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AG I: Ist das AG an den Strafbefehlsantrag gebunden?, oder: Abweichende Kostenentscheidung im Strafbefehl

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Heute dann mal drei Entscheidungen „von ganz unten“, also von Amtsgerichten 🙂 . Zwei kommen aus dem OWi-Bereich, eine betrifft das Strafbefehlsverfahren.

Ich beginne mit dem AG Kehl, Beschl. v. 18.07.2023 – 2 Cs 308 Js 17340/22 – zum Strafbefehlsverfahren. Das AG nimmt zu einer interessanten Frage Stellung, nämlich dazu, ob das Gericht einen Strafbefehl mit einer vom Antrag der Staatsanwaltschaft abweichenden Kostenentscheidung erlassen kann.

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die StA hatte den Erlass eines Strafbefehls u.a. mit dem Vorwurf des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte beantragt. Der Angeklagte habe sich tätlich der Ingewahrsamnahme durch die Polizei wegen Trunkenheit widersetzt und die Polizeibeamten dabei beleidigt. Da der Angeklagte nach den Feststellungen der Polizei am Tattag gegen 0:55 Uhr „volltrunken“ auf dem Gehweg gelegen sei und sich in „einem, die freie Willensausübung ausschließenden Zustand“ befunden habe, gab das AG die Sache wegen Bedenken hinsichtlich der Schuldfähigkeit des Angeklagten an die Staatsanwaltschaft zurück und regte an, den Vorwurf auf (fahrlässigen) Vollrausch umzustellen, was die Staatsanwaltschaft mit Verweis auf die Blutalkoholkonzentration, die für die um 3:48 Uhr entnommene Blutprobe 1,77 ‰ betrug, ablehnte.

Das daraufhin vom AG eingeholte Sachverständigengutachten kam zum Ergebnis, dass – nach Aktenlage – von einer maximalen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,54 ‰ und einer erheblichen Minderung des Steuerungsvermögens auszugehen sei, wobei ihre vollständige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden könne.

Der erneuten, nunmehr zusätzlich auf das Gutachten gestützten Anregung des Gerichts, den Vorwurf auf Vollrausch umzustellen, kam die Staatsanwaltschaft zwar dann mit dem Antrag vom 06.06.2023 unter Vorlage eines entsprechend neu gefassten Entwurfs des Strafbefehls nach. Der Auffassung des AG, dass es hinsichtlich der Kostenentscheidung im Strafbefehl angezeigt erscheine, die Auslagen für das Gutachten gemäß § 465 Abs. 2 StPO der Staatskasse aufzuerlegen, verschloss sie sich indes, sodass der von der ihr vorbereitete Strafbefehlsentwurf hinsichtlich der Kosten vorsah , dass der Angeklagte „die Kosten des Verfahrens und [seine] notwendigen Auslagen zu tragen“ habe; eine Kostentragungspflicht des Angeschuldigten einschließlich der Kosten für das rechtsmedizinische Gutachten sei nicht zu beanstanden, weil vorliegend keine abweichende Entscheidung aus Gründen der Billigkeit geboten sei, wie es bei einem sog. fiktiven Freispruch oder bei Reduzierung des Tatvorwurfs auf ein minder schweres Delikt der Fall sei.

Das AG hat den Strafbefehl erlassen, aber eine vom Entscheidungsentwurf der StA abweichende Kostenentscheidung getroffen:

„Zwar bestimmt § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO, dass der Richter nicht eigenmächtig einen Strafbefehl mit einem vom Antrag abweichenden Inhalt erlassen darf, sondern Hauptverhandlung anberaumt, wenn er eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrag beharrt. Die Kostenentscheidung ist aber nicht Rechtsfolge in diesem Sinne, selbst wenn sie – wie hier – bereits in dem von der Staatsanwaltschaft vorbereiteten Entscheidungsentwurf enthalten ist. Vielmehr umfasst der eigentliche Strafbefehlsantrag neben der zu ahndenden Tat und ihrer rechtlichen Bewertung nur die Rechtsfolgen der Tat im Sinne des Dritten Abschnitts des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs.

Ursprünglich bestimmte § 408 StPO in der § 448 der Strafprozessordnung vom 01.07.1877 (RGBl. S. 253) entsprechenden Fassung (RGBl. I 1924 S. 322), dass der Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine bestimmte Strafe zu richten (Abs. 1 Satz 1) und die Sache zur Hauptverhandlung zu bringen ist, wenn der Amtsrichter eine andere als die beantragte Strafe festsetzen will und die Staatsanwaltschaft bei ihrem Antrage beharrt (Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1); zugleich bestimmte § 464 Abs. 1 Satz 1 StPO, wie immer noch, dass jeder Strafbefehl darüber Bestimmung treffen muss, von wem die Kosten des Verfahrens tragen sind. An dieser inhaltlichen Trennung zwischen Strafbefehlsantrag und – im Übrigen auch ohne Antrag der Staatsanwaltschaft von Amts wegen zu treffenden (vgl. KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, StPO § 464 Rn. 1) – Kostenentscheidung hat sich seitdem nichts geändert. Lediglich der Anwendungsbereich des Strafbefehlsverfahrens wurde durch das Zweite Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs vom 26.11.1964 (BGBl. I S. 921) um die Festsetzung bestimmter Nebenfolgen sowie Maßregeln der Sicherung und Besserung neben der Strafe erweitert, wobei diese Aufzählung später zur sprachlichen Anpassung unter Übernahme des Begriffes aus dem Strafgesetzbuch (BTDrs. 7/550, S. 300, 306) mit dem Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 02.03.1974 (BGBl. I S. 469) durch „Rechtsfolge“ ersetzt wurde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO. Wegen seiner Verurteilung hat der Angeklagte grundsätzlich die Kosten des Verfahrens sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen. Ihn mit den Auslagen fĂĽr das Gutachten zu belasten wäre jedoch – jedenfalls im jetzigen Verfahrensstand – unbillig, weil diese Auslagen nur entstanden sind, um die Staatsanwaltschaft, die trotz gewichtiger Anhaltspunkte fĂĽr die rauschbedingte Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit zunächst bei ihrem Strafbefehlsantrag beharrte, davon zu ĂĽberzeugen, dass lediglich hinreichender Tatverdacht wegen Vollrauschs besteht.“

Keine nachträgliche PKH-Bewilligung, oder: Auch nicht nach nur vorläufiger Einstellung

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Am GebĂĽhrenfreitag stelle ich heute zwei AG-Entscheidungen vor.

Zunächst kommt hier der AG Kehl, Beschl. v. 21.06.2021 – 2 Cs 305 Js 3272/19 (2) – (noch einmal) zur nachträglichen Bewilligung von Prozesskotenhilfe. Das AG hat nach einer vorläfugen Einstellung nach § 153a den dann noch gestellten Antrag als verspätet angesehen:

„Die Beschwerde gibt keinen Anlass zur Ă„nderung der angefochtenen Entscheidung.

Soweit die Nebenklägerin erstmals mit der Beschwerde erklärt, dass es sich bei dem monatlichen Zahlungseingang von 900 € auf ihrem Konto um den Transfert der bereits als Mieteinnahmen in Polen als Einkommen berücksichtigten 800 € vom Mietkonto in Polen handele, ist dies – unabhängig von der betragsmäßig nicht unerheblichen und deshalb die Wahrhaftigkeit ihrer Angaben in Zweifel ziehende Differenz – unbeachtlich. Aufgrund der – wenngleich bislang nur vorläufigen – Einstellung des Verfahrens nach § 153a Abs. 2 StPO gilt das Verfahren nämlich als abgeschlossen, weil die eine Erfolg versprechende Rechtsverfolgung – jedenfalls bis zu einer etwaigen Wiederaufnahme – nicht (mehr) möglich ist. Eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 397a Abs. 2 StPO kommt nur dann in Betracht, wenn der Antrag auf Prozesskostenhilfe vollständig vor Abschluss der Instanz gestellt, vom Gericht aber nicht rechtzeitig beschieden wurde (vgl. KK-StPO/Walther, 8. Aufl. 2019 Rn. 14, StPO § 397a Rn. 14 MüKoZPO/Wache, 6. Aufl. 2020 Rn. 55, ZPO § 119 Rn. 55 BeckOK ZPO/Reichling, 40. Ed. 1.3.2021, ZPO § 119 Rn. 6, 7). Nachdem – trotz des Hinweises des Gerichts – auch mit der am Tag der Hauptverhandlung, in der das Verfahren eingestellt wurde, eingereichten zweiten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse keine Erläuterungen zu den 900 € erfolgte, muss der Antrag zu diesem Zeitpunkt jedoch als (noch) nicht vollständig angesehen werden (vgl. MüKoZPO/Wache, a.a.O, § 117 Rn. 19). Darüber hinaus verhält sich Nebenklägerin weiterhin nicht zu etwaigen Konten in Polen, obwohl sich der Bestand aufgrund der dort erzielten Mieteinnahmen nicht nur aufdrängt, sondern sie nach der Beschwerdebegründung zumindest über ein Mietkonto verfügt. Bereits deshalb ist der Antrag auf Prozesskostenhilfe – nach wie vor – unvollständig und kann deshalb keine Grundlage für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe sein.

Soweit die Nebenklägerin meint, das Gericht habe bei der ablehnenden Entscheidung Unterhaltszahlungen berĂĽcksichtigt, unterliegt sie offenbar einem Missverständnis der BegrĂĽndung der Entscheidung. FĂĽr die BerĂĽcksichtigung von Unterhaltsleistungen bestand mangels entsprechender Angaben in ihrer Erklärung ĂĽber ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch kein Anlass. Das Missverständnis der Nebenklägerin beruht womöglich darauf, dass das Gericht fĂĽr die Kinder als Unterhaltsberechtigte einen Freibetrag von jeweils 340 € angesetzt hatte.“

Also wenn schon ein PKH-Antrag, dann auf jeden Fall rechtzeitig 🙂 . Dazu dann auch der Hinweis auf: Pflichti II: “Rückwirkungsentscheidungen”, oder: Nachträglicher Pflichtverteidiger/nachträgliche PKH

StPO III: Wenn Staatsanwalt und Richterin miteinander verheiratet sind, oder: Besorgnis der Befangenheit?

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Und als dritte Entscheidung dann ein AG-Beschluss. Das AG Kehl hat im AG Kehl, Beschl. v. 16.12.2020 – 5 OWi 505 Js 15819/20 ĂĽber die – Frage der Befangenheit entschieden, wenn Richterin und Staatsanwalt verheiratet sind.

Folgender Sachverhalt: Dem Betroffenen wird im Bußgeldverfahren vorgeworfen, als Verlader oder Verantwortlicher des Verladers Gefahrgut entgegen den dafür geltenden Bestimmungen verladen zu haben. Dem Bußgeldverfahren vorausgegangen waren von Erster Staatsanwalt Z geführte strafrechtliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Offenburg wegen fahrlässiger Körperverletzung, da beim Entladen ein Behälter mit Gefahrgut aufgrund unsachgemäßer Stapelung geborsten sei; mangels Verletzungen der bei der Entladung zugegen gewesenen Personen hat Erster Staatsanwalt Z von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen und das Verfahren zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeit an das Landratsamt abgegeben. Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid Einspruch eingelegt hatte, leitete die Staatsanwaltschaft Offenburg das Verfahren zur Entscheidung über den Einspruch an das AG Kehl weiter, wo die nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Richterin gemäß § 30 StPO anzeigte, dass sie mit Erster Staatsanwalt Z verheiratet sei.

Das AG hat die Selbstanzeige fĂĽr unbegrĂĽndet gehalten:.

„Es besteht keine Besorgnis der Befangenheit der Richterin am Amtsgericht Y.

Zwar rechtfertigt nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Richters die Ehe zwischen dem zuständigen Dezernent der Staatsanwaltschaft im BuĂźgeldverfahren und dem zur Entscheidung in der Sache berufenen Richter regelmäßig gemäß § 24 Abs. 2 StPO das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters (AG Kehl, Beschluss vom 15. April 2014 – 5 OWi 304 Js 2546/14 –, NStZ-RR 2014, 224, zuletzt nicht veröffentlichte BeschlĂĽsse vom 18. August 2020 – 5 OWi 304 Js 8923/20 – und 3. Juni 2020 – 5 OWi 304 Js 6758/20 –; zustimmend Artkämper, Die „gestörte“ Hauptverhandlung, 5. Aufl. 2017, Praktische Fälle verdeckter Störungen in der Hauptverhandlung, Rn. 733). Hier liegt der Fall jedoch anders. Erster Staatsanwalt Z hatte lediglich das mit einer Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 StPO) abgeschlossene strafrechtliche Ermittlungsverfahren gefĂĽhrt. FĂĽr das nunmehr anhängige BuĂźgeldverfahren ist ein anderer Dezernent der Staatsanwaltschaft zuständig. Im BuĂźgeldverfahren ist Erster Staatsanwalt Z – bislang – nicht tätig geworden; als – unmittelbarer – Vertreter des Dezernatsinhabers ist er nach dem Geschäftsverteilungsplan der Staatsanwaltschaft nicht vorgesehen. Unter diesen Umständen ist im vorliegenden Verfahren keine, die Besorgnis der Befangenheit begrĂĽndende „Nähe“ zwischen Richterin und Staatsanwalt (mehr) gegeben (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 Ws 156/16 –, juris), zumal sich – wie die Staatsanwalt zutreffend bemerkt – die sachliche PrĂĽfung von Erster Staatsanwalt Z hinsichtlich der dem Betroffenen vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit lediglich darauf beschränkt hatte, ob Anhaltpunkte dafĂĽr vorhanden waren, dass die Tat als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann (§ 43 Abs. 1 OWiG); eine eigene, umfassende Bewertung der Sach- und Rechtslage ist – anders als bei der EntschlieĂźung nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG (KK-OWiG/Ellbogen, 5. Aufl. 2018, OWiG § 69 Rn. 86-87) – ist damit gerade nicht verbunden (KK-OWiG/Lampe, 5. Aufl. 2018, OWiG § 43 Rn. 4-5 und 11-12).“

Wer nicht hören will, muss fühlen, oder: Kostenklatsche für die Staatsanwaltschaft

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Nachdem ich gerade gestern auf den AG Kehl, Beschl. v. 29.04.2016 – 2 Cs 303 Js 19062/15 hingewiesen habe (vgl. Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Durchsuchung, oder: Schöne AG-Entscheidung) nun die nächste Entscheidung vom AG Kehl. Die basiert auf einem weiteren Beschluss des AG Kehl, nämlich den AG Kehl, Beschl. v. 17.06.2015 – 3 Cs 208 Js 18057/14, ĂĽber den ich auch berichtet habe (vgl. FĂĽr eine Zahlungserleichterung muss man nicht in die Hauptverhandlung). Es geht (nochmals) um das Strafbefehlsverfahren. Das AG Kehl geht – m.E. zutreffend – davon aus, dass dann, wenn der Einspruch gegen einen Strafbefehl nur auf die Gewährung einer Zahlungserleichterung, in der Regel Ratenzahlung, nach § 42 StGB gerichtet, gemäß § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entschieden werden kann, wenn die notwendigen Zustimmungen dafĂĽr vorliegen. Das Beschlussverfahren nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO ist entgegen seinem Wortlaut nicht auf die Entscheidung ĂĽber die Höhe der Tagessätze beschränkt. Das hat die Staatsanwaltschaft anders gesehen und ihre Zustimmung verweigert mit dem Ergebnis, dass dann eine Hauptverhandlung durchgefĂĽhrt werden musste. Das Ergebnis war vorhersehbar. Es gab Zahlungserleichterungen und die „Kostenklatsche“ fĂĽr die Staatskasse. Der wurden nämlich vom AG Kehl im AG Kehl, Urt. v. 11.12.2015 – 2 Cs 206 Js 12132/15 die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt, soweit sie durch die Hauptverhandlung und das Urteil entstanden sind. BegrĂĽndung des AG:

„Im Rahmen der Kosten- und Auslagenentscheidung war der Angeklagte so zu stellen, als wenn ĂĽber die Frage von Zahlungserleichterungen ohne Hauptverhandlung durch Beschluss gemäß § 411 Abs. 1 S. 3 StPO entschieden worden wäre. Denn dies wäre ohne Weiteres möglich gewesen (vgl. AG Kehl, Beschluss vom 17. Juni 2015 – 3 Cs 208 Js 18057/14 -, NJW-Spezial 2015, 442), wenn die Staatsanwaltschaft nicht ihre Zustimmung dazu verweigert hätte.

Es kann dabei dahinstehen, ob die Auferlegung der durch die DurchfĂĽhrung der Hauptverhandlung entstandenen Verfahrenskosten und Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse auf eine direkte oder entsprechende Anwendung des § 473 Abs. 3 StPO, § 465 Abs. 2 StPO oder § 21 GKG gestĂĽtzt wird (vgl. zur dogmatischen Diskussion LG Neuruppin, Beschluss vom 04. Juli 2003 – 11 Qs 95/03 -, juris LG Flensburg NStZ-RR 2005,96; LG Karlsruhe, Beschluss vom 16. August 2006 – 4 Qs 64/06 -, juris LG Ingolstadt, Beschluss vom 27. März 2014 – 2 Qs 32/14 -, juris). Im Ergebnis ist entscheidend, dass der Angeklagte nicht zusätzlich mit Kosten belastet wird, die durch eine Entscheidung ohne Hauptverhandlung nicht entstanden wären. Denn die Staatsanwaltschaft hat ihre Zustimmung zum Beschlussverfahren nach § 411 Abs. 1 S. 3 StPO allein wegen der nicht haltbaren Rechtsansicht verweigert, dass dieses Beschlussverfahren nur Anwendung findet, wenn der Einspruch gegen Strafbefehl auf die Höhe des Tagessatzes beschränkt ist und nicht nur die Frage von Zahlungserleichterungen betrifft.

Der Kostenteilung steht nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft auch von Anfang an von der Beantragung des Erlasses eines Strafbefehls hätte absehen und Anklage erheben können, wodurch diese Kosten in jedem Fall angefallen und vom Angeklagten zu tragen gewesen wären. Zum einen entspricht die Wahl des Strafbefehlsverfahrens der gängigen, auf entsprechenden allgemeinen Richtlinien beruhenden Praxis der fĂĽr das Amtsgericht Kehl zuständigen Staatsanwaltschaft Offenburg in ähnlich gelagerten Fällen, weshalb es schon aus GrĂĽnden der Gleichbehandlung unbillig wäre, den Angeklagten im Rahmen der Kostengrundentscheidung schlechter zu stellen. Zum anderen hatte sich die Staatsanwaltschaft nun einmal fĂĽr das Strafbefehlsverfahren entschieden, so dass die Folgen der späteren unrichtigen Sachbehandlung nicht dem Angeklagten aufgebĂĽrdet werden darf (vgl. LG Flensburg a.a.O.).“

Tja, wer nicht hören will, muss fĂĽhlen. FĂĽr die Staatskasse teures „Nein“ der Staatsanwaltschaft.

Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Durchsuchung, oder: Schöne AG-Entscheidung

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Im AG Kehl, Beschl. v. 29.04.2016 – 2 Cs 303 Js 19062/15 – geht es um die Voraussetzungen einer Durchsuchung von Gegenständen an einem angeblichen Kriminalitätsschwerpunkt, einem sog. gefährlichen Ort i.S. des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG). Beantragt worden ist von der StA ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln. Dem Angeschuldigten wird vorgeworfen, er habe am 29.10.2005 ĂĽber den GrenzĂĽbergang Kehl/StraĂźburg sieben Subutex-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von je 8 mg Buprenorphin in das Bundesgebiet verbracht, ohne, wie er gewusst habe, im Besitz der fĂĽr den Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis gewesen zu sein, strafbar als vorsätzliche unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG. Der Angeschuldigte war in der AllmendzeilstraĂźe/Ecke FlurstraĂźe in Kehl von zwei Polizeibeamten des Polizeireviers Kehl einer Personenkontrolle unterzogen worden. Dabei fragten die Polizeibeamten, denen der Angeschuldigte als Betäubungsmittelkonsument bekannt war, ob er damit einverstanden sei, dass seine mitgefĂĽhrte Tasche durchsucht werde, was der Angeschuldigte bejahte. Bei der Durchsuchung wurde ein Blister mit sieben Subutex-Tabletten aufgefunden. In der Beschuldigtenvernehmung zum Vorwurf des VerstoĂźes gegen § 29 BtMG hatte der Angeschuldigte zugegeben, die Subutex-Tabletten zuvor in StraĂźburg gekauft zu haben. Das AG hat den Erlass des Strafbefehls abgelehnt. BegrĂĽndung: Die in der Tasche des Angeschuldigten aufgefunden und sichergestellten Tabletten seien durch eine rechtswidrige Durchsuchung erlangt worden, deshalb bestehe ein Beweisverwertungsverbot:

Zur Durchsuchung der Tasche verneint das AG die Voraussetzungen nach § 30 Nr. 4 BWPolG, worauf sich die Polizeibeamten berufen hatten. Bei dem „Durchsuchungsort“ handele es sich nicht um einen gefährlichen Ort im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG. Und: Selbst wenn es sich tatsächlich um einen gefährlichen Ort im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG handeln sollte, bedeutet dies – so das AG – nicht, dass damit ohne Weiteres auch eine Durchsuchung von Gegenständen des Angeschuldigten gemäß § 30 Nr. 4 BWPolG zulässig wäre. Denn:

„Bei der Durchsuchung von Sachen, die eine Person mit sich fĂĽhrt, deren Identität nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG festgestellt werden darf, sind unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne strengere Anforderungen an die Höhe der abstrakten Gefahr zu stellen als bei der bloĂźen Identitätskontrolle. …… Es bedarf deshalb einer erhöhten abstrakten Gefahr, die das Einschreiten gegen eine konkrete Person rechtfertigt. Der bloĂźe Aufenthalt an einem gefährlichen Ort genĂĽgt dafĂĽr nicht. Es mĂĽssen zusätzliche und als solche hinreichend greifbare Erkenntnisse hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, dass die betroffene Person im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG tätig ist, also sich an diesem Ort als Straftäter verbirgt, Straftaten verabredet, vorbereitet oder verĂĽbt, sich ohne erforderlichen Aufenthaltstitel oder ausländerrechtliche Duldung mit anderen trifft oder der Prostitution nachgeht, ohne dass jedoch die Anforderungen dafĂĽr ĂĽberspannt werden dĂĽrfen (vgl. die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs a.a.O.).

Nach dieser MaĂźgabe waren die im Verhältnis zu § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG gesteigerten Voraussetzungen des § 30 Nr. 4 BWPolG bei dem Angeschuldigten nicht erfĂĽllt. Es liegen keine Erkenntnisse dazu vor, dass hinsichtlich des Angeschuldigten eine erhöhte abstrakte Gefahr hinsichtlich der besonderen Verhaltensweisen des § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG gegeben war, insbesondere ergeben sich solche Erkenntnisse nicht aus der Stellungnahme der Polizei vom 08.03.2016, in der als Rechtsgrundlage der Durchsuchung der Tasche des Angeschuldigten ausdrĂĽcklich § 30 Nr. 4 BWPolG i.V.m. § 26 Abs. 1 Nr. 2 BWPolG genannt wird. Im Gegenteil ist der Angeschuldigte lediglich als Konsument von Betäubungsmitteln polizeilich bekannt, wobei er sich die Betäubungsmittel vornehmlich in StraĂźburg besorgt.“

Und zur Einwilligung des Angeschuldigten:

„(3) Die fehlende Rechtsgrundlage wird nicht durch die Zustimmung des Angeschuldigten in die Durchsuchung seiner Tasche ersetzt. Die Einwilligung des Angeschuldigten ist nämlich unwirksam. …..

(b) Diesen Anforderungen wird die Einwilligung des Angeschuldigten in die Durchsuchung nicht gerecht. Die Polizeibeamten haben den Angeschuldigten lediglich gefragt, ob er etwas dagegen habe, wenn seine Tasche durchsucht werde, was der Angeschuldigte verneinte. Eine Erklärung der Polizeibeamten ĂĽber die Rechtsgrundlage erfolgte nicht, ebenso wenig der Hinweis, dass die Durchsuchung allein von der Zustimmung des Angeschuldigten abhängt.“

Und zum Beweisverwertungsverbot:

„Die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung der Tasche des Angeschuldigten fĂĽhrt zum Verbot der Verwertung der aufgefundenen Subutex-Tabletten als Beweismittel im Strafverfahren gegen ihn.

(1) Zwar führt nicht jede rechtswidrige Durchsuchung zur Unverwertbarkeit aufgefundener Beweismittel. Vorliegend ist aber aufgrund des Schweregrades der Rechtswidrigkeit und der wegen Fehlens jeglicher Dokumentation der Umstände, insbesondere der Rechtsgrundlage und der die Durchsuchung rechtfertigenden Tatsachen, gegebenen objektiven Willkürlichkeit der Maßnahme im Hinblick auf die Geringfügigkeit der dem Angeschuldigten zur Last gelegten Straftat von einem Beweisverwertungsverbot auszugehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., Einleitung, Rn. 55 ff., und § 94, Rn. 21). Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an, dass die Polizeibeamten annahmen, rechtmäßig zu handeln, und die Maßnahme auf Aufforderung der Staatsanwaltschaft nachträglich begründeten, nachdem das Gericht bereits Zweifel an der Rechtmäßigkeit und der Verwertbarkeit der aufgefundenen Beweismittel äußerte.

(2) Das Beweisverwertungsverbot ist bereits jetzt bei der Entscheidung ĂĽber den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls zu berĂĽcksichtigen, auch wenn es womöglich tatsächlich erst zum Tragen kommt, wenn gegen die Verwertung Widerspruch erhoben wird (sogenannte Widerspruchslösung, siehe dazu Eschelbach in Beck’scher Online-Kommentar StPO, a.a.O., § 257, Rn. 20). Denn es ist bereits jetzt damit zu rechnen, dass entweder der Angeschuldigte selbst nach entsprechender richterlicher Belehrung oder ein Verteidiger der Verwertung widersprechen wird. Dies ist der Bewertung der Verurteilungswahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.“

Schöne Entscheidung – liest man selten …..