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1,82 Promille – keine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad

Der Angeklagte war auf dem Fahrrad mit einer BAK von 1,82 ‰ unterwegs. Anklage wegen einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt. Die verneint das LG Dessau, Urt. v. 22.03.2011 -7 Ns 593 Js 21502/10 mit einer interessanten Argumentation:

Eine vorsätzliche Begehensweise konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Zwar spricht die bei dem Angeklagten festgestellte hohe Blutalkoholkonzentration dafür, dass er sich der Möglichkeit seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bewusst gewesen sein könnte. Allerdings kann nicht allein aufgrund des Blutalkoholgehaltes auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden. Vielmehr müssen hierfür weitere Indizien herangezogen werden. Vorliegend haben sich jedoch keine weiteren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat. Er ist bisher weder strafrechtlich in Erscheinung getreten, noch durch besonders vorsichtige Fahrweise oder das Benutzen von Schleichwegen aufgefallen. Stattdessen ist er vom Stadtfest aus kommend mit seinem Fahrrad – und nicht mit einem PKW — eine gut beleuchtete Durchgangsstraße entlanggefahren. Dabei fuhr er in Schlangenlinien direkt auf den deutlich sichtbaren, am Straßenrand stehenden Polizeiwagen zu, anstatt vom Fahrrad abzusteigen oder umzudrehen. Zudem trat er gegenüber den Polizeibeamten nicht schuldbewusst oder reumütig auf; sondern wirkte eher aufgebracht. Aufgrund dieser Umstände ist die Kammer trotz des hohen Blutalkoholgehaltes davon ausgegangen, dass der Angeklagte lediglich fahrlässig und nicht vorsätzlich gehandelt hat.“

Den Angeklagten „rettet“ also seine Fahrweise und sein Auftreten :-). Wegen der 1,82 ‰ kommt das dicke Ende dann aber noch an anderer Stelle.

„Die Erfahrung und die „empfindliche Nase“ eines Polizeibeamten…

… reichen zur Feststellung einer bestimmten Menge von Alkohol im Blut des Angeklagten nicht aus.“ Darauf weist das OLG Hamm in seinem Beschl. v. 12.10.2010 – III 3 RVs 49/10, über den ich gerade in Zusammengang mit der verfahrensrechtlichen Problematik bereits berichtet habe (vgl. hier), hin.

Man fragt sich schon: Was ist denn eigentliche eine „empfindliche Nase“?

Spricht die weisungswidrige Weiterfahrt bei einer Verkehrskontrolle für relative Fahruntüchtigkeit des Fahrers?

Im Rahmen der Verteidigung gegen den Vorwurf der Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) ist eine Möglichkeit, bei der sog. Ausfallerscheinung anzusetzen.

So auch der Verteidiger in dem vom Beschl. des OLG Köln v. 03.08.2010  1 RVs 142/10. Dort hatte der Angeklagte bei einer Verkehrskontrolle das (Ein)Weisungszeichen des kontrollierenden Polizeibeamten missachtet und war „unbeirrt“ weitergefahren. Das AG hatte das als Ausfallerscheinung gewertet. Das OLG Köln sagt: Die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Kraftfahrzeugführer den Zeichen der Polizei zum Einfahren in eine Verkehrskontrollstelle nicht Folge leistet und weiterfährt. Das OLG hat dann die Beweiswürdigung des AG zu den Umständen, die im Zusammenhang mit der festgestellten BAK von 0,67 ‰ eine alkoholbedingte (relative) Fahruntüchtigkeit des Angeklagten belegen sollten, als rechtsfehlerhaft beanstandet. Das AG habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob der Angeklagte die Kontrollstelle nicht ganz bewusst „umfahren“ wollte, um dadurch etwaigen Fragen und Tests der Polizeibeamten hinsichtlich einer Alkoholisierung zu entgehen. Hätte das AG diese Fragestellung verneint, dann hätte es näherer Erörterungen dazu bedurft, ob die gesamte – sich aus den Feststellungen ergebende -Verkehrssituation nicht so komplex war, dass sie vom Angeklagten auch im nüchternen Zustand nicht gemeistert worden wäre. Darauf hätte dann die Annahme relativer Fahruntüchtigkeit gestützt werden können (vgl. dazu schon OLG Köln VRS 100, 123 m.w.N., Fischer, StGB, 57. Aufl., § 316 Rn. 34).

Und täglich grüßt das Murmeltier – einige AG lernen es einfach nicht….

An sich sollte es sich inzwischen auch bei den AG herumgesprochen haben: Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach derjenige, der eine erhebliche Menge Alkohol getrunken hat, seine Fahruntüchtigkeit kennt. Deshalb kann auch bei einem weit über der Grenze zur absoluten Fahruntüch­tigkeit liegenden Blutalkoholgehalt nicht ohne das Hinzutreten weiterer Umstände auf ein vorsätzliches Handeln geschlossen werden, auch wenn dieses nahe liegen mag, so dass allein mit der Begründung nicht eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB erfolgen kann. Das wiederholen die OLG gebetsmühelnartig (so z.B. zuletzt das OLG Stuttgart im Beschl. v. 04.05.2010 – 5 Ss 198/10); die AG scheint es aber nicht weiter zu stören. Folge: Die Revisionen sind dann ein Selbstläufer…

Folgen einer Trunkenheitsfahrt – Verurteilter darf nicht (Zeit)Soldat werden

Das VG Koblenz teilt in seiner PM Nr. 12/2010 gerade mit, dass nach einem Urteil des VG Koblenz v. 14.0.4.2010 -2 K 1319/09.KO ein zum Elektroniker ausgebildeter Soldat wegen einer Fahrt unter Alkoholeinfluss derzeit keinen Anspruch auf eine Ernennung zum Soldaten auf Zeit habe. In der PM heißt es zum Sachverhalt und zu den Entscheidungsgründen:

Das Zentrum für Nachwuchsgewinnung West berief den 1988 geborenen Kläger auf dessen Antrag zu einer im April 2009 beginnenden viermonatigen Eignungsübung in die Bundeswehr ein. Nachdem das Amtsgericht Koblenz dem Kläger wegen des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt im Juni 2009 und hierdurch bedingt einer Gefährdung des Straßenverkehrs sowie eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen hatte, beurteilte die zuständige Stelle der Bundeswehr den Kläger als nicht geeignet für eine Übernahme in das Soldatenverhältnis auf Zeit. Hiergegen legte der Kläger Beschwerde ein und wies darauf hin, dass bei ihm lediglich eine Blutalkoholkonzentration von 0,62 ‰ festgestellt worden sei. Zu dem Unfall sei es durch eine Unachtsamkeit gekommen. Er sei auf einen Grünstreifen geraten und ins Rutschen gekommen. Danach habe er unter Schock gestanden und die Unfallstelle verlassen, wobei er sich nicht bewusst gewesen sei, dass die Leitplanke durch den Unfall geschädigt gewesen sei. Die zuständige Stammdienststelle wies die Beschwerde ab. Daraufhin erhob der Kläger gegen die Entscheidung Klage, die ebenfalls erfolglos blieb.

Die Einschätzung der Bundeswehr, dass dem Kläger derzeit für einen Soldaten auf Zeit die charakterliche Eignung fehle, sei nicht zu beanstanden. Zum Zeitpunkt der Beurteilung habe angesichts des damals noch laufenden Strafverfahrens die konkrete Möglichkeit einer Verurteilung des Klägers wegen einer Straftat nach § 315c StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs) bestanden. Ein solcher Verdacht rechtfertige bereits die einer Berufung in das Soldatenverhältnis entgegenstehenden Zweifel an der Eignung. Diese Entscheidung sei nicht unverhältnismäßig, zumal gegen den Kläger mittlerweile auch ein rechtskräftiger Strafbefehl ergangen sei und die Bundeswehr mitgeteilt habe, dass sie einen Eignungsausschluss lediglich für die Dauer von zwölf Monaten annehme. Mithin habe der Kläger die Möglichkeit, sich im Laufe dieses Zeitraumes zu bewähren.“

Als nicht „Folgen einer Dienstfahrt“, sondern Folgen einer Trunkenheitsfahrt.