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Einspruch des „vermeintlichen Angeklagten“, oder: Nur Einzeltätigkeit?

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Und als zweite Entscheidung des Tages stelle ich dann den LG Berlin, Beschl. v. 11.06.2019 – 528 Qs 73/19 – vor.

Folgender Sachverhalt: Dem in anderer Sache in U-Haft befindlichen ausländischen Mandanten des Rechtanwalts wurde am 20.09.2018 ein Strafbefehl des AG Tiergarten vom 24.05.2015 zugestellt. Zu der Zustellung kam es aufgrund einer Personenverwechselung. Mit Schriftsatz vom 22.09.2018 zeigte der „Verfahrensbevollmächtigte“ des Zustellungsempfängers dessen Verteidigung an und legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein. Dabei wies er darauf hin, dass es sich bei seinem Mandanten nicht um die im Strafbefehl bezeichnete bzw. angeklagte Person handele. Das AG Tiergarten teilte dem Verfahrensbevollmächtigten daraufhin mit, dass der Einspruch des Mandanten pp. ins Leere gehe, da dieser nicht der Angeklagte sei, und legte mit Beschluss vom 17.12.2018 die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des vermeintlichen Angeklagten pp. der Landeskasse Berlin.

Im Hinblick auf diese Auslagenentscheidung hat der Mandant beantragt, Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts in Höhe von insgesamt 864,34 EUR – darunter Grund- und Verfahrensgebühren – zu erstatten. Die Rechtspflegerin des AG hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass die beantragten Verteidigergebühren nicht entstanden seien. Der Mandant sei nicht angeklagt gewesen, sondern nur aufgrund einer Verwechslung Adressat einer Strafbefehlszustellung geworden. Die vom Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen einer Einzeltätigkeit erbrachte Tätigkeit sei nach Nr. 4302 VV RVG zu vergüten. Ein entsprechender Antrag sei jedoch nicht gestellt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde, mit der der ursprünglich gestellte Festsetzungsantrag weiterverfolgt wird, hatte keinen Erfolg.

Das LG sagt:

Bei der Einlegung des Einspruchs des Vertreters eines „vermeintlichen Angeklagten“, dem aufgrund einer Personenverwechselung fälschlicherweise ein Strafbefehl zugestellt worden ist, handelt es sich nicht um Verteidigertätigkeit im Sinn von Teil 4 Abschnitt 1 VV RVG sondern um eine Einzeltätigkeit nach Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG.

Die Auffassung des LG, es habe sich bei den von dem Rechtsanwalt erbrachten Tätigkeiten um eine Einzeltätigkeit gehandelt, ist m.E. falsch. Nach Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV RVG entstehen die Gebühren des Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG „für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder Vertretung übertragen ist“. Das war hier aber der Fall. Denn der Mandant hatte den Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung in dem gegen ihn durch Zustellung des Strafbefehls eingeleiteten Strafverfahren beauftragt. Dabei ist m.E. die formale Stellung des Mandanten als Angeklagten durch die Zustellung des Strafbefehls, der einer Anklage entspricht, begründet. Ob eine Personenverwechselung vorlag oder nicht, ist m.E. unbeachtlich, denn gegen diesen Mandanten war ein Strafbefehlsverfahren und damit ein Strafverfahren anhängig, in dem er sich durch den Rechtsanwalt hat verteidigen lassen. Daran ändert nichts der Umstand, dass die Personenverwechselung schnell aufgefallen ist und das AG mitgeteilt hat, dass der Einspruch des Mandanten ins Leere gehe. Ein Strafverfahren war gegen den Mandanten anhängig. Und in dem konnte und durfte er sich verteidigen (lassen); das allein schon deshalb, weil er als Ausländer kaum in der Lage gewesen sein dürfte, den Sachverhalt ordnungsgemäß zu erfassen. Das AG spricht in seiner Kostenentscheidung im Übrigen selbst vom „vermeintlichen Angeklagten“.

Und: Die Passage:

„….Auch die geltend gemachte Aktenversendungspauschale ist nicht erstattungsfähig, da es sich bei der Versendung der Akte auf Antrag eines Rechtsanwalts an einen anderen Ort lediglich um eine besondere Serviceleistung des Gerichts handelt…“

lasse ichd ann mal unkommentiert.

BGH II: Unzulänglicher Strafbefehl, oder: Kein Verfahrenshindernis

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Die zweite Entscheidung, des Tages, der BGH, Beschl. v. 13.03.2019 – 2 StR 380/18 – behandelt eine interessante Frage betreffend das Verfahrenshindernis der anderweietigen Rechtshängigkeit. Das LG hat den Angeklagten wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge „in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe, unerlaubtem Besitz von Munition und unerlaubter Überlassung einer halbautomatischen Kurzwaffe“ verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte u.a. ein Verfahrenshindernis geltend gemacht. damit hatte er keinen Erfolg:

„2. Das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis einer anderweitigen Rechtshängigkeit im Fall II.1 der Urteilsgründe, betreffend die Tat vom 12. Dezember 2015, besteht nicht.

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Mit dem am 8. Februar 2016 – antragsgemäß – erlassenen Strafbefehl war dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden, gegen „§§ 52 Abs. 3 Nr. 8, 42 Abs. 1, 2 Abs. 3 WaffG“ verstoßen zu haben, indem er „am 12.12.2015 in O. einer vollziehbaren Anordnung nach § 41 Abs. 1 Waffengesetz zuwider“ ein Einhandmesser bei sich getragen habe, obwohl ihm der Besitz von Waffen jeglicher Art verboten gewesen sei. Nachdem der Angeklagte hiergegen fristwahrend und unbeschränkt Einspruch eingelegt hatte, stellte das Amtsgericht das Strafbefehlsverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss vom 7. Juni 2016 im Hinblick auf Fall 1 der dem hiesigen Verfahren zugrundeliegenden Anklageschrift vom 22. März 2017 nach § 154 Abs. 2 StPO ein. Darin wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, am „12.12.2015 in der Gaststätte ‚S. ‘ in der K. straße in O. “ mit – näher beschriebenen – Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, wobei sich in einer Schublade der Gaststätte sowie in seiner linken Jackentasche jeweils ein Einhandmesser befunden habe. Unter dem 7. September 2017 erklärte die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Amtsgericht Offenbach am Main die Rücknahme ihres Strafbefehlsantrags (Bl. 1041 d.A.).

b) Der Strafbefehl konnte – was der Senat im Freibeweisverfahren geklärt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. März 2001 – StB 4 u. 5/01, BGHSt 46, 349, 351 ff. und vom 22. August 2001 – 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Urteil vom 1. August 2018 – 3 StR 651/17, BeckRS 2018, 33425) – hier keine anderweitige Rechtshängigkeit der verfahrensgegenständlichen Tat bewirken, da er – entgegen der Annahme von Generalbundesanwalt und Landgericht – auf einen unwirksamen Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Darmstadt hin erlassen worden war. Dem liegen folgende rechtliche Erwägungen zugrunde:

aa) Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen (§ 264 StPO), dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO); sie muss sich von anderen gleichartigen Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion – st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 und vom 25. September 2014 – 4 StR 69/14, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Verfahrenshindernis 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 200 Rn. 7; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 200 Rn. 3 jeweils mwN). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u. a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 – 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20). Die Identität des geschichtlichen Vorgangs muss feststehen; es darf kein Zweifel über die verfahrensgegenständlichen Taten im prozessualen Sinn eintreten. Welche Angaben hierfür erforderlich sind, lässt sich allerdings nicht für alle Fälle in gleicher Weise sagen. Die einzelnen Faktoren der Tatkonkretisierung können von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht besitzen und durch größere Genauigkeit jeweils anderer Umstände ersetzt oder verdrängt werden (vgl. BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 ff. und vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 155). Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung, so ist die Anklage unwirksam (vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; vom 22. August 2001 – 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Senat, Urteil vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649 f.; BGH, Urteile vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 und vom 9. August 2011 – 1 StR 194/11, BeckRS 2011, 21849; ferner KK-StPO/Schneider, aaO).

bb) Dies gilt gleichermaßen für den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Durch ihn wird – von § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO gesetzlich klargestellt – im Strafbefehlsverfahren die öffentliche Klage erhoben (§ 170 Abs. 1 StPO); die Antragsschrift steht der Anklageschrift gleich (vgl. BT-Drucks. 10/1313, S. 35; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Mai 1988 – 3 Ws 85/87, JR 1989, 435, 437 mit Anm. Rieß; OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Juli 1996 – 2 Ss 292/96, NJW 1996, 2879; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. August 2006 – Ss 247/06 [I 80], BeckRS 2006, 09761; OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Februar 2012 – 1 St OLG Ss 240/11, BeckRS 2012, 5180; BayObLG, Beschluss vom 9. Februar 2001 – 5 St RR 21/01, StV 2002, 356; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. April 2004 – 1 Ss 189/04, StV 2005, 598). Nach antragsgemäßem Erlass des Strafbefehls übernimmt dieser für die Hauptverhandlung die Funktion des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BT-Drucks. aaO; ferner nur Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 411 Rn. 3; KK-StPO/Maur, aaO, § 411 Rn. 8), so dass mit Blick auf diese Funktionsgleichheit und auch zur Bestimmung des Umfangs einer möglichen späteren Rechtskraft an die unerlässliche Tatkonkretisierung im Strafbefehlsverfahren (vgl. § 409 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) regelmäßig keine geringeren Anforderungen als an den Anklagesatz zu stellen sind.

c) Hieran gemessen erweist sich der Strafbefehlsantrag wegen fehlender tatkonkretisierender Angaben als unwirksam. Die für sich genommen bereits wenig spezifisch beschriebene Tathandlung wird hier weder durch konkrete Angaben zum Tatort noch durch solche zu einer näher bestimmten Tatzeit individualisiert. Der Antrag beschränkt sich insoweit auf die Mitteilung des Namens einer Großstadt und eines Datums. Auch die gebotene Gesamtschau von Anklagesatz und sonstigem Inhalt des Strafbefehlsantrags ermöglicht hier keine Tatkonkretisierung. Die mitgeteilten angewendeten Vorschriften sind widersprüchlich. Ihnen ist ausdrücklich der Tatvorwurf nach § 52 Abs. 3 Nr. 8 WaffG zu entnehmen; zugleich scheinen sie allerdings auch auf § 52 Abs. 3 Nr. 9 WaffG Bezug zu nehmen und damit ein vollständig anderes Tatgepräge – Führen von Waffen bei öffentlichen Veranstaltungen (§ 42 WaffG) – nahezulegen. Individualisierende Hinweise sind schließlich auch der Angabe zum Augenscheinsobjekt in der Beweismittelliste nicht zu entnehmen („Einhandmesser“).

d) Auf die – angesichts dessen auch nicht mit der notwendigen Sicherheit zu beantwortende – Frage, ob Fall II.1 der Urteilsgründe und das Strafbefehlsverfahren die nämliche Tat zum Gegenstand haben (§ 264 StPO), kommt es deshalb hier nicht an. Ebenso ohne Bedeutung ist die – vom Landgericht bejahte (UA S. 24 f.) – Frage, ob die Staatsanwaltschaft trotz vorläufiger Einstellung des Strafbefehlsverfahrens und ohne vorherige Wiederaufnahme des Verfahrens (vgl. § 154 Abs. 5 StPO) ihren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wirksam zurücknehmen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 1990 – 5 StR 48/90, BGHSt 36, 361, 363).“

Wenn die Prostituierte die zugesagte Leistung nicht erbringt, oder: Erfüllungsbetrug?

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Ich eröffne die Woche dann mit einem Beschluss aus dem „wilden Süden“, und zwar mit dem AG Reutlingen, Beschl. v. 03.04.2018 – 5 Cs 24 Js 4686/18. Das AG hat den Erlass eines Strafbefehls gegen die Beschuldigte abgelehnt, den die StA auf der Grundlage folgenden Sachverhalts beantragt hatte

„Am 10. Februar 2018 zwischen 08,30 und 14.00 Uhr habe die Angeschuldigte, eine ungarische Staatsbürgerin, unter Vorspiegelung ihrer vollen Leistungswilligkeit per WhatsApp dem Anzeigeerstatter angedient, ihm ab 21.30 Uhr zwei Stunden lang „full service“ und „ohne Tabus“ sexuelle Dienstleistungen für 350,– € zu erbringen. Bereits bei Vertragsschluss habe sie zumindest billigend in Kauf genommen, nicht die volle Leistung erbringen zu wollen oder können. Im Vertrauen auf ihre Leistungswilligkeit habe der Anzeigeerstatter – vor Aufnahme der sexuellen Handlungen – nach deren Erscheinen in dessen Wohnung gegen 21.45 Uhr die verlangten 350.- EUR in bar übergeben. Vorgefasster Absicht entsprechend habe die Angeschuldigte sich gegen 22.00 Uhr nach dem ersten geschlechtlichen Verkehr wieder angekleidet und habe die Örtlichkeit verlassen, ohne zu weiteren sexuellen Handlungen bereit zu sein. Dem Anzeigeerstatter sei hierdurch ein entsprechender Schaden in Höhe von etwa 300 EUR entstanden.“

Das AG lehnt aus tatsächlichen Gründen ab, und zwar:

„In tatsächlicher Sicht steht dem Erlass eines Strafbefehls entgegen, dass ein hinreichender Tatverdacht zweifelhaft ist. Es handelt sich um eine Konstellation Aussage-gegen-Aussage, wobei überdies eine Vernehmung der Angeschuldigten mit einem Dolmetscher unterlassen wurde. Mit dem „WhatsApp“-Chat, gar in einer Übersetzung, wurde die Angeschuldigte im Ermittlungsverfahren schon nicht konfrontiert, was freilich im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1, 3 lit. d) EMRK vor Erlass eines Strafbefehls unerlässlich erscheint. Dass eine Übersetzung des Chats und dessen Vorhalt in ungarischer Sprache notwendig gewesen wäre, folgt schon aus dem Umstand, dass die Polizei Belehrungsformulare in ungarischer Sprache verwendet hat. Die datentechnische Integrität des vom Anzeigeerstatter vorgelegten Chat-Protokolls ist nicht überprüft.

Soweit der Anzeigeerstatter sich betrogen sieht, bleibt festzuhalten, dass die von ihm mitgeteilten Inhalte der Vertragsabsprache sehr wohl der Auslegung, §§ 133, 157 BGB, zugänglich sind. Zwar mögen im Bereich der gewerblichen Prostitution bestimmte Bezeichnungen und Szene-Abkürzungen („Full Service“) üblich sein, zum Beispiel in Zeitungsannoncen oder bei der Geschäfts- bzw. Verkehrsanbahnung. Doch kann hier den vagen Angaben des Anzeigeerstatters nicht sicher entnommen werden, was rein tatsächlich zum Leistungsinhalt gemacht werden sollte, worin mithin die Täuschung liegen könnte. Zum Online-Profil der Beschuldigten – zur Tatzeit – sind keine Ermittlungen getätigt. Aus diesem könnten sich Auslegungshinweise ergeben.

Auch bekundet der Anzeigeerstatter umfangreiche Nachverhandlungen in seiner Wohnung, die nicht mehr durch Chatverläufe dokumentiert sind.

Beruht die Annahme von der Täterschaft des Angeschuldigten allein auf der Aussage eines Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an den hinreichenden Tatverdacht strenge Anforderungen zu stellen. Dabei ist berücksichtigt, dass bei dem im Rahmen der Entscheidung nach § 408 Il StPO zu fällenden Wahrscheinlichkeitsurteil für in dubio pro reo noch kein Raum ist. Jedoch kann der hinreichende Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird.

Da drei weitere mögliche (Entlastungs-)Zeugen oder gar Beteiligte in der Akte geführt werden, die unvernommen blieben, ist anzumerken, dass eingedenk der strukturellen Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht nur einzelne ergänzende richterlich veranlasste Beweiserhebungen im späteren Verfahren vorgesehen sind. Ermittlungen größeren Umfangs zur Komplettierung des von der Staatsanwaltschaft unzulänglich belegten Tatvorwurfs oder zur erstmaligen Abklärung einer Konstellation Aussage-gegen-Aussage sind gesetzlich nicht vorgesehen, Gleichermaßen unstatthaft ist der Erlass eines Strafbefehls unter der Annahme, „erst später“, im Falle eines Einspruches, nachträglich umfangreiche Beweisaufnahmen durchzuführen, wie etwa die Vernehmung zentraler Zeugen zur weiteren Abklärung. Hierin läge ein von Rechts wegen nicht vorgesehene Aufweichung oder Herabsetzung des im (Strafbefehls-)Verfahren für eine Anklage vorausgesetzten Verdachtgrades.“

Abgelehnt hat das AG auch aus rechtlichen Gründen, weil nach seiner Ansicht die Rückforderung des Anzeigeerstatters sittenwidrig sei, jedenfalls aber kein Anspruch bestehe. Ein Erfüllungsbetrug scheide deswegen aus. Insoweit: Selbststudium 🙂 .

„Kann er deutsch, kann er nicht?“, oder: Das muss man bei einem Ausländer ggf. aufklären

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Bei der zweiten „Pfingstmontagsentscheidung“ handelt es sich um den BVerfG, Beschl. v. 23.01.2017 – 2 BvR 2272/16, der (mal wieder) die Frage der Verletzung des rechtlichen Gehörs bei einem nicht der deutschen Sprache mächtigen Ausländer behandelt. Der Beschwerdeführer wendet sich – noch beim BVerfG – gegen die Verwerfung seines Einspruchs gegen einen Strafbefehl. Er ist gambischer Staatsangehöriger und reiste am 28.12.2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Das AG Heilbronn erließ am 09.12.2015 einen Strafbefehl über eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen wegen Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung des Aufenthalts und Veränderung eines amtlichen Ausweises sowie Gebrauchs dieses Ausweises gegen den Beschwerdeführer. Am 11.12.2015 wurde der Strafbefehl im Wege der Ersatzzustellung an einen Vertreter der Wohneinrichtung, in welcher der Beschwerdeführer untergebracht war, zugestellt. Eine Übersetzung war nicht beigefügt; in der dem Strafbefehl zu Grunde liegenden Strafanzeige war unter der Überschrift „Sprachmerkmale / Deutsche Sprache“ vermerkt: „kein deutsch“.

Der Verteidiger des Beschwerdeführers legte am 29.07. 2016 Einspruch gegen den Strafbefehl ein und beantragte hilfsweise die Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist. Der Wiedereinsetzungsantrag ist vom AG verworfen worden. Begründung: Aus der Akte ergebe sich, dass der Beschwerdeführer über hinreichende Deutschkenntnisse verfüge, um vom Inhalt des Strafbefehls und der Einspruchsfrist Kenntnis zu nehmen. Weder bei dem Gespräch mit der Polizei bei Fertigung der Strafanzeige noch bei Gesprächen mit der Ausländerbehörde sei ein Dolmetscher hinzugezogen worden. Dagegen die Beschwerde zum LG, die zurückgewiesen worden ist.

Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg:

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 83, 24 <35>). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Eine Verpflichtung, jedes Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden, besteht nicht. Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann feststellen, dass ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen verletzt hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE 22, 267 <274>; 87, 363 <392 f.>; 96, 205 <216 f.>).

2. a) Solche Umstände liegen hier vor. Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerdeschrift darauf hingewiesen, dass in der Strafanzeige vom 4. September 2015 ausdrücklich unter dem Punkt „Sprachmerkmale / Deutsche Sprache“ vermerkt wurde: „kein deutsch“. Das Landgericht hat sich im Beschluss vom 13. Oktober 2016 mit diesem Vortrag nicht auseinandergesetzt. Nachdem dieser Vermerk der Annahme, der Beschwerdeführer spreche hinreichend Deutsch, um den Inhalt des Strafbefehls und der Rechtsbehelfsbelehrung zu verstehen, entgegensteht, hätte es einer Begründung bedurft, warum das Landgericht dennoch von hinreichenden Sprachkenntnissen ausgeht. Auch den Hinweis des Beschwerdeführers, dass das Gespräch mit den Polizisten möglicherweise auf Englisch geführt wurde, was er zumindest ansatzweise beherrscht, hat das Landgericht unberücksichtigt gelassen. Der Akteninhalt ist angesichts des Vermerks zu den Sprachkenntnissen zumindest nicht eindeutig, so dass sich die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen aufdrängt. Es hätte daher einer Erläuterung bedurft, warum das Landgericht dies für nicht erforderlich hielt.

b) Der Gehörsverstoß ist durch die Entscheidung über die Gehörsrüge nicht geheilt worden, da auch im Beschluss vom 17. Oktober 2016 keine Auseinandersetzung mit dem vorgetragenen Umstand erfolgte, sondern lediglich floskelhaft ausgeführt wurde, die Schriftsätze seien bei der getroffenen Entscheidung berücksichtigt worden.

c) Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist auch entscheidungserheblich, da das Gericht bei Berücksichtigung des Vortrags zu den Sprachkenntnissen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Das Landgericht hat ausdrücklich offengelassen, ob das Fehlen der nach § 187 Abs. 2 GVG bei mangelnden Sprachkenntnissen erforderlichen Übersetzung die Unwirksamkeit der Zustellung des Strafbefehls zur Folge hat. Auf die Frage der Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages kommt es daher erst dann an, wenn das Landgericht von der Wirksamkeit der Zustellung ausgehen sollte.“

RVG: Abgesprochener Strafbefehl, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr

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Im Bereich der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG – auch „Befriedungsgebühr“ genannt – gibt es ein paar Streitfragen, die die Rechtsprechung und Literatur immer wieder beschäftigen. Dazu gehört u.a. die Frage, ob eine zusätzliche Verfahrensgebühr entsteht, wenn die Entscheidung im Strafbefehlsverfahren „abgesprochen“ wird. Denn dann wird ja eine Hauptverhandlung vermieden. Da der Fall nicht ausdrücklich in Nr. 4141 VV RVG geregelt ist, kommt nur eine entsprechende Anwendung der Vorschrift in Betracht. Die hat dann aber jetzt das LG Mannheim im LG Mannheim, Beschl. v. 07.04.2017 – 6 Qs 9/16 – abgelehnt:

„Die Voraussetzungen der Festsetzung der Gebühr nach Ziffer 4141 VV-RVG liegen nicht vor und für eine entsprechende Anwendung auf die vorliegende Konstellation ist kein Raum.

Der Wortlaut der Ziffer 4141 VV-RVG erfasst den Fall, dass durch die Mitwirkung des Verteidigers eine Hauptverhandlung entbehrlich wird, weil erst durch seine Mitwirkung ein Strafbefehlsantrag, der vom Beschuldigten akzeptiert wird, erwirkt wird, nicht. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sind die Gebührentatbestände nach dem VV-RVG auch als abschließend zu verstehen; hierfür spricht nicht nur der Wortlaut – bei der Ziffer 4141 VV-RVG handelt es sich ersichtlich nicht um eine beispielhafte Aufzählung -, sondern auch Systematik und Sinn und Zweck des Vergütungsverzeichnisses zum RVG. Die Entstehung der Gebühren soll im VV-RVG gerade klar und eindeutig geregelt werden, was sich in den sehr detaillierten Gebührentatbeständen auch zeigt.

Bei Ziffer 4141 VV-RVG handelt es sich zudem um eine grundsätzlich eng auszulegende Ausnahme (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18.4.2013, 2 Ws 327/12) vom Grundsatz, dass die anwaltliche Tätigkeit zur Beratung seines Mandanten, wie er sich – auch prozessual – im Strafverfahren verhalten soll, durch die Grund- und Verfahrensgebühr nach Ziffer 4100 sowie 4106 (für das amtsgerichtliche Verfahren) abgegolten sein soll und nur für die Wahrnehmung von Terminen weitere Gebühren anfallen.

Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf die vorliegende Konstellation kommt auch nicht in Betracht. Eine planwidrige Regelungslücke besteht nicht. Dem Gesetzgeber war beim Erlass des 2. KostRMoG am 23.7.2013, bei dem Ziffer 4141 Abs. 1 Nr. 4 VV-RVG eingefügt und auch in anderen Bereichen geändert wurde, die vorliegende sowie ähnliche Konstellationen, in denen möglicherweise eine vergleichbare Interessenlage wie bei den in Ziffer 4141 Abs. 1 VV-RVG geregelten Fällen gegeben ist, bekannt, ohne dass er eine Regelung getroffen hätte. So hatte das OLG Nürnberg bereits zuvor entschieden, dass eine zusätzliche Gebühr nach Ziffer 4141 VV-RVG nicht anfällt, wenn der Verteidiger den Verurteilten dahingehend berät, ein den Rechtszug beendendes Urteil oder den erlassenen Strafbefehl hinzunehmen und kein Rechtsmittel einzulegen (OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.5.2009, 2 Ws 132/09).

Dies mag im Einzelfall unbillig erscheinen; der Gesetzgeber hat aufgrund der Vielzahl möglicher Konstellationen, die zur Beantragung eines konkreten Strafbefehls führen, aber bewusst den einfachen Fall der Entscheidung durch Strafbefehl nicht in Nr. 4141 VV-RVG aufgenommen (vgl. auch Schneider, Die Neuerungen bei der zusätzlichen Gebühr in Strafsachen (Nr. 4141 VV-RVG), NZV 2014, 149).

Dass der Gesetzgeber auch nicht beabsichtigte, entsprechende faktische Verständigungen mit der Staatsanwaltschaft über die Beantragung eines Strafbefehls mit einer zusätzlichen Gebühr zu honorieren, zeigt sich auch darin, dass das Vergütungsverzeichnis zum RVG auch ansonsten keinerlei zusätzliche Gebühren für den Verteidiger vorsieht, der an einer Verständigung mitwirkt, obwohl dies gleichfalls für ihn sehr zeitaufwändig sein kann und im Einzelfall – gerade im Hinblick auf die dadurch bedingte Verfahrensverkürzung – gar unbillig erscheinen mag. Auch hier wirkt der Verteidiger bereits im Vorfeld mit, dass eine gerichtliche Entscheidung (wahrscheinlich) akzeptiert und nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen wird, ohne dass er dafür eine zusätzliche Gebühr erhält.

Das Gericht sieht auch die Problematik, dass nur aus gebührenrechtlichen Gesichtspunkten Einsprüche gegen einen Strafbefehl eingelegt werden, um diesen dann wieder zurückzunehmen und somit die zusätzliche Gebühr nach Ziffer 4141 Nr. 3 VV-RVG auszulösen. Dieser Gesichtspunkt betrifft aber alle Fälle, in denen ein Strafbefehl beantragt wurde, also auch die Konstellation, in denen ein Angeklagter lediglich dahingehend beraten wird, keinen Einspruch einzulegen (auch dies kann sehr zeitaufwändig sein) und die auch nach Auffassung des Beschwerdeführers von Ziffer 4141 VV-RVG – entsprechend der Rechtsprechung des OLG Nürnberg vom 20.5.2009, 2 Ws 132/09 – nicht erfasst sein soll.“

In der Literatur wird das z.Z. anders gesehen, so auch von mir bei Burhoff/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 54. Das ist m.E. schon deshalb zutreffend, weil der Fall von der Interessenlage vergleichbar ist mit der Nr. 5115 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG im Bußgeldverfahren. Ein Grund für eine unterschiedliche Behandlung dieser beiden vergleichbaren Fälle ist nicht ersichtlich.

Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn de lege ferenda der Gesetzgeber – vielleicht in einem demnächst anstehenden 3. KostRMoG – insoweit regelnd eingreifen würde. Allerdings werden wir zunächst eine Entscheidung des OLG Karlsruhe erwarten dürfen, da das LG die weitere Beschwerde gegen seine ablehnende Entscheidung zugelassen hat.