Schlagwort-Archive: Strafbefehl

AG I: Ist das AG an den Strafbefehlsantrag gebunden?, oder: Abweichende Kostenentscheidung im Strafbefehl

Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Heute dann mal drei Entscheidungen „von ganz unten“, also von Amtsgerichten 🙂 . Zwei kommen aus dem OWi-Bereich, eine betrifft das Strafbefehlsverfahren.

Ich beginne mit dem AG Kehl, Beschl. v. 18.07.2023 – 2 Cs 308 Js 17340/22 – zum Strafbefehlsverfahren. Das AG nimmt zu einer interessanten Frage Stellung, nämlich dazu, ob das Gericht einen Strafbefehl mit einer vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichenden Kostenentscheidung erlassen kann.

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die StA hatte den Erlass eines Strafbefehls u.a. mit dem Vorwurf des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte beantragt. Der Angeklagte habe sich tätlich der Ingewahrsamnahme durch die Polizei wegen Trunkenheit widersetzt und die Polizeibeamten dabei beleidigt. Da der Angeklagte nach den Feststellungen der Polizei am Tattag gegen 0:55 Uhr „volltrunken“ auf dem Gehweg gelegen sei und sich in „einem, die freie Willensausübung ausschließenden Zustand“ befunden habe, gab das AG die Sache wegen Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten an die Staatsanwaltschaft zurück und regte an, den Vorwurf auf (fahrlässigen) Vollrausch umzustellen, was die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die Blutalkoholkonzentration, die für die um 3:48 Uhr entnommene Blutprobe 1,77 ‰ betrug, ablehnte.

Das daraufhin vom AG eingeholte Sachverständigengutachten kam zum Ergebnis, dass – nach Aktenlage – von einer maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,54 ‰ und einer erheblichen Minderung des Steuerungsvermögens auszugehen sei, wobei ihre vollständige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden könne.

Der erneuten, nunmehr zusätzlich auf das Gutachten gestützten Anregung des Gerichts, den Vorwurf auf Vollrausch umzustellen, kam die Staatsanwaltschaft zwar dann mit dem Antrag vom 06.06.2023 unter Vorlage eines entsprechend neu gefassten Entwurfs des Strafbefehls nach. Der Auffassung des AG, dass es hinsichtlich der Kostenentscheidung im Strafbefehl angezeigt erscheine, die Auslagen für das Gutachten gemäß § 465 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen, verschloss sie sich indes, sodass der von der ihr vorbereitete Strafbefehlsentwurf hinsichtlich der Kosten vorsah , dass der Angeklagte „die Kosten des Verfahrens und [seine] notwendigen Auslagen zu tragen“ habe; eine Kostentragungspflicht des Angeschuldigten einschließlich der Kosten für das rechtsmedizinische Gutachten sei nicht zu beanstanden, weil vorliegend keine abweichende Entscheidung aus Gründen der Billigkeit geboten sei, wie es bei einem sog. fiktiven Freispruch oder bei Reduzierung des Tatvorwurfs auf ein minder schweres Delikt der Fall sei.

Das AG hat den Strafbefehl erlassen, aber eine vom Entscheidungsentwurf der StA abweichende Kostenentscheidung getroffen:

„Zwar bestimmt § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO, dass der Richter nicht eigenmächtig einen Strafbefehl mit einem vom Antrag abweichenden Inhalt erlassen darf, sondern Hauptverhandlung anberaumt, wenn er eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharrt. Die Kostenentscheidung ist aber nicht Rechtsfolge in diesem Sinne, selbst wenn sie – wie hier – bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten ist. Vielmehr umfasst der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat im Sinne des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs.

Ursprünglich bestimmte § 408 StPO in der § 448 der Strafprozessordnung vom 01.07.1877 (RGBl. S. 253) entsprechenden Fassung (RGBl. I 1924 S. 322), dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine bestimmte Strafe zu richten (Abs. 1 Satz 1) und die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen ist, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrage beharrt (Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1); zugleich bestimmte § 464 Abs. 1 Satz 1 StPO, wie immer noch, dass jeder Strafbefehl darüber Bestimmung treffen muss, von wem die Kosten des Verfahrens tragen sind. An dieser inhaltlichen Trennung zwischen Strafbefehlsantrag und – im Übrigen auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu treffenden (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464 Rn. 1) – Kostenentscheidung hat sich seitdem nichts geändert. Lediglich der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens wurde durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) um die Festsetzung bestimmter Nebenfolgen sowie Maßregeln der Sicherung und Besserung neben der Strafe erweitert, wobei diese Aufzählung später zur sprachlichen Anpassung unter Übernahme des Begriffes aus dem Strafgesetzbuch (BTDrs. 7/550, S. 300, 306) mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 02.03.1974 (BGBl. I S. 469) durch „Rechtsfolge“ ersetzt wurde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO. Wegen seiner Verurteilung hat der Angeklagte grundsätzlich die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen. Ihn mit den Auslagen fĂĽr das Gutachten zu belasten wäre jedoch – jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand – unbillig, weil diese Auslagen nur entstanden sind, um die Staatsanwaltschaft, die trotz gewichtiger Anhaltspunkte fĂĽr die rauschbedingte Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit zunächst bei ihrem Strafbefehlsantrag beharrte, davon zu ĂĽberzeugen, dass lediglich hinreichender Tatverdacht wegen Vollrauschs besteht.“

Bewährung II: Widerruf von Strafaussetzung, oder: Leichte Kriminalität und Vertrauensschutz

© rcx – Fotolia.com

Und dann im zweiten Posting zwei KG-Entscheidungen, und zwar:

Im KG, Beschl. v. 16.02.2023 – 2 Ws 1/23 – geht es um den Bewährungswiderruf bei wiederholter Begehung von Delikten der leichteren Kriminalität.

Dazu fĂĽhrt das KG aus:

„Jede in der Bewährungszeit begangene Straftat von einigem Gewicht rechtfertigt, unabhängig davon, ob sie einschlägig oder nicht einschlägig ist, den Widerruf der Bewährungsentscheidung (std. Rspr., vgl. Senat, BeschlĂĽsse vom 11. Januar 2023 – 2 Ws 192/22 –, vom 14. April 2014 – 2 Ws 116/14 – und vom 14. Oktober 2013 – 2 Ws 494-495/13 –, juris; alle m.w.N.). Auch Straftaten, die nur mit Geldstrafen geahndet wurden, sind grundsätzlich als Widerrufsgrund geeignet. Denn § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB setzt nicht voraus, dass die neue Tat der frĂĽheren nach Art und Schwere entspricht (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2019 – 2 Ws 79/19 – m.w.N.). Es kommt also nicht darauf an, ob die neue Tat und die frĂĽhere kriminologisch vergleichbar sind oder sonst in einem inneren Zusammenhang stehen. Die Erwartung kĂĽnftiger Straffreiheit wird vielmehr durch jede Tat von nicht unerheblichem Gewicht in Frage gestellt, auch durch eine solche, die nicht mit Freiheitsstrafe geahndet wurde (vgl. Senat, BeschlĂĽsse vom 11. Januar 2023 – 2 Ws 192/22 – und vom 17. Juni 2019 – 2 Ws 79/19 –). Allerdings stellt die „Erwartungsformel“ klar, dass bloĂźe Gelegenheits- bzw. Fahrlässigkeitstaten und sonstige Verfehlungen von geringem Gewicht nicht in jedem Fall zu einem Widerruf fĂĽhren, wenn sie zu der frĂĽheren Tat in keiner Beziehung stehen und nach der Gesamtschau weiterhin von einer gĂĽnstigen Prognose ausgegangen werden kann. Ist daher der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit erstmals durch ein nicht einschlägiges Bagatelldelikt aufgefallen, das sich in Anbetracht seiner mittlerweile wieder soliden LebensfĂĽhrung und unter BerĂĽcksichtigung der Tatumstände als einmalige Entgleisung darstellt, so scheidet ein Widerruf der Strafaussetzung schon aufgrund der Erwartungsklausel – und nicht erst in Anwendung von § 56f Abs. 2 StGB – aus (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2019 – 2 Ws 79/19 –). FĂĽr den Widerruf kann es andererseits jedoch ausreichen, wenn bei einer Mehrzahl neuer vorsätzlicher Taten jede einzelne zwar nur gering wiegt, alle zusammengenommen nach Unrecht und Schuld aber nicht als bedeutungslos bezeichnet werden können. Auch kann die wiederholte Begehung von Delikten der leichteren Kriminalität zur Widerlegung der der Strafaussetzung zugrundeliegenden Prognose fĂĽhren (vgl. Senat a.a.O. m.w.N. und Beschluss vom 21. Oktober 2008 – 2 Ws 520/08 –, juris).

Gemessen an diesen MaĂźstäben erfordert die Gesamtschau aller Umstände den Widerruf der Bewährung. 3 Abs. 1 Satz 1 StPO.“

Und dann der KG, Beschl. v. 23.11. 2022 – 2 Ws 161/22 – zum Bewährungswiderruf wegen einer durch Strafbefehl geahndeten Tat und zum Vertrauensschutz. Zum Vertrauensschutz fĂĽhrt das KG aus:

„3. Dem danach angezeigten Widerruf stehen entgegen der Rechtsauffassung der Verteidigung auch nicht Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes entgegen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Kammergerichts kann einem Widerruf entgegenstehen, dass bei dem Verurteilten ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, ein Widerruf der Strafaussetzung wegen der Anlasstat werde nicht mehr erfolgen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. März 2013 – 2 BvR 2595/12 –, juris; Senat, Beschluss vom 22. Januar – 2 Ws 17/14 –, juris; KG, Beschluss vom 24. März 2015 – 5 Ws 30/15 –). Der Schutz dieses Vertrauens folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, a. a. O.). Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles. Dabei kann ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der zuständigen Justizstellen dazu beitragen, aus der maßgeblichen Sicht des Verurteilten ein Vertrauen zu schaffen, zu einem Widerruf werde es nicht mehr kommen (vgl. Senat, a. a. O.; KG, a. a. O.).

b) Gemessen daran durfte der Verurteilte nicht darauf vertrauen, dass ein Widerruf im hiesigen Verfahren nicht mehr ergehen werde…..“

StPO II: Einspruchsbeschränkung auf den Tagessatz, oder: „Konkreter Vortrag bitte, wir suchen nicht..“

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Die zweite Entscheidung stammt auch aus einem Strafbefehlsverfahren.

Die Angeklagte hat Einspruch gegen einen Srafbefehl des Amtsgerichts Erlangen eingelegt. Die Verteidigerin beschränkte den Einspruch auf die Tagessatzhöhe und führte hierzu an, monatliche Mietbelastungen, eine Schuldentilgung für einen Küchenkauf sowie monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von 800 EUR an die Tochter der Angeklagten seien bei der Bemessung der Tagessatzhöhe zu berücksichtigen. Als Anlage zu dem Schreiben waren diverse Unterlagen beigefügt. Hierunter befand sich ein Kontoauszug, aus dem unter anderem eine Überweisung an … von 800 EUR mit dem Verwendungszweck „Unterhalt“ hervorgeht. Das Amtsgericht Erlangen reduzierte auf den Einspruch hin mit Beschluss vom 20.10.2022 die Tagessatzhöhe auf 60 EUR. Gegen diesen Beschluss legte die Verteidigerin mit Schreiben vom 25.10.2022 Beschwerde ein und führte aus, im vorliegenden Fall seien zwar die Unterhaltsverpflichtungen der Beschuldigten berücksichtigt, nicht aber die Mietzins- und Schuldenbelastungen.

Das LG hat die Beschwerde mit Beschluss vom 15.11.2022 als unbegrĂĽndet verowrfen. Dagegen legte die Verteidigerin fĂĽr die Beschuldigte GehörsrĂĽge nach § 33a StPO ein. Sie fĂĽhrte aus, das Gericht habe ein entscheidungserhebliches Beweismittel nicht zur Kenntnis genommen. Zwar habe die Verteidigerin in ihrem Schreiben vom 22.09.2022 nur eine Unterhaltszahlung von monatlich 800 EUR genannt, gleichwohl habe sich aus dem als Anlage beigefĂĽgten Kontoauszug ergeben, dass auch eine weitere Unterhaltszahlung von 500 EUR an das weitere Kind der Beschuldigten, …, geleistet worden sei (Ăśberweisung mit Verwendungszweck: „… Sepa-Ăśberweisung IBAN … BIC … SVWZ+ Unterhalt KREF+ …“).

Die AnhörungsrĂĽge hatte keinen Erfolg. Das LG NĂĽrnberg-FĂĽrth hat sie mit dem LG NĂĽrnberg-FĂĽrth, Beschl. v. 12.12.2022 – 12 Qs 68/22 – zurĂĽckgewiesen:

„Die AnhörungsrĂĽge ist unbegrĂĽndet, da die Kammer das Recht der Beschuldigten auf rechtliches Gehör nicht verletzt hat. Eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör kommt in Betracht, wenn das Gericht zum Nachteil des Antragstellers Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet hat, zu denen er nicht gehört worden ist, oder wenn es zu berĂĽcksichtigendes Vorbringen des Antragstellers ĂĽbergangen hat (Meyer-GoĂźner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 33a Rn. 3).

Die Kammer hat sämtliche durch die Verteidigerin in ihrer Beschwerde vom 25.10.2022 vorgetragenen Einwände gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Erlangen sowie die AusfĂĽhrungen in ihrem Schriftsatz vom 22.09.2022 berĂĽcksichtigt. In der Beschwerde fĂĽhrt die Verteidigerin aus, das Amtsgericht Erlangen habe die Unterhaltsverpflichtungen der Angeklagten bereits berĂĽcksichtigt. Auch im Schreiben vom 22.09.2022 spricht sie lediglich von einer Unterhaltszahlung fĂĽr die Tochter in Höhe von 800 €. Weder ergibt sich aus den Schreiben ein Hinweis auf eine zweite Tochter noch auf eine weitere bestehende Unterhaltsverpflichtung. Ohne entsprechenden Sachvortrag war das Gericht nicht gehalten, in dem vorgelegten Kontoauszug nach Belegen fĂĽr etwaige weitere berĂĽcksichtigungsfähige Zahlungen zu suchen. Der Kontoauszug wurde allein als Beleg fĂĽr die schriftsätzlich angefĂĽhrte Unterhaltsverpflichtung in Höhe von 800 € vorgelegt und war nur insoweit vom Gericht zu prĂĽfen, zumal die als ĂĽbergangen gerĂĽgte Ăśberweisung von 500 € erst nach der Ăśberweisung von 800 € im Auszug notiert ist.“

Rechtsmittel II: Einspruch gegen den Strafbefehl, oder: Das geht nicht durch einfache Email

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Die zweite Entscheidung hat einen Einspruch gegen einen Strafbefehl zum Gegenstand. Der ist dem Angeklagten am 20.08.2022 persönlich übergeben worden. Gegen den Strafbefehl wandte er sich dann mit E-Mail vom 08.09.2022 und begründete die Versäumung der Einspruchsfrist. Zugleich kündigte er an, den Einspruch am nächsten Tag zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Amtsgericht Fürth nachzuholen. Das tat er dann nicht. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, das Schreiben vom 08.09.2022 als Einspruch zu behandeln und diesen wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen. Im Übrigen sei ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Das AG hat den Einspruch als unzulässig, weil verfristet, verworfen.

Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seinem Schreiben. Er macht geltend: Er habe die Einspruchsfrist verpasst, weil er vom 19.08.2020 – 07.09.2022 in Urlaub gewesen sei; er habe erst nach seiner RĂĽckkehr den zugestellten Strafbefehl im Briefkasten vorgefunden.

Das LG NĂĽrnberg-FĂĽrth hat mit LG NĂĽrnberg-FĂĽrth, Beschl. v. 09.11.2022 – 12 Qs 59/22 – die sofortige Beschwerde verworfen:

2. Allerdings ist sie unbegründet. Das Amtsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und den Einspruch zu Recht verworfen. Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Wiedereinsetzungsantrag binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Verlangt wird hierfür die Schriftform (Maul in KK-StPO, 8. Aufl., § 45 Rn. 2 m.N. zur a.A.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 45 Rn. 2); für die versäumte Prozesshandlung bedarf es der für sie vorgeschriebenen Form. Wird die versäumte Handlung nicht in der für sie vorgeschriebenen Form nachgeholt, so ist auch der Antrag auf Wiedereinsetzung unzulässig (Maul, aaO., § 45 Rn. 9; Schmitt, aaO., § 45 Rn. 11). Beim Strafbefehl erfolgt die Einlegung des Einspruchs binnen zweier Wochen schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 410 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Die Schriftform ist hier in beiden Fällen – beim Wiedereinsetzungsantrag und beim Einspruch – nicht eingehalten. Zwar kann gegenĂĽber Gerichten die Schriftform auch durch ein elektronisches Dokument gewahrt werden (§ 32a Abs. 1, 3 StPO). Der Wortlaut dieser Norm beschränkt auch den Personenkreis möglicher Absender nicht. Dementsprechend kann auch der Angeklagte elektronische Dokumente, zu denen E-Mails gehören, bei Gericht einreichen (Valerius in BeckOK StPO, 45. Ed. 01.10.2022, § 32a Rn. 4). FĂĽr deren Wirksamkeit ist es allerdings erforderlich, dass sie qualifiziert elektronisch signiert oder signiert und auf einem sicheren Ăśbermittlungsweg eingereicht werden. Eine gewöhnliche E-Mail genĂĽgt diesen Anforderungen nicht (BSG, Beschluss vom 13.05.2020 – B 13 R 35/20 B, juris Rn. 7 zu § 65a Abs. 1 SGG; BGH, Beschluss vom 12.05.2022 – 5 StR 398/21, juris Rn. 22, mit Verweis auf BT-Drs. 19/27654, S. 56).

So liegt der Fall auch hier. Die E-Mail vom 08.09.2022, mit der Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt und zugleich dessen nachträgliche Zulassung beantragt wurde, wurde von einem gewöhnlichen E-Mail-Konto versandt („…@web.de“). Abgesehen von der Namensangabe des Angeklagten in der E-Mail-Adresse und nach der GruĂźformel, lässt die E-Mail keine weitere ĂśberprĂĽfung der Urheberschaft zu. Sie trägt weder eine qualifizierte elektronische Signatur noch ist sie signiert und auf einem sicheren Ăśbermittlungsweg eingereicht worden. Wiedereinsetzungsantrag und Einspruch teilen daher das gleiche rechtliche Schicksal: Sie waren als unzulässig zu verwerfen, weshalb die Beschwerde unbegrĂĽndet ist.“

Also Vorsicht an der Stelle, wobei: M.E. hätte das LG das FaĂź ggf. gar nicht aufmachen mĂĽssen. Denn ein Wiedereinsetzungsgrund war m.E. möglicherweise nicht gegeben, da der Angeklagte nach Zustellung des Strafbefehls offenbar erst mal in Urlaub gefahren ist. Allerdings ist eine Diskrepanz im Beschluss: Einerseits heiĂźt es „persönlich ĂĽbergeben“, andererseits „nach dem Urlaub im Briefkasten vorgefunden. Und: Der Angeklagte trägt vor, er sei ab 19.08. in Urlaub gewesen. Wie kann dann am 20.08. „persönlich ĂĽbergeben werden“?

Verkehrsrecht II: Mindestdauer für Sperrfrist ist fix, oder: Weniger als drei Monate ist nicht zulässig

Bild von Karen Arnold auf Pixabay

In dem zweiten Entscheidung, dem KG, Urt. v. 17.08.2022 – ([3] 161 Ss 129/22 (44/22) – hat das KG u.a. zur Frage der Dauer der Sperrfrist (§ 69a StGB) Stellung genommen. Das AG hatte noch eine Sperrfrist von 2 Monaten festgesetzt. Das hat das KG auf die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft beanstandet:

„2. Die Sprungrevision der Amtsanwaltschaft ist begrĂĽndet. Die angeordnete Sperre fĂĽr die Erteilung einer Fahrerlaubnis hält revisionsrechtlicher PrĂĽfung nicht stand.

Gemäß § 69a Abs. 4 Satz 1 StGB verkĂĽrzt sich das MindestmaĂź der Sperre um die Zeit, in der eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO wirksam war. Satz 2 dieser Vorschrift sieht allerdings vor, dass das MindestmaĂź drei Monate nicht unterschreiten darf. Letzteres ist hier geschehen: In dem angegriffenen Urteil hat das Amtsgericht Tiergarten grundsätzlich zutreffend § 69a Abs. 4 StGB angewandt, dessen Voraussetzungen aufgrund der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten mit Beschluss vom 10. September 2021 vorlagen. Jedoch hat es bei seiner Entscheidung § 69a Abs. 4 Satz 2 StGB nicht beachtet, indem es mit zwei Monaten eine Sperre unter dem gesetzlichen MindestmaĂź angeordnet hat. Die Festsetzung einer kĂĽrzeren Sperrfrist als drei Monate ist unzulässig und kann – schon vor dem Hintergrund der eindeutigen, zwingenden gesetzlichen Regelung – auch nicht ausnahmsweise erfolgen (vgl. OLG ZweibrĂĽcken, Urteil vom 8. November 1985 – 1 Ss 252/85 –, juris; OLG Köln NJW 1967, 361; Fischer a.a.O., § 69a Rn. 12; v. Heintschel-Heinegg/Huber in MĂĽnchener Kommentar zum Strafgesetzbuch 4. Aufl., § 69a Rn. 20; Kinzig in Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts Band 3 1. Aufl. 2021, Rn. 209; ders. in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch 30. Aufl., § 69a Rn. 13; Kretschmer in MĂĽnchener Kommentar zum StraĂźenverkehrsrecht 1. Aufl., § 69a Rn. 12).“

Das KG hat außerdem zu den Voraussetzungen, unter denen die Beschränkung des gegen den Strafbefehl gerichteten Einspruchs auf die Höhe des Tagessatzes und die Dauer der Sperrfrist (§ 69a StGB) wirksam ist, Stellung genommen. Insoweit verweise ich auf den verlinkten Volltext.