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Nach Drogenkonsum auf Polizeiflucht, oder: Kleiner Grundkurs des BGH zur Straßenverkehrsgefährdung

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Heute dann (mal wieder) ein wenig Verkehrs(straf)recht. Und den Tag eröffent der BGH, Beschl. v. 31.01.2017 – 4 StR 597/16. Das Verfahren ist gelaufen unter der Überschrift: „wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. “ Und in dem „u.a.“ steckt dann das Verkehrsstrafrecht. Verurteilt worden ist der Angeklagte nämlich „wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführen von Waffen“ und Urkundenfälschung in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung und einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz“. Und wegen der verkerhsrechtlichen Problematik gibt es dann vom 4. Strafsenat einen kleinen Grundkurs/einige Hinweise, und zwar:

  • Die BGH beanstandet die Verurteilung wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a), Abs. 3 Nr. 1 StGB. Begründung: Die zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen sind widersprüchlich. Denn es ist nicht unklar, ob sich der Angeklagte – wovon das LG in der rechtlichen Würdigung ausgegangen ist – einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung (Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination) oder nur einer Fahrlässigkeitstat gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a), Abs. 3 Nr. 2 StGB schuldig gemacht hat.
  • Ein Hinweis des BGH gibt es dann noch einmal zum Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a), § 316 StGB. Der „kann nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15, NZV 2015, 562 [Ls]). Grundsätzlich kann hierbei auch aus der Fahrweise auf eine relative Fahruntüchtigkeit geschlossen wer-den. Befand sich der Täter – wie hier – auf der Flucht vor der Polizei, muss dies in die Beurteilung des Indizwertes seines Fahrverhaltens einbezogen werden. Dabei ist der Tatrichter nicht gehindert, auch bei einem Täter, der sich seiner Festnahme durch die Polizei entziehen will, in einer deutlich unsicheren, waghalsigen und fehlerhaften Fahrweise ein Beweisanzeichen für eine rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit zu sehen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2000 – 4 StR 171/00, NStZ-RR 2001, 173; Beschluss vom 29. November 1994 – 4 StR 651/94, DAR 1995, 166; König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 316 Rn. 111 f. mwN).“
  • Und dann noch – auch das ein „Dauerbrenner“: „§ 315c Abs. 1 StGB setzt voraus, dass einer fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht hat. Es sind daher stets zwei Prüfschritte erforderlich, zu denen im Strafurteil entsprechende Feststellungen zu treffen sind: Zunächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt, was etwa bei älteren oder bereits vorbeschädigten Fahrzeugen fraglich sein kann. Handelt es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden. Der Wert der Sache ist hierbei nach dem Verkehrswert und die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289; Ernemann in: SSW-StGB, 3. Aufl., § 315c Rn. 25 mwN).

Dies alles – und auch noch viel mehr – findet man übrigens in dem von mir bearbeiteten § 4 von Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Auflage, 2015, zu dem derzeit eine Mängelaktion läuft (vgl. hier: „Geiz ist geil“, oder: Schnäppchen bei Burhoff).

Aufgehoben hat der BGH das landgerichtliche Urteil übrigens insgesamt: Begründung u.a.: Die Verurteilungen wegen der anderen stehen zur  vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit stehen. Würden sie in Rechtskraft erwachsen, hätte dies zur Folge, dass einer weiteren Verfolgung der zugrunde liegenden Tat unter dem Gesichtspunkt des § 315c StGB das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) entgegenstünde.

Polizeiflucht, oder: Die Konkurrenzen müssen stimmen

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Das LG verurteilt den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) sowie wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315c StGB) in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe.

Dem BGH „passen“ im BGH, Beschl. v. 07.09.2016 – 4 StR 221/16 – daran zwei Dinge nicht: Hinsichtlich zwei der Verurteilungen hat das LG nach seiner Auffassung die Frage eines möglichen Rücktritts vom Versuch unzureichend erörtert. Insoweit wendet er aus prozessökonomischen Gründen mit Zustimmung des GBA § 154a Abs. 2 StPO an. Und:

„2. Er ändert ferner das Konkurrenzverhältnis zwischen der im ersten Tatkomplex verbleibenden Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und derjenigen im zweiten Tatkomplex (gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte), da die vom Landgericht insoweit angenommene Tatmehrheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist, was die Strafkammer im Ansatz auch nicht verkannt hat, in Fällen einer ununterbrochenen Polizeiflucht regelmäßig von Tateinheit bezüglich aller durch die Fahrt verwirklichten Delikte auszugehen (vgl. nur Senatsurteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 239; ebenso schon Senatsurteil vom 15. Dezember 1967 – 4 StR 441/67, BGHSt 22, 67, 76). Der vom Landgericht für die Annahme von Tatmehrheit herangezogene Umstand, der Angeklagte habe während der Flucht zwei getrennte Fahrmanöver ausgeführt, da er zunächst aus einer Parkbucht eines öffentlichen Parkplatzes rückwärts herausgefahren und dann – nach Fahrtrichtungswechsel und „Erweiterung seines Blickwinkels“ – den Parkplatz Richtung Ausfahrt verlassen habe, trägt nicht. Denn ungeachtet derartiger, den Zufälligkeiten des einzelnen Falles geschuldeter Besonderheiten, verbleibt es bei dem für die Annahme von Tateinheit maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkt, wonach in dem einheitlichen Entschluss zu einer Flucht vor der Polizei eine besondere Sachlage zu sehen ist, die in diesen Fällen die Zusammenfassung aller Verletzungen der Strafgesetze zu einer Tat begründet (BGH, Be-schluss vom 12. Januar 1995 – 4 StR 742/94, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 3 Konkurrenzen 1). Auch bezüglich mehrerer, einander folgenden Widerstandshandlungen besteht natürliche Handlungseinheit (BGH, Senatsurteil vom 9. März 1978 – 4 StR 64/78, VRS 56, 141).

Folge: Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und Zurückverweisung an eine allgemeine Strafkammer und nicht mehr ans Schwurgericht.

Polizeiflucht: Ungebremst Zufahren auf eine Polizeisperre – reicht dem BGH so nicht

entnommen: openclipart.org

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Fast ebenso häufig wie in der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des BGH sind hier bei mir Postings zu den §§ 315b, 315c StGB. In vielen Fällen hebt der BGH landgerichtliche Verurteilungen auf, weil ihm die tatsächlichen Feststellungen nicht reichen (vgl. dazu zuletzt .a. den BGH, Beschl. v. 21.05.2015 – 4 StR 164/15 und dazu Ist das denn so schwer?, oder: Butter bei die Fische im Verkehrsrecht oder den  BGH, Beschl. v. 21.04.2015 – 4 StR 92/15 und dazu Bitte nicht schon wieder: BGH zur Straßenverkehrsgefährdung). In den beiden Entscheidungen ging es um den sog. „Beinaheunfal, also die konkrete Gefahr.

In einer weiteren Entescheidung, dem BGH, Beschl. v. 30.06.2015 – 4 StR 188/15 -, geht es nun schon wieder um den Beinaheunfall, aber auch um den „zumindest bedingten Schädigungsvrsatz“, der bei einem gefährlichen Eingriff in den (fließenden) Straßenverkehr vorliegen muss. Gegenstand der landgerichtlichen Verurteilung war eine sog Polizeiflucht, die auf der Rastanlage einer BAB endete. Dort hatten dann der Angeklagte sein Fahrzeug auf der mehrere hundert Meter langen Ausfahrspur der Rastanlage auf 100 bis 120 km/h beschleunigt. Obwohl er die Polizeisperre bemerkte, beschleunigte er weiter und fuhr ungebremst auf das die Ausfahrt blockierende Streifenfahrzeug zu, um die Polizeibeamten zur Freigabe der Fahrbahn zu zwingen. Als der Fahrer des Polizeifahrzeugs das Fahrzeug des Angeklagten mit hoher Geschwindigkeit ungebremst auf sich zukommen sah, fuhr er den Streifenwagen nach hinten auf eine Sperrfläche und gab den Weg frei. Im Zeitpunkt des Beginns dieses Fahrmanövers war der Angeklagte mit seinem Fahrzeug „weniger als 50 Meter“ von dem Streifenfahrzeug entfernt. Er hätte sein Fahrzeug auch mit einer Vollbremsung nicht mehr vor dem Streifenwagen zum Stehen bringen können. Ihm kam es dabei darauf an, den Streifenwagen zum Zurücksetzen zu zwingen. Ohne dieses Rückfahrmanöver wäre es zu einem Zusammenstoß mit Lebensgefahr für die Fahrzeuginsassen gekommen.

Dem BGH genügt das nicht:

b) Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 StGB liegt erst dann vor, wenn durch eine der in § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Ge-fahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verdichtet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2014 – 4 StR 251/14, NStZ 2015, 278; Be-schluss vom 18. Juni 2013 – 4 StR 145/13, Urteil vom 4. Dezember 2002  – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 122; Ernemann in SSW-StGB, 2. Aufl., § 315b Rn. 5, 16). Dies ist der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing (sog. Beinahe-Unfall), ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – 4 StR 435/12, NStZ 2013, 167; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/95, NJW 1995, 3131, jeweils zu § 315c StGB; Ernemann in SSW-StGB, 2. Aufl., § 315b Rn. 16). Bei Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (vgl. BGH, Be-schluss vom 5. November 2013 – 4 StR 454/13, NStZ 2014, 86; Urteil vom 20. Februar 2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237 f.). Beides ist nicht hinreichend belegt.

Dass das Fahrverhalten des Angeklagten zu einer konkreten Gefahr in dem dargestellten Sinne geführt hat, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Als der Polizeibeamte PK R. die Rückwärtsfahrt einleitete, war der Angeklagte mit seinem Fahrzeug noch „weniger als 50 Meter“ entfernt. Diese nur sehr vage Beschreibung der Entfernungsverhältnisse lässt keinen sicheren Schluss auf ein Geschehen zu, das als ein „Beinahe-Unfall“ erfasst werden könnte. Feststellungen zu den räumlichen Verhältnissen an der Stelle, an der der Angeklagte das zurückgesetzte Polizeifahrzeug mit hoher Geschwindigkeit passierte (Abstände zwischen den Fahrzeugen, zur Verfügung stehender Raum für die Durchfahrt in Richtung Autobahn), fehlen. Soweit das Landgericht an anderer Stelle (im Rahmen der Ausführungen zu § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB) darauf abhebt, es habe „die konkrete Gefahr“ bestanden, dass der Polizeibeamte einen Fahrfehler macht (UA 14), fehlt dafür jeder Beleg. Dies gilt umso mehr als PK R. – ein ausgebildeter Polizeibeamter – durch den Hinweis seiner Kollegen vorgewarnt war.

Einen zumindest bedingten Schädigungsvorsatz hat das Landgericht nicht festgestellt. In der rechtlichen Würdigung ist lediglich davon die Rede, dass der Angeklagte die Gefahr für die beiden Polizeibeamten durch seinen Eingriff auch vorsätzlich herbeigeführt habe (UA 14). In der Beweiswürdigung führt das Landgericht dazu aus, dass es dem Angeklagten darauf angekommen sei, die Durchfahrt in Kenntnis der Blockade zu erzwingen und er dementspre-chend damit gerechnet habe, dass durch sein bedingungsloses Fahrverhalten das Polizeifahrzeug den Weg freigibt (UA 12).“

Ist verkehrsstrafrechtliches Allgemeinwissen  bzw. sollte es sein.