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Anspruch auf Herausgabe der Vereinsmitgliederliste?, oder: Ja, und zwar auch mit E-Mailadressen

Und dann heute der „Kessel Buntes“. In dem wird es heute zu Beginn ganz bunt 🙂 . Denn ich stelle mal eine vereinsrechtliche Entscheidung vor. Natürlich mit einem Hintergedanken. Achtung!! Werbung!! – nämlich für mein Vereinsrechtsbuch, das es inzwischen in der 11. Auflage gibt.

Hier also zunächst das OLG Hamm, Urt. v. 26.04.2023 – 8 U 94/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Der Kläger ist Miglieder im beklagten Verein. Als dessen Mitglied begehrt der Kläger von dem Verein die Übergabe einer Liste der Mitglieder des Vereins mit näher bezeichneten Angaben an sich selbst. Das OLG stellt fest:

„1.Der Kläger ist eines von etwa 5.500 Mitgliedern des Beklagten, einem eingetragenen Verein. Der Beklagte verfolgt den Zweck, die Interessen seiner Mitglieder, die an Unternehmen der Q.-Unternehmensgruppe beteiligt sind, zu vertreten (§ 2 Abs. 2 Satzung, Anlage K 1). Der Zweck des Vereins wird insbesondere verwirklicht durch die Unterstützung des klimaschützenden Umbaus der Energieversorgung, speziell die Förderung regenerativer Energien auf Basis von genossenschaftlichen oder rechtlich vergleichbaren Gesellschaftsformen (§ 2 Abs. 3 Satzung).

Die Satzung des Beklagten nimmt wiederholt auf die Möglichkeit einer Kommunikation des Beklagten mit seinen Mitgliedern per E-Mail Bezug. Eine ausdrückliche Verpflichtung der Mitglieder, eine E-Mail-Adresse mitzuteilen, sieht die Satzung des Beklagten nicht vor. Der Beklagte kommuniziert mit seinen Mitgliedern selbst auch per E-Mail (Bl. 6 eGA I). Der Beklagte stellt den Mitgliedern im Internet einen Mitgliederbereich zur Verfügung. Die Vereinsmitglieder können dort Gruppen einrichten und ihre Konzepte bzw. Vorschläge veröffentlichen. Die Einträge in diesem Bereich kontrolliert der Beklagte insofern, als er dort lediglich sachlich gehaltene Beiträge zulässt.

Der Kläger hatte in Vorbereitung der Mitgliederversammlung des Beklagten 2021 das Anliegen, mit den anderen Mitgliedern des Beklagten in Kontakt zu treten, um eine Opposition gegen das Vorgehen des Vorstands des Beklagten zu organisieren. Im Anschluss an die Mitgliederversammlung 2021 hatte er das Anliegen, mit den anderen Mitgliedern in Kontakt zu treten, um ggf. die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zu initiieren (§ 37 Abs. 1 BGB). Der Kläger verfolgt auch weiterhin das Interesse, mit den anderen Mitgliedern des Vereins im Hinblick auf die derzeitige „Vereinspolitik“ in Kontakt zu treten, um die aktuelle Meinungsbildung zu beeinflussen.

Außer dem Kläger haben nach Auskunft des Vorstandsmitglieds des Beklagten in der mündlichen Verhandlung bislang keine anderen Mitglieder einen Antrag auf Übergabe der Mitgliederliste gestellt, um mit Kon-Mitgliedern in Kontakt zu treten.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe einen Anspruch auf Übermittlung einer Mitgliederliste mit Namen, Adressen und E-Mail-Adressen unmittelbar an sich – ohne die Einschaltung eines Treuhänders -, um mit den weiteren Vereinsmitgliedern eigenständig in Verbindung und Diskussion zu treten.“

Das LG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: „Dem Interesse des Klägers stünden überwiegende Interessen des Beklagten und Belange seiner Mitglieder entgegen. Die Mitglieder könnten darauf vertrauen, nicht von anderen Mitgliedern über andere als die vom Verein bereitgestellten Kommunikationskanäle kontaktiert zu werden. Sie müssten nicht damit rechnen, dass der Beklagte ihre E-Mail-Adresse weitergeben. Die Belästigung durch E-Mail sei besonders hoch. Das ergebe sich auch aus der gesetzgeberischen Wertung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Das gelte besonders mit Blick darauf, dass bei der (vom Landgericht noch mit 7.000 angenommenen) Mitgliederzahl des Beklagten jedes Mitglied potentiell mit 7.000 E-Mails rechnen müsste. Dem Kläger gegenüber sei das nicht unbillig. Ihm stünden die Kommunikationsmöglichkeiten auf der Website des Beklagten zur Verfügung. Auch die Möglichkeit der Übermittlung der Kontaktdaten an einen Treuhänder – die der Kläger nicht beantragt habe – sei ein milderes Mittel, den berechtigten Interessen des Klägers Rechnung zu tragen. Die anderslautende Rechtsprechung, die der Kläger zitiert habe, betreffe Gesellschaften, und dort sei die Situation anders. Auf die Frage, ob der Kläger auch die Übermittlung der E-Mail-Adressen beanspruchen könne, komme es nicht an, da der Kläger schon keinen Anspruch auf die – von ihm allein begehrte – Übermittlung von Mitgliederdaten an sich selbst habe. Auch die Frage, ob die Übermittlung einer Mitgliederliste mit dem Datenschutzrecht vereinbar sei, könne dahinstehen.“

Dagegen die Berufung des Klägers, die beim OLG Erfolg hatte.

Ich stelle hier nur die Leitsätze ein. Wegen der Einzelheiten der – umfangreichen –  Begründung verweise ich auf den Volltext. Hier die Leitsätze:

    1. Einem Vereinsmitglied steht ein aus dem Mitgliedschaftsverhältnis fließendes Recht gegen den Verein auf Übermittlung einer Mitgliederliste zu, die auch E-Mail-Adressen der Mitglieder enthält, soweit es ein berechtigtes Interesse hat und dem keine überwiegenden Geheimhaltungsinteressen des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegenstehen.
    2. Ein berechtigtes Interesse an dem Erhalt der Mitgliederliste ist u. a. dann gegeben, wenn eine Kontaktaufnahme mit anderen Vereinsmitgliedern beabsichtigt ist, um eine Opposition gegen die vom Vorstand eingeschlagene Richtung der Vereinsführung zu organisieren.
    3. Das Vereinsmitglied kann in dem Fall nicht auf ein vom Verein eingerichtetes Internetforum verwiesen werden; es ist auch nicht auf die Auskunftserteilung an einen Treuhänder beschränkt.
    4. Der Beitritt zu einem Verein begründet die Vermutung, auch zu der damit einhergehenden Kommunikation – auch per E-Mail – bereit zu sein. Eine erhebliche Belästigung geht damit regelmäßig nicht einher, zumal jedes Vereinsmitglied sich vor dem Erhalt unerwünschter E-Mails schützen kann.
    5. Die Übermittlung von Mitgliederlisten ist mit dem Datenschutz vereinbar. Sie ist von dem Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. b) DGSVO gedeckt.

Und dann <<Werbemodus an>> der Hinweis auf Burhoff, Vereinsrecht Leitfaden für Vereine und Mitgleider, 11. Aufl. 2023, das man hier bestellen kann. <<Werbemodus aus>>.

Berufung I: Ladung zur Berufungshauptverhandlung, oder: Früherer Hinweis gilt nicht fort

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Heute stelle ich drei Entscheidungen vor, die das Berufungsverfahren betreffen.

Den Opener mache ich mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 18.04.2023 – 3 RVs 14/23 – zur Frage der ordnungsgemäßen Ladung zum Berufungshauptverhandlungstermin, die ja Voraussetzung für eine Berufungsverwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO ist.

Hier hatte das LG die Berufung des Angeklagten verworfen. Das hat dem OLG nicht gefallen:

„Die hier den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO noch genügende Verfahrensrüge, der Angeklagte sei zur Berufungshauptverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden, weil er nicht über die Folgen seines Ausbleibens belehrt worden sei, greift durch.

Voraussetzung für die Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO ist das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Ladung. Eine solche liegt u.a. nur dann vor, wenn ein Angeklagter in ihr auf die Folgen des Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin ausdrücklich hingewiesen worden ist, § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 329, Rdnr. 10). Hieran fehlt es.

Ausweislich der Urteilsgründe ist der Rückschein der Ladung des Angeklagten in Polen nicht zur Akte gelangt. Soweit die Kammer in diesem Zusammenhang ausführt, dass der Angeklagte dennoch auch auf die Folgen eines unentschuldigten Ausbleibens hingewiesen worden sei, weil ihm eine entsprechende Belehrung im Rahmen der Ladung zu dem für den 3. November 2022 anberaumten Termin zur Berufungshauptverhandlung, der aufgrund einer Erkrankung des Angeklagten verlegt worden sei, zugestellt worden sei, mag dies zwar in tatsächlicher Hinsicht zutreffend sein. Allerdings reicht ein in einer früheren Ladung erteilter Hinweis verfahrensrechtlich grundsätzlich nicht aus. Denn schon dem Wortlaut des § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO lässt sich entnehmen, dass dem dort festgelegten Erfordernis nur dann genügt ist, wenn der Hinweis in der Ladung des Angeklagten zur anstehenden Berufungshauptverhandlung enthalten ist, und dass es nicht ausreicht, wenn lediglich die Ladung des Angeklagten zu einem früheren, dann verlegten Termin diesen Hinweis enthalten hat (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18. März 1975 – RReg. 5 St 78/75BayObLGSt 1975, 30, beck-online; OLG Koblenz, Beschluss vom 5. Februar 1981 – 1 Ss 46/81 —, NJW 1981, 2074; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 323, Rdnr. 3). Das Fehlen des Hinweises auf die Folgen des Ausbleibens steht einer Entscheidung nach § 329 Abs. 1 StPO regelmäßig entgegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 329, Rdnr. 10).

Dahinstehen kann an dieser Stelle, ob die — nicht tragende — und generalisierende Rechtsäußerung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, dass ein Verwerfungsurteil bei einem Ladungsmangel der Aufhebung unterliegt, ohne dass es auf die Kausalität für das Nichterscheinen des Angeklagten ankommt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Februar 2021 —111-2 RVs 5/21 —, juris, Rdnr. 17) zutreffend ist.

Denn der Senat kann jedenfalls im hier vorliegenden Einzelfall nicht ausschließen, dass das Urteil auf der Gesetzesverletzung beruht, § 337 Abs. 1 StPO.

Ein Urteil beruht auf einem Rechtsfehler, wenn es ohne diesen möglicherweise anders ausgefallen wäre. An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn ein ursächlicher Zusammenhang mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann beziehungsweise rein theoretischer Natur ist. Insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht hängt diese Entscheidung stark von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGH, Urteil vorn 1. Juli 2021 – 3 StR 518/19 -, NZWiSt 2021, 478; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, StPO § 337 Rn. 33).

Der Senat kann unter Berücksichtigung des dargestellten Prüfungsmaßstabs zur Beruhensfrage jedenfalls nicht ausschließen, dass das Urteil anders ausgefallen, bzw. es am 6. Dezember 2022 gar nicht erst zu einem Urteil gekommen wäre, wenn die Kammer den o.g. Rechtsfehler, nämlich den Umstand, dass es nicht ausreicht, wenn lediglich die Ladung des Angeklagten zu einem früheren, dann verlegten Termin den Hinweis nach § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO enthalten hat, erkannt hätte.“

Strafzumessung III: Ohne Impfpass im Kreistag, oder: Bewusste riskierte Nachteile

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Und im dritten Posting dann noch einmal der  OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23. Den hatte ich schon zweimal vorgestellt, einmal zum Stichwort: Impfpassfälschung (vgl. hier: Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse) und einmal zur Frage der Durchsuchung (vgl. Durchsuchung III: Und nochmals Anfangsverdacht, oder: Einmal reicht es, einmal nicht…..).

Während das OLG hinsichtlich der materiellen Frage und auch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung nichts zu „meckern“ hatte, hat ihm die Strafzumessung des LG nicht gefallen. Insoweit hatte die Revision daher Erfolg:

3. Der Strafausspruch hingegen hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, so dass die Sachrüge insoweit Erfolg hat.

Die Zumessungserwägungen des Tatgerichts enthalten eine Reihe von Lücken, Widersprüchen und Ungenauigkeiten. Jedenfalls in der Gesamtschau kann der Senat deshalb nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass das Tatgericht entscheidende Gesichtspunkte übersehen oder falsch gewertet hat, unter deren zutreffender Berücksichtigung es zu einer milderen Strafe gelangt wäre. Im Einzelnen:

Der Auffassung der Strafkammer,

„zugunsten des Angeklagten sprach nicht mehr das erstinstanzliche Geständnis, denn im Rahmen der Berufungsverhandlung hatte er zunächst keine Angaben zur Sache gemacht, sondern vielmehr die objektiven Umstände erst im Rahmen des letzten Wortes beiläufig erklärt, wobei nicht klar war, ob er dies bewusst tat…“

vermag der Senat nicht zu folgen. Die Begründung steht im Widerspruch zur Beweiswürdigung in den Urteilsgründen. Danach hat der Angeklagte bereits nach Vernehmung der Zeugin H. deren Angaben zum Tatgeschehen bestätigt. Unklar ist auch, warum es sich beim Einräumen der objektiven Tatumstände „erst im Rahmen des letzten Wortes“ nicht um ein Geständnis handeln soll. Soweit das Tatgericht die Frage aufwirft, ob sich um ein „bewusstes“ Geständnis gehandelt hat, erschließt sich dem Senat nicht, wie Tatumstände „unbewusst“ eingeräumt werden können oder welchen konkreten Anlass die Strafkammer zu Zweifeln an der inhaltichen Qualität des Geständnisses hatte. Da das Landgericht seine offenbar vorhandenen Bedenken auch nicht ausgeräumt hat, handelt es sich hierbei letzlich um eine Vermutung. Ebenso wie es nicht zulässig ist, lediglich vermutete Umstände strafschärfend zu bewerten, können bloße Vermutungen auch nicht das Gewicht strafmildernder Umstände einschränken (BGH, Beschluss vom 21. September 1995 – 4 StR 529/95 -, juris).

Die naheliegende Überlegung, dem Geständnis schon deshalb nur geringes strafmilderndes Gewicht beizumessen, weil die betreffenden Tatsachen bereits anderweitig bewiesen waren, hat das Landgericht hingegen nicht angestellt (vgl. ausführlich Kinzig, in: Schönke/Schröder, a. a. O., § 46, Rn. 41b, m. w. N.).

b) Die Argumentation der Strafkammer,

„zu seinen Gunsten wurde nicht gewertet, dass er seine politischen Ämter bzw. weiteren Tätigkeiten durch das Bekanntwerden des Vorwurfs nicht mehr weiter ausüben konnte, denn letztlich beruhte das auf seinem eigenen, rechtswidrigem Tun“

kann ebenfalls keinen Bestand haben. Bereits aus § 60 StGB folgt, dass wirtschaftliche, berufliche oder soziale Folgen der Tat, die den Täter selbst treffen, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind, auch wenn sie den Schweregrad des § 60 StGB nicht erreichen (Fischer, Strafgesetzbuch, 69. Auflage 2022, § 46, Rn. 34d). Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte infolge der Tat nicht nur seine politischen Ämter, sondern auch Einkünfte in Höhe von rund 40.000 € jährlich verloren.

Allerdings wird die für die erneute Entscheidung zuständige Strafkammer in den Blick zu nehmen haben, dass Nachteile, die der Täter bewusst riskiert hat oder die sich ihm aufdrägen mussten, in der Regel keine Milderung veranlassen (BGH, Urteil vom 12. Januar 2016 – 1 StR 414/15 -; Urteil vom 20. Juli 2005 – 2 StR 168/05 -; beide juris). Es spricht einiges dafür, dass ein politischer Mandatsträger, der bei Ausübung seines Mandats eine Straftat begeht, mit dem Verlust oder der Aufgabe seiner politischen Ämter rechnen muss.

c) Auch der strafschärfend von der Strafkammer berücksichtigte Gesichtspunkt,

„dass er [der Angeklagte] als gewählter Volksvertreter eine Vorbildfunktion innehatte, der er nicht gerecht geworden war“,

trägt nicht. Zwar ist denkbar, dass das Verhalten des Angeklagten Nachahmer findet, zumal in der Presse über die Tat berichtet wurde. Ungewiss ist allerdings, ob ein solcher Effekt bei „gewählten Volksvertretern“ in höherem Maße als bei anderen Straftätern auftritt, so dass generalpräventive Strafzwecke bei Straftaten von Abgeordneten eine schärfere Sanktion erfordern als bei gleichartigen Taten von Tätern, die keine Abgeordneten sind. Umgekehrt entspricht es dem Wesen einer repräsentativen Demokratie, dass Abgeordnete mit unterschiedlichsten Einstellungen und Verhaltensweisen in parlamentarische Gremien gewählt werden; auch deshalb erscheint es dem Senat widersprüchlich und bedenklich, an Straftaten „gewählter Volksvertreter“ andere rechtliche Maßstäbe anzulegen als an das Verhalten sonstiger Straftäter.

d) Schließlich gibt die Formulierung

„…zumal der Angeklagte sich mit seiner Tat ausweislich der Presseberichterstattung brüstete und von Reue auch in der Berufungshauptverhandlung kein Ansatz zu erkennen war“

Anlass zu der Befürchtung, die Strafkammer könnte die fehlende Reue strafschärfend herangezogen haben. Fehlende Unrechtseinsicht und Reue sind indes für sich allein kein Strafschärfungsgrund. Strafschärfend kann ein solches Verhalten nur gewertet werden, wenn es nach der Art der Tat und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindschaft, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen läßt (BGH, Beschluss vom 9. Juni 1983 – 4 StR 257/83 -, juris; Fischer, a. a. O., § 46, Rn. 51). Dies erscheint nach den bislang getroffenen Feststellungen eher fernliegend, zumal der Angeklagte bislang nicht vorbestraft ist.

Durchsuchung III: Und nochmals Anfangsverdacht, oder: Einmal reicht es, einmal nicht…..

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Im dritten Posting dann noch zwei Entscheidungen zur Durchsuchung, und zwar einmal hopp, einmal topp:

Zunächst hier der LG Magdeburg, Beschl. v. 04.05.2023 – 25 Qs 35/23 – ergangen in einem Ermittlungsverfahren wegen Jagdwilderei. In dem hat sich das AG bei der Anordnung einer Durchsuchung beim Beschuldigten allein auf Angaben mittelbarer Zeugen gestützt. Das hat dem LG nicht gereicht.

Zu der Entscheidung passt der Leitsatz:

Voraussetzung für die Anordnung der Durchsuchung gemäß § 102 StPO ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen und nicht nur straflos vorbereitet worden ist. Hierfür müssen zumindest tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Ggf. ist die Vernehmung unmittelbarer Tatzeugen erforderlich.

Und dann komme ich noch einmal zurück auf den OLG Hamm, Beschl. v. 27.04.2023 – 3 RVs 16/23. Den hatte ich neulich schon wegen der materiellen Frage vorgestellt, Stichwort: Impfpassfälschung (vgl. hier: Corona I: Gefälschter Impfpass vor Kreistagssitzung, oder: Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse). Das OLG hat in der Entscheidung dann auch zur Zulässigkeit der Durchsuchung beim Angeklagten Stellung genommen und die bejaht:

2. Bei der Feststellung des Tatgeschehens hat das Landgericht kein Beweisverwertungsverbot missachtet. Die Verfahrensrüge ist unbegründet. Die durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. November 2021 angeordnete Durchsuchung bei dem Angeklagten, bei der der zur Tatausführung verwendete Impfausweis aufgefunden und sichergestellt wurde, war rechtmäßig.

a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung beim Beschuldigten gem. § 102 StPO genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht (st. Rspr.; vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 BvR 1219/05 -, BGH, Beschluss vom 30. März 2023 – StB 58/22 -; Beschluss vom 26. Juni 2019 – StB 10/19 -; jeweils juris; jeweils m. w. N.).

Daran gemessen lagen sachlich zureichende Gründe für eine Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten vor. Denn der Angeklagte hatte gegenüber der Zeugin Q. angegeben, 300 bis 400 Ipfausweise des Impfzentrums Lage zu besitzen, und der Zeugin Q. einen solchen Impfausweis für 350 € zum Kauf angeboten. Die Zeugin Q. hatte dies dem Zeugen C. berichtet, der den Landrat in einem Gespräch hierüber informiert hatte. Diesen Gesprächsinhalt zeigte der Zeuge S. bei der Polizei an.

Zwar mögen die Angaben eines Zeugen, der nicht aus eigener Wahrnehmung über einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt berichten kann, weniger zuverlässig sein als die Angaben eines unmittelbaren Zeugen. Deshalb ist aber nicht umgekehrt den Angaben eines Zeugen vom Hörensagen von vornherein jeder Beweiswert abzusprechen; vielmehr können auch die Angaben eines mittelbaren Zeugen den für eine Durchsuchung ausreichenden Anfangsverdacht begründen (BGH, Beschluss vom 12. August 2015 – 5 StB 8/15 -, NStZ 2016, 370; vgl. auch Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 250, Rn. 10f.).

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den Angaben um eine Falschbelastung handelt, bestanden nicht; für die Richtigkeit sprach vielmehr, dass die Information durch einen Parteifreund und Fraktionskollegen des Angeklagten weitergegeben wurde. Zudem hatten sich während der Pandemie AfD-Politiker und -Anhänger so ablehnend gegenüber den Corona-Schutzregelungen geäußert, dass ausreichend Anlass bestand, konkrete Hinweise auf die Verletzung von § 279 StGB a. F. durch Angehörige dieses Personenkreises ernst zu nehmen.

b) Die Durchsuchung war auch nicht unverhältnismäßig.

Die Maßnahme war geeignet, zur Klärung des Tatverdachts beizutragen. Gegenüber der Durchsuchung stand kein gleichwirksames milderes Mittel zur Verfügung. Denn auch eine Vernehmung der weiteren Zeugen hätte zu diesem Zeitpunkt keine abschließende Klärung herbeigeführt, ob der Angeklagte unwahre Impfausweise besitzt.

Die Durchsuchung war auch angemessen. Soweit mit § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 5 CoronaSchVO NRW in der seinerzeit gültigen Fassung der Zugang zu Veranstaltungen bzw. Angeboten von einer Immunisierung oder Testung abhängig gemacht wurde, diente dies dem Gesundheitsschutz der anderen Nutzer bzw. Besucher der betreffenden Einrichtungen oder Veranstaltungen (OVG NRW, Beschluss vom 30. September 2021 – 15 B 1529/21 -, juris, m. w. N.). Zur Erreichung dieses Zwecks war der Schutz des Rechtsverkehrs vor unwahren Impfzeugnissen unabdingbar. Die Verletzung des Vertrauens in die Richtigkeit von Gesundheitszeugnissen konnte in diesem Fall über die unmittelbare rechtliche Beziehung zwischen dem Angeklagten und dem Landrat weit hinausreichende, im Einzelfall für Dritte auch sehr ernsthafte gesundheitliche, schlimmstenfalls tödliche Folgen haben.“

U-Haft III: Zuständigkeitswechsel bei Haftbeschwerde, oder: Umdeutung der nicht erledigten Haftbeschwerde

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Und dann noch als dritte Entscheidung der OLG Hamm, Beschl. v. 25.04.2023 – 3 Ws 127/23. Es geht umd die Frage der Zuständigkeit zur Entscheidung über eine (nicht erledigte) Haftbeschwerde bei einem Zuständigkeitswechsel im Laufe des Verfahrens.

Dazu meint das OLG – ebenso wie die überwiegende Meinung, so dass die Leitsätze reichen:

1. Eine Haftbeschwerde, die nach Aufhebung eines erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht an einen anderen Spruchkörper eingelegt worden ist, ist grundsätzlich in einen Haftprüfungsantrag umzudeuten.

2. Eine Ausnahme kann dann gelten, wenn eine Umdeutung lediglich zu einer sachlich nicht gebotenen kurzfristig erneuten Haftentscheidung desselben Spruchkörpers führen und die Anrufung des Beschwerdegerichts ohne sachlich zwingende Gründe verzögern würde, weil derselbe Spruchkörper erst kurz zuvor eine ausreichend begründete Haftentscheidung (gegebenenfalls als Beschwerdegericht) getroffen hat. Hat der neue Spruchkörper zur Zeit der Beschwerdeeinlegung jedoch noch keine begründete Haftentscheidung getroffen, ist es sachlich nicht gerechtfertigt, diesem lediglich die bloße Abhilfeentscheidung (§ 306 Abs. 2 StPO) zu überlassen.