Schlagwort-Archive: OLG Köln

OWi II: Ablehnung eines Beweisantrages, oder: Anforderungen an die Rechtsbeschwerde

© MASP – Fotolia.com

Als zweite Entscheidung stelle ich heute dann den OLG Köln, Beschl. v. 24.04.2020 – III-1 RBs 114/20 – vor. In ihm hat das OLG zu den den Darlegungsanforderungen der Rüge, ein Beweisantrag sei entgegen §§ 77 Abs. 3 OWiG, 244 Abs. 6 S. 1 StPO nicht beschieden worden, Stellung genommen:

„Die Rüge, das Tatgericht habe einen Beweisantrag entgegen §§ 244 Abs. 6 StPO, 77 Abs. 3 OWiG nicht beschieden, versagt. Sie ist nicht im Sinne von §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführt.

a) Mit der Rechtsbeschwerdebegründung wird folgender in der Hauptverhandlung gestellter Antrag mitgeteilt:

„Zum Beweis der Tatsache, dass die Messung fehlerhaft ist, beantrage ich, das Reparaturbuch und die Lebensakte der im vorliegenden Verfahren eingesetzten Messanlagen, die gerätespezifische Bedienungsanleitung, eine Kopie der digitalen Falldaten im geräte-spezifischen Format mit dem dazugehörigen öffentlichen Schlüssel, das Auswerteprogramm und die gesamte Messreihe einzuholen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens und die Einholung eines Beschilderungsplanes“

Diesen Antrag hat das Tatgericht ausweislich der Urteilsgründe – wie sich aus der Nennung von § 77 Abs. 2 Ziff. 1 OWiG in diesem Kontext ergibt – jedenfalls insoweit als Beweisantrag gewertet, als mit diesem die Einholung eines Sachverständigengutachtens begehrt wurde. Die Antragsbegründung, die „umfangreich“ gewesen sei, wird mit der Rechtsbeschwerdebegründung nicht wiedergegeben.

b) Das Vorbringen genügt den Darlegungsanforderungen insgesamt nicht:

Allerdings besteht in Rechtsprechung und Schrifttum keine Einigkeit darüber, ob es in dem Falle, dass eine Verletzung von §§ 244 Abs. 6 StPO, 77 Abs. 3 OWiG gerügt werden soll, der Wiedergabe auch der Antragsbegründung bedarf oder ob es bei der Benennung von Beweismittel und Beweistatsache sein Bewenden haben kann.

aa) Im Schrifttum wird zumeist ohne weitere Differenzierung verlangt, der Beschwerdeführer müsse angeben, in welcher Form und mit welchem Inhalt der Antrag dem Gericht unterbreitet worden sei (KK-StPO-Krehl, 8. Auflage 2019, § 244 Rz. 226; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 6. Auflage 1998, Rz. 616), es sei die Mitteilung des Beweisantrags erforderlich (KK-OWiG-Senge, 5. Auflage 2018, § 77 Rz. 53; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 244 Rz. 106; LR-StPO-Becker, 27. Auflage 2019, § 244 Rz. 377).

Soweit der aufgeworfenen Frage Beachtung geschenkt wird, wird teils vertreten, es genüge die Mitteilung von Beweistatsache und Beweismittel (so ausdrücklich SK-StPO-Frister, 5. Auflage 2015, § 244 Rz. 255; Krause StV 1984, 483 [488]; unklar OLG Stuttgart NJW 1968, das einerseits vom „Beweisthema“ spricht, andererseits die Darlegung verlangt, es sei „ein formgerechter Antrag gestellt worden“), teils wird die Mitteilung auch der Begründung verlangt (so: MüKo-StPO-Trüg/Habetha, § 244 Rz. 406 [„vollständig“] und Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 8. Auflage 2013, Rz. 307 [„in vollem Wortlaut“ gerade im Falle der Nichtbescheidung]). Der Senat muss diese Rechtsfrage auch anlässlich des vorliegenden Falles nicht abschließend entscheiden. Er muss daher auch nicht zu – freilich nicht entscheidungstragenden – Rechtsauffassung des OLG Hamburg Stellung beziehen, wonach es im Falle der behaupteten Verletzung von § 244 Abs. 6 StPO der Wiedergabe des Beweisantrags überhaupt nicht bedürfe (OLG Hamburg JR 1963, 473):

Es entspricht nämlich der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass eine (inhaltlich) fehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen im Fall des § 77 Abs. 2 Ziff. 1 OWiG nicht selbständig gerügt werden, sondern nur mit der Aufklärungsrüge (st. Senatsrechtsprechung, s. nur SenE v. 18.12.2013 – III-1 RBs 304/13 -; SenE v. 08.03.2016 – III-1 RBs 86/16 -; SenE v. 11.03.2016 – III-1 RBs 93/16 -; SenE v. 18.07.2017 – III-1 RBs 202/17 -; SenE v. 12.07.2018 – III-1 RBs 175/18 -; SenE v. 26.04.2019 – III-1 RBs 146/19 -; SenE v. 13.03.2020 – III-1 RBs 81/20 -). Daher gehört zur ordnungsgemäßen Ausführung der Rüge neben der Angabe der Inhalte von Beweisantrag und Ablehnungsbeschluss die Angabe der Tatsachen, welche die Fehlerhaftigkeit der Ablehnung ergeben (SenE v. 29.02.2000 – Ss 108/00 Z -; SenE v. 11.04.2000 – Ss 170/00 Z -; SenE v. 13.10.2000 – Ss 404/00 B -; SenE v. 15.02.2005 – 8 Ss-OWi 126/04 -; SenE v. 14.01.2010 – 83 Ss-OWi 100/09 -; SenE v. 24.10.2013 – III-1 RBs 290/13 -). Ferner ist mitzuteilen, welche – dem Betroffenen günstige – Tatsache die unterlassene Beweisaufnahme ergeben hätte, wobei es nicht genügt, ein günstiges Ergebnis lediglich als möglich hinzu­stellen (SenE v. 25.09.2002 – Ss 318/02 Z -; SenE v. 28.01.2003 – Ss 1/03 B -; SenE v. 03.08.2010 – III-1 RBs 192/10 -; SenE v. 26.04.2019 – III-1 RBs 146/19 -) und welche Umstände den Tatrichter zu einer solchen Beweiserhebung hätten drängen oder den Gebrauch des Beweismittels zumindest hätten nahe legen müssen (SenE v. 06.11.2001 – Ss 429/01 B -; SenE v. 08.02.2002 – Ss 34/02 B -; SenE v. 14.01.2010 – 83 Ss-OWi 100/09 -; SenE v. 03.08.2010 – III-1 RBs 192/10 -; s. insgesamt jüngst SenE v. 27.03.2020 – III-1 RBs 101/20).

Die Tatsachen, die das Tatgericht zu der begehrten Beweiserhebung hätten drängen müssen, ergeben sich hier – wie regelmäßig im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht – nicht bereits aus der Benennung von Beweisthema und Beweismittel. Da die Rechtsbeschwerdebegründung auch über die fehlende Antragsbegründung hinaus nicht dazu ausführt, welche Umstände den Gebrauch des Beweismittels zumindest hätte nahelegen müssen, ist der Senat nicht in die Lage versetzt zu beurteilen, ob das Urteil auf der Nichtbescheidung des Beweisantrags beruhen kann. So verhält es sich auch hinsichtlich der weiter mit dem Antrag begehrten tatrichterlichen Aufklärungsbemühungen.“

Das hat also nicht gereicht. Im Rechtsfolgenausspruch hat das OLG dann aber aufgehoben. Darauf komme ich noch mal zurück.

Nebenklage III: Akteneinsicht für die Nebenklägerin, oder: Rechtliches Gehör erforderlich

© rdnzl – Fotolia.com

Mit dem letzten Posting des Tages stelle ich den OLG Köln, Beschl. v. 02.04.20202 Ws 651/19 – vor. Mit ihm hat das OLG die Beschwerde gegen einen Beschluss des LG Aachen, über den ich auch berichtet hatte, verworfen. Es handelt sich um den LG Aachen, Beschl. v. 11.10.2019 – 60 KLs 12/19 über den ich hier Akteneinsicht für den Nebenkläger, oder: Vorherige Anhörung des Beschuldigten erforderlich  berichtet habe.

Es geht um das Verfahren bei der Akteneinsicht für den Nebenkläger. Die war in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung, Nötigung und Freiheitsberaubung der Nebenklägerin (zweimal) gewährt worden. Dagegen hatt der Verteidiger Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit gestellt, der beim LG Erfolg hatte. Dagegen hatte dann die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt, mit der sie beim OLG gescheitert ist:

„b) Darüber hinaus war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 05.02.2018 auch begründet, weil die von der Staatsanwaltschaft Aachen an die Nebenklägervertreterin gewährte Akteneinsicht in beiden Fällen verfahrensfehlerhaft erfolgt und damit rechtswidrig war.

(1) Dies gilt zum einen für die der Nebenklägervertreterin mit Verfügung vom 14.07.2017 gewährte Akteneinsicht. Die Ausführungen des Landgerichts, wonach die Gewährung von Akteneinsicht im Strafverfahren an Dritte regelmäßig der vorherigen Anhörung des Beschuldigten bedarf, weil damit regelmäßig ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbunden ist, teilt der Senat (vgl. auch: BVerfG, B. v. 31.01.2017, 1 BvR 1259/16, juris Rn. 17; BVerfG, B. v. 30.10.2016, 1 BvR 1766/14, juris Rn. 5; BVerfG, B. v. 15.04.2005, 2 BvR 465/05, juris Rn. 12; OLG Rostock, B. v. 13.07.2017, 20 Ws 146/17, juris Rn. 38; KG Berlin, B. v. 02.10.2015, 4 Ws 83/15, juris Rn. 6). Die Rechtsgrundlage dieser Anhörungspflicht ergibt sich bei einer Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft aus § 33 Abs. 3 StPO analog bzw. aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Gebot der Sachaufklärung (vgl. OLG Rostock, B. v. 13.07.2017, 20 Ws 146/17, juris Rn. 38; KG Berlin, B. v. 02.10.2015, 4 Ws 83/15, juris Rn. 6; LG Wuppertal, B. v. 23.12.2008, 22 AR 2/08, juris Rn. 3; LG Krefeld, B. v. 01.08.2008, 21 AR 2/08, juris Rn. 10 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 406 e Rn. 18; MüKo-StPO/Grau, a.a.O., § 406 e Rn. 14, 20).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts war die mit Verfügung vom 14.07.2017 gewährte Akteneinsicht jedoch nicht bereits deswegen rechtswidrig, weil es die Staatsanwaltschaft unterlassen hat, dem ehemaligen Angeklagten unmittelbar nach Eingang des Akteneinsichtsgesuchs rechtliches Gehör zu gewähren. Denn eine Anhörung des ehemaligen Angeklagten war – entgegen den Ausführungen der Strafkammer – zu diesem Zeitpunkt wegen seines unbekannten Aufenthaltsortes faktisch nicht möglich bzw. durchführbar. Von einer Anhörung kann entsprechend § 33 Abs. 4 S. 1 StPO dann abgesehen werden, wenn sie den Zweck der Anordnung gefährden würde oder wenn der Anhörung tatsächliche Gründe entgegenstehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 33 Rn. 15 ff.; MüKo-StPO/Valerius, 1. Aufl. 2014: § 33 Rn. 31 ff; KK-StPO/Maul, 8. Aufl. 2019, § 33 Rn. 12 ff.). Letzteres war hier der Fall, denn im Juli 2017 war der Aufenthaltsort des ehemaligen Angeklagten, für den sich zu diesem Zeitpunkt auch noch kein Verteidiger bestellt hatte, unbekannt und eine Anhörung daher letztlich nicht möglich. Nach Ansicht des Senats hätte die Staatsanwaltschaft mit Blick auf den damals bestehenden nationalen sowie europäischen Haftbefehl sowie die Festnahmeausschreibung auch keine Maßnahmen zur Aufenthaltsermittlung veranlassen müssen. Es ist nichts dafür erkennbar, dass dies zu einer zeitnahen Ermittlung des Aufenthaltes der ehemaligen Angeklagten geführt hätte. Auch bestand keine Verpflichtung zur Nutzung einer in den Akten notierten Mobilfunknummer des vormaligen Angeklagten, um hierdurch seinen genauen Aufenthaltsort zu ermitteln oder ihn mündlich zur Frage der Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklägerin anzuhören. Die Staatsanwaltschaft musste die aktenkundige Mobilfunknummer nicht nutzen, um mit dem vormaligen Angeklagten telefonisch in Kontakt zu treten. Denn es war zum einen nicht sichergestellt, ob es sich bei der betreffenden Mobilfunknummer noch immer um die aktuelle Rufnummer des vormaligen Angeklagten gehandelt hat. Darüber hinaus hätte die Staatsanwaltschaft wohl auch keine ausreichende Möglichkeit gehabt, um die Identität eines möglichen Gesprächspartners zu überprüfen. Zudem hätte eine telefonische Kontaktaufnahme ggf. auch die Anordnung der Untersuchungshaft und damit den Untersuchungszweck gefährden können. Es ist nicht auszuschließen, dass der ehemalige Angeklagte eine etwaige telefonische Erörterung, welche das laufende Ermittlungsverfahren zum Gegenstand gehabt hätte, zum Anlass für eine (weitere) Verschleierung seines Aufenthaltsortes genutzt hätte. Dass die Staatsanwaltschaft eine Gefährdung des Untersuchungszwecks nicht riskieren musste, ergibt sich schließlich auch aus § 33 Abs. 4 S. 1 StPO, wonach das Interesse an der vorherigen Gewährung rechtlichen Gehörs zugunsten einer effektiven Strafverfolgung zurücktritt.

Die Gewährung der Akteneinsicht im Juli 2017 war jedoch gleichwohl rechtswidrig, weil die Staatsanwaltschaft die Entscheidung über den Antrag der Nebenklägervertreterin bis zu einer zu einem späteren Zeitpunkt möglichen Anhörung des vormaligen Angeklagten hätte zurückstellen können. Auf diese Weise hätte das Recht des ehemaligen Angeklagten auf rechtliches Gehör ohne weiteres gewahrt werden können, obwohl eine Anhörung zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht möglich war. Ein Zurückstellen der Entscheidung hätte vorliegend auch nicht das Recht der Nebenklägerin auf Akteneinsicht nach § 406 e Abs. 1 StPO unzumutbar beeinträchtigt. Ein entsprechendes Vorgehen hätte lediglich bedeutet, dass über ihren Antrag zu einem späteren Zeitpunkt, hier bis nach der Festnahme und Anhörung des vormaligen Angeklagten im November 2017, also binnen eines Zeitraums von rund 4 Monaten, entschieden worden wäre. Das Akteneinsichtsgesuch der Nebenklägerin hätte daher vorliegend nicht für eine als unzumutbar anzusehende Zeit hinausgeschoben werden müssen. Soweit eine abweichende Bewertung zwar bei einer besonderen Dringlichkeit der Akteneinsicht geboten sein könnte, war dies hier nicht entscheidungserheblich, da die Nebenklägervertreterin in ihrem Antrag vom 11.07.2017 weder eine besondere Eilbedürftigkeit dargelegt hatte noch eine solche für die Staatsanwaltschaft erkennbar gewesen wäre.

Da die mit Verfügung vom 14.07.2017 gewährte Akteneinsicht bereits aus formellen Gründen rechtswidrig war, kann dahinstehen, ob die Bewilligung einer unbeschränkten Akteneinsicht auch materiell rechtswidrig gewesen wäre, etwa gemäß § 406 e Abs. 2 S. 2 StPO wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks in der vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation.

(2) Auch die mit Verfügung vom 27.11.2017 der Nebenklägervertreterin gewährte Akteneinsicht hinsichtlich der Zweitakte war rechtswidrig. Wie das Landgericht zutreffend erkannt hat, folgt die Rechtswidrigkeit in diesem Fall unmittelbar daraus, dass eine Anhörung des vormaligen Angeklagten vor der Bewilligung der Akteneinsicht nicht erfolgt ist. Ende November 2017 war die Gewährung rechtlichen Gehörs an den ehemaligen Angeklagten ohne weiteres möglich, denn die Staatsanwaltschaft hatte seit Anfang November 2017 Kenntnis von seinem Wohnsitz und Aufenthaltsort in Essen. Zudem hatte sich für ihn bereits eine Verteidigerin (Rechtsanwältin pp.) bestellt. Dennoch ist weder dem vormaligen Angeklagten noch seiner Verteidigerin Gelegenheit gegeben worden, zu der beabsichtigten Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklagevertreterin Stellung zu nehmen. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor bzw. sind von der Staatsanwaltschaft vorgetragen werden, dass die Anhörung ausnahmsweise entbehrlich gewesen wäre. Dass der Nebenklägerin zu diesem Zeitpunkt bereits Rechtsanwältin Trogrlic als Nebenklagevertreterin beigeordnet worden war, ist für die Frage der Gewährung rechtlichen Gehörs gegenüber dem ehemaligen Angeklagten ohne rechtliche Relevanz. Im Hinblick auf den Inhalt des Beschwerdevorbringens teilt der Senat zudem die Ausführungen der Strafkammer in der Nichtabhilfentscheidung vom 31.10.2019, wonach die Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Gewährung von Akteneinsicht von der vorliegend nicht entscheidungserheblichen Frage zu trennen ist, ob und in welchem Umfang Akteneinsicht ggf. zu bewilligen ist.

(3) Der Verstoß gegen die Pflicht zur Anhörung des vormaligen Angeklagten ist auch weder aufgrund der Durchführung des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung vor dem Landgericht Aachen geheilt worden noch kann eine entsprechende Heilung mit der Durchführung des vorliegenden Beschwerdeverfahrens erreicht werden. Soweit die Frage einer Heilung für die hier gegebene Konstellation in der Rechtsprechung zunächst unterschiedlich beurteilt worden war (eine Heilung bejahend: BGH, B. v. 11.01.2015, 1 StR 498/04, juris Rn. 10; KG Berlin, B. v. 02.10.2015, 4 Ws 83/15. juris Rn. 8; LG Stralsund, B. v. 10.01.2005, 22 Qs 475/04, juris Rn. 11; eine Heilung verneinend: LG Wuppertal, B. v. 23.12.2008, 22 AR 2/08, juris Rn. 4; AG Zwickau, B. v. 12.04.2013, 13 Gs 263/13, juris Rn. 3), dürfte mit Blick auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG: B. v. 30.10.2016, 1 BvR 1766/14, juris Rn. 5) eine Klärung eingetreten sein. Hiernach ist festzustellen, dass die unterlassene Anhörung des Beschuldigten vor der Gewährung von Akteneinsicht an einen Dritten einen schwerwiegenden Verfahrensfehler darstellt, der durch die Durchführung des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung nicht geheilt werden kann. Da das Bundesverfassungsgericht in Kenntnis der zeitlich vorausgegangenen Entscheidung des KG Berlin vom 02.10.2015 (4 Ws 83/15) eine Heilung des Verfahrensfehlers aufgrund der Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens nicht angenommen hat, gilt dies nach Ansicht des Senats in der vorliegenden Fallkonstellation im Ergebnis auch für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens. Es ist kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb in den vorliegenden Konstellationen eine Heilung im Beschwerdeverfahren, anders als im Verfahren auf gerichtliche Entscheidung, möglich sein sollte. Das Unterlassen der gebotenen Anhörung stellt einen schwerwiegenden Verfahrensfehler dar. Außerdem kann eine vorherige Anhörung ihren Zweck nur dann erreichen, wenn der Beschuldigte vor der Gewährung der Akteneinsicht die Möglichkeit zur Stellungnahme erhält, sodass diese bei der Entscheidung hierüber berücksichtigt werden kann.“

Verkehrsrecht III: Kraftfahrzeugrennen, oder: Strafzumessung und Einziehung

Und zum Schluss des Tages komme ich dann noch einmal auf das OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – 1 RVs 40 u. 42/20, über das ich bereits berichtet hatte (vgl. Verkehrsrecht I: Kraftfahrzeugrennen, oder: Fahrverbot und/oder Entziehung der Fahrerlaubnis) zurück.

Heute geht es mir hier um die Strafzumessung bei § 315d StGB und die Frage der Einziehung des gefahrenen Kraftfahrzeugs. Dazu das OLG:

Zunächst zur Strafzumessung betreffend die Revision des Angeklagten:

„a) Mit ihrer Erwägung, zu Lasten des Angeklagten sei „die erhebliche Geschwindigkeit zu berücksichtigen, die der Angeklagte gefahren ist, und die zulässige Höchstgeschwindigkeit weit überschritt“ hat die Berufungsstrafkammer gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB verstoßen. Nach dieser Vorschrift dürfen Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, im Rahmen der Strafzumessung nicht ein weiteres Mal berücksichtigt werden. Die Vorschrift gilt über ihren Wortlaut hinaus nicht nur für die Tatbestandsmerkmale im Sinne der Art. 103 Abs. 2 GG unterfallenden Deliktsbeschreibung, sondern auch für sonstige Umstände, in denen die Strafbarkeit einzelner tatbestandsmäßiger Taten begründet ist. Fehlerhaft ist danach die Verwertung von Umständen, die für die Durchführung der Tat typisch sind und diese nicht über den Tatbestand hinaus besonders kennzeichnen oder die die regelmäßigen Begleitumstände einer Tat sind (Regeltatbild) und daher deren Unrechtsgehalt mitprägen (vgl. MüKo-StGB-Miebach/Meier, 3. Auflage 2016, § 46 Rz. 449, 451 m. N.). Wie vorstehend dargelegt, ist dem tatbestandsmäßigen Begriff des „Rennens“ die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten und damit auch die deutliche Überschreitung von Geschwindigkeitsbeschränkungen immanent. Das gilt für die Fälle, die den Gesetzgeber veranlasst haben, das Verbot mit einer Strafbewehrung zu versehen (vgl. den Sachverhalt der Entscheidung LG Berlin NStZ 2017, 471; s. BT-Drs. 18/10145 S. 9) und entspricht der forensischen Erfahrung mit der Vorgängervorschrift des § 29 Abs. 1 StVO a. F. (vgl. die der Entscheidung des Senats v. 23.01.2018 – III-1 RBs 370/17 sowie den Entscheidungen KG NJ 2017, 346 und OLG Oldenburg DAR 2017, 93 zugrunde liegenden Sachgestaltungen). Nach den genannten Grundsätzen durfte daher dem Angeklagten die erzielte Geschwindigkeit jedenfalls nicht ohne Feststellung weiterer tatprägender Umstände strafschärfend entgegengehalten werden. …..“

Und dann zur Einziehung betreffend die Revision der Staatsanwaltschaft.

„1. Die Festsetzung der Tagessatzzahl weist – auch unter Berücksichtigung des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Beurteilungsmaßstabs (KK-StPO-Gericke, 8. Auflage 2019, § 337 Rz. 32) – einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler insoweit auf, als ihm die vorbehaltene Einziehung strafmildernd zugute gebracht wird:

Anerkannt ist, dass die Einziehung eines hochwertigen Gegenstandes einen bestimmenden Strafmilderungsgrund darstellt, soweit sie – wie hier – Strafcharakter hat (BGH NStZ 2020, 214; NStZ-RR 2019, 209; NStZ 2018, 526; StV 2015, 633; NStZ-RR 2012, 169;  Senat VRS 100, 123 [129 f.]; SenE v. 28.06.2002 – Ss 267/02 -; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Auflage 2017 Rz. 368; Fischer a.a.O., § 74 Rz. 22). Aus spezial- wie generalpräventiven Gründen soll dem Täter in diesem Fall durch Entziehung seines Eigentums das Verwerfliche seiner Tat nochmals nachdrücklich vor Augen  geführt werden (vgl. SenE v. 27.09.2013 – III-1 RVs 201/13 -; SenE v. 28.03.2018 – III-1 RVs 52/18 -;  LK-StGB-Schmidt, 12. Auflage 2007, § 74 [a. F.] Rz. 4 m. N.). Im Falle des Vorbehalts der Einziehung – verbunden mit der Auflage, das Fahrzeug zu veräußern – tritt diese Wirkung indessen jedenfalls nicht ungeschmälert ein; die Möglichkeit der freihändigen Veräußerung bietet dem Angeklagten unter Umständen sogar Gelegenheit zur Erwirtschaftung eines Gewinns. Durch die Setzung einer Frist wird die Möglichkeit der Veräußerung jedenfalls zum Zeitwert und damit ohne nennenswerte finanzielle Belastung angesichts des Bestehens von EU-weit agierenden Internet-Verkaufsplattformen nicht grundlegend in Frage gestellt. Die mit der Einziehung verbundene Übelszufügung wird auf diese Weise voraussichtlich verfehlt werden. Die Urteilsgründe weisen nicht aus, dass sich die Berufungsstrafkammer dieser Zusammenhänge bewusst gewesen ist. Der Senat vermag demgemäß auch nicht auszuschließen, dass die Strafe ohne die Berücksichtigung der vorbehaltenen Einziehung bzw. deren Berücksichtigung in geringerem Umfang schwerer ausgefallen wäre……

4. a) Der Vorbehalt der Einziehung des Tatfahrzeugs unterliegt bereits deswegen der Aufhebung, weil die Kammer insoweit selbst – wenn auch nach dem zuvor Dargestellten mit fehlerhafter Gewichtung – einen Zusammenhang dieser Entscheidung mit der Bemessung der Einzelstrafe hergestellt hat (BGH NStZ 2020, 214; vgl. weiter SenE v. 21.10.2005 – 81 Ss 59/05 -; vgl. a. BayObLG NJW 1974, 2060). Im Übrigen sind – wie ausgeführt – Geldstrafe, Fahrverbot und (vorbehaltene) Einziehung Straftatfolgen im Sinne einer Übelszufügung als Reaktion auf vorangegangenes Verhalten. Als solche müssen sie insgesamt der Tatschuld angemessen sein. (Auch) aus diesem Grund besteht zwischen den genannten Entscheidungsteilen ein untrennbarer Zusammenhang mit der Folge, dass die Rechtsfolgenbemessung insgesamt der Aufhebung unterliegt.

b) Bei der Entscheidung über die Einziehung wird der neue Tatrichter zu bedenken haben, dass im Falle der Strafeinziehung für mildere Maßnahmen wenig Raum verbleibt (vgl. – mit unterschiedlicher Nuancierung – Schönke/Schröder-Eser/Schuster, StGB, 30. Auflage 2019, § 74f Rz. 6; NK-StGB-Herzog/Saliger, 4. Auflage 2016, § 74b [a. F.] Rz. 8; SK-StGB-Wolters, 9. Auflage 2016, § 74b [a. F.]Rz. 5; LK-StGB-Schmidt a.a.O., § 74b [a. F.] Rz. 9). „

Verkehrsrecht II: Kraftfahrzeugrennen, oder: „Alleinrennen“ reicht

Die zweite Entscheidung kommt heute vom OLG Köln. Das hat sich im OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – III-1 RVs 45/20 – noch einmal mit einem Kraftfahrzeugrennen (§ 315d StGB) befasst.

Ausgangspunkt waren folgende Feststellungen des LG zu einem „Alleinrennen“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 stGB):

„Am Abend des 17.02.2018 besuchte der Angeklagte seinen Halbbruder in Aachen. Dort konsumierte er Alkohol in Form von Bier in nicht mehr feststellbarer Menge und begab sich gegen 21 Uhr mit dem Taxi zu seiner Wohnanschrift in Aachen-Brand. Im Verlaufe des weiteren Abends nahm er mit dem Zeugen S, den er von seiner früheren Ausbildungsstelle kannte, Kontakt per Whats-Aapp auf. Dieser besuchte zu dem Zeitpunkt gemeinsam mit den Zeugen B und S eine Feier in Aachen-Haaren, wobei alle drei – nach dem Genuss u.a. von Whiskey – bereits erheblich alkoholisiert waren. Man verabredete sich, gemeinsam den „Club Cabaret“ in Stolberg aufzusuchen, wobei der Angeklagte anbot, die Zeugen S, B und S mit seinem PKW, einem Renault Megane mit dem amtlichen Kennzeichen xxx, der eine Höchstgeschwindigkeit von 230 km/h erreicht und mit einer Foliierung im Muster „flipflop“ versehen war, abzuholen. Der Angeklagte fuhr sodann am 18.02.2018, vor 3 Uhr von seiner Wohnanschrift in Aachen Brand in das circa 8 Kilometer entfernte Aachen-Haaren und hiernach in Richtung des ebenfalls von Haaren circa 8 Kilometer entfernten Clubs in Stolberg, wobei er davon ausging, fahrtüchtig zu sein. Tatsächlich wies er bei Fahrtantritt eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,375 Promille auf. Eine ihm am Tattag um 4:15 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,25 Promille auf. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte erkennen können, dass er alkoholbedingt nicht in der Lage war, ein Fahrzeug sicher im Straßenverkehr zu führen.

Der Angeklagte befuhr dabei die Debyestraße sowie die Freunder Straße in Fahrtrichtung Von-Coels-Straße. Auf der Von-Coels-Straße bog er rechts ein und wurde von den in einer Zivilstreife fahrenden Polizeibeamten C und G wahrgenommen, die gerade eine Fahndungsmitteilung erhalten hatten. Der Angeklagte erkannte nicht, dass es sich bei dem ihm folgenden Fahrzeug um eine Zivilstreife handelte, sondern wähnte sich bedroht und steigerte seine Geschwindigkeit, um zu entkommen. Dabei erreichte er zwischenzeitlich eine Geschwindigkeit von jedenfalls 140 km/h, wobei erlaubte Höchstgeschwindigkeit 70 km/h war. Als der Angeklagte, der in eine Seitenstraße abgebogen war, um zu entkommen, angehalten werden konnte, wurde im Fußraum seines Fahrzeugs eine geladene Schreckschusspistole, Walther/P 99,9 mm P.A.K., für deren Umgang er nicht die erforderliche behördliche Erlaubnis hat, sowie ein nicht erlaubnispflichtiges Einhandmesser an seiner Hose aufgefunden.“

Das LG hat nur wegen u.a. fahrlässiger Trunkenheitsfahrt verurteilt. Das OLG hebt auf. Hier die Leitsätze der Entscheidung, die der h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung entspricht:

1. Der Senat teilt nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken, die in der Rechtsprechung gegen die Bestimmtheit der Regelung des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB geäußert werden (vgl. so im Vorlagebeschluss des AG Villingen-Schwenningen, Beschluss v. 16.01.2020 – Az. 6 Ds 66 Js 980/19), sondern folgt der Entscheidung und Argumentation des Kammergerichts in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2019 (Az. 161 Ss 134/19, insbesondere Rn. 5 ff).

2. Während Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB einen „Wettbewerb“ erfordern, der zwischen zwei oder mehr Rennbeteiligten ausgetragen wird und bei dem es um Schnelligkeit geht, bedarf es bei der Nr. 3 keines solchen Gegners oder Wettbewerbers. Um dem Erfordernis des Renncharakters auf Tatbestandsebene Ausdruck zu verleihen, erfordert die Regelung in der gebotenen einschränkenden Auslegung indes, dass der Täter mit der Absicht handeln muss, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei wird im Rahmen dieser Absicht auf die relativ höchstmöglich erzielbare Geschwindigkeit abgestellt, die sich aus der Zusammenschau der fahrzeugspezifischen Beschleunigung bzw. Höchstgeschwindigkeit, des subjektiven Geschwindigkeitsempfindens, der Verkehrslage und der Witterungsbedingungen oder der Ziele und Beweggründe der Geschwindigkeitsübertretung ergibt; nicht maßgeblich ist dagegen, ob der Täter die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeuges vollständig ausreizt (Anschluss an KG, a.a.O.; OLG Stuttgart, Beschluss v. 04.07.2019 – Az. 4 RV 28 Ss 103/19).

3. Die Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss auch nicht Haupt- oder Alleinbeweggrund für die Fahrt sein, vielmehr kann das Bestreben, möglichst schnell voranzukommen, auch von weitergehenden Zielen begleitet sein, ohne dass dadurch der Renncharakter verloren geht. Erforderlich ist jedoch, dass der Fahrer gerade die Erzielung der möglichst hohen Geschwindigkeit als Mittel einsetzen will, um einer bereits bestehenden, die typischen Renngefahren auslösenden Verfolgungssituation zu entkommen (Anschluss an OLG Stuttgart, a.a.O., für den Fall einer „Polizeiflucht“).

Verkehrsrecht I: Kraftfahrzeugrennen, oder: Fahrverbot und/oder Entziehung der Fahrerlaubnis

Heute findet dann hier – seit längerem mal wieder – ein „Verkehrsrechtstag“ statt, also Entscheidungen zu verkehrsrechtlichen Fragestellungen.

Und ich eröffne den Tag mit dem OLG Köln, Urt. v. 05.05.2020 – 1 RVs 40 u. 42/20, das sich mit der Problematik des § 315d StGB befasst, also: Kraftfahrzeugrennen. Gegen die Verurteilung des Angeklagten hatten der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.

Die Revision des Angeklagten gegen den Schuldspruch/die Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 315d Abs. 1 Ziff. 2 StGB hat das OLG verworfen. Nach seiner Auffassung ist das AG zu Recht von einem „Kraftfahrzeugrennen“ ausgegangen. Insoweit enthält die Entscheidung nichts Neues. Daher verweise ich auf den Volltext.

Aber: Die Ausführungen des OLG zur Strafzumessung sind interessant. Insoweit hatten die Revisionen dann auch Erfolg. Ich stelle hier heute erst mal nur die Ausführungen des OLG zum Fahrverbot und zur Entziehung der Fahrerlaubnis vor: Das OLG führt dazu aus:

„I. Revision des Angeklagten

2. Hingegen hält die Festsetzung der Tatfolgen in mehrfacher Hinsicht materiell-rechtlicher Überprüfung nicht stand:…………..

b) aa) Das Tatgericht hat gegen den Angeklagten neben der Geldstrafe ein sechsmonatiges Fahrverbot verhängt und zur Begründung ausgeführt, dass die Anordnung der Höchstdauer „im Hinblick auf die Tatumstände, insbesondere die Geschwindigkeit“ zur Einwirkung auf den Angeklagten geboten sei.

bb) Das Fahrverbot gemäß § 44 StGB ist – im Unterschied zur Maßregel des § 69 StGB – eine Nebenstrafe (statt aller: LK-StGB-Geppert, 12. Auflage 2007, § 44 Rz. 1). Daher darf das Fahrverbot nur verhängt werden, wenn feststeht, dass der mit ihm angestrebte spezialpräventive Zweck mit der Hauptstrafe allein nicht erreicht werden kann (BGHSt 24, 345 [350] = NJW 1972, 1332 [1333]; SenE v. 18.11.2005 – 82 Ss 57/05 – = VRS 109, 338; SenE v. 05.01.2007 – 81 Ss 183/06 -; SenE v. 02.10.2007 – 83 Ss 116/07 -; SenE v. 07.03.2008 – 82 Ss 15/08 -; SenE v. 07.07.2009 – 83 Ss 53/09 -; SenE v. 19.03.2010 – III-1 RVs 35/10 -; SenE v. 03.08.2012 – III-1 RVs 142/12 -; SenE v. 09.10.2012 – III-1 RVs 195/12 -; SenE v. 16.10.2015 – III-1 RVs 197/15 -; SenE v. 15.06.2018 – III-1 RVs 124/18). Im Falle der Verhängung einer Geldstrafe als Hauptstrafe ist daher und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insbesondere zu prüfen, ob nicht im Einzelfall eine Erhöhung der Geldstrafe ausreichend ist, um den Kraftfahrer zu warnen (SenE a.a.O.; OLG Hamm DAR 2004, 535 [536] = zfs 2004, 428 = VRS 107, 97 [99] = NZV 2004, 596; OLG Hamm VRS 190, 122 [123]). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass der Tatrichter diese Möglichkeit geprüft hat (SenE a.a.O.; KG DAR 2007, 594). Die insoweit erforderliche Gesamtabwägung ist indessen im angefochtenen Urteil unterblieben.

II. Revision der StA

….. 2. Auch die Begründung, mit der die Berufungsstrafkammer von einer Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 S. 1 StGB abgesehen hat erweist sich als zu Gunsten des Angeklagten rechtsfehlerhaft.

a) Das Tatgericht begründet diese Entscheidung wie folgt:

„Die Kammer hat neben der Strafe ein Fahrverbot verhängt gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 StGB. Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte bislang im Fahreignungsregister keine Eintragung aufwies, sich auch weitere vier Monate nach der Tat im Straßenverkehr bewegt hat und nunmehr Fahreignungsseminare absolviert hat, geht die Kammer entgegen dem Regelfall des § 69 Abs. 2 Ziff. 1b StGB nicht von einer charakterlichen Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen aus. Vielmehr genügt die Verhängung eines Fahrverbotes, wobei im Hinblick auf die Tatumstände, insbesondere die Geschwindigkeit, die Höchstdauer von 6 Monaten angeordnet wurde, um auf den Angeklagten einzuwirken.

b) Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend nimmt die Berufungsstrafkammer an, dass gemäß § 69 Abs. 2 Ziff. 1a StGB (bei der Bezeichnung „1b“ handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen) der Täter eines Vergehens des verbotenen Kraftfahrzeugrennens in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Zur Widerlegung der Vermutung müssen besondere Umstände objektiver oder subjektiver Art vorliegen, die eine mangelnde Eignung im Tatzeitpunkt oder jedenfalls im Zeitpunkt der Aburteilung ausschließen (Fischer a.a.O., § 69 Rz. 34). Von Letzterem geht das Tatgericht ersichtlich aus. Insoweit leidet das Urteil indessen an einem durchgreifenden Erörterungsmangel, wenn dem Angeklagten die charakterliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs mit Rücksicht auf zwei von ihm absolvierte Trainingskurse (Fahreignungsseminar am 24.05.2019 und verkehrspsychologisches Seminar am 11.07.2019) attestiert wird.

Freilich kann eine Ungeeignetheit im Einzelfall ggf. nicht mehr festgestellt werden, wenn der Angeklagte erfolgreich – etwa – an einem Fahreignungsseminar gemäß §§ 4 Abs. 7, 4a StVG, 42 FeV oder an einer Verkehrstherapie teilgenommen hat. Das gilt insbesondere dann, wenn weitere Umstände – wie eine längere vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis – hinzutreten (Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage 2019, § 69 StGB Rz. 19a m. zahlr. Nachw.). Allerdings bewirkt die Nachschulungsteilnahme weder stets noch auch nur regelmäßig ohne weiteres eine Durchbrechung des Grundsatzes nach § 69 Abs. 2 StGB. Vielmehr muss die Wirksamkeit dieser Maßnahme, also der Wegfall des Eignungsmangels aufgrund der Nachschulung in Verbindung mit der regelmäßig wirksam gewesenen vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis für den konkreten Fall festgestellt werden (SenE v. 03.04.2009 – 83 Ss 20/09).

Hiervon ausgehend erweisen sich die Urteilsgründe als lückenhaft, weil sie sich nicht dazu verhalten, wer die von dem Angeklagten besuchten Kurse angeboten hat, welchen konkreten Inhalt sie hatten und welche Wirkung sie auf ihn entfaltet haben. Soweit die Kammer im Rahmen der Einzelstrafbemessung ausführt, der Angeklagte habe sich „durch das Strafverfahren und die bisher ergangenen vorläufigen Maßnahmen deutlich beeindruckt gezeigt“, lässt das mangels näherer Ausführungen gerade zur Frage der charakterlichen Ungeeignetheit nicht die Prüfung zu, ob das Tatgericht mit Recht einen Ausnahmefall im Sinne von § 69 Abs. 2 StGB angenommen hat.

Das gilt vorliegend umso mehr, als die Zeit beanstandungsfreien Fahrens nach der Tat auch dann mit gut drei (nicht – wie die Kammer annimmt – vier) Monaten (nämlich vom 30. Juni bis um 5. Oktober 2018) nur kurz und damit kaum aussagekräftig ist, wenn man – entgegen der von der Beschwerdeführerin geäußerten Ansicht – den Rückschluss aus fehlenden Eintragungen im Fahreignungsregister für tragfähig erachtet (kritisch angesichts der Dunkelziffer nicht entdeckter Verstöße Hentschel, Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot, 10. Auflage 2006 Rz. 619, der zudem darauf hinweist, dass eine angepasste Fahrweise häufig dem Druck des Strafverfahrens geschuldet sein wird).

3. Soweit hingegen das Tatgericht keine (ausdrückliche) Entscheidung über die Anrechnung der Zeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis auf das Fahrverbot gemäß § 51 Abs. 5 S. 1 StGB getroffen hat, begegnet dies – entgegen der von der Staatsanwaltschaft geäußerten Rechtsauffassung – keinen durchgreifenden Bedenken. Ein solcher Ausspruch ist entbehrlich, da sich die Vorschrift des § 51 Abs. 1 S. 1 (i.V.m. Abs. 5) StGB unmittelbar an die Vollstreckungsbehörde richtet (Fischer, a.a.O., § 51 Rz. 22; MüKo-StGB-Maier a.a.O., § 51 Rz. 62; Schönke/Schröder-Kinzig, a.a.O., § 51 Rz. 36). Lediglich die ausnahmsweise Abweichung vom gesetzlichen Regelfall, mithin die Nichtanrechnung bedarf der Begründung im Urteil. Sie kommt gemäß § 51 Abs. 1 S. 2 StGB im Hinblick auf zurechenbares Verhalten des Angeklagten in Betracht, welches die Anrechnung ungerechtfertigt macht (Fischer, a.a.O., § 51 Rz. 11; LK-StGB-Theune, a.a.O., § 51 Rz. 44). Solches ist hier nicht ersichtlich. Eine ausdrückliche Erörterung der Anrechnungsfrage musste sich dem Tatgericht daher nicht aufdrängen.“