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Wunder/Pauschgebühren gibt es immer wieder, oder: Wunderentscheidung vom OLG München :-)

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Den Gebührenfreitag eröffne ich mit dem OLG München, Beschl. v. 27.09.2023 – 1 AR 263/23. Das ist eine Entscheidung, zu der das Lied von Katja Ebstein „Wunder gibt es immer wieder“ passen würde. Denn:

Es wird

  • eine Pauschgebühr nach § 51 RVG bewilligt,
  • es gibt mehr als die Wahlanwaltshöchstgebühr,
  • die Bezirksrevisorin hatte sich dem Antrag angeschlossen
  • und das Ganze in Bayern beim OLG München.

Das ist in meinen Augen nun wirklich eine „Wunderentscheidung“. Der Verteidiger hatte  beantragt, anstelle der Gebühren gemäß Nr. 4100 VV RVG und Nr. 4118 VV RVG in Höhe von 524 EUR unter Anrechnung der insoweit ausbezahlten Pflichtverteidigervergütung eine Pauschvergütung in Höhe von 2150 € zu bewilligen. Das OLG hat eine Pauschgebühr gewährt und begründet das wie folgt:

„Eine Pauschgebühr ist gemäß § 51 Abs. I S. 1 RVG auf Antrag zu bewilligen, wenn die im Vergütungsverzeichnis für den beigeordneten Rechtsanwalt bestimmten Gebühren für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar sind.

Die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht München hat mit Stellungnahme vom 25.09.2023 dem Antrag zugestimmt und hierzu ausgeführt:

„Der Umfang dieses Verfahrens stellt vor der Wirtschaftsstrafkammer zunächst keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Der diesen Verfahren in der Regel innewohnende höhere Arbeits- und Planungsaufwand für den Pflichtverteidiger ist vom Gesetzgeber im RVG bereits durch die Festsetzung höherer Gebühren (vorliegend VV RVG 4118 und 4120) berücksichtigt worden und gibt deshalb für sich genommen noch keinen Anlass für die Festsetzung einer Pauschgebühr.

Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des OLG München zu berücksichtigen, dass der erforderlichen Einarbeitung in den Sachstand nur ein Hauptverhandlungstag folgte, mithin nur eine Terminsgebühr (VV RVG 4121) angefallen ist. Es entspricht dem gesetzlichen Gebührenkonzept, dass der Verteidiger regelmäßig seine im Vorverfahren, für das relativ geringe Gebühren anfallen, gewonnenen Kenntnisse im Hauptverfahren nutzt. Dieser Synergieeffekt fehlt vorliegend. Zudem ist im vorliegenden Verfahren die Gebühr VV RVG 4104 wegen der späten Bestellung nicht angefallen.

Zur Vermeidung eines unbilligen Sonderopfers erscheint die Gewährung einer Pauschgebühr gem. § 51 Abs. 1 RVG erforderlich, zumal der Antragsteller, wie er zutreffend ausführt an der Verständigung und damit Verfahrensverkürzung maßgeblich mitgewirkt hat. Der Verständigung lag eine umfangreiche Vorbereitung zugrunde, die durch die geringeren Gebühren des Anwalts nicht angemessen entgolten wären, vgl. hierzu auch Nomos Gesamtes Kostenrecht, 3. Auflage Rn 20 zu § 51 RVG „Verfahrensverkürzung“. Weiter ist zu berücksichtigen, dass für die Teilnahme an dem Erörterungstermin keine Terminsgebühr anfällt – eine Pauschgebühr kann hierfür gerechtfertigt sein, vgl. Nomos a.a.O. „Verständigungsgespräche“. Mit Blick auf die Grund- und Verfahrensgebühren kann vorliegend von einem Ausnahmefall ausgegangen werden und es kann als Pauschgebühr wie beantragt eine Gebühr über der Wahlverteidigerhöchstgebühr i.H.v. 2150,– € bewilligt werden.“

Die Bewilligung einer Pauschvergütung ist die Ausnahme, die bei besonders umfangreichen und schwierigen Verfahren unzumutbare Sonderopfer des beigeordneten Rechtsanwalts vermeiden soll (B. v. 02.07.2020, 1 AR 75/20; so schon BGH, B. v. 01.06.2015, 4 StR 267/11).

Unzumutbar wäre die Versagung einer Pauschvergütung zunächst insbesondere dann, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt dadurch eine wirtschaftliche Existenzgefährdung erleiden würde (BVerfG, B. v. 01.06.2011, 1 BvR 3171/10, juris), wofür vorliegend allerdings keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.

Erforderlich sind daher Umstände, die sich vom Regelfall wegen des besonderen Umfangs oder ihrer besonderen Schwierigkeit deutlich unterscheiden, und deshalb die bloße Festsetzung der vom Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren nicht zumutbar wäre.

Der Senat sieht vorliegend einen solchen Ausnahmefall als gegeben an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen an Stelle einer weiteren Begründung auf die Ausführungen der Bezirksrevisorin Bezug.

Die Pauschgebühr ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats im Regelfall maximal mit dem Betrag der Wahlverteidigerhöchstgebühr anzusetzen. Vorliegend erkennt der Senat ebenso wie die Bezirksrevisorin insoweit einen außergewöhnlich besonderen Ausnahmefall, der ein Überschreiten der Wahlverteidigerhöchstgebühren ausnahmsweise zulässt.

Die Pauschgebühr errechnet sich somit aus einem Pauschvergütungsbetrag in Höhe von 2150 € mit Blick auf die Gebührentatbestände VV-RVG 4100 und 4118, sowie aus den Gebühren für die Hauptverhandlung in Höhe von 699 € (VV-RVG 4120/4122).

Insgesamt errechnet sich daraus eine vom Senat festzusetzende Pauschgebühr von 2849 €.“

Geht doch 🙂

Pauschgebühr II: Pauschgebühr für die Einarbeitung, oder: Ist Gebührenrecht für OLGs (zu) schwer?

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Die zweite Entscheidung, der OLG Oldenburg, Beschl. v. 11.0.2023 – 1 ARs (KostR) 8/22 – nimmt Stellung zur Gewährung eines Pauschgebühr, wenn sich der Pflichtverteidiger in eine umfangreiche Ermittlungsakte einarbeiten musste. Er gewährt eine Pauschgebühr, aber viel ist es nicht.

Der Kollege Böhrnsen, der mir die Entscheidung geschickt hat, hat eine Pauschgebühr in Höhe von 2.682,- EUR beantragt. Einen (kleinen) Teil davon hat das OLG bewilligt:

„Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG ist Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierig-keit der Sache nicht zumutbar ist. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar und kommt lediglich in Betracht, wenn die anwaltliche Mühewaltung sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 01.06.2015 – 4 StR 267/11, NJW 2015, 2437) und die Gewährung eines Pauschbetrags zum Ausgleich eines unzumutbaren Missverhältnisses angezeigt erscheint (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.03.2010 – 1 AR 11/10, juris Rn. 3). Bei der Beurteilung ist ein objektiver Maßstab zu Grunde zu legen. Entscheidend ist, ob die konkrete Strafsache selbst umfangreich war und infolge dieses Umfangs eine zeitaufwändigere, gegenüber anderen Verfahren erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15.01.2020 – 1 StR 492/15, NStZ-RR 2020, 160). Dabei ist nur der Zeitaufwand berücksichtigungsfähig, der allein aus verfahrensbezogenen Tätigkeiten des Pflichtverteidigers herrührt, nicht hingegen solcher, der seinen Grund in nur verteidigerbezogenen persönlichen Umständen hat (vgl. BGH a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben steht dem Antragsteller die Pauschgebühr im tenorierten Umfang zu.

Die gesetzlichen Gebühren des Antragstellers für seine nach Teil 4 Abschnitt 1. Unterabschnitte 1. und 2. des Vergütungsverzeichnisses erfassten Tätigkeiten bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens bei einem nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten betragen insgesamt 399,-Euro, die sich aus der Grundgebühr (Nr. 4100, 4101 VV RVG) in Höhe von 216,- Euro und der Verfahrensgebühr (Nr. 4104, 4105 VV RVG) in Höhe von 177,- Euro zusammensetzen. Darüber hinaus ist nach Unterabschnitt 5 eine bislang nicht geltend gemachte, als Wertgebühr der Festsetzung einer Pauschgebühr nicht zugängliche (§ 51 Abs. 1 Satz 2 RVG) Gebühr für das Einziehungsverfahren (Nr. 4142 VV RVG) in Höhe von 447,- Euro entstanden (vgl. Senat, Beschluss vom 09.11.2021 – 1 ARs (KostR) 6/21 [n.v.]).

…..

Das Schwergewicht der Arbeit des Pflichtverteidigers lag vorliegend in der erstmaligen Einarbeitung in die Ermittlungsakten, die mit etwa 6.600 Seiten deutlich über dem üblichen Umfang derartiger Verfahren liegen. Insoweit stellt das Studium umfangreicher Akten im Ermittlungsverfahren ein wesentliches Indiz für das weit überdurchschnittliche Ausmaß dar (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 201). Auch wenn die reine Blattzahl nicht alleine ausschlaggebend für die Bemessung des tatsächlich erbrachten und mithin zu vergütenden Tätigkeitsumfanges ist, so ist gleichwohl in den Blick zu nehmen, dass dem Verfahren insoweit eine Vielzahl von Betrugsfällen zu-grunde lag, was zugleich mit einem nicht unerheblichen Besprechungsbedarf mit dem Beschuldigten einherging.

Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, anstelle der vorbezeichneten gesetzlichen Verfahrensgebühr nach Nrn. 4104, 4105 VV RVG das Doppelte derselben, mithin 354,- Euro anzusetzen (vgl. zur Verdopplung in vergleichbaren Fällen etwa Senat, Beschluss vom 24. Juni 2020 – 1 ARs (KostR) 5/20 [n.v.]).

Die Gewährung einer höheren Pauschvergütung und – wie ebenfalls beantragt – eine gleichzeitige Erhöhung auch der gesetzlichen Gebühr des Antragstellers für seine nach Nrn. 4100, 4101 VV RVG erfasste Tätigkeit kamen hingegen nicht in Betracht. Denn im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung (vgl. KG, Beschluss vom 02.10.2015 – 1 ARs 26/13, juris Rn. 9) erschien es angemessen und ausreichend, den Zeitaufwand insbesondere bezüglich der Einarbeitung in die Ermittlungsakten lediglich mit der Erhöhung der Verfahrensgebühr abzugelten (vgl. Senat a.a.O.).“

Daran vermag auch der durch die Besuche des Mandanten in den beiden Justizvollzugsanstalten entstandene Aufwand des Antragstellers nichts zu ändern. Denn – entgegen dessen Auffassung in seinem Schriftsatz vom 20. Februar 2022 – hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20.03.1997 – 2 BvR 51/07, NJW 2007, 3420; ähnlich BGH, Beschluss vom 01.06.2015 – 4 StR 267/11, NJW 2015, 2437) sehr wohl den gebührenrechtlichen Ansatz, wonach der dahingehende Aufwand zum einen durch den – beim nicht auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten gesetzlich verankerten – Zuschlag zu den jeweils entstehenden Gebühren (hier: Nrn. 4101, 4105 VV RVG) und zum anderen durch den Anspruch auf Erstattung der entstandenen Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG sowie auf Zahlung eines Tages- und Abwesenheitsgeldes nach Nr. 7005 VV RVG angemessen vergütet wird, gerade nicht als verfassungswidrig beanstandet.

Sofern der Antragsteller in dem vorbezeichneten Schriftsatz schließlich Überlegungen zu seinem Stundenlohn anstellt, vermag er damit ebenfalls nicht durchzudringen. Denn der Frage, welcher anwaltliche Stundensatz auskömmlich und zur Kostendeckung erforderlich ist, kommt für die Beurteilung, ob dem Verteidiger die gesetzlichen Pflichtverteidigergebühren im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG zumutbar sind, keine erhebliche Bedeutung zu (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 20. Juni 2014 – 2 ARs 96/13 –, juris; Senat, Beschlüsse vom 24.10.2018 – 1 ARs (KostR) 8/18 und vom 18.05.2022 – 1 ARs (KostR) 2/22 m.w.N. [jew. n.v.]).“

In meinen Augen falsch. Lassen wir mal den Bezug auf die Rechtsprechung des BGH zum Abheben in „exorbitanter Weise“ dahingestellt, das beten alle OLG so nach. Aber: Wenn schon wegen der Einarbeitung eine Pauschgebühr gewährt wird, dann muss man die Nrn. 4100, 4104 VV RVG gemeinsam zugrunde legen, denn Grundgebühr und Verfahrensgebühr fallen immer zusammen an – das sollte man auch bei einem OLG wissen. Und wenn man schon die Gebühren „trennen“ will, dann hätte man die Grundgebühr Nr. 4100, 4101 Vv RVg zugrunde legen müssen, denn die wäre dann die für die „Einarbeitung“ „richtige Gebühr“. Nun ja, ist für ein OLG auch schwer.

Ich habe dem Kollegen übrigens geraten, nicht alles auf einmal auszugeben 🙂 .

Pauschgebühr I: Pauschgebühr im KiPo-Verfahren?, oder: OLG Frankfurt argumentiert „unsauber“

Smiley

Am „Gebührenrechtsfreitag“ stelle ich heute zwei OLG-Entscheidungen zur Pauschgebühr des Pflichtverteidigers (§ 51 RVg) vor. Beide sind „nicht so schön“.

Ich beginne mit der „schlimmeren“ Entscheidung. Die kommt vom OLG Frankfurt am Main (warum überrascht mich das nicht?).  Das hat mit dem OLG Frankfurt, Beschl. v. . 09.01.2023 – 2 ARs 41/22 – meine Freundes aus Augsburg, der Kollegen Dr. Herrmann, abgelehnt. Der ist als Pflichtverteidiger in einem Verfahren beim LG Limburg u.a. wegen bandenmäßiger öffentlicher Zugänglichmachung kinderpornographischer Schriften tätig gewesen, in dem der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten sowie Unterbringung in der Sicherungsverwahrung verurteilt worden ist. Mein Kollege, dessen gesetzliche Gebühren rund 13.500 EUR beantragen haben, hat nach Abschluss des Verfahrens eine Pauschgebühr nach § 51 RVG in Höhe der doppelten Wahlverteidigerhöchstgebühren beantragt. Seinen Antrag hat er damit begründet, dass es sich um einen der spektakulärsten Prozesse im Zusammenhang mit Kinderpornographie im Darknet gehandelt habe und der Aktenumfang und der Inhalt der Beweismittel unbeschreiblich gewesen sei. Die Anklage habe 154 Seiten umfasst, es sei an 18 Hauptverhandlungstagen verhandelt worden. Das OLG hat seinen Antrag zurückgewiesen.

Ich erspare mir und dem Leser das in den Pauschgebührentscheidungen inzwischen häufige/übliche Blabla zu den Voraussetzungen der Pauschgebühr. Das sind immer dieselben Worthülsen, mit denen u.a. die Rechtsprechung des BVerfG referiert wird.

Interessant – na ja – wird es dann, wenn das OLG etwas konkreter wird und versucht, dem Verfahren gerecht zu werden. Da heißt es dann:

„Kerngebühr für die Tätigkeit eines Strafverteidigers ist nach dem RVG die Hauptverhandlungsgebühr. Der Gesetzgeber folgt insoweit auch im Gebührenrecht dem im deutschen Strafrecht verankerten Grundsatz der Verhandlung in Anwesenheit des An-geklagten und dem in der Hauptverhandlung zum Tragen kommenden Grundsatz der Öffentlichkeit. Nur was in der öffentlichen Hauptverhandlung verhandelt wird, ist Gegenstand der Urteilsfindung.

Die Prüfung des § 51 RVG verlangt daher zunächst die tatsachenfundierte Darlegung durch den Antragsteller, dass ihm durch die Beiordnung eine zeitliche Beanspruchung abverlangt worden ist, die isoliert betrachtet durch die Festgebühren unzumutbar aus-geglichen wird. Darüber hinaus bedarf es aber auch Ausführungen dazu, inwieweit diese (isoliert betrachtet) unzumutbare Mehrbelastung nicht durch das Verfahren insg. (z.B. durch technische oder organisatorische Maßnahmen oder eine hohe Anzahl von Hauptverhandlungsgebühren) kompensiert worden ist. Erst wenn bei der gebotenen Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller Kompensationsmöglichkeiten die Gesamtbelastung des Pflichtverteidigers in dem konkreten Verfahren ein „Sonderopfer“ darstellt, kommt eine über die Festgebühren hinausgehende Pauschgebühr in Betracht. Dabei ist auch vor dem Hintergrund, dass der Verurteilte i. E. der Kostenschuldner ist und die Pauschgebühr eine Gewährung zu Lasten Dritter ist, zu beachten, dass § 51 RVG als spezialgesetzlicher Ausfluss von Art. 12 GG nur verhindern soll, dass ein Organ der Rechtspflege auf Grund seiner gesetzlichen Verpflichtungen unzumutbar in seiner wirtschaftlichen Handlungsfreiheit eingeschränkt wird. § 51 RVG dient gerade nicht dazu, den Pflichtverteidiger umfassend zu alimentieren oder seinen (möglicherweise sonst üblichen) Gewinn sicherzustellen.

Gemessen an diesen Vorgaben ist der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung zurückzuweisen. Außergewöhnliche rechtliche Schwierigkeiten der Sache, die sie als sonderopferfähig darstellten, sind im Vergleich mit anderen erstinstanzlichen Verfahren vor der Jugendschutzkammer weder konkret vorgetragen noch erkennbar.

Zwar lag der Aktenumfang über dem Durchschnitt vergleichbarer Verfahren. Dass der Antragsteller die Verfahrensakte vollständig durchgesehen und mit seinem Mandanten besprochen hat, gehört jedoch zu den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers als Organ der Rechtspflege und reicht für die Annahme der Unzumutbarkeit der im Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren nicht aus. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die erforderliche Sichtung des Bildmaterials im vorliegenden Fall. Der Umfang der Beweisaufnahme schlägt sich in der Anzahl und Dauer der Hauptverhandlungstermine nieder und ist deshalb grundsätzlich kein Bemessungskriterium für eine Pauschvergütung. Jeder Hauptverhandlungstag wird gesondert vergütet, wobei auch die Stundenzahl berücksichtigt wird. Die aufgrund des Kanzleisitzes des Pflichtverteidigers in Augsburg veranlassten Geschäftsreisen werden nach der gesetzlichen Regelung durch Zahlung von Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder ausgeglichen.

Dass der Antragsteller darüber hinaus Tätigkeiten erbracht hat, die die Annahme eines Sonderopfers begründen könnten, ist nicht vorgetragen worden und vorliegend auch nicht ersichtlich. Auch die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers vermag grundsätzlich in einem gewissen Maße die Belastung zu kompensieren.

Im Übrigen wird auf die zutreffende Stellungnahme der Bezirksrevisorin, die dem Antragsteller übersandt worden ist und zu der er sich mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2022 geäußert hat, zur weiteren Begründung Bezug genommen. Eine Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren liegt auch bei einer Gesamtschau des Verfahrens nicht vor.“

Dazu – so dann demnächst auch in AGS:

1. Das ist mal wieder eine der zahlreichen Entscheidungen, mit der ein Pauschgebührantrag eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen worden ist. Leider referiert die Entscheidung letztlich nur Rechtsprechung des BVerfG, nimmt aber zu den konkreten Umständen des Verfahrens kaum Stellung, so dass nicht abschließend beurteilt werden kann, ob nicht der Antrag meine Kollegen – zumindest teilweise – hätte erfolgreich sein müssen. Es wäre sicherlich besser gewesen, das OLG hätte diese Einzelheiten angeführt als die sattsam bekannte Rechtsprechung des BVerfG, an deren Richtigkeit man m.E. zweifeln kann, erneut zu referieren.

2. Hinzuweisen ist darüber hinaus auf Folgendes:

a) Das OLG irrt, wenn es als „Kerngebühr für die Tätigkeit eines Strafverteidigers …. nach dem RVG die Hauptverhandlungsgebühr“ ansieht. Das RVG hat vielmehr durch die neu geschaffenen Gebührentatbestände der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, der Vernehmungsterminsgebühr Nr. 4102 VV RVG und der unterschiedlichen Verfahrensgebühren ausdrücklich leistungsorientierte eine Vergütungsregelungen geschaffen, die gerade durch eine verbesserte und differenziertere Vergütung für die Tätigkeiten des Verteidigers, auch des Pflichtverteidigers, im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sorgen sollten (vgl. dazu BT-Dr. 15/11971, S. 2, 146 ff.). Von daher ist die Behauptung, die Hauptverhandlungsterminsgebühr sei die „Kerngebühr“ zumindest gewagt.

Auch der Hinweis darauf, dass es zu „den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers als Organ der Rechtspflege“ (sic!) gehöre, die Verfahrensakte vollständig durchzusehen und mit seinem Mandanten zu besprechen habe, führt nicht weiter. Das ist richtig, aber die Frage, inwieweit sich aus der Einarbeitung in die Akte und der Besprechung des Inhalts mit dem Mandanten ein Ansatzpunkt für eine Pauschgebühr ergibt, hängt doch entscheidend vom Umfang der Akte (und deren Inhalt) ab. Dazu schweigt der Beschluss, aber: Der Umfang der Anklage mit 154 Seiten spricht allerdings für einen schon erheblichen Umfang. Das gilt vor allem auch im Hinblick auf die Sichtung von Bildmaterial in einem „Kipo-Verfahren“.

b) Unzutreffend bzw. überspannt sind m.E. auch die Ausführungen des OLG zum Umfang der Antragsbegründung. Natürlich muss der Verteidiger seinen Pauschgebührantrag begründen. Aber was soll eine „tatsachenfundierte Darlegung durch den Antragsteller, dass ihm durch die Beiordnung eine zeitliche Beanspruchung abverlangt worden ist, die isoliert betrachtet durch die Festgebühren unzumutbar ausgeglichen wird“?. Die Frage kann das OLG doch anhand der ihm – hoffentlich vorliegenden – Akten unschwer selbst beurteilen. Denn es gehört zu den „selbstverständlichen Pflichten“ des entscheidenden OLG-Richters, die Akte durchzusehen und auf Umstände zu prüfen, die ggf. die Gewährung einer Pauschgebühr rechtfertigen. Nur, wenn Tätigkeiten erbracht worden sind, die sich nicht aus der Akte ergeben, muss der Pflichtverteidiger dazu vortragen. Eine dem § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vergleichbare Vorschrift kennt das Gebührenrecht – zum Glück – nicht.

c) Schließlich sind die Ausführungen des OLG: „Die aufgrund des Kanzleisitzes des Pflichtverteidigers in Augsburg veranlassten Geschäftsreisen sind nach der gesetzlichen Regelung durch Zahlung von Fahrtkosten und Tage- und Abwesenheitsgelder ausgeglichen.“ in der Allgemeinheit zumindest fraglich. Denn die Frage wird in der Rechtsprechung durchaus differenziert gesehen (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, 3 51 Rn 136 f.).

3. Fazit: Alles in allem m.E. ein Beschluss, der Fragen offen lässt und teilweise unsauber argumentiert.

Staatsschutzsache beim Jugendschöffengericht, oder: Pauschgebühr wegen „besonderer Schwierigkeit“

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Und dann zum Wochenschluss noch etwas fürs Portemonnaie.

Zunächst hier eine Entscheidung des OLG München Pauschvergütung (§ 51 RVG) – ja, es gibt sie doch noch. Und dann auch noch vom OLG München, das m.E. sonst an der Stelle recht „zugeknöpft“ ist. Es geht im OLG München, Beschl. v. 02.01.2023 – 1 AR 280/22 – um die Frage der „besonderen Schwierigkeit“ i.S. von § 51 Abs. 1 RVG bei einem Staatsschutzdelikt eines Jugendlichen.

Der Kollege Riggenmann aus Ausgbrug, der mit die Entscheidung geschickt hat, war Pflichtverteidiger in einem JGG-Verfahren beim Jugendschöffengericht, in dem dem Angeklagten die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Tateinheit mit Sichverschaffens einer Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zur Last gelegt worden ist. Der Kollege hat nach Abschluss des Verfahrens die Gewährung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG beantragt. Das OLG hat für die Tätigkeit als Pflichtverteidiger des Angeklagten im Vorverfahren und im Hauptverfahren eine Pauschgebühr in Höhe von 2.000,00 EUR bewilligt:

„Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 und 3 RVG ist Voraussetzung der Bewilligung einer Pauschgebühr, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgeht, dass diese wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache bzw. des betroffenen Verfahrensabschnitts nicht zumutbar ist. Die Bewilligung einer Pauschgebühr stellt dabei die Ausnahme dar; die anwaltliche Mühewaltung muss sich von sonstigen – auch überdurchschnittlichen Sachen – in exorbitanter Weise abheben (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2014 – 4 StR 73/10, Rn. 5; Beschluss vom 17. September 2013 – 3 StR 117/12, Rn. 5). Bei der Beurteilung ist ein objektiver Maßstab zu Grunde zu legen (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1264, 1265 mwN). Entscheidend ist, ob die konkrete Strafsache selbst umfangreich war und infolge dieses Umfangs eine zeitaufwändigere, gegenüber anderen Verfahren erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich geworden ist. Dabei ist nur der Zeitaufwand berücksichtigungsfähig, der allein aus verfahrensbezogenen Tätigkeiten des Pflichtverteidigers herrührt, nicht hingegen solcher, der seinen Grund in nur verteidigerbezogenen/persönlichen Umständen hat (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 24. August 2010 – 1 AR 2/09, Rn. 18 zitiert nach juris; OLG Hamm, NStZ 2007, 343).

Bei der Festsetzung einer etwaigen Pauschgebühr kommt es hierbei auf eine Gesamtschau der den Pflichtverteidiger be- und entlastenden Umstände an (Senatsbeschluss vom 17.02.2021,1 1 AR 280/22     – Seite 3 -AR 22/21; so auch Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 22. April 2020 – VerfGH 177/19 –, juris; NStZ RR 2020, S. 191/192).

Auch nach Ansicht des Senats handelte es sich nicht um ein besonders umfangreiches Verfahren. Anders als der Antragsteller meint, entspricht der Aktenumfang – auch unter Berücksichtigung der Sonderbände – noch dem für ein erstinstanzliches Verfahren vor dem Jugendschöffengericht senatsbekannt häufigen Umfang. Selbst ein überdurchschnittlicher Aktenumfang vermag nur dann eine Pauschgebühr gem. § 51 Abs. 1 RVG zu begründen, wenn er besonders ist und die gesetzlichen Gebühren für den Pflichtverteidiger ein unbilliges Sonderopfer bedeuten würden. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Jedoch rechtfertigt vorliegend die besondere Schwierigkeit der Sache i.S.d. § 51 Abs. 1 S.1 RVG die Gewährung einer Pauschgebühr. Gegenstand des Verfahrens ist unter anderem ein Staatsschutzdelikt, die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Tateinheit mit Sichverschaffens einer Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Bei Erwachsenen ergäbe sich die sachliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts, mit der Folge, dass die Gebühren gemäß VV 4118 zu Anwendung kommen. Bei Erwachsenen ist hierbei der Schwierigkeitsgrad einer Staatsschutzsache zumindest im Grundsatz bereits durch die erhöhten Verfahrens- und Terminsgebühren für Verfahren im ersten Rechtszug vor den Oberlandesgerichten berücksichtigt (Burhoff/Volpert aaO Rdn. 36 bezogen auf die ebenfalls von VV RVG 4118 erfassten Schwurgerichtssachen und Wirtschaftsstrafsachen), ebenso wie die sogenannten Haftzuschläge bei dem inhaftierten Mandanten eine gewisse Kompensation des hierdurch erhöhten Aufwandes intendieren (OLG München Beschl. v. 16.3.2018 – 8 St (K) 3/18, BeckRS 2018, 19729). Eine entsprechende Regelung in Strafverfahren gegen Jugendliche fehlt. Infolge des Tatvorwurfs ist bei der konkreten Strafsache eine zeitaufwändigere, gegenüber anderen Verfahren vor dem Jugendschöffengericht erhöhte Tätigkeit des Verteidigers erforderlich geworden.“

Pauschgebühr bei „überlappenden Umfangsverfahren“, oder: Pauschale Kürzung um 10 %

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Im zweiten Posting stelle ich den OLG München, Beschl. v. 25.11.2021 – 7 St (K) 4/21 vor. Der ist schon etwas älter, nämlich heute genau ein Jahr, ich bin auf den Beschluss aber erst vor kurzem gestoßen. Ich stelle ihn trotz des Alters hier noch vor, da er zu einer interessanten Frage Stellung nimmt, nämlich der Höhe der Pauschgebühr bei sich „überlappenden Umfangsverfahren“.

Die Pflichtverteidigerin war als Verteidigerin in einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Staatsschutzsenat des OLG München tätig. Diese endete am 28.07.2020 mit der Verurteilung des Angeklagten nach 234 Hauptverhandlungstagen wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren 6 Monaten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die gesetzlichen Gebühren für das Verfahren betragen 146.464 EUR. Die Pflichtverteidigerin hat am 31.03.2021/18.06.2021 die Bewilligung eines Vorschusses auf eine zu erwartende Pauschgebühr gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 und 5 RVG in Höhe von insgesamt 312.212,50 EUR beantragt. Die Vertreterin der Staatskasse hat sich dazu dahin geäußert, dass eine Anhebung der gesetzlichen Gebühren für Tätigkeiten im Vorfeld angemessen sei Hinsichtlich der geltend gemachten Pauschalgebühren für die Teilnahme an der Hauptverhandlung bestünden keine Einwendungen gegen eine Zubilligung an der Obergrenze der Wahlverteidigerhöchstgebühren. Ggf. sei aber vergütungsmindernd zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin parallel im sog. NSU-Verfahren (Verhandlungsbeginn im Mai 2013, Urteil am 11.07.2018) als Nebenklagevertreter tätig gewesen sei und ihr insoweit für ihre Tätigkeit als Nebenklagevertreter für einen Nebenkläger eine Pauschgebühr von 391.128 EUR bewilligt worden sei.

Das OLG hat einen Vorschuss auf eine Pauschvergütung bewilligt. Nach Auffassung des OLG macht die Pflichtverteidigerin den Anspruch auf Gewährung eines Vorschusses auf eine Pauschvergütung – allerdings nicht in der geltend gemachten Höhe – zurecht geltend.

Ich stelle die recht umfangreiche Begründung des Beschlusses, so weit es um die besondere Schwierigkeit und den besonderen Umfang und die Einzelbemessung der Gebühren geht , hier nicht ein, sondern verweise insoweit auf den verlinkten Volltext. Die Ausführungen des OLG kann man zusammenfassen in dem (Leit)Satz:

Das Verfahren ist sowohl besonders umfangreich als auch besondere schwierig i.S.d. § 51 RVG, wenn sich im Aktenbestand über 150 Bände Sachakten und etwa 100 Bände Personenakten befinden, Tatvorwürfe über einen Zeitraum von rund zwölf Jahren verhandelt wurden, die Hauptverhandlung an insgesamt 234 Hauptverhandlungstagen und über einen Zeitraum von über vier Jahren stattfand und es sich um das erste Verfahren im Hinblick auf eine zur Last gelegte Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung namens TKP/M handelt.

Hier geht es mir heute um die Frage der „Überlappung“ der beiden Umfangsverfahren und das Umgehen des OLG mit dem Umstand. Dazu führt der Senat aus:

„7. Bei der Bemessung der Pauschgebühr war zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin im über mehrere Jahre parallel verlaufenden sog. NSU-Verfahren ebenfalls eine Pauschvergütung in Höhe von insgesamt 391.128 EUR erhalten hatte. Im Hinblick auf die überschneidende Dauer der Verfahren vom Beginn der Hauptverhandlung in dieser Sache am 17.06.2016 bis zur Urteilsverkündung im Verfahren 6 St 3/12 am 11.07.2018 kann das Sonderopfer, das der Verteidiger mit der Übernahme der Mandate übernimmt, nicht in voller Höhe doppelt berücksichtigt werden.

Eine Kürzung rechtfertigt sich aus dem Grundgedanken der Pflichtverteidigung und der Pauschvergütung: Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sinn der Pflichtverteidigung ist es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Ihr Zweck besteht ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird. Angesichts der umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für die Wahrnehmung dieser im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe hat der Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht angesehen, sondern den Pflichtverteidiger honoriert. Der Umstand, dass sein Vergütungsanspruch unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist. In Strafsachen, die die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, gewinnt die Höhe des Entgelts für den Pflichtverteidiger existenzielle Bedeutung. Für solche besonderen Fallkonstellationen gebietet das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung eine Regelung, die sicherstellt, dass ihm die Verteidigung kein unzumutbares Opfer abverlangt. Dieses Ziel stellt § 51 Abs. 1 RVG sicher (vgl. BVerfGE 68, 237, 255; BVerfG NJW 2007, 3420; BVerfG NJW 2019, 3370).

Mit Blick auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung stellt der Senat darauf ab, ob die Höhe des Entgelts für die im Rahmen der Hauptverhandlung entfaltete Tätigkeit wegen für längere Zeit währender ausschließlicher oder fast ausschließlicher Inanspruchnahme für den Pflichtverteidiger von existenzieller Bedeutung ist. Für die Zeiträume der Überschneidung von NSU-Verfahren und dem hiesigen Verfahren kann von einer ausschließlichen Inanspruchnahme für die Pflichtverteidigung in diesem Verfahren nicht die Rede sein. Soweit die Antragstellerin selbst vorträgt, dass sie neben dem hiesigen Verfahren noch im sog. NSU-Verfahren tätig war, kann auch nur bedingt von fast ausschließlicher Inanspruchnahme für die Pflichtverteidigung in diesem Verfahren ausgegangen werden, da ja ein anderes ungewöhnlich umfangreiches Verfahren noch parallel betrieben wurde. Ein vollständiger Ausschluss einer Pauschvergütung für den Überschneidungszeitraum erscheint unter Billigkeitsgesichtspunkten angesichts des ebenso außergewöhnlichen Umfangs des hiesigen Verfahrens aber dennoch nicht angemessen.

Der Senat geht stattdessen davon aus, dass eine pauschale Kürzung der nach den obigen Ausführungen berechneten gesamten Pauschgebühr um 10 % auch unter Berücksichtigung des nicht unerheblichen Zeitraums, in dem die Antragstellerin nicht mehr in beiden Verfahren tätig war (Juli 2018 bis Juli 2020) angemessen erscheint.

Damit ergibt sich folgende Rechnung: 253.970 EUR ./. 10 % (25.397 EUR) = 228.573 EUR.“

Die vom OLG gewährte/errechnete (Ursprungs)Pauschgebühr ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Denn, wenn nicht in einem solchen Verfahren, wann soll dann noch eine Pauschgebühr gerechtfertigt sein? Das Verfahren hat sich rund vier Jahre hingezogen. Dafür wären rund 146.500 EUR gesetzliche Gebühren entstanden, also rund 36.600 EUR/Jahr oder rund 3.000 EUR/Monat. Die Pauschgebühr hatte also schon „existenzielle Bedeutung“ für die Pflichtverteidigerin.

Allerdings: Man darf m.E. nicht übersehen, dass das nur gilt, wenn man Verfahren isoliert betrachtet, was man hier aber kaum kann. Denn die Pflichtverteidigerin hat über einen gewissen Zeitraum zwei Umfangsverfahren gleichzeitig betrieben, so dass man schon – zumindest auf der Grundlage der Rechtsprechung der OLG – nicht aus dem Auge verlieren darf, dass auch für das zweite Verfahren eine Pauschgebühr gewährt worden ist. Von daher ist es m.E. gerechtfertigt, wenn das OLG hier die Pauschgebühr kürzt und das damit begründet, dass „nur bedingt von fast ausschließlicher Inanspruchnahme für die Pflichtverteidigung in diesem Verfahren ausgegangen werden“ kann. Damit entfällt – zumindest teilweise – ein Argument für die Gewährung einer Pauschgebühr, dass die OLG immer zur Begründung heranziehen. Man wundert sich, dass das sonst nicht sehr „großzügige“ OLG hier „nur“ einen pauschalen Abschlag von 10 % vornimmt. Man hätte sich auch einen höheren Abschlag vorstellen können, wobei ein vollständiger Ausschluss der Pauschgebühr in diesem Verfahren sicherlich deshalb nicht gerechtfertigt gewesen wäre, weil die Pflichtverteidigerin dieses Verfahren immerhin rund zwei Jahre ausschließlich betrieben hat.