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StrEG I: Verschweigen entlastender Umstände, oder: Hätte: „Es war ein einvernehmlicher GV“ entlastet?

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Heute ist Freitag, und damit mal wieder ein Tag, an dem es „ums Geld geht“. Ich stelle aber mal keine RVG-Entscheidungen vor – da sieht es derzeit ein wenig mau aus – sondern Entscheidungen zur Strafrechtsentschädigung, also StrEG.

An der Spitze steht dann der  OLG Köln, Beschl. v. 20.07.2021 – 3 Ws 317/21 – mit folgendem Sachverhalt: Der Angeklagte ist vom Vorwurf einer am 15.11. 2020 zum Nachteil der Nebenklägerin begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung freigesprochen worden. Zugleich versagte ihm das LG eine Entschädigung für die in dieser Sache erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen, nämlich die vorläufige Festnahme am 15.11.2020, den anschließenden Vollzug der Untersuchungshaft bis zum 13.04.2021, die Durchsuchung seiner Wohnung und seiner Person am 15.11.2020 sowie die Sicherstellung von Kleidungsstücken (ein Paar Socken, Unterwäsche, eine Hose, ein Gürtel, ein Pullover) und eines Mobiltelefons Samsung S 10 seit dem 15.11.2020. Das LG hat die Versagung auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG gestützt und führte zur Begründung aus, der frühere Angeklagte habe die Strafverfolgungsmaßnahmen dadurch veranlasst, dass er wesentliche entlastende Umstände verschwiegen habe, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert habe. Er habe unmittelbar bei Eintreffen von Polizeibeamten an seiner Wohnanschrift am 15.11.2020 – noch vor der Durchführung von Strafverfolgungsmaßnahmen – Angaben zur Sache gemacht und dabei nicht berichtet, dass er seit längerer Zeit regelmäßig Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin habe und insbesondere am Tattag einvernehmlicher Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Gerade letzteres sei – als Erklärung für aufgefundene DNA-Spuren – indes ein wesentlicher entlastender Umstand gewesen.

Das hat auf die Beschwerde beim OLG nicht gehalten:

„Sie [die GStA] hat zum Verfahrensablauf und zur rechtlichen Begründung das Folgende ausgeführt:

„….

Die Entschädigung war nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StrEG (ganz oder teilweise) zu versagen, da nicht festgestellt werden kann, dass der frühere Angeklagte die erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen, insbesondere den Erlass und Vollzug des Untersuchungshaftbefehls, dadurch veranlasst hat, dass er – trotz Äußerung zu der Beschuldigung – wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat.

Das Verteidigungsverhalten, das zur Versagung der Entschädigung führt, muss dem Beschuldigten zuzurechnen sein. Diese Zurechnung ist aber nicht nur eine objektive, sondern eine verschuldete. Das ist der Fall, wenn der Beschuldigte erkannt hat, dass der verschwiegene Umstand ihn entlasten kann. Hat der Beschuldigte das nicht erkannt oder nicht erkennen können, so kommt es darauf an, ob er den Irrtum vermeiden konnte. Der hier anzulegende Verschuldensmaßstab ist die leichte Fahrlässigkeit im zivilrechtlichen Sinn (MüKo-StPO/Kunz, StrEG § 6 Rn. 16). Im vorliegenden Fall musste sich dem Beschuldigten bei seiner frühen Äußerung zur Beschuldigung, die unmittelbar nach der Eröffnung des Tatvorwurfs und kurz vor seiner vorläufigen Festnahme erfolgte, nicht aufdrängen, dass ihn das Einräumen eines (einvernehmlichen) Geschlechtsverkehrs mit der Nebenklägerin entlasten würde, zumal ihm die Möglichkeit der späteren Auffindung von DNA-Spuren, die sich durch einen einvernehmlichen Geschlechtsverkehr erklären ließe, nicht bewusst gewesen sein muss. Vielmehr mag es aus Sicht des Beschuldigten nahegelegen haben, dass er sich durch das Einräumen des Geschlechtsverkehrs eher selbst belasten als entlasten würde. Das Verteidigungsverhalten ist dem Beschuldigten daher im Rahmen der Grundentscheidung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen jedenfalls nicht schuldhaft zuzurechnen.“

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Zwar hat der frühere Angeklagte die einvernehmlichen sexuellen Kontakte mit der Nebenklägerin im Rahmen seiner Angaben am 15.11.2020 nicht erwähnt, obwohl sich diese letztlich als entlastend erwiesen haben, da sie die gesicherten DNA-Spuren aus Sicht der Kammer zu erklären vermochten. Das entsprechende Gutachten des LKA NRW datiert allerdings erst auf den 03.02.2021. Zum Zeitpunkt seiner Angaben war die Analyse der gesicherten Spurenträger folglich noch nicht durchgeführt, weshalb der frühere Angeklagte auch aus Sicht des Senats nicht von einer entlastenden Wirkung einer entsprechenden Einlassung ausgehen musste. Insofern lag für ihn die Auffindung entsprechender DNA-Spuren auch nicht auf der Hand, zumal wenn – was die Gutachtenergebnisse nahelegen – der Geschlechtsverkehr am Tattag nicht bis zum Samenerguss ausgeübt wurde.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.

StrEG I: Jahresausschlussfrist für StrEG-Entschädigung, oder: Rechtsmittel ausschließlich sofortige Beschwerde

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Im „Kessel Buntes“ heute zwei Entscheidungen zur Entschädigung nach dem StrEG.

Zunächst der für den ehemaligen Beschuldigten nicht so schöne Beschluss des LG Dresden. Der hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Betragsverfahren nach dem StrEG zur Geltendmachung einer Entschädigung wegen erlittener Untersuchungshaft beantragt. Der Kläger befand sich vom 10.08.2018 bis 03.01.2019 in Untersuchungshaft. Das AG hat ihn mit Urteil vom 22.05.2019 von dem Strafvorwurf freigesprochen und zugleich festgestellt, dass ihm dem Grunde nach eine Entschädigung für die von ihm erlittene Untersuchungshaft zusteht. Eine Belehrung zu den Fristen für das Betragsverfahren erteilte es dem Kläger nicht. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung gegen das Urteil ein, die sie am 11.12.2019 zurücknahm. Am 09.10.2020 beantragte der Kläger dann bei der Staatsanwaltschaft eine Entschädigung für die Untersuchungshaft und die Erstattung seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten für das Betragsverfahren, zusammen 11.983,19 EUR. Die Generalstaatsanwaltschaft wies den Antrag zurück, weil der Anspruch nach § 12 StrEG ausgeschlossen sei. Maßgeblich für den Beginn der einjährigen absoluten Ausschlussfrist sei nicht, wann der Freispruch, sondern wann die Grundentscheidung über die Entschädigung rechtskräftig geworden sei. Dies sei hier am 30.05.2019 der Fall gewesen, so dass seit dem 31.05.2020 Ansprüche auf eine Entschädigung ausgeschlossen seien. Dagegen dann die Klage ein, mit der der Kläger den Entschädigungsanspruch weiter verfolgt und Prozesskostenhilfe beantragt. Das LG hat im LG Dresden, Beschl. v. 28.06.2021 – 5 O 840/21 – den PKH-Antrag zurückgewiesen:

„Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzuweisen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 114 ZPO. Der Anspruch auf Entschädigung für die Untersuchungshaft ist nach § 12 StrEG ausgeschlossen, nachdem der Kläger ihn nicht binnen Jahresfrist ab Rechtskraft der Entscheidung über die Entschädigung dem Grunde nach geltend gemacht hat.

Die Ausschlussfrist des § 12 StrEG beginnt nach dem unmissverständlichen Wortlaut dieser Vorschrift mit dem Tag, an dem die Entschädigungspflicht rechtskräftig festgestellt ist, also sobald die Rechtsbehelfsfrist gegen die Feststellungsentscheidung abgelaufen ist, ohne dass gegen sie ein Rechtsbehelf erhoben worden ist.

Gegen die Grundentscheidung findet nach § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG ausschließlich die sofortige Beschwerde statt. Eben diese Rechtsmittel meint auch der Bundesgerichtshof in dem vom Kläger zitierten Urteil vom 08.06.1989 (III ZR 82/88, juris, Rn. 16 und Rn. 20). Eine sofortige Beschwerde hat die Staatsanwaltschaft gegen die Entschädigungsentscheidung vom 22.05.2019 in der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO nicht eingelegt. Eine sofortige Beschwerde gegen die gerichtliche Entschädigungsentscheidung ist auch nicht stillschweigend in der Berufung gegen das freisprechende Urteil als Annex enthalten. Sondern die sofortige Beschwerde gegen die Grundentscheidung nach dem StrEG muss als das speziellere Rechtsmittel entweder isoliert oder ausdrücklich zusätzlich zur Berufung eingelegt werden (OLG Köln, Beschluss vom 26.09.2008, 83 Ss 69/08, juris, Rn. 20; OLG Hamm, Beschluss vom 31.08.1990, 4 Ws 326/90, juris, Rn. 5 f.; Kunze in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl. 2018, § 8 StrEG Rn. 67 m.w.N.).

Dem StrEG lässt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht entnehmen, dass der Antrag zum Betragsverfahren erst dann gestellt werden dürfe, wenn das Hauptsacheverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Ohne Erfolg verweist der Kläger auch darauf, dass die Annahme einer Rechtskraft der Entschädigungsentscheidung vor Entscheidung über das Rechtsmittel zur Hauptsache gegen § 2 Abs. 1 StrEG verstoße. Vielmehr sind die Antragsvor-aussetzungen für das Betragsverfahren in §§ 10 ff. StrEG geregelt; diese Vorschriften verlangen nicht die Rechtskraft der Sachentscheidung.

Allerdings wird bei Änderung der Sachentscheidung der Annexentscheidung die Grundlage entzogen; eine Änderung der Annexentscheidung ist dann auch ohne sofortige Beschwerde geboten (OLG Hamm, Beschluss vom 31.08.1990, 4 Ws 326/90, juris, Rn. 5; vgl. BGH, Beschluss vom 03.12.1972, 2 StR 29/72 Rn. 7 zur Anfechtung der Kostenentscheidung als Annex zum Sachurteil). Das führt dann aber auch dazu, dass es zu der vom Kläger als gegen die Denkgesetze verstoßend bezeichneten Fallgestaltung nicht kommen kann, in der etwa die staatsanwaltschaftliche Berufung zu einem Schuldspruch geführt hätte und der Angeklagte trotzdem wegen Bestandskraft der Entschädigungsgrundentscheidung zu entschädigen wäre.

Der Ausschlusswirkung der Frist des § 12 StrEG steht auch nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft eine Belehrung nach § 10 Abs. 1 Satz 3 StrEG nicht erteilt hat. Dies beeinflusst nur die Frist des § 10 Abs. 1 Satz 1 StrEG (vgl. Meyer, StrEG, 9. Aufl., § 12 Rn 4).“

Sollte man im Blick haben die Frist. Zur Entschädigung nach dem StrEG steht auch << Werbemodus an >> einiges in Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., die im Spätherbst erscheinen wird. Zur Bestellung des Werkes oder eines der „Pakete“ geht es hier. <<Werbemodus aus>>.

StrEG I: Entschädigung wegen U-Haft?, oder: Ja, aber nur für einen Tag

 

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Im Kessel Buntes stelle ich heute zwei Entscheidungen zur Strafrechtsentschädigung vor – also kurz: StrEG 🙂 .

Das ist zunächst der BGH, Beschl. v. 13.04.2021 – 5 StR 14/21. Das LG hatte den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die zum Freispruch führte. Der BGh hat Verjährung angenommen.

Zum StrEG führt er dann aus:

„3. Dem Senat obliegt in dieser Konstellation nach § 8 StrEG auch die Entscheidung über Entschädigungsleistungen, weil er die verfahrensbeendende Entscheidung trifft und keine weiteren Feststellungen hierzu mehr erforderlich sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. März 2008 – 3 StR 378/07, StraFo 2008, 266; vom 26. Mai 2015 – 3 StR 437/12, StraFo 2015, 438, 439). Die Verfahrensbeteiligten sind durch den insoweit ausführlich begründeten Antrag des Generalbundesanwalts nach § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG (vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 3 StR 453/16) angehört worden, dem die Entscheidung des Senats entspricht.

Entschädigung ist gemäß § 2 Abs. 1 StrEG nur für den letzten Tag der Untersuchungshaft zu gewähren. Im Übrigen ist eine Entschädigung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen, weil der Angeklagte die Strafverfolgungsmaßnahmen durch die rechtsfehlerfrei festgestellte rechtswidrige und schuldhafte Tötung zweier Menschen sowie seine anschließende Flucht nach Tschechien vorsätzlich bzw. grob fahrlässig selbst verursacht hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 1979 – 3 StR 396/79, BGHSt 29, 168, 171; vom 1. September 1998 – 4 StR 434/98, BGHR StrEG § 5 Abs. 2 Satz 1 Fahrlässigkeit, grobe 6). Insoweit ist nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung, sondern darauf abzustellen, wie sich der Sachverhalt den Ermittlungsbehörden bzw. Gerichten im Zeitpunkt der Anordnung oder Aufrechterhaltung der Strafverfolgungsmaßnahme dargestellt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 1983 – 1 StR 823/82, bei Holtz MDR 1983, 450; KG, Beschluss vom 11. Januar 2012 – 2 Ws 351/11, NStZ-RR 2013, 192 [LS]). Nach der im Urteil dargestellten Auffindesituation der beiden Leichen und den übrigen Umständen des Falls sind Staatsanwaltschaft und Gericht zunächst rechtsfehlerfrei vom dringenden Tatverdacht des Mordes in zwei Fällen ausgegangen, bis sich erst am Ende der Hauptverhandlung herausgestellt hat, dass Mordmerkmale aus Sicht der Schwurgerichtskammer nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden können.

Etwas anderes gilt nur für den letzten Tag der bis zum 13. August 2020 dauernden Untersuchungshaft. Nachdem das Landgericht in der abschließenden Beratung keine Mordmerkmale feststellen konnte, hätte es den Angeklagten am 12. August 2020 freisprechen und den Untersuchungshaftbefehl sogleich aufheben anstatt aufrechterhalten müssen. Diese – bei sorgfältiger Prüfung zu diesem Zeitpunkt ohne weiteres erkennbare – rechtsfehlerhafte Sachbehandlung hat zur Folge, dass für diesen einen Tag Untersuchungshaft Entschädigung zu gewähren ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 3 StR 453/16, NStZ-RR 2017, 264). Eine Versagung der Entschädigung nach dem insoweit nachrangigen § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG kommt in dieser Konstellation nicht in Betracht (vgl. BGH, aaO).“

Verkehrsrecht II: StrEG wegen vorläufiger Entziehung, oder: Hat der Beschuldigte eine Fahrerlaubnis?

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Die zweite Entscheidung stammt vom LG Koblenz. Das hat im LG Koblenz, Beschl. v. 16.1.2020 – 2 Qs 73/20 – zur Entschädigung nach dem StrEG in den Fällen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis Stellung genommen. Das besondere in dem Fall: Der vormals Beschuldigte war gar nicht der richtige Beschuldigte des Verfahrens, sondern das war ein anderer, der sowohl einen sehr ähnlichen Nachnamen als auch den gleichen zweiten Vornamen wie der Beschwerdeführer trägt und zudem am selben Tag, wenn auch in einem anderen Geburtsjahr, wie dieser geboren wurde. Im Rahmen einer Verkehrskontrolle war der bulgarische Führerschein dieses weiteren Beschuldigten aufgrund des Verdachts einer Trunkenheitsfahrt, gemäß §§ 94, 98 StPO beschlagnahmt und sichergestellt worden. Im nachfolgenden Ermittlungsverfahren wurde sodann durch die Staatsanwaltschaft aufgrund der Namensverwechselung ein § 111a-Beschluss gegen den vormals Beschuldigten erlassen. Die Führerscheinstelle teilte dann aber mit, dass der der Beschwerdeführer, der „falsche Beschuldigte“ nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis sei. Er hat dann nach der Einstellung des Verfahrens gegen ihn eine Entschädigung für die erlittenen Strafvollstreckungsmaßnahmen beantragt. Damnit hatte er keinen Erfolg:

In der Sache bleibt der sofortigen Beschwerde. jedoch der Erfolg versagt.

„Die Entschädigungspflicht nach § 2 StrEG ist gemäß § 8 Abs. 1 StrEG im vorliegenden Verfahren zunächst lediglich dem Grunde nach festzustellen. Sie bindet nur hinsichtlich der Person des Berechtigten, hinsichtlich Art und Zeitraum (§ 8 Abs. 2 StrEG) der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahme und hinsichtlich etwaiger Versagungsgründe (§§ 5, 6 StrEG).

Diese Grundentscheidung steht damit unter dem stillschweigenden Vorbehalt, dass dem Angeklagten durch die vollzogene Strafverfolgungsmaßnahme möglicherweise ein Schaden entstanden ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wird erst im Betragsverfahren nach §§ 10, 13 StrEG geprüft. Von einer Grundentscheidung über die Entschädigungspflicht des Staates für eine bestimmte Strafverfolgungsmaßnahme darf deshalb grundsätzlich nicht unter Hinweis auf mangelnde Kausalität abgesehen werden (vgl. OLG Bamberg, NStZ 1989, 185).

Die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 2 StrEG liegen jedoch schon dem Grunde nach nicht vor.

Im Gegensatz zu der in § 1 StrEG geregelten Entschädigung für Urteilsfolgen sieht das Gesetz in § 2 StrEG vor, dass eine Entschädigung für vorläufige Strafverfolgungsmaßnahmen von deren Vollzug abhängt. Sonstige, nicht aus dem Vollzug, sondern infolge der bloßen Anordnung einer Maßnahme entstandenen Schäden sind demnach schon dem Grunde nach nicht entschädigungsfähig (KG Berlin, Beschluss vom 20. Januar 2009 – 4 Ws 118/08 – juris).

Ein solcher Vollzug der Maßnahme ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Zwar ist die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis grundsätzlich bereits mit der Zustellung der Entscheidung vollzogen, da sie bereits dann ihre volle Wirkung gegenüber dem Führerscheinberechtigten entfaltet. Der hier betroffene Fall weicht jedoch von dem Regelfall, in dem eine tatsächlich erteilte Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wird, ab. Zustellung des Beschlusses und tatsächlicher Vollzug der Maßnahme fallen vorliegend auseinander, da die bloße Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis gegenüber dem vormals Beschuldigten nicht die bezweckte Wirkung entfaltet, da er selbst gar keine Fahrerlaubnis besitzt. Die von § 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG abgesicherte Rechtsposition ist für den Beschwerdeführer hier durch die Zustellung des Beschlusses deshalb gar nicht betroffen.

Soweit der Beschwerdeführer vorträgt, dass ein Vollzug der Maßnahme deshalb gegeben sei, weil nach der Zustellung, unabhängig davon ob tatsächlich eine Fahrerlaubnis erteilt sei, der Entzug der Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisbehörde mitgeteilt werde und ein entsprechender Eintrag in das Verkehrsregister erfolge, führt dies zu keiner anderen Bewertung.

Zunächst ist zu beachten, dass die von dem Beschwerdeführer begehrten Schäden, namentlich die Kosten eines Verteidigers zur Abwendung einer Strafverfolgungsmaßnahme, nicht unmittelbar aus den vom Beschwerdeführer bezeichneten Maßnahmen zum Vollzug der Strafverfolgungsmaßnahme ‚herrühren. Der Schaden muss jedoch unmittelbar durch die betroffene Strafverfolgungsmaßnahme entstanden sein, um eine Erstattungsfähigkeit dem Grunde nach zu begründen (vgl. Kunz in Münchner Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2018, § 2 StrEG Rn. 15).

Darüber hinaus ist aber auch unter Berücksichtigung dieser über den tatsächlichen Entzug der Fahrerlaubnis hinausgehenden Folgen kein Vollzug der Maßnahme nach § 111a StPO feststellbar. Der Schutzzweck des § 111a StPO als vorbeugende Maßnahme umfasst allein die Absicherung der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB. Sie sichert dagegen z. B. nicht die isolierte Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB (vgl. Meyer-Goßner/ Schmitt, Strafprozessordnung, 63. Auflage 2020, § 111a Rn. 1). Die genannten Anordnungen und Eintragungen können daher auch nicht als Grundlage für den Vollzug der Maßnahme herangezogen werden, da sie im vorliegenden Fall nicht über, den Schutzzweck der Maßnahme des § 111a StPO hinaus gehen dürfen und deshalb im vorliegenden Fall des Fehlens einer Fahrerlaubnis keine weitergehende Wirkung entfalten konnten als die Anordnung selbst. Diese war für den vormals Beschuldigten jedoch mangels bestehender Fahrerlaubnis wirkungslos.

Zwar kann auch die – von § 2 Abs. 2 Nr. 5 StrEG explizit nicht geregelte – bloße Anordnung einer Maßnahme nach § 111a StPO verschiedene negative Auswirkungen für den Betroffenen haben.

Eine allgemeine entsprechende Anwendung des StrEG auf weitere, vom Wortlaut nicht erfasste Maßnahmen und Sachverhalte ist jedoch grundsätzlich nicht zulässig, da die Rechtsordnung spezielle Regelungen zur entsprechenden Anwendung des StrEG enthält und im Wege des Umkehrschlusses eine analoge Anwendung ausscheidet (KG Berlin, Beschluss vom 20. Januar 2009 – 4 Ws 118/08 – juris).

Im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei der Anwendung des § 2 StrEG muss die Entschädigungspflicht des Staates deshalb auf die Fälle beschränkt sein, in denen der durch § 2 StrEG ausdrücklich festgelegte Schutzbereich betroffen ist.“

Ermessen bei der Strafrechtsentschädigung, oder: Wenn die Beschuldigte „zugedröhnt“ war

entnommen wikidmeia.org
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Und die zweite Entscheidung des Tages kommt vom KG. Sie hat auch mit Gebühren und/oder Kosten zu tun, allerdings schon „etwas weiter weg“. Da KG hat nämlich im KG, Beschl. v. 13.02.2019– 3 Ws 35/19 – und älter ist der Beschluss auch noch – über eine Entschädigung nach dem StrEG entschieden. Auch dazu kann ich Entscheidungen aus den Instanzen gut gebrauchen.

Ergangen ist die Entscheidung nach einem Sicherungsverfahren wegen  versuchter gefährlicher Körperverletzung. Das LG hat mit Urteil vom 29.06.2018 den Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt, die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen. Es war zwar davon überzeugt, dass die Beschwerdeführerin in der Nacht zum 12.03.2018  im Zustand der Schuldunfähigkeit eine rechtswidrige Tat der versuchten gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil eines Polizeibeamten dadurch begangen hat, dass sie mit einem Messer auf ihn einstach, jedoch versehentlich nur das Funkgerät traf. Die Strafkammer hat die Beschuldigte jedoch nicht mehr für gefährlich gehalten. Eine Entschädigung für die einstweilige Unterbringung – die Beschuldigte befand sich aufgrund Unterbringungsbefehls des AG Tiergarten vom 04.04.2018 bis zum 29.06.2018 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs – hat das LG im Urteil abgelehnt. Hiergegen wendet sich die ehemalige Beschuldigte mit der sofortigen Beschwerde. Die hatte beim KG keinen Erfolg:

Das Landgericht hat die Entschädigung zu Recht versagt.

1. Nach den bindenden (vgl. §§ 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG, 464 Abs. 3 Satz 2 StPO) Feststellungen liegt bereits nahe, dass die ehemalige Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahmen grob fahrlässig verursacht hat, weshalb eine Entschädigung schon nach § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG ausgeschlossen wäre. Denn die Beschwerdeführerin hatte ausweislich der Urteilsfeststellungen gut 24 Stunden vor dem Tatgeschehen in einem Club, in dem sie bis zur Mittagszeit des Folgetags blieb, zunächst „etwas Amphetamin“ und sodann „ihre übliche Menge Ecstasy, Ketamin und Amphetamin“ eingenommen, um schließlich „etwas Alkohol“ zu trinken (UA S. 6). Am Nachmittag des Folgetags, dem Tattag, brach die Beschwerdeführerin, die ersichtlich nicht geschlafen hatte, zusammen. In der Folge nahm sie zunächst „noch mehr Amphetamin“ und schließlich „drei Pillen Ecstasy, zwei Einheiten Ketamin und ‚viel‘ Amphetamin“ ein (UA S. 6). Es liegt auf der Hand, dass der allein der Beschwerdeführerin anzulastende exzessive Drogenkonsum im Zusammenwirken mit der Schlaflosigkeit die psychotisch konnotierte rechtswidrige Tat zumindest erheblich begünstigt hat.

2. Ob der Rauschgiftkonsum und die Schlaflosigkeit Condicio sine qua non für die rechtswidrige Tat waren, kann im Ergebnis dahinstehen. Denn selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass diese Umstände ohne Einfluss auf das Tatgeschehen geblieben wären, hätte die Strafkammer des Landgerichts die Entschädigung mit Recht nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG versagt.

Denn die Beschwerdeführerin hat die ihr vorgeworfene rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen. In einem solchen Fall ist die Versagung der Entschädigung nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG die Regel (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1986, 249; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 61. Aufl., § 6 StrEG Rn. 6). Allerdings muss der Ermessensentscheidung grundsätzlich eine Gesamtwürdigung vorausgehen, in welche die Schwere des Tatvorwurfs und der eingetretenen Störung des Rechtsfriedens, die Gefährlichkeit des Täters sowie das Maß des Sonderopfers, das der Betroffene durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu erleiden hatte, einfließen müssen (vgl. KG NStZ-RR 2013, 32).

Der Senat, der als Beschwerdegericht eine eigene Sachentscheidung trifft und eigenes Ermessen ausübt, folgt den vom Landgericht angestellten Überlegungen u. a. zur Schwere des Vorwurfs und der Beeinträchtigung des Rechtsfriedens sowie zum Gewicht eines von der Beschwerdeführerin erbrachten Sonderopfers (UA S. 15 f.) uneingeschränkt. Hier könnte sogar in Frage gestellt werden, ob die an paranoider Schizophrenie leidende Beschwerdeführerin, die ohne die im Krankenhaus des Maßregelvollzugs veranlasste Behandlung und Medikation gefährlich geblieben und unterzubringen gewesen wäre, überhaupt ein Sonderopfer erbracht hat. Jedenfalls verdichtet sich die Gesamtwürdigung des Landgerichts noch durch das von der Strafkammer nicht in die Überlegungen eingestellte risikoerhöhende und schuldhafte Tatvorverhalten der Beschwerdeführerin, insbesondere ihren Drogenkonsum und die Schlaflosigkeit. Unter Berücksichtigung aller Umstände wäre es unbillig, die Beschwerdeführerin, die eine gefährliche Tat begangen und hierdurch ein umfangreiches Straf- bzw. Unterbringungsverfahren veranlasst hat, für ihre einstweilige Unterbringung, die rechtmäßig war, zu entschädigen.“

Liegt im Grunde auf der Linie der Entscheidungen, wenn (nur) alkohol im Spiel ist/war. Im Zweifel also auch hier: Keine Entschädigung.