BGH II: Unzulänglicher Strafbefehl, oder: Kein Verfahrenshindernis

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Die zweite Entscheidung, des Tages, der BGH, Beschl. v. 13.03.2019 – 2 StR 380/18 – behandelt eine interessante Frage betreffend das Verfahrenshindernis der anderweietigen Rechtshängigkeit. Das LG hat den Angeklagten wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge „in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe, unerlaubtem Besitz von Munition und unerlaubter Überlassung einer halbautomatischen Kurzwaffe“ verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte u.a. ein Verfahrenshindernis geltend gemacht. damit hatte er keinen Erfolg:

„2. Das von der Revision geltend gemachte Verfahrenshindernis einer anderweitigen Rechtshängigkeit im Fall II.1 der Urteilsgründe, betreffend die Tat vom 12. Dezember 2015, besteht nicht.

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Mit dem am 8. Februar 2016 – antragsgemäß – erlassenen Strafbefehl war dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden, gegen „§§ 52 Abs. 3 Nr. 8, 42 Abs. 1, 2 Abs. 3 WaffG“ verstoßen zu haben, indem er „am 12.12.2015 in O. einer vollziehbaren Anordnung nach § 41 Abs. 1 Waffengesetz zuwider“ ein Einhandmesser bei sich getragen habe, obwohl ihm der Besitz von Waffen jeglicher Art verboten gewesen sei. Nachdem der Angeklagte hiergegen fristwahrend und unbeschränkt Einspruch eingelegt hatte, stellte das Amtsgericht das Strafbefehlsverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss vom 7. Juni 2016 im Hinblick auf Fall 1 der dem hiesigen Verfahren zugrundeliegenden Anklageschrift vom 22. März 2017 nach § 154 Abs. 2 StPO ein. Darin wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, am „12.12.2015 in der Gaststätte ‚S. ‘ in der K. straße in O. “ mit – näher beschriebenen – Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben, wobei sich in einer Schublade der Gaststätte sowie in seiner linken Jackentasche jeweils ein Einhandmesser befunden habe. Unter dem 7. September 2017 erklärte die Staatsanwaltschaft gegenüber dem Amtsgericht Offenbach am Main die Rücknahme ihres Strafbefehlsantrags (Bl. 1041 d.A.).

b) Der Strafbefehl konnte – was der Senat im Freibeweisverfahren geklärt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. März 2001 – StB 4 u. 5/01, BGHSt 46, 349, 351 ff. und vom 22. August 2001 – 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Urteil vom 1. August 2018 – 3 StR 651/17, BeckRS 2018, 33425) – hier keine anderweitige Rechtshängigkeit der verfahrensgegenständlichen Tat bewirken, da er – entgegen der Annahme von Generalbundesanwalt und Landgericht – auf einen unwirksamen Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Darmstadt hin erlassen worden war. Dem liegen folgende rechtliche Erwägungen zugrunde:

aa) Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen (§ 264 StPO), dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO); sie muss sich von anderen gleichartigen Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion – st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 und vom 25. September 2014 – 4 StR 69/14, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Verfahrenshindernis 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 200 Rn. 7; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 200 Rn. 3 jeweils mwN). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u. a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 – 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20). Die Identität des geschichtlichen Vorgangs muss feststehen; es darf kein Zweifel über die verfahrensgegenständlichen Taten im prozessualen Sinn eintreten. Welche Angaben hierfür erforderlich sind, lässt sich allerdings nicht für alle Fälle in gleicher Weise sagen. Die einzelnen Faktoren der Tatkonkretisierung können von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht besitzen und durch größere Genauigkeit jeweils anderer Umstände ersetzt oder verdrängt werden (vgl. BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45 ff. und vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 155). Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung, so ist die Anklage unwirksam (vgl. nur BGH, Urteile vom 11. Januar 1994 – 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; vom 22. August 2001 – 5 StR 431/00, NStZ 2001, 656, 657; Senat, Urteil vom 28. April 2006 – 2 StR 174/05, NStZ 2006, 649 f.; BGH, Urteile vom 28. Oktober 2009 – 1 StR 205/09, NJW 2010, 308 und vom 9. August 2011 – 1 StR 194/11, BeckRS 2011, 21849; ferner KK-StPO/Schneider, aaO).

bb) Dies gilt gleichermaßen für den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Durch ihn wird – von § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO gesetzlich klargestellt – im Strafbefehlsverfahren die öffentliche Klage erhoben (§ 170 Abs. 1 StPO); die Antragsschrift steht der Anklageschrift gleich (vgl. BT-Drucks. 10/1313, S. 35; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Mai 1988 – 3 Ws 85/87, JR 1989, 435, 437 mit Anm. Rieß; OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Juli 1996 – 2 Ss 292/96, NJW 1996, 2879; OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. August 2006 – Ss 247/06 [I 80], BeckRS 2006, 09761; OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Februar 2012 – 1 St OLG Ss 240/11, BeckRS 2012, 5180; BayObLG, Beschluss vom 9. Februar 2001 – 5 St RR 21/01, StV 2002, 356; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. April 2004 – 1 Ss 189/04, StV 2005, 598). Nach antragsgemäßem Erlass des Strafbefehls übernimmt dieser für die Hauptverhandlung die Funktion des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BT-Drucks. aaO; ferner nur Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 411 Rn. 3; KK-StPO/Maur, aaO, § 411 Rn. 8), so dass mit Blick auf diese Funktionsgleichheit und auch zur Bestimmung des Umfangs einer möglichen späteren Rechtskraft an die unerlässliche Tatkonkretisierung im Strafbefehlsverfahren (vgl. § 409 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) regelmäßig keine geringeren Anforderungen als an den Anklagesatz zu stellen sind.

c) Hieran gemessen erweist sich der Strafbefehlsantrag wegen fehlender tatkonkretisierender Angaben als unwirksam. Die für sich genommen bereits wenig spezifisch beschriebene Tathandlung wird hier weder durch konkrete Angaben zum Tatort noch durch solche zu einer näher bestimmten Tatzeit individualisiert. Der Antrag beschränkt sich insoweit auf die Mitteilung des Namens einer Großstadt und eines Datums. Auch die gebotene Gesamtschau von Anklagesatz und sonstigem Inhalt des Strafbefehlsantrags ermöglicht hier keine Tatkonkretisierung. Die mitgeteilten angewendeten Vorschriften sind widersprüchlich. Ihnen ist ausdrücklich der Tatvorwurf nach § 52 Abs. 3 Nr. 8 WaffG zu entnehmen; zugleich scheinen sie allerdings auch auf § 52 Abs. 3 Nr. 9 WaffG Bezug zu nehmen und damit ein vollständig anderes Tatgepräge – Führen von Waffen bei öffentlichen Veranstaltungen (§ 42 WaffG) – nahezulegen. Individualisierende Hinweise sind schließlich auch der Angabe zum Augenscheinsobjekt in der Beweismittelliste nicht zu entnehmen („Einhandmesser“).

d) Auf die – angesichts dessen auch nicht mit der notwendigen Sicherheit zu beantwortende – Frage, ob Fall II.1 der Urteilsgründe und das Strafbefehlsverfahren die nämliche Tat zum Gegenstand haben (§ 264 StPO), kommt es deshalb hier nicht an. Ebenso ohne Bedeutung ist die – vom Landgericht bejahte (UA S. 24 f.) – Frage, ob die Staatsanwaltschaft trotz vorläufiger Einstellung des Strafbefehlsverfahrens und ohne vorherige Wiederaufnahme des Verfahrens (vgl. § 154 Abs. 5 StPO) ihren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wirksam zurücknehmen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 1990 – 5 StR 48/90, BGHSt 36, 361, 363).“

7 Gedanken zu „BGH II: Unzulänglicher Strafbefehl, oder: Kein Verfahrenshindernis

  1. RiAG

    Die viel spannendere Frage lautet doch, wie die StA auf die großartige Idee mit dem Strafbefehl gekommen ist und damit – bei korrekter Antragsabfassung – Strafklageverbrauch insgesamt riskiert hätte.

    Aber die Antwort hab ich auch: Das liegt daran dass Akten wegen besonderer Zuständigkeiten (hier wohl: Waffenrecht) zum Teil in der zentralen Eintragungskartei separat angelegt und am Turnus vorbei dem Spezialsachbearbeiter vorgelegt werden. Schaut man dann Im PC nicht nach, was sonst noch „läuft“ gegen den Beschuldigten… Zack. Böse Falle.

    Wer betrunken zum späteren Mordtatort fährt… (gut, da kann man es über § 264 StPO wohl retten…)

    Aber die Präzision und Qualität lässt leider auch bei den StA’en nach 🙁

  2. Jurist

    Sie haben sich die Antwort ja schon selbst gegeben. Passiert immer wieder dank Spezialzuständigkeiten (und statistischer Aufblähung?).

    Hier etwa betrunken und bewaffnet zum BtM-Bunker gefahren: BGH, Beschluss vom 3. 5. 2012 – 3 StR 109/12.

  3. RiAG

    @Jurist: Ja, auch das grandiose System Pebb§y trägt leider sein Scherflein dazu bei, dass so etwas passiert. Man müsste ja das ganze nicht in zwei Akten führen. Dann kann es auch nicht passieren, dass einem was durchrutscht. Ich denke, der Fehler beginnt aber sogar schon früher – auch die Polizei nimmt in solchen Fällen gern zwei statistische „Nummern“ mit. Wenn es dann noch mit verschiedener Post und zeitlichem Versatz angeliefert wird, kriegt man es schwerlich wieder zusammengeführt. Nur die aufmerksame Lektüre des Schlussberichts der Polizei öffnet dem StA die Augen dafür, dass „die Anzeige wegen Verstoß gegen das BtMG [wird] gesondert vorgelegt“ wird. Und dann muss man die Akte eben einsammeln gehen und verbinden.

    Dem Statistikdruck wird leider vieles untergeordnet – vor allem die inhaltliche Qualität. Man kriegt eher einen Einlauf vom Abteilungsleiter, wenn das Referat zu viele offene Fälle hat, als wenn man mal richtigen Bockmist in der Sache verbrockt…

    Wohl dem Angeschuldigten, der noch ein akribisch prüfendes Gericht als Puffer vor sich hat. (Und auch bei Gericht droht die Statistik und Geschäftsprüfung natürlich laufend… da wird vieles durchgewunken, man kann es sich ja „zum Termin dann noch genauer anschauen“…)

    Passiert leider. Und wenn sich nicht das Selbstverständnis und die Personalsituation deutlich ändern, wird es eher noch schlimmer werden.

  4. Jurist

    @RiAG: Vollste Zustimmung. Ich finde es wirklich befremdlich, dass ein sorgfältiger Richter/StA mit entsprechend größerem Rückstand im Dezernat eher Gefahr läuft disziplinarisch belangt zu werden als ein schlampiger Kollege, dem wegen oberflächlicher Arbeit grobe sachliche Fehler unterlaufen – Hauptsache, die Zahlen stimmen!

    Nachtrag zur Statistik: Hatte kürzlich ein Verfahren wegen Unterschlagung dreier Leasingsfahrzeuge. Die Polizei hat für jedes Fahrzeug eine eigene Akte samt Vorgangsnr. angelegt. Das hat nicht unbedingt zur besseren Lesbarkeit der Ermittlungsakte beigetragen, aber statistisch sind das gleich drei Fälle, die nach den Kriterien der PKS auch noch als zu 100% aufgeklärt gelten…

    Den Blick ins Verfahrensregister sollte allerdings jeder StA vor der Sachbearbeitung wagen – allein schon, um nicht das Rennen um den § 154 StPO zu verlieren. 😉

  5. RiAG

    @jurist: und ich Dummerchen dachte ja vor meiner Zeit als Staatsanwalt, bei § 154 StPO ginge es um Schwerpunktsetzung und das wegstreichen von Nebensächlichkeiten. Aber Sie haben leider Recht. Die ZStV ist oft nur dazu da, den Deckel auf unliebsame Akten zu donnern. Dem Bürger ist das leider nur schwerlich beizubringen.

    „Frau Müller? Ja. Gut, dass ich Sie erreiche. Ja. Ja, ich weiß, dass Herr Meier bei Ihnen eingebrochen hat. Ja.
    Furchtbar. Aber bei Familie Schulz war er auch. Und das finden wir hier bei der Staatsanwaltschaft wichtiger. Was? Nein. Ihr Zivilrechtsweg steht Ihnen natürlich trotzdem offen. Was? Ja, Vorschuss und ab 5.000 Eur zwingend mit Anwalt. Ja. Aber Frau Müller. Denken Sie doch mal an die knappen Ressourcen. Ja. Ich muss leider weiter. Tschüssi…“

    🙁

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