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Fahrtenbuchauflage: Neun Monate bei einem „Einpunktdelikt“ muss man begründen

Die Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO) bietet immer wieder neuen Berichtsstoff. So ist jetzt hinzuweisen auf die Entscheidung des OVG Lüneburg v. 10.02.2011 – 12 LB 318/08. Danach ist eine neunmonatige Dauer bei einem „Einpunktdelikt“ zu begründen, sonst liegt ein Ermessensfehler vor, weil bei diesen geringen Verstößen eine Dauer von sechs Monaten die Regel ist.

Und was auch interessant ist: Die Ausgangsentscheidung des VG Stade war vom 31.05.2007 – das ist doch mal eine beschleunigte Erledigung :-).

Erkennungsdienstliche Behandlung nicht wegen einer Bagatelle

Die mit der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO zusammenhängenden Fragen spielen in der Praxis immer wieder eine Rolle. Dazu verhält sich jetzt der Beschl. des OVG Lüneburg v. 24.11.2010 – 11 LA 468/10. Folgender Sachverhalt:

„Gegen den 1978 geborenen Kläger sind in der Vergangenheit drei Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben, anhängig gewesen. Einzelheiten über ein 2002 geführtes Verfahren wegen der Einfuhr von geringen Mengen Betäubungsmittel sind nicht mehr bekannt. Im April 2008 und im Juni 2009 wurden jeweils anlässlich von Verkehrskontrollen im Blut des Klägers THC-Werte kleiner als 1,0 ng/ml sowie THC-COOH-Werte von 8,99 bzw. 6,8 ng/ml festgestellt. Die beiden letztgenannten Ermittlungsverfahren wurden jeweils nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da ein strafloser Konsum von Cannabisprodukten nicht auszuschließen war.

Die Beklagte nahm das letzte der o. a. Ermittlungsverfahren (vor seiner Einstellung im Oktober 2009) zum Anlass, mit Bescheid vom 16. September 2009 die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers anzuordnen. Der dagegen gerichteten Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Es hat unter Bezugnahme auf den Senatsbeschuss vom 31. August 2010 (- 11 ME 288/10 -, juris) offen gelassen, ob gegen den Kläger überhaupt ein hinreichend konkreter (Rest-)Verdacht eines Verstoßes gegen § 29 BtMG durch den unerlaubten Erwerb und Besitz von Cannabis bestehe. Jedenfalls sei nach den o. a. Ergebnissen der Blutuntersuchungen davon auszugehen, dass der Kläger allenfalls in Einzelfällen Cannabis auch besessen bzw. erworben habe. Dieses Verhalten stelle eine Bagatelle dar und führe zur Unverhältnismäßigkeit seiner erkennungsdienstlichen Behandlung.“

Vom VG ist die Berufung nicht zugelassen worden. Die dagegegen gerichtete Beschwerde hatte beim OVG keinen Erfolg.

Allein Besitz von 15 g Marihuana reichen nicht für „Gutachtenaufforderung“

Für Verkehrsrechtler ganz interessant ist der Beschl. des OVG Lüneburg v. 03.06.2010 – 12 PA 41/10, der noch einmal zu den Auswirkungen des Besitzes von Marihuana auf die Verpflichtung zur Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens Stellung nimmt.

Danach berechtigt (allein) der Besitz von 15 g Marihuana, dessen THC-Konzentration unbekannt ist, ohne weitere Anhaltspunkte nicht dazu, gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zu fordern. Das OVG verlangt Zusatztatsachen, bewertet diese aber anders als das OVG Münster (zuletzt Beschl. v. 15.05.2009 – 16 B 114/09, BA 2009, 292).

Keine Fernwirkung der (verfassungswidrigen) Videomessung auf die Fahrtenbuchanordnung.

Das VG Oldenburg hatte im Beschl. v. 19.01.2010 die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage beanstandet, wenn Grundlage der Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches (§ 31a StVZO) zwar ein Abstandsverstoß  durch einen letztlich nicht zu ermittelnden Fahrer gewesen ist, aber erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit und damit die Verwertbarkeit der durch das Messsystem gewonnenen Daten bestehen.

Das dagegen eingelegte Rechtsmittel hatte jetzt beim OVG Lüneburg Erfolg. Dieses hat in seinem Beschl. v. 07.06.2010 – 12 ME 44/10 unter Hinweis auf seine Entscheidung zur Blutentnahme in 12 ME 37/10 darauf hingewiesen, dass die vom VG Oldenburg herangezogenen Gründe der Entscheidung des OLG Oldenburg, wonach die Abstandsmessung mangels gesetzlicher Grundlage als unzulässiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung anzusehen sei und wegen der Schwere dieses Eingriffs im Ordnungswidrigkeitenverfahren einem Verwertungsverbot unterliege, sich auf Verfahren, die ausschließlich der Gefahrenabwehr dienen, nicht ohne Weiteres übertragen lassen. Der Beschluss war nach der Entscheidung in 12 ME 37/10 zu erwarten.

Also: Keine einheitliche Rechtsordnung.

Die Fahrtenbuchauflage, das OVG Lüneburg und die deutsche Post

Eine Fahrtenbuchauflage nach § 31a StVZO ist immer lästig und jeder Kfz-Halter, dem sie droht, versucht, ihr zu entgehen. Eins der Hauptargumente, was meist vorgetragen wird, ist: Zeugenfragebogen bei mir nicht angekommen. Mit dem Argument hat sich vorsorglich (war im Verfahren nicht geltend gemacht) jetzt das OVG Lüneburg in seinem Beschluss vom 06.04.2010 – 06.04.2010 auseinander gesetzt und ausgeführt:

Nach summarischer Prüfung spricht auf der Basis der derzeitigen Kenntnislage zudem Überwiegendes dafür, dass die Antragstellerin diesen Zeugenfragebogen auch erhalten hat. Zwar dürfte angesichts des gesetzlichen Ausschlusses in § 2 Abs. 2 Nr. 2 NVwVfG die Regelung des § 41 VwVfG für das Ordnungswidrigkeitenverfahren in Niedersachsen wohl nicht anwendbar und auch zweifelhaft sein, ob ihr ein analogiefähiger Rechtsgedanke zu entnehmen ist (vgl. auch Beschl. d. Bay. VGH v. 10.10.2006 – 11 CS 06.607 – und v. 30.9.2008 – 11 CS 08.1953 -). Im vorliegenden Fall deuten aber verschiedene Indizien darauf hin, dass der Zeugenfragebogen der Antragstellerin tatsächlich zugegangen ist. Zunächst ist – wie dargelegt – davon auszugehen, dass das Schreiben von der Behörde am 18. September 2009 abgesandt worden ist. Dass an die Antragstellerin adressierte Briefe oder andere Schriftstücke auf dem Postweg verloren gegangen wären oder sie nicht erreicht hätten, hat diese weder geltend gemacht noch ist dies anderweitig erkennbar. Auch ein Rücklauf des Schreibens an die Behörde etwa mit dem Vermerk „unzustellbar“ o.ä. ist nicht erfolgt. Darüber hinaus ist hier zu berücksichtigen, ……“

Man kann bzw. das OVG Lüneburg will offenbar den Schluss ziehen bzw. zulassen: Nicht zurückgekommen = angekommen, was bedeutet, dass man zumindest dort den guten Glauben an die deutsche Post (noch) nicht verloren hat. Ich habe ihn verloren, wenn ich bedenke, wie viele meiner Postsendungen nicht ankommen. Und man verliert ihn erst recht, wenn man die „Westfälischen Nachrichten“ vom 12.04.2010 liest und sich auf den „wunderbar“ passenden Beitrag „Rätsel um die verlorenen Briefe von Altenbergerin“ (Anm.: Vorort von Münster) besinnt. Vielleicht sollte man sich den als Verteidiger für vergleichbare Fälle und oder Wiedereinsetzungsfälle usw. ausdrucken. 🙂

Nur zur Abrundung und um Kommentaren vorzubeugen: Ich habe der Entscheidung des OVG entnommen, dass die Ausführungen zum Zugang des Zeugenfragebogens letztlich nicht tragend waren.