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Bemessung der Hauptverhandlungsterminsgebühr, oder: Das Zeitmoment

Bei der zweiten Entscheidung des Tages handelt es sich um den OLG Oldenburg, Beschl. v. 12.02.2021 – 1 Ws 41/21. Der verhält sich zur Bemessung der Terminsgebühr für den Wahlanwalt für einen Hauptverhandlungstermin bei der Strafkammer. Die Entscheidung ist m.E. deshlab von Interesse, weil es so viel obergerichtliche Rechtsprechung zu den vom OLG angesprochenen Fragen nicht gibt. Die „richtige“ Bemessung der Rahmengebühren ist ja nicht immer einfach. Die Entscheidung zeigt, welche Kriterien, vor allem in zeitlicher Hinsicht, zu beachten sind/sein sollen.

Folgender Sachverhalt: Das LG hat den ehemaligen Angeklagten vom Vorwurf des gemeinschaftlichen (versuchten) Diebstahls in drei Fällen freigesprochen. Die notwendigen Auslagen des Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden. Der Verteidiger des Angeklagten hat die Festsetzung und Erstattung der notwendigen Auslagen für den früheren Angeklagten beantragt. Dabei hat er u.a. jeweils eine Terminsgebühr nach Nr. 4114 VV RVG für einen Hauptverhandlungstermin am 17.12.2019 in Höhe von 288 EUR, für einen Hauptverhandlungstermin am 28.1.2020 in Höhe von 256 EUR und für einen Hauptverhandlungstermin am 6.2.2020 in Höhe von 288 EUR beantragt und – nach Abzug bereits erhaltener Pflichtverteidigergebühren – Gebühren und Auslagen in Höhe von (noch) insgesamt 9.796,89 EUR geltend gemacht.

Der Bezirksrevisor beim LG hat die Festsetzung von Terminsgebühren für die genannten Hauptverhandlungstermine lediglich in Höhe von 230 EUR, 200 EUR sowie von 160 EUR als angemessen angesehen. Dementsprechend hat das LG lediglich noch 9.508,91 EUR festgesetzt. Wegen der Restes hat der Rechtsanwalt sofortige Beschwerde eingelegt, die beim OLG keinen Erfolg hatte:

„…..

Bei der Bemessung der Terminsgebühr für einen Hauptverhandlungstermin ist, da durch sie der zeitliche Aufwand vergütet werden soll, den der Rechtsanwalt durch die Teilnahme an diesem Termin hat, die zeitliche Dauer der Hauptverhandlung von ganz erheblicher Bedeutung. Auszugehen ist grundsätzlich von der Mittelgebühr. Bei der Bemessung kann sich der Wahlanwalt an den Grenzen der Längenzuschläge Nrn. 4110, 4111 W RVG orientieren. Unter deren Berücksichtigung wird eine Hauptverhandlungsdauer von mehr als fünf bis acht Stunden eine erheblich über die Mittelgebühr hinausgehende Terminsgebühr rechtfertigen. Wird mehr als acht Stunden verhandelt, ist auf jeden Fall die Höchstgebühr gerechtfertigt (vgl. Burhoff, in Gerold/Schmidt, RVG24, VV 4112 bis 4117 Rn. 5 i.V.m. W 4108 bis 4111 Rn. 18). Demgegenüber sind Terminsgebühren regelmäßig nur unterhalb der Mittelgebühr anzuerkennen, wenn der Termin für die jeweils betroffene Gerichtsinstanz außergewöhnlich kurz ist. So rechtfertigt eine unterdurchschnittliche Dauer der Hauptverhandlung als Bemessungskriterium „Umfang der Anwaltstätigkeit“ und sonstiger durchschnittlicher Bemessungskriterien die Unterschreitung der Mittelgebühr der Terminsgebühr als Rahmengebühr auf bis zu 1/4 des Gebührenrahmens. Hauptverhandlungen beim Amtsgericht sollen — wenn überhaupt — erst ab einer Dauer von etwa 40 Minuten die Mittelgebühr rechtfertigen (vgl. Mayer, in Gerold/Schmidt, RVG 24, § 14 Rn. 44 m.w.N.). Hauptverhandlungen vor der großen Strafkammer sollen dagegen selbst bei dreistündiger Dauer eher einen unterdurchschnittlichen und erst um die Dauer von fünf Stunden einen durchschnittlichen Umfang ausmachen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.01.2008 — 4 Ws 528/07, juris Rn. 36, 42; ferner OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2014 —1 Ws 305/14, juris Rn. 32 ff.).

Nach diesen Maßstäben ist gegen die dem angefochtenen Beschluss zugrunde-liegende Höhe der jeweiligen Terminsgebühren nichts zu erinnern:

Der Hauptverhandlungstermin am 17. Dezember 2019 dauerte nur 41 Minuten und hatte die Vernehmung eines einzigen Zeugen zum Gegenstand. Die zeitliche Inanspruchnahme des Verteidigers für die Dauer der Hauptverhandlung einschließlich deren Vor- und Nachbereitung sowie die inhaltliche Auseinandersetzung mit einer einzigen Zeugenaussage machen nur einen geringen Bruchteil eines durchschnittlichen Hauptverhandlungstermins vor einer großen Strafkammer aus, so dass die Herabsetzung der Mittelgebühr von 320 € um gut ein Viertel auf 230 € angemessen und ausreichend erscheint (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.07.2014 —1 Ws 305/14, juris Rn. 34, 39, 43).

Vorstehendes gilt entsprechend für den Hauptverhandlungstermin am 28. Januar 2020, welcher nur 36 Minuten dauerte und ebenfalls die Vernehmung eines einzigen Zeugen zum Inhalt hatte. In den verbleibenden neun Minuten der Hauptverhandlung wurde ein Blatt aus der Personenakte des früheren Angeklagten verlesen und Lichtbilder von ihm in Augenschein genommen. Angesichts der noch kürzeren Dauer der Hauptverhandlung, die sogar für amtsgerichtliche Verhältnisse noch unterdurchschnittlich ist, ist gegen die Herabsetzung der Mittelgebühr um gut ein Drittel auf 200 € ebenfalls nichts zu erinnern (vgl. OLG Hamm a.a.O.).

Der Hauptverhandlungstermin am 6. Februar 2020 übertrifft mit 55 Minuten Dauer die beiden vorstehend erwähnten Termine zwar an Länge, tritt aber gleichfalls weit hinter der durchschnittlichen Dauer eines Termins vor der großen Strafkammer zurück. Hinzu kommt die Tatsache, dass in diesem Termin ausschließlich das Urteil verkündet wurde. Mit anderen Worten, dieser Termin bedurfte keiner nennenswerten Vorbereitung seitens des Verteidigers; die anwaltliche Tätigkeit im Termin selbst bestand nahezu ausschließlich in der schlichten „Entgegennahme“ der mündlichen Urteilsbegründung. Dies stellt ein derart erheblich gebührenmindernder Umstand dar, dass hier lediglich die Festsetzung einer Terminsgebühr in Höhe des Doppelten der Mindestgebühr — mithin 160 € — angemessen und auch ausreichend ist, zumal dieser Ansatz selbst für die vollständige Durchführung einer 40-minütigen Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht für gerechtfertigt erachtet wird (vgl. Nachw. bei Mayer a.a.O., RVG § 14 Rn. 44). Insoweit verfängt auch der Hinweis in der Beschwerde nicht, dass vor der Urteilsverkündung etwa noch Beweisanträge gestellt werden könnten, da solche prozessuale Mittel der Verteidiger hier gerade nicht ergriffen hat.

Ebenfalls in der Gesamtschau mit den übrigen Umständen erscheinen die fest-gesetzten Terminsgebühren angemessen, auch wenn der Senat nicht verkennt, dass gegen den früheren Angeklagten die Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von über 1,8 Mio. € im Raum stand und dieser mit einem Insolvenzrisiko belastet war. Denn abgesehen davon, dass dieser Aspekt im Wesentlichen mit der ebenfalls geltend gemachten und bewilligten besonderen Wertgebühr nach Nr. 4142 VV RVG abgegolten worden ist und auch insbesondere am Tag der Urteilsverkündung im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit nicht mehr zum Tragen gekommen ist, sprechen der Aktenumfang (bis zur Hauptverhandlung umfasste der Aktenbestand nur vier Bände mit insgesamt gut 700 Seiten) als auch die Einkommensverhältnisse des früheren Angeklagten (dieser gab gegenüber der Strafkammer an, als Monteur zu arbeiten) für sich genommen allenfalls für einen mittleren Umfang bzw. eine durchschnittliche Bedeutung der Sache, so dass diese Aspekte das ganz erheblich unterdurchschnittliche Tätigwerden des Verteidigers in den drei in Rede stehenden Hauptverhandlungsterminen nicht aufzuwiegen vermögen.

Da vor diesem Hintergrund der Gebührenansatz des Verteidigers mehr als 20 % von den angemessenen Gebühren abweicht, ist ihre Bestimmung unbillig und damit im festgesetzten Umfang abänderbar (vgl. OLG Koblenz a.a.O., juris Rn. 25).

Setzt man nach alledem die Terminsgebühr für die vorgenannten Hauptverhandlungstermine lediglich in Höhe von 230 €, 200 € sowie 160 € an, verringert sich die Zwischensumme auf einen Betrag in Höhe von 10.956 €, die Umsatzsteuer auf 2.081,64 € und der zugrunde zu legende Endbetrag auf 13.037,64 €. Von diesem Betrag ist die bereits ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 3.528,73 € in Abzug zu bringen, sodass noch weitere 9.508,91 € festzusetzen waren.“

Toleranzgrenze bei der Rahmengebühr, oder: Abstellen auf Gesamtgebühren oder auf Einzelgebühr?

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Am „Gebührenfreitag“ heute dann zunächst eine Entscheidung, die aus dem Sozialgerichtsverfahren stammt. Ja, richtig gelesen. Aber: Die Ausführungen des BayLSG im BayLSG, Beschl. v. 24.03.2020 – L 12 SF 271/16 E – passen auch für das Straf- oder Bußgeldverfahren. Der Beschluss behandelt nämlich eine Problematik in Zusammenhang mit § 14 RVG – also Rahmengebühr.

Dazu führt das BayLSG aus:

„…..

Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers und des Haftungsrisikos des Rechtsanwalts nach billigem Ermessen. Hiermit ist dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, das mit der Pflicht zur Berücksichtigung jedenfalls der in § 14 RVG genannten Kriterien verbunden ist. Unter Zugrundelegung der genannten Kriterien ist vorliegend mit der Ansicht des SG von einer deutlich überdurchschnittlichen Angelegenheit auszugehen.

Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit stellt sich auch nach Auffassung des Senats deutlich überdurchschnittlich dar……..

Zusammenfassend ist festzustellen, dass von einer deutlich überdurchschnittlichen Angelegenheit auszugehen ist, die auch nach Auffassung des Senats zwar nicht die Höchstgebühr, aber den Ansatz einer um 2/3 erhöhten Mittelgebühr gerechtfertigt.

b) Allerdings ist dem Rechtsanwalt nach § 14 1 RVG bei Rahmengebühren wie der Verfahrensgebühr ein Ermessensspielraum von 20 % (sog. Toleranzgrenze) zuzugestehen, der von Dritten wie von den Gerichten zu beachten ist (vgl. zuletzt BSG vom 12.12.2019, – B 14 AS 48/18 R -; vgl. auch BGH vom 11.07.2012 – VIII ZR 323/11 – juris RdNr.10; BGH vom 05.02.2013 – VI ZR 195/12 – juris RdNr 8). Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Der Ermessensspielraum verhindert, dass die Gerichte im Einzelfall bei relativ geringfügigen Überschreitungen (vor allem der Mittelgebühr) ihr Ermessen an die Stelle des Ermessens des Rechtsanwalts setzen und dabei oftmals aufwändige Überprüfungen vornehmen, ob die Tätigkeit vielleicht doch in gewissem Umfang anders zu bewerten (z.B. als leicht überdurchschnittlich) war (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2012, Az.: VI ZR 273/11). Damit wird der Aufwand für die Kostenbeamten und die Spruchkörper der Gerichte reduziert und Streit darüber, was noch als billig oder schon als unbillig zu gelten hat, leichter vermieden (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2009, Az.: B 4 AS 21/09 R); nicht zuletzt trägt die Vereinfachung auch dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) Rechnung, gleich liegende Fälle gleich und unterschiedliche Fälle entsprechend ihren Unterschieden ungleich zu behandeln (BayLSG, Beschluss vom 01.04.2015, Az.: L 15 SF 259/14). Streitig ist jedoch, ob der Toleranzrahmen für die einzelnen Gebührentatbestände separat zu prüfen ist oder ob die 20 % auf die Gesamtgebühr (ohne Auslagen) bezogen sind. Für letzteres spricht – wie das SG zu Recht ausführt -, dass die Gebühren als Gesamtbetrag festgesetzt und zur Überprüfung gestellt werden (so auch BayLSG, Beschluss vom 01.04.2015, Az.: L 15 SF 259/14 E; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.05.2012, Az.: L 20 AY 139/11 B; Toussaint in Hartmann/ders., Kostengesetze, 49. Aufl. 2019, § 14 RVG, RdNr. 24 unter Verweis auf OLG Koblenz, NJW 2005, 918).

Dennoch ist der Senat der Auffassung, dass bei der Festlegung der 20 % Toleranzgrenze nicht die gesamten Gebühren des Verfahrensabschnitts maßgebend sind, sondern vielmehr jeweils abzustellen ist auf die einzelne Gebühr. Eine dem Rechtsanwalt zuzubilligende und durch die Kostenfestsetzung zu beachtende Toleranzgrenze bei der Ermessensausübung kann nicht allgemein, sondern nur für den konkreten Einzelfall unter Bewertung der einzustellenden Kriterien und nach Durchführung einer Gesamtabwägung gezogen werden. Der sein Ermessen ausübende Rechtsanwalt hat die Kriterien des § 14 RVG jedoch bei jeder Gebühr, die er ansetzt (und deren Höhe sich nicht aus dem Gesetz ergibt), zugrunde zu legen und zu beachten, nicht erst bei der Gesamtgebühr. Es erscheint daher nicht sachgerecht, abweichend hiervon bei der Toleranzgrenze, die ein Ersetzen des Ermessens des Anwalts durch das Gericht bei geringfügigen, noch zu tolerierenden Abweichungen verhindern soll, auf die alleinige Betrachtung der insgesamt beantragten Gebühren abzustellen. Zudem wirkt sich – wie das SG zutreffend bemerkt – in Fällen wie dem vorliegenden, wo für einen der Gebührentatbestände (hier Terminsgebühr) die Höchstgebühr als angemessen anerkannt wird, die Toleranzgrenze bei Abstellen auf die Gesamtgebühren allein auf den anderen Gebührentatbestand (hier: Verfahrensgebühr) aus und erhöht die Toleranz insoweit deutlich. Gerade in Fällen, in denen eine Gebühr sehr hoch ist und eine weitere sich im unteren Bereich des Gebührenrahmens bewegt, führt das Abstellen auf die Gesamtgebühren im Ergebnis zu einer überproportionalen Erhöhung der niedrigen Gebühr. Für eine derartige Verzerrung des Gebührenrahmens besteht kein Anlass. Der Gesichtspunkt der Vereinfachung der Prüfpflicht der Kostenbeamten ist zudem auch bei einer Anwendung der Toleranzgrenze bezogen auf die einzelnen Gebühren gewahrt.

Auch der Senat hat wie das SG keine Bedenken, über die Toleranzgrenze zur Höchstgebühr zu gelangen. Zum einen ist die Toleranzgrenze überhaupt nur anzuwenden, wenn der Rechtsanwalt bei der Festsetzung tatsächlich Ermessen ausgeübt hat. Eine „verzerrende“, nur den Toleranzrahmen ausschöpfende Festsetzung wird damit verhindert. Die Toleranzgrenze ergibt sich systematisch aus der analogen Anwendung des § 315 BGB und teleologisch aus der Erwägung, dass möglichst Streit darüber vermieden werden soll, was „billig“ iSv § 14 RVG ist. Diese systematischen und teleologischen Erwägungen gelten unabhängig davon, ob über die Toleranzgrenze die Höchstgebühren erreicht werden oder nicht.“

Nebenklagegebühren 20 % über der Mittelgebühr gerechtfertigt?, oder: Schönreden ist angesagt….

Über die zweite Entscheidung, die ich heute vorstelle – es handelt sich um den OLG Celle, Beschl. v. 27.05.2020 – 2 Ws 161/20 -, den mir der Kollege Wigger aus Lüneburg geschickt hat, kann man auch nicht so richtig froh sein. Man kann sich den Beschluss aber zumindest „schön reden“ 🙂 .

Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Das LG hat den Angeklagten verurteilt und ihm u.a. die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt. Der Nebenklägervertreter hat auf der Grundlage dieser Kostengrundentscheidung seine Gebühren geltend gemacht. Dabei hat er die Festsetzung von 20 % über der Mittelgebühr liegenden Gebühren beantragt. Das hat er mit der Schwierigkeit des Verfahrens und der besonderen Bedeutung für das Opfer begründet.

Das LG Lüneburg hat eine Gebührenerhöhung um 20 % als angemessen angesehen und das mit der hohen Bedeutung der Sache für die Nebenklägerin begründet. Für die Erhöhung der Mittelgebühr reiche die Erfüllung eines Bemessungskriteriums gemäß § 14 RVG aus, hier die hohe Bedeutung der Sache für die Nebenklägerin. Auch seien die geltend gemachten anwaltlichen Reisekosten in vollem Umfang erstattungsfähig. Die Kosten der Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen RA sei regelmäßig als notwendig zur Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung anzusehen. Auch die Höhe der Revisionsgebühr sei gerechtfertigt in Anbetracht der Bedeutung der Sache und der Tätigkeiten des Nebenklägerinvertreters, der die Erfolgsaussichten der Revision geprüft habe sowie ob noch weitere Stellungnahmen zu fertigen gewesen seien.

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten hatte keinen Erfolg. Das OLG hat sich dem LG angeschlossen:

„Soweit eine Gebührenerhöhung um 20 % angesichts der Bedeutung der Sache für die Nebenklägerin als angemessen erachtet wird, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden.

Nach Abs. 1 der amtlichen Vorbemerkung zu Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz gelten für die Tätigkeit als Beistand eines Nebenklägers die Vorschriften des RVG entsprechend. Bei den in diesem Verzeichnis aufgeführten Gebühren handelt es sich um Rahmengebühren, die ihrer Höhe nach gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG vom Nebenklägervertreter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach billigem Ermessen bestimmt werden. Zu den Umständen des Einzelfalles zählen der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist die Gebühr im Einzelfall nach billigem Ermessen zu bestimmen. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG ist die Gebührenbestimmung des Rechtsanwalts für den Auftraggeber sowie für erstattungspflichtige Dritte grundsätzlich verbindlich, es sei denn, dass sie unbillig ist. Dabei werden in der Regel Abweichungen von bis zu 20 % von der angemessenen Gebühr noch nicht als unbillig angesehen (vgl. bezüglich des Nebenklagebeistands OLG Hamm, Beschluss vom 05.07.2012, a.a.O.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.04.2012 – III2 Ws 67/12 -, OLG Hamm, Beschluss vom 09.03.2017 — 1 Ws 54/17 III).

Vorliegend ist die Bedeutung der Angelegenheit für die durch das Tatgeschehen über geraume Zeit und noch im Zeitpunkt der Hauptverhandlung insbesondere psychisch erheblich beeinträchtigte Nebenklägerin als sehr hoch und damit als deutlich überdurchschnittlich einzuschätzen, zumal sie ersichtlich ein erhebliches Interesse an dem Ausgang des Strafverfahrens gegen den Verurteilten hatte. Angesichts der gravierenden psychischen Belastungen, der die Nebenklägerin durch die Tat ausgesetzt war, liegt es nach Auffassung des Senats auf der Hand, dass auch die Art der Tätigkeit des Nebenklagebeistands als schwierig einzustufen ist, wie er im Kostenfestsetzungsverfahren hinreichend dargelegt hat. Daher ist es im Grundsatz ohne Weiteres nicht als unbillig anzusehen, dass der Nebenklagebeistand bei seinen Festsetzungsanträgen eine Erhöhung der Mittelgebühr um 20% vorgenommen hat, die dann auch festgesetzt wurde. Es ist auch nicht ersichtlich, dass diese Erhöhung der Mittelgebühr im groben Missverhältnis zu den Vermögensverhältnissen der Nebenklägerin stehen würde.

Auch soweit der Beschluss die Kosten der Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalts für erstattungsfähig hält, ist hiergegen nichts zu erinnern. Zunächst ist insoweit darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Nebenklägervertreter nicht um einen ortsfremden Rechtsanwalt handelt. Der Nebenklagebeistand ist in Winsen/Luhe ansässig und damit innerhalb des Landgerichtsbezirks Lüneburg niedergelassen.

Lediglich ergänzend weist der Senat überdies darauf hin, dass in der Rechtsprechung hin-sichtlich der Frage, welche Kosten nach § 91 Abs. 2 ZPO zu erstatten sind, ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat und die Vorschrift deutlich weiter ausgelegt wird. Der Gesichtspunkt der Ortsnähe tritt im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung gegenüber dem besonderen Vertrauensverhältnis zurück (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 06.02.2019 — 2 Ws 37/19). In der vorliegenden Konstellation kann ferner die Gesetzesbegründung herangezogen werden, die besonders auf den Gesichtspunkt des Opferschutzes hinweist: „Wohnt z. B. das Opfer einer Vergewaltigung in Köln, findet das gerichtliche Verfahren jedoch in Hamburg statt, so wird es häufig angezeigt sein, dem Opfer einen anwaltlichen Beistand aus dem Kölner Bereich zu bestellen, weil dieser es vor Ort besser betreuen kann“ (vgl. BT-Drs. 16/12098, S. 20).

Hinsichtlich der Revisionsgebühr gemäß Nr. 4130 VV RVG ist ebenfalls anerkannt, dass diese bereits mit Entgegennahme der gegnerischen Revisionsschrift entsteht (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl., 4130-4135 W Rn. 4; Senat, Beschluss vom 25.10.2018 – 2 Ws 405/18).

Gegen die Bestimmung der Höhe der Gebühr bestehen ebenfalls keine Bedenken. Wird die von einem Angeklagten eingelegte Revision mit der Sachrüge begründet und wird eine materiell-rechtliche Prüfung notwendig, so ist bei der Bestimmung der Höhe der Verfahrensgebühr für den Nebenklägervertreter nach Nr. 4130 VV-RVG die Festsetzung einer Mittelgebühr nicht unbillig i.S. von § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG (vgl. Senat, a.a.O.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 04.04.2018, Az. 1 Ws 157/18, – juris, für den vergleichbaren Fall des Gebührenanspruchs des Verteidigers bei einer vom Nebenkläger eingelegten Revision). Soweit auch hier eine Erhöhung des Gebührensatzes um 20% vorgenommen wurde, ist ebenfalls auf die Bedeutung des Rechtsmittelverfahrens für die Nebenklägerin abzustellen, die ein ausgeprägtes Interesse an der Rechtskraft des Urteils hatte und für die das Revisionsverfahren mit erheblichen weiteren psychischen Belastungen verbunden war. Überdies werden, wie oben bereits festgestellt, Abweichungen von bis zu 20% in der Regel nicht als unbillig angesehen.“

Wie gesagt: Froh wird man mit der Entscheidung aus Sicht des Verteidigers natürlich nicht.

Vorab: Da man die genauen Einzelumstände nicht kennt ist es – wie in diesen Fällen immer – allerdings schwierig, abschließend zu beurteilen, ob die Entscheidung richtig ist. Daran kann man aber m.E., wenn man sich die übrige Rechtsprechung zu § 14 RVG anschaut, schon ein wenig zweifeln. Zumindest werden sich Verteidiger verwundert fragen: 20 % über der Mittelgebühr, wann habe ich das letzte Mal so erhöhte Gebühren abrechnen können? Und die Frage ist sicherlich berechtigt, denn man hat schon, wenn man die Rechtsprechung auswertet, den Eindruck, dass die Gerichte eher dazu tendieren, die Verfahren als unterdurchschnittlich denn als durchschnittlich oder gar überdurchschnittlich anzusehen (vgl. zur Gebührenbemessung Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Teil A: Rahmengebühren [§ 14]; Rn 1679 ff. m.w.N.). Dies zumindest beim Verteidiger. Beim Nebenklägervertreter scheinen insoweit aber offenbar andere Grundsätze zu gelten bzw. man scheint – im Zweifel hier im Hinblick auf die Tat – großzügiger zu verfahren. Ob dazu als Begründung allein die besondere Bedeutung des Verfahrens für die Nebenklägerin ausreicht, kann man m.E. bezweifeln, letztlich aber, da man die Tatumstände nicht kennt, nicht abschließend entscheiden. Und auch hinsichtlich der Gebühr Nr. 4130 VV RVG halte ich das OLG für recht großzügig. Allerdings gilt auch hier, dass man den Umfang der Tätigkeiten des Nebenklägervertreters nicht kennt. Aber der muss schon – vom OLG offenbar unterstellt – sehr groß gewesen sein, wenn man die Anhebung der Revisionsgebühr um 20 % über der Mittelgebühr rechtfertigen will.

Jedenfalls – und jetzt beginnt das Schönreden: Man als Verteidiger diese Entscheidung im Hinterkopf behalten und als Argumentationshilfe heranziehen können/müssen, wenn es (mal wieder) um eine Anhebung der Mittelgebühr geht. Denn, wenn das Verfahren für die Nebenklägerin von Bedeutung war, war es das auch für den Angeklagten und rechtfertigt m.E. dann auch bei ihm eine Überschreitung der Mittelgebühr.

Mit Interesse wird man auch die Ausführungen des OLG zur Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des (auswärtigen) Nebenklägerinvertreters lesen. Denn auch die gelten dann natürlich auch für den auswärtigen Verteidiger. Es ist zu hoffen, dass das OLG sich daran erinnert, wenn es denn mal in Zusammenhang mit der Erstattung von Verteidigerkosten eine Rolle spielt.

Gebühren im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren, oder: Versagung/Reduzierung der Gebühren wegen „rechtsmissbräuchlichen Verteidigerhaltens“?

Smiley

Die zweite Entscheidung des Tages kommt vom AG Landstuhl. Das hat im AG Landstuhl, Beschl. v. 08.04.2020 – 2 OWi 186/20 – zu zwei Fragen Stellung genommen, nämlich zunächst zur Frage der Bemessung der Gebühren im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren und dann zur Frage der Reduzierung/Versagung der Gebühren wegen „missbräuchlichen Verteidigerverhaltens“.

Folgender Sachverhalt: Die Betroffene wird in einem straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren von einem Rechtsanalt verteidigt. Zugrunde liegt dem Verfahren ein Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts, der mit 120 EUR zu ahnden gewesen wäre und bei Verurteilung einen Punkt im FAER als mittelbare Folge mit sich gebracht hätte. Die Betroffene war im FAER vorbelastet, sodass die Gelduße 140 EUR betrug. Der Verteidiger hat sich zunächst bestellt und Akteneinsicht begehrt, später eine CD mit Daten übersandt bekommen und dann Einspruch eingelegt. Der Einspruch war in einem zusammenhängenden Text mit Einwendungen gegen das Messverfahren enthalten, ohne dass der Einspruch graphisch hervorgehoben war. Die Behörde „übersieht“ den Einspruch, was zur Verjährung führt- Sie hat dann das Verfahren eingestellt und den Bußgeldbescheid zurückgenommen.

Der Verteidiger hat Mittelgebühren geltend gemacht. Die sind auch festgesetzt worden:

„Der Verteidiger hat einen Anspruch auf Erstattung der von ihm begehrten Gebühren nach RVG. Anzusetzen ist in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren grundsätzlich die Mittelgebühr (AG München, Urt. v. 2.12.2019 – 213 C 16136/19; Gerold/Schmidt/Mayer, 24. Aufl. 2019, RVG § 14 Rn. 54-57; LG Kaiserslautern, Beschl. v. 4.2.2015 – 5 Qs 9/15, BeckRS 2015, 05688). Dies ist im vorliegenden Fall auch durch die konkrete Tätigkeit des Verteidigers zu vertreten. Dieser hat sich nicht nur bestellt und in die formale Akte Einsicht genommen, sondern sich darüber hinaus auch mit dem dem Verstoß zugrunde liegenden Messsystem befasst. Darüber hinaus ist nach dem reformierten Punktesystem seit dem 1.5.2014 schon die Vermeidung des ersten Punkts im FAER für jeden Betroffenen zu erstreben, sodass eine unterdurchschnittliche Bemessung der Tätigkeit allenfalls dann standardmäßig in Betracht kommt, wenn es in Massenverfahren „nur“ um eine Geldbuße, mithin ein Verwarnungsgeld geht. Dies ist hier nicht der Fall.“

So weit, so gut. Aber dann:

„Die Erledigungsgebühr ist durch die Tätigkeit des Verteidigers erfolgte Einstellung angefallen und stets als Mittelgebühr zu bemessen (Krumm in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 7. Auflage 2018, RVG Nr. 5115 VV, Rn. 21).

Hier wäre allenfalls zu überlegen gewesen, die Gebühren insgesamt wegen des missbräuchlichen Verteidigungsverhaltens auf ein Minimum zu reduzieren oder zu versagen. Dies kann jedoch hier nicht erfolgen. Denn zum einen hat das Verteidigerverhalten zum gewünschten Erfolg der Betroffenen geführt. Dass die Bußgeldbehörde Fälle wie diesen rechtlich nicht richtig prüft und nicht auf der Bestandskraft des Bußgeldbescheids wegen des missbräuchlichen Verteidigerverhaltens beharrt, kann nicht zulasten der Betroffenen gehen. Zum anderen obliegt es dem Gericht in Verfahren nach § 62 OWiG nicht, über die Kostengrundentscheidung neu zu befinden, sondern nur über die Höhe.“

Dazu ist „anzumerken“:

1. Die Ausführungen des AG zur (allgemeinen) Gebührenbemessung im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren sind zutreffend  (vgl. zur Mittelgebühr im Bußgeldverfahren auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. m.w.N.). Sehr schön auch der Hinweis auf die im Hinblick auf die durch die sog. Punktereform zum 1.5.2014 eingetretenen Änderungen betreffend das FAER und die damit gestiegene Bedeutung der straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren.

2. Zu widersprechen ist aber den Ausführungen des AG betreffend „Reduzierung“ oder „Versagung“ der Gebühren – und ich zitiere hier jetzt aus eine für VRR/StRR/RVGreport vorgesehenen Anmerkung -,

„wobei nicht ganz klar wird, ob das AG die auf alle Gebühren beziehen will – dafür spricht die Formulierung „Gebühren“ – oder nur auf die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG – dafür spricht die Stellung der Ausführungen bei der „Erledigungsgebühr“.

M.E. kommt eine „Reduzierung“ oder gar „Versagung“ nicht in Betracht. Worauf will man die stützen? Vorab: Darüber wäre, wenn es denn zulässig sein sollte, auch nicht, was das AG richtig erkannt ha,t im Kostenfestsetzungsverfahren zu entscheiden, sondern im Rahmen des Erlasses der Kostengrundentscheidung; hinsichtlich der einmal erlassenen Kostengrundentscheidung besteht Bindungswirkung (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn 15 m.w.N.).

In Betracht käme daher als Ansatz allenfalls eine Nichtberücksichtigung der (vom AG als) rechtmissbräuchlich angesehenen Verteidigertätigkeiten, hier in Anlehnung an die Rechtsprechung der OLG zum versteckten Entbindungsantrag der „versteckte Einspruch, bei der Beurteilung des Umfangs der Tätigkeiten des Verteidiger. Ich warne allerdings vor einer solchen Diskussion. Denn mit ihr begibt man sich auf das schwierige Terrain der nachträglichen Beurteilung der Verteidigungsstrategie unter gebührenrechtlichen Gesichtspunkten. Damit tun sich Rechtsprechung und Literatur schon bei der Pauschgebühr des Pflichtverteidigers nach § 51 RVG schwer (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, § 51 Rn 23 ff. m.w.N.). Um so schwieriger ist es bei den allgemeinen Rahmengebühren. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte nachträglich über die Verteidigungsstrategie zu befinden und die ggf. durch eine Gebührenminderung/-versagung abzustrafen. Das verstößt m.E. gegen die Unschuldsvermutung. Es geht ja auch nicht um einen Anspruch des Verteidigers, sondern um einen Erstattungsanspruch des Betroffenen bzw. im Strafverfahren des Angeklagten. Und der darf sich grundsätzlich in jeder Art und Weise verteidigen, so lange der Bereich angemessener und sinnvoller Verteidigung nicht überschritten wird (so auch OLG München RVGreport 2018, 450 = JurBüro 2018, 409). Und das ist bei dem hier vom AG monierten Verhalten – „versteckter Einspruch“ nicht der Fall. Sicherlich auch nicht deshalb, weil einige OLG das beim ähnlichen Fall des versteckten Entbindungsantrages nach § 73 OWiG so sehen (vgl. die Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 1402). Denn damit werden ggf. nur die Amtsrichter – oder wie hier die Bußgeldbehörden – unterstützt, die Anträge nicht oder nicht sorgfältig lesen. Und dass ein solches Verteidigerverhalten sinnvoll sein kann, zeigt der vorliegende Konstellation, die wegen des „übersehenen“ Einspruchs zur Einstellung des Verfahrens und zur Kostenerstattung geführt hat. Wenn die Bußgeldbehörde das hätte verhindern wollen, wäre es ihr unbenommen gewesen, das Verfahren nicht einzustellen sondern „fortzuführen“. Zudem scheidet bei der Nr. 5115 VV RVG eine Reduzierung von vornherein aus, weil es sich bei dieser Gebühr um eine Festgebühr handelt, wovon ja auch das AG zutreffend ausgeht.

3. Und: Erst recht zu widersprechen ist schließlich der Mitteilung des AG am Ende seiner Entscheidung:

Ungeachtet dessen wird die Akte aber der Staatsanwaltschaft zur ggf. berufsrechtlichen Prüfung des anwaltlichen Vorgehens übersandt werden.“

Ich frage mich, gegen welche berufsrechtliche Pflicht der Verteidiger verstoßen haben soll?

Insgesamt: Wehret den Anfängen.

Bemessung der Gebühren im straßenverkehrsrechtlichen OWi-Verfahren, oder: Lachen oder weinen?

Smiley

Heute am Gebührenfreitag stelle ich zunächst den LG Halle, Beschl. v. 18.12.2019 – 3 Qs 117/19 – vor. Den hat mir der Kollege C. Schneider aus Dresden geschickt.

Das LG entscheidet mal wieder über die Bemessung der Rahmengebühren im Bußgeldverfahren, und zwar wie folgt:

„Bei den angesetzten Gebühren handelt es sich um Rahmengebühren. Nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG bestimmt der Verteidiger die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen selbst. Hierzu zählen vor allem Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers.

Sind die Gebühren von einem Dritten, wie hier von der Landeskasse, zu erstatten, ist die Bestimmung durch den Rechtsanwalt jedoch unverbindlich, wenn sie unbillig ist, vgl.§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die beantragte Gebühr um 20% oder mehr über der angemessenen Höhe liegt.

Um zu bestimmen, wann eine Gebührenfestsetzung unbillig ist, wird nach gefestigter Rechtsprechung in den „Normalfällen“, in denen sämtliche nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, von der Mittelgebühr ausgegangen (vgl. u.a. KG Berlin, Beschluss vom 24.11. 2011,1 Ws 113 -114/10, Rn. 15, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. 02. 2010,111-1 Ws 700/09, 1 Ws 700/09, Rn. 15; OLG Koblenz, Beschluss vom 10. 09. 2007, 1 Ws 191/07, Rn. 24; jeweils zitiert nach juris). Maßgeblich für die Frage, ob eine Gebühr oberhalb oder unterhalb der Mittelgebühr gerechtfertigt ist, ist die Bewertung und Gewichtung der vorgenannten Kriterien nach § 14 RVG. Die Ober- und Untergrenzen stellen dabei lediglich Richtwerte dar, sodass sich eine schematische Bewertung verbietet.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist nach Auffassung der Kammer hinsichtlich der Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG sowie der Verfahrensgebühr Nr. 5103 und Nr. 5109 VV RVG jeweils ein Ansatz deutlich unterhalb der Mittelgebühr angemessen.

Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind hier als unterdurchschnittlich anzusehen.

Die Kammer hat berücksichtigt, dass Verfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten, die auf einem Geschwindigkeitsverstoß beruhen, wegen ihrer statistischen Häufigkeit in der Regel routinemäßig und ohne wesentlichen Zeitaufwand vom Rechtsanwalt bearbeitet werden. Berücksichtigt man, dass der Gebührenrahmen alle Arten von Ordnungswidrigkeiten, also auch solche aus den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, die häufig mit Bußgeldern im oberen Bereich des Bußgeldrahmens geahndet werden und oft mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, erfasst, ist der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hier als unterdurchschnittlich anzusehen (vgl. auch LG Osnabrück, Beschluss vom 21. 03. 2012 – Az.: 15 Qs 12/12, Rn. 6; LG Duisburg, Beschluss vom 15. 05. 2014 – 69 Qs 10/14 Rn. 3; LG Hannover, Beschluss vom 03. 02. 2014 —48 Qs 79/13 —, Rn. 13; jeweils zitiert nach juris).

Neben dem Einarbeitungsaufwand bedurfte es keiner tiefergehenden Sachaufklärung, da es hier lediglich um die Frage der Verfolgungsverjährung ging, die kurz vor der Hauptverhandlung geltend gemacht worden war; schwierigere tatsächliche oder rechtliche Fragen stellten sich nicht. Die vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung ist eine häufig vorkommende Ordnungswidrigkeit. Die Schwierigkeit der Angelegenheit ist als unterdurchschnittlich einzuordnen.

Auch die Bedeutung der Angelegenheit für die Betroffene ist als unterdurchschnittlich zu werten: Der Verfahrensgegenstand war eine Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit einer geringen Geldbuße in Höhe von 120,00 € und einer Eintragung von einem Punkt im Verkehrszentralregister geahndet werden sollte. Ein Fahrverbot drohte nicht. Der vorgegebene Gebührenrahmen für die Grundgebühr, mit der die Verteidigertätigkeit für die Ersteinarbeitung sowie die Beschaffung der Erstinformation vergütet wird, gilt für die Verteidigertätigkeit in allen Instanzen unabhängig von der Höhe der Geldbuße und der Art der Ordnungswidrigkeit. Der vorgegebene Gebührenrahmen für die Verfahrensgebühr gilt für Geldbußen zwischen 60,00 EUR und 5.000,00 EUR, sodass sich die angedrohte Geldbuße auch nur im unteren Bereich des Gebührenrahmens bewegte.

Die Kammer hält vor diesem Hintergrund für eine Grundgebühr gemäß Nr. 5100 VV RVG in Höhe von 70 € und eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 5103 VV RVG in Höhe von 110 € für angemessen. Für die Verfahrensgebühr nach Nr. 5109 VV RVG schließt sich die Kammer dem Amtsgericht Merseburg an und sieht im vorliegenden Fall eine Gebühr in Höhe von 120,00 € als angemessen an, da der Verteidiger sich vertieft mit der Frage der Verfolgungsverjährung auseinandersetzen musste.

Allein die Behauptung, dass die Betroffene als Akademikerin ein überdurchschnittliches Einkommen erhält, verfängt darüber hinaus nicht, da keine konkreten Angaben zur Einkommenshöhe gemacht wurden.

Da die geltend gemachte Höhe der Grundgebühr und der Verfahrensgebühren die angemessene Gebühr jeweils um mehr als 20 % übersteigen, ist die Gebührenbestimmung durch den Verteidiger insoweit jeweils unbillig und damit unverbindlich, so dass jeweils die angemessene Gebühr anzusetzen ist.2

Ich habe mir die Frage gestellt: Lachen oder weinen? Und ich habe mich für das Lachen entschieden. Und zwar u.a. wegen der Anhebung der Grundgebühr bzw. Verfahrensgebühr um jeweils 10 EUR. Man fragt sich, was das soll? Oder. Warum sind 70 EUR bzw. 110 EUR angemessener als die vom AG (zu niedrig) angesetzten 60 EUR oder 100 EUR. Das kann man nicht begründen. Und das LG hat es dann auch lieber erst gar nicht versucht.

Der einzige Lichtblick in der Entscheidung: Das LG macht den Blödsinn betreffend der Nr. 5115 VV RVG nicht mit, wenn die teilweise auch als Rahmengebühr angesehen wird:

„Die Verfahrensgebühr nach Nr. 5115 VV RVG (Mitwirkungsgebühr) war von dem Amtsgericht Merseburg jedoch zu gering angesetzt, da nach Nr. 5115 Abs. 3 S. 2 VV RVG sich bei einem Wahlanwalt die Gebühr nach der Rahmenmitte bestimmt. Es handelt sich um eine versteckte Festgebühr (Kroiß in: Mayer/Kroiß, aaO, RVG Nrn. 5100-5200 W, Rn. 16). Der Gebührenrahmen ist hier von 30,00 € bis 290,00 € vorgegeben, so dass eine Mittelgebühr in Höhe von 160,00 €, wie beantragt, anzusetzen war.“

Na ja, zumindest etwas. An dem Rest müssen wir noch arbeiten.