, oder: Bitte keine „überfrachteten Urteilsgründe“

Manchmal tun Tatrichter mir auch ein wenig Leid, wenn es um die Rechtsprechung des BGH geht 🙂 . Denn in dem ein oder anderen Fall, werden sie denken (können): Was will er denn nun eigentlich? Mal meckert er, dass zu wenig geschrieben wird, mal wird – wie im BGH, Beschl. 25.01.2018 – 5 StR 582/17 – dort ganz am Ende – „ergänzend bemerkt“:

„2. Zum Inhalt der Urteilsgründe bemerkt der Senat ergänzend: Verfahrensvorgänge sind im Urteil grundsätzlich nicht zu erörtern. Insbesondere sind Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln von Rechts wegen nicht geboten; zur Vermeidung der Überfrachtung der schriftlichen Urteilsgründe sind sie regelmäßig sogar tunlichst zu unterlassen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11, BGHSt 57, 273 Rn. 17; Beschluss vom 8. Mai 2007 – 1 StR 202/07; MüKo-StPO/Wenske, § 267 Rn. 79 ff.). „

Nun ja, was er will (?), wird m.E. deutlich: Keine überfrachteten Urteilsgründe = er will nicht so viel lesen müssen. Kann man ja auch verstehen.

Und für die LG ist der „Hilferuf“ des BGh letztlich ja auch hilfreich. Denn es gilt ja nicht unbedingt der Satz: Wer schreibt, der bleibt. Denn, wer viel schreibt, kann auch viel Falsches schreiben. 🙂