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U-Haft III: Zuständigkeitswechsel bei Haftbeschwerde, oder: Umdeutung der nicht erledigten Haftbeschwerde

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Und dann noch als dritte Entscheidung der OLG Hamm, Beschl. v. 25.04.2023 – 3 Ws 127/23. Es geht umd die Frage der Zuständigkeit zur Entscheidung über eine (nicht erledigte) Haftbeschwerde bei einem Zuständigkeitswechsel im Laufe des Verfahrens.

Dazu meint das OLG – ebenso wie die überwiegende Meinung, so dass die Leitsätze reichen:

1. Eine Haftbeschwerde, die nach Aufhebung eines erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht an einen anderen Spruchkörper eingelegt worden ist, ist grundsätzlich in einen Haftprüfungsantrag umzudeuten.

2. Eine Ausnahme kann dann gelten, wenn eine Umdeutung lediglich zu einer sachlich nicht gebotenen kurzfristig erneuten Haftentscheidung desselben Spruchkörpers führen und die Anrufung des Beschwerdegerichts ohne sachlich zwingende Gründe verzögern würde, weil derselbe Spruchkörper erst kurz zuvor eine ausreichend begründete Haftentscheidung (gegebenenfalls als Beschwerdegericht) getroffen hat. Hat der neue Spruchkörper zur Zeit der Beschwerdeeinlegung jedoch noch keine begründete Haftentscheidung getroffen, ist es sachlich nicht gerechtfertigt, diesem lediglich die bloße Abhilfeentscheidung (§ 306 Abs. 2 StPO) zu überlassen.

Anfängerfehler, oder: Oder das selbst als unzulässig zurückgewiesene Ablehnungsgesuch

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Zum Wochenanfang dann ein wenig vom BGH. Zunächst gibt es den BGH, Beschl. v. 07.09.2017 -1 StR 300/17, ergangen in einem Verfahren mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen das BtMG. M.E war es ein Anfängerfehler, den der BGH da bei einer Strafkammer des LH Heilbronn moniert. Die hatte nämlich einen Ablehnungsantrag des Angeklagten als unzulässig, weil nur zur Prozessverschleppung gestellt – § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO – verworfen. Aus dem Beschluss ergibt sich in etwa folgender Verfahrensablauf:

Am ersten Hauptverhandlungstag, dem 18.11.2016, hat der Verteidiger namens des Angeklagten den Vorsitzenden Richter und den richterlichen Beisitzer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung des Befangenheitsgesuchs nahm der Verteidiger zunächst auf seine im Rahmen einer ersten, später jedoch ausgesetzten Hauptverhandlung gestellten Befangenheitsanträge und Erwiderungen auf die dienstlichen Stellungnahmen der Richter aus August 2016 Bezug. Ergänzend führte er als neuen Sachvortrag aus, dass sich eine Befangenheit der Berufsrichter im neuen Hauptverhandlungstermin ergebe, da die Terminierung zur nunmehrigen Hauptverhandlung abermals rechtsfehlerhaft und willkürlich erfolgt. Darüber hinaus machte der Angeklagte geltend, dass die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers mit Beschluss v. 31.10.2016 gegen seinen ausdrücklichen Willen erfolgt sei, ohne dass die Voraussetzungen hierfür gegeben gewesen seien. Weiter trug er vor, dass der Verteidigung in der Hauptverhandlung das Wort zur Antragstellung nicht erteilt und trotz Beanstandung der Verteidigung und Beantragung eines Gerichtsbeschlusses ein solcher nicht herbeigeführt und protokolliert worden sei. Auch einem Unterbrechungsantrag des Verteidigers zur Beratung mit dem Angeklagten sei nicht nachgekommen worden.

Das LG hat den Befangenheitsantrag unter Mitwirkung der abgelehnten Richter und der Schöffen gem. § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig verworfen. Zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass es dem Angeklagten einzig darum gehe, in rechtsmissbräuchlicher Weise das Verfahren zu sabotieren.

Anders der BGH auf die Verfahrensrüge des Angeklagten – § 338 Nr. 3 StPO: Die einer Vereinfachung des Ablehnungsverfahrens dienende Vorschrift des § 26a StPO gestatte nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag entscheidet, wenn keine Entscheidung in der Sache getroffen wird und die Beteiligung des abgelehnten Richters lediglich auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung des Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt. Hingegen dürfe der abgelehnte Richter über eine formale Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 26a StPO hinaus nicht an einer näheren inhaltlichen Untersuchung der Ablehnungsgründe auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer offensichtlichen Unbegründetheit mitwirken und sich auf diese Weise zum Richter in eigener Sache machen. Das sei hier aber geschehen:

Diesen Maßstäben hält die Verwerfung des gegen die Berufsrichter und Schöffen gerichteten Ablehnungsgesuchs als unzulässig nicht stand.

a) Die Voraussetzungen für eine Verschleppungsabsicht oder eine Verfolgung nur verfahrensfremder Zwecke i.S.d. § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO liegen nicht vor.

Mit dem am ersten Tag der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsgesuch des Angeklagten wurden mit der aus seiner Sicht rechtsfehlerhaften und willkürlichen Terminierung zur neu angesetzten Hauptverhandlung sowie der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers erkennbar neue Tatsachen vorgebracht, die eine Besorgnis der Befangenheit des Gerichts in der jetzigen Haupt-verhandlung begründen konnten. Dass dabei zur Begründung dieses Befangenheitsantrags auf frühere Anträge und Entscheidungen Bezug genommen wurde, steht dem nicht entgegen. Denn erst unter Berücksichtigung des bisherigen Verfahrensablaufs wurde das neue, aus Sicht des Angeklagten die jetzige Befangenheit begründende Verhalten der Berufsrichter nachvollziehbar. Damit kann bereits nicht festgestellt werden, dass es dem Antragsteller offensichtlich bereits am ersten Tag der Hauptverhandlung ausschließlich auf eine Verzögerung des Verfahrens durch einen exzessiv und rechtsmissbräuchlich gestellten Ablehnungsantrag ankam oder ausschließlich verfahrensfremde Ziele verfolgt wurden. Dies umso mehr, als der Angeklagte auf Grund der zeitlichen Grenze des § 25 Abs. 1 StPO gehalten war, sich neu ergebende Anhaltspunkte, die geeignet waren, Zweifel gegen die Unparteilichkeit des Gerichts zu begründen, unmittelbar zu Beginn der neuen Hauptverhandlung geltend zu machen.

b) Im Übrigen werden mit der Entscheidung auch die dargestellten Gren-zen der vom Gesetzgeber nach § 26a StPO ausnahmsweise zugelassenen Verwerfungskompetenz durch das abgelehnte Gericht überschritten. Denn es erfordert eine inhaltliche und keine rein formale Prüfung, ob der vom Angeklagten in seinem Ablehnungsgesuch geltend gemachte neue Sachvortrag aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermochte. Dies wird auch aus der Begründung des Beschlusses vom 23. November 2016 deutlich, soweit in Bezug auf den neuen Sachvortrag des Angeklagten darauf verwiesen wird, dass „wahrheitswidrige“ oder „unwahre Behauptungen“ aufgestellt würden. Weil die abgelehnten Richter die Entscheidung selbst getroffen haben und damit eine inhaltliche Bewertung des Ablehnungsgesuchs vorgenommen haben, ist der Anwendungsbereich des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO in einer Weise überspannt worden, die im Blick auf die An-forderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbar war.

Ich denke, darauf hätte man als Strafkammer kommen können.

Aber wahrscheinlich waren die fronten zu verhärtet, um in Ruhe nachzudenken. Dafür spricht, dass der BGH das Verfahren an ein anderes Landgericht zurückverwiesen hat. (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).