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Nun, ob der OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 03.02.2016 – 1 Ws 186/15 – ein „Fall Thomas Fischer“ ist – so mein Lieblingsurteilslieferant, der mich auf den Beschluss hingewiesen hat – weiß ich nicht. Jedenfalls ist es aber eine Sache, die vor ein paar Tagen auch schon die Presse interessiert hat – die FAZ hat unter demTitel „Bundesgerichtshof Immer nur um Fischer Wie „Deutschlands bekanntester Strafrichter“ seine Arbeit macht. Oder auch nicht.“ berichtet – und es ist m.E. ein Beschluss, der einen Blogbeitrag wert ist. Denn er ist – in meinen Augen – eine Klatsche, wobei ich offen lassen will, ob nur für den Vorsitzenden des 2. Strafsenats des BGH, oder vielleicht auch noch den BGH oder auch noch die Justizverwaltung, die mit der personellen Ausstattung der Justizbehörden nicht ganz so spendabel ist.
Was ist passiert? Nun, es geht in erster Linie mal nicht um Thomas Fischer, sondern um einen Angeklagten, der am 23.04.2013 vorläufig festgenommen worden ist. Einen Monat später die Anklage, Urteil des LG Gießen auch recht zügig, schon am 26.09.2013 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen einer Schusswaffe tateinheitlich mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten; ferner wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Dagegen die Revision. Am 28.01.2014 fertigte der GBA seine Stellungnahme. Die Stellungnahme wurde dem Verteidiger am 06.02.2014 zugestellt. Die Stellungnahme des GBA ging am 05.02.2014 beim BGH ein.
Aber dann stellt das OLG auf der Grundlage der zuvor von ihm (genüsslich) referierten Grundsätze des Beschleunigungsgrundsatzes und der Rechtsprechung des BVerfG fest:
„Die Prüfung des Verfahrensverlaufs ergibt, dass das Verfahren bis Eingang beim Bundesgerichtshof am 05.02.2014 mit der gebotenen Beschleunigung gefördert worden ist….“
um dann anzuschließen:
„Nach den genannten Maßstäben ist bei weiterer Prüfung jedoch festzustellen, dass das Verfahren nach Eingang beim Bundesgerichtshof (Az.: …) am 05.02.2014 den Vorgaben des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen nicht mehr vollständig gerecht wird. Eine relevante Verfahrensverzögerung ergibt sich insofern daraus, dass die Akten dem Berichterstatter durch den Vorsitzenden erst am 26.05.2014 zugeleitet wurden. Bereits diese mangelnde Förderung des Verfahrens zwischen Eingang des Verfahrens und Zuweisung an den Berichterstatter im Jahr 2014 führt zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der Haftfortdauer.“
Das war es dann an sich schon für die Frage der weiteren Haftfortdauer – die Aufhebung des Haftbefehls ist/war unvermeidlich. Aber das OLG lässt es sich nicht nehmen:
„..Ein sachlicher Grund, welcher den Zeitraum von etwa drei Monaten zwischen Ablauf der Frist zur Gegenerklärung und Zuweisung rechtfertigt und eine den staatlichen Verfolgungsorganen zurechenbare und vermeidbare Verfahrensverzögerung ausschießt, ist nicht ersichtlich. Selbst unter Berücksichtigung einer angemessen Bearbeitungszeit hätte im vorliegenden Verfahren, welches sich als nicht überdurchschnittlich umfangreich und schwierig darstellt, nach Ablauf der Frist zur Stellungnahme mit einer Zuleitung binnen einer Woche gerechnet werden können…..“
Und man hat es auch genau wissen wollen und hatte beim Vorsitzenden des 2. Strafsenats Thomas Fischer nachgefragt:
„Der Vorsitzende Richter des zuständigen 2. Strafsenats am Bundesgerichthof hat auf Nachfrage des Senats mit Schreiben vom 13.01.2016 folgende Stellungnahme abgegeben:
„(…), auf Ihre Anfrage teile ich mit, dass mir die Sache … vermutlich am 07. Februar 2014 zugeleitet wurde. Am 26. Mai 2014 habe ich das Senatsheft gelesen und an den Berichterstatter zugeleitet. Besondere Gründe in der Sache, die zu der überdurchschnittlich langen Liegezeit bei mir Anlass gaben, gab es nicht. Die Verzögerung beruhte vielmehr auf der allgemeinen Geschäftslage des Senats mit einer hohen Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreichen Hauptverhandlungen und einer Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren.“
Und das OLG setzt dann noch „einen drauf“ und meint: Nicht nur verzögert, sondern noch nicht mal dann schneller gearbeitet, als die Verzögerung eingetreten war. Denn:
„Zwar kann die kurzfristige, weder voraussehbare noch vermeidbare Überlastung des Gerichts einen wichtigen Grund für eine Verzögerung des Verfahrens darstellen, nicht jedoch eine nicht behebbare Belastung des Spruchkörpers. Gemäß der Stellungnahme des Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs kann zum damaligen Zeitpunkt nicht von einer nur kurzfristigen Überlastung des Gerichts gesprochen werden, da er ausdrücklich die hohe Rückstandszahl, weit überdurchschnittlich zahlreiche Hauptverhandlungen und eine Reihe von schwierigen und umfangreichen Verfahren anspricht. Es verbleibt deshalb bei einer der Justiz zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von rund drei Monaten, die unter Beschleunigungsaspekten nicht mehr hinzunehmen ist.
Die Verzögerung des Verfahrens ist auch nicht etwa durch eine spätere besonders intensive Bearbeitung ausgeglichen worden, auch wenn Verzögerungen letztlich auf den Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt A teilweise zurückzuführen sind. Unabhängig davon, ob die Heilung einer schon eingetretenen Verletzung des verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgrundsatzes durch nachfolgende überpflichtmäßige Beschleunigung überhaupt möglich ist [hierzu BVerfG, NJW 2006, 272], wären die Strafverfolgungsorgane und Gerichte nunmehr verpflichtet gewesen, das Verfahren mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben. Gemessen daran stellt sich die weitere Bearbeitung nicht als eine hervorzuhebende besondere Förderung dar.“
Fazit für das OLG:
„Auch wenn sich mit der Verurteilung – auch wenn diese noch nicht rechtskräftig ist – das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs vergrößert [BVerfG, Beschluss vom 22.02.2005, 2 BvR 109/05, BeckRS 2005, 24599], ist die vorliegend eingetretene – von den Justizbehörden zu vertretende Verfahrensverzögerung – in einem durchschnittlich gelagerten (Revisions-) Verfahren wie dem hiesigen – der Angeklagte war in der Hauptverhandlung in vollem Umfang geständig – selbst unter Berücksichtigung der Schwere der Tat und der zu erwartenden mehrjährigen Freiheitsstrafe nicht mehr zu rechtfertigten. Hier ist maßgeblich in Blick zu nehmen, dass die Untersuchungshaft inzwischen über zwei Jahre und neun Monate andauert. Bei einer derart langen Dauer der Untersuchungshaft ist auch einer einzelnen Verzögerung von etwa drei Monaten besonderes Gewicht beizumessen.“
Fazit für mich und hoffentlich auch für den Leser: Wenn nicht ein „Fall Thomas Fischer“, dann aber zumindest eine Klatsche. Und der ein oder andere Richterkollege des Kollegen Fischer wird es sicherlich gern lesen….. Ich frage mich dann aber auch: Was hat das OLG Frankfurt bewogen, es so deutlich/breit auszuführen? Retourkutsche?