Schlagwort-Archive: Revisionsverfahren

„Pflichti 6“: Fairness im Strafverfahren – gibt es erst beim OLG

© M. Schuppich - Fotolia.com

© M. Schuppich – Fotolia.com

Die Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat in der Praxis im Revisionsverfahren erhebliche Bedeutung. Die Rechtsprechung der OLG ist hier verhältnismäßig streng und verweist den Angeklagten meist darauf, dass er seine Revision ja zu Protokoll des Urkundsbeamten begründen könne und damit genügend Unterstützung habe. Wenn man allerdings den OLG Braunschweig, Beschl. v. 20.11.2013 – 1 Ws 366/13 – liest, fragt man sich, ob da nicht dem Angeklagten Steine statt Brot gegeben werden. Denn: In der Sache ist  so ziemlich alles schief gelaufen, was nur schief laufen konnte. Im Einzelnen::

  • Die (nicht verteidigte) Angeklagte legt gegen das sie verurteilende Urteil Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle ein und beantragt zugleich die Bewilligung von „Prozesskostenhilfe“.
  • Die zuständige Rechtspflegerin weist die Angeklagte dann nicht, was m.E. aber nahe liegen musste, nicht darauf hin, dass Angeklagten im Strafverfahren keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann, sondern gibt ihr einen Vordruck für die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (vielleicht sollte man der Rechtspflegerin einen Pflichtverteidiger beiordnen?).
  • Die Angeklagte begründet die Revision nicht.
  • Das zuständige LG entscheidet bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist auch nicht über das „Prozesskostenhilfegesuch“.
  • Das LG verwirft dann aber die Revision wegen fehlender Revisionsbegründung und lehnt das „Prozesskostenhilfegesuch“ ab, weil Angeklagten im Strafverfahren keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden könne.
  • Die Angeklagte stellt einen „Antrag auf Überprüfung des Verwerfungsbeschlusses“.
  • Die Generalstaatsanwaltschaft fasst den Antrag als einen auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 S. 1 StPO) auf, beantragt aber – ich verkneife mir das das: natürlich – ihn als unbegründet zu verwerfen.

Das OLG Braunschweig richtet es dann und ordnet wegen der Schwierigkeit der Sach-/Rechtslage einen Pflichtverteidiger bei. So weit so gut. M.E. hätte das OLG aber auch Farbe bekennen können/sollen und die von ihm offen gelassene Frage: Ob die Angeklagte im konkreten Fall schon deshalb nicht mehr an die Urkundsbeamtin verwiesen werden kann, nachdem sie von dieser nicht darüber belehrt worden ist, dass der Strafprozessordnung für Angeklagte das Rechtsinstitut der Prozesskostenhilfe fremd ist, kann dahin stehen.“ entscheiden sollen, und zwar m.E. mit einem kurzen: Nein. Denn was ist von einer Unterstützung zu halten, wenn die unverteidigte/unerfahrene Angeklagte nicht nur noch nicht einmal darüber aufgeklärt wird, dass es die von ihr beantragte PKH in diesem Verfahren nicht gibt, sondern der Irrtum der Angeklagten noch verstärkt wird, in dem ihr die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen im PKH-Verfahren übergeben wird.

Man fragt sich allerdings auch, wie man das Verhalten der Kammer des LG bewerten soll, in der offenbar niemand auf die Idee gekommen ist, dass man den „Prozeßkostenhilfeantrag“ der Angeklagten auch auslegen könnte. Ok, die Revision aus formellen Gründen zu verwerfen, ist auch einfacher.

Widersprüchliches Vorbringen – da ist man beim BGH „not amused“

© AllebaziB - Fotolia.com

© AllebaziB – Fotolia.com

In einem der Verfahren, in denen das Urteil durch das „Verständigungsurteil“ des BVerfG vom 19.03.2013 aufgehoben worden ist, wird im nun wieder/noch beim BGH anhängigen Revisionsverfahren um die Entpflichtung des Pflichtverteidigers gekämpft. Begründung für den Entpflichtungsantrag: Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zum Pflichtverteidiger. Das reicht dem BGH so aber nicht, zumal der Angeklagte auch noch widersprüchlich vorträgt. Man merkt dem BGH, Beschl. v. 17.03.2013 – 1 StR 443/10 – schon an, dass der Vorsitzende, der den Entpflichtungsantrag zurückgewiesen hat, not amused ist. Er führt aus:

„Der Entpflichtungsantrag des Angeklagten und der Beiordnungsantrag von Rechtsanwältin K. bleiben erfolglos.1. Der Angeklagte beruft sich zur Begründung seines Entpflichtungsantrages auf eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zu seinem Pflichtverteidiger. Die Behauptung, das Vertrauen zwischen Verteidiger und Angeklagten bestehe nicht mehr, kann für sich genommen einen Anspruch auf Widerruf der Bestellung eines Verteidigers nicht begründen. Sie muss auf konkreten Tatsachenvortrag gestützt sein (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 1 StR 649/07, StraFo 2008, 243 mwN). Hieran fehlt es indes.

Der Angeklagte führt zwar an, der Pflichtverteidiger habe gegen seinen ausdrücklich geäußerten Wunsch im Verfahren vor dem Landgericht München II an einer Verständigung mitgewirkt. Im Revisionsverfahren hatte der Angeklagte indes zur Begründung der Revision noch vortragen lassen, sowohl der Pflichtverteidiger als auch er selbst hätten dem Verständigungsvorschlag des Gerichts seinerzeit ausdrücklich zugestimmt (RB S. 8).

Entgegen seiner weiteren Behauptung – er habe sich wegen der gegen seinen Willen erfolgten Verständigung „fortan“ von Rechtsanwältin K. verteidigen lassen und wolle dies auch weiterhin – hat sich der Angeklagte zudem im gesamten ersten Revisionsverfahren weiter durch Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger und durch Rechtsanwalt Prof. Dr. W. als Wahlverteidiger vertreten lassen. Rechtsanwältin K. hat sich demgegen-über erstmals am 20. März 2013 als Verteidigerin angezeigt.

Zweiter Pflichtverteidiger in der Revisionsinstanz? Nein, einer reicht…

Zwischen all den karnevalistischen Meldungen kurz der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 02.02.2012 – 4 StR 541/11. Dort hatte im Revisionsverfahren ein Rechtsanwalt beantragt, neben dem dem Angeklagten bereits beigeordneten Pflichtverteidiger auch noch bestellt zu werden. Der Vorsitzende des 4. Strafsenats hat das abgelehnt:

1. Für die Entscheidung über den Antrag von Rechtsanwalt F. ist der Vorsitzende des für die Entscheidung über die Revision des Angeklagten zuständigen Strafsenats des Bundesgerichtshofs zuständig.

Zwar ist für den Antrag eines Angeklagten, ihm nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils bis zum Abschluss des Revisionsverfahrens anstelle des bisherigen einen anderen Pflichtverteidiger beizuordnen, der Vorsitzende des Gerichts zuständig, dessen Urteil angefochten worden ist (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 141 Rn. 6), es sei denn, der Beiordnungsantrag beträfe die Terminwahrnehmung in der Revisionshauptverhandlung (vgl. Kuckein in KK-StPO, 6. Aufl., § 350 Rn. 11). Im vorliegenden Fall hat Rechtsanwalt F. seinen Beiordnungsantrag nach Kenntnisnahme von der sich auch auf das Revisionsverfahren erstreckenden wirksamen Bestellung von Rechtsanwältin R. als Pflichtverteidigerin durch das Landgericht aufrechterhalten. Sein Gesuch ist daher als Antrag auf Beiordnung als weiterer Pflichtverteidiger aufzufassen.

 2. Die Voraussetzungen für die Beiordnung von Rechtsanwalt F. als weiteren Pflichtverteidiger im Revisionsverfahren gegen den Angeklagten liegen nicht vor.

a) Das Rechtsmittel ist vom ursprünglichen Pflichtverteidiger des Angeklagten rechtzeitig mit der allgemeinen, nicht näher ausgeführten Sachrüge begründet und damit in vollem Umfang zur Überprüfung des Senats gestellt worden. Die Frist zur Begründung der Revision ist seit dem 6. Oktober 2011 abgelaufen; für ein Nachschieben von etwaigen Verfahrensbeschwerden ist wegen Ablaufs der Begründungsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO kein Raum. Es ist nicht erkennbar, dass bei der Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten ungewöhnlich schwierige tatsächliche oder rechtliche Fragen aufgeworfen werden. Besonderheiten im Ablauf des Revisionsverfahrens, die die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers notwendig machen könnten, sind ebenfalls weder vorgetragen noch ersichtlich.

Der BGH und die Pauschgebühr – wo gibt es was?

Die Pauschgebühr nach § 51 RVG gibt es selbstverständlich auch für Tätigkeiten des Pflichtverteidigers beim BGH. Nur wird manchmal von Verteidigern übersehen, dass der BGH insoweit nur teilweise zuständig ist. Er gewährt nämlich ggf. nur eine Pauschgebühr für die Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung beim BGH und den damit zusammenhängenden Tätigkeiten, wie z.B. der Vorbereitung des Hauptverhandlungstermins. Für die Gewährung der revisionsverfahrensrechtlichen Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG ist der BGH hingegen nicht zuständig. Das muss das Tatgericht erledigen. Denn die Pflichtverteidigerbestellung besteht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens, nur die Revisionshauptverhandlung ist ausgenommen. Folge: Doppelter Antrag: Wegen der Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung geht es zum BGH, wegen der anderen Tätigkeiten zum OLG. Wer es nachlesen will: BGH, Beschl. v. 25.10.2011 – 1 StR 254/10.

Und: Schon „beachtlich“, wie der BGH formuliert: „Hinsichtlich der Verfahrensgebühr (damit soll etwa die Fertigung einer Revisionsbegründung abgegolten werden…...“ „Soll“?? M.E. hätte der BGh ruhig schreiben können: „Damit wird…„, weil das nämlich zutreffend ist.

Schwere und leichte Kavallerie, oder: Wie schlecht sind GBA/GStA wirklich?

Der Kollege Nebgen hat gestern in seinem Blog unter dem Titel „Hier schreibt die Kavallerie“ zu den Revisionsgegenerklärungen von GBA und GStA in den Revisionsverfahren beim BGH und den OLG gepostet (gilt dann auch für die Rechtsbeschwerdeverfahren=. Diese hat er – aus seiner Sicht – ziemlich verrissen – wenn man es gelinde ausdrückt. Beim Kollegen heißt es nämlich:

Was dabei herauskommt, ist in der Regel unter aller Sau. In den zumeist aus maximal einer DIN A-4-Seite bestehenden Pamphleten wird in 99 % der Fälle die Zurückweisung der Revision als offensichtlich unbegründet beantragt, und zwar völlig unabhängig von den erhobenen Rügen. Die Begründungen bestehen durchweg aus vorgefertigten Textbausteinen, die in der Regel keinerlei Bezug zum konkreten Fall aufweisen. Kollege Hoenig zitiert hier eine solche Antragsschrift. Allerdings würde ich die erbärmliche Qualität weniger auf Ahnungslosigkeit als auf Faulheit (und manchmal auch auf Bösartigkeit) zurückführen wollen.“

Zu dem Beitrag hat sich eine Diskussion entwickelt, die einerseits dem Kollegen Recht gibt, andererseits aber auch sein Urteil als zu pauschal ansieht. Ich hatte beim Kollegen ebenfalls bereits kommentiert. Das will ich hier jetzt noch einmal wiederholen und damit hier eine Lanze für die Revisionsgegenerklärungen brechen. Ich habe beim Kollegen geschrieben:

Ich muss dann aber auch mal eine Lanze für die GStA brechen: Ich habe in den rund 13 Jahren, in denen ich beim OLG Hamm Rechtsbeschwerden und Revisionen bearbeitet habe, auch eine Menge guter Stellungnahmen der GStA gesehen. Und zwar nicht nur von den Hiwis, die schon im eigenen Interesse gute Arbeit abliefern müssen, sondern auch von den alten Hasen. Natürlich gibt es auch die anderen (eine davon hat der Kollege Hoenig ja an den Pranger) gestellt. Aber das ist nun mal wie mit den Revisions- und Rechtsbeschwerdebegründungen der Verteidiger. Es gibt „sone“ und „sone“. Ihre Herr Kollege Nebgen sind sicherlich immer gut 🙂 :-).“ –

Zu der vom Kollegen Hönig, auf den sich der Kollege Nebgen bezieht, angesprochenen Entscheidung des OLG Jena hier (über die Entscheidung hatten wir ja auch schon – allerdings unter einem anderen Blickwinkel – (vgl. hier) – berichtet). Wie „schlecht“ die Stellungnahme in der Sache war, lässt sich übrigens dem OLG Jena, Beschl. v. 16.03.2011 – 1 Ss Bs 17/11 – nicht genau entnehmen, da der Beschluss nur mitteilt, dass die GStA die Verwerfung als offensichtlich unbegründet beantragt hat, nicht aber, warum und mit welcher Begründung. Und ob die GStA „offensichtlich keine Ahnung“ hat – wie der Kollege Honeig meint – lässt sich damit m.E. auch nicht sicher feststellen. Es wird – das räume ich ein – wahrscheinlich keine bahnbrechende Stellungnahme der GStA gewesen sein, die das OLG zu lesen bekommen hat, aber: Wie gut oder wie schlecht sie war, weiß man eben nicht. Zur den Gegenerklärungen des GBA kann man sicherlich mehr sagen. Da hilft die HP des BGH bzw. dessen Beschlüsse, aus denen man das ein oder andere über die Stellungnahmen ablesen kann. Auch da gibt es „sone“ und sone“.

Alles in allem: M.E. schießt der Kollege ein wenig über das Ziel hinaus mit seiner Kritik. Mir ist sie zu pauschal, wenn es heißt „in der Regel unter aller Sau“. Leider habe ich keine Zahlen, die meine Kritik an der Kritik des Kollegen belegen könnten. Die gibt es m.E. auch nicht. Ich kann nur sagen, es ist in vielen Fällen anders (gewesen). Oder: Es gibt eben schwere und leichte Kavallerie 🙂

Ach, übrigens: Auch die Verteidigerin hatte im OLG Jena-Verfahren ihre Rechtsbeschwerde nur „mit der allgemeinen Sachrüge begründet sowie Verfahrensmängel gerügt“. Daraus wird man schließen können, dass von ihr die vom OLG festgestellten Rechtsfehler auch nicht geltend gemacht worden waren. Aber: Ist sie deshalb „faul“ oder gar „bösartig“?