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Rechtsmittel III: Wirksame Berufungsbeschränkung?, oder: Ausreichende Ermächtigung und Zustimmung

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Und die dritte Entscheidung kommt dann ebenfalls zur Berufung. Der OLG Hamm, Beschl. v. 14.09.2021 – III-3 RVs 49/21 – verhält sich zur Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung. In der Entscheidung geht es aber mal nicht um ausreichende Feststellungen, sondern um die ausreichende Ermächtigung des Verteidigers zur nachträglichen Beschränlung der Berufung und/oder um die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu nachträglichen Beschränkung.

Das LG war von einer wirksamen Berufungsbeschränkung ausgegangen. Das hat das OLG anders gesehen:

„Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil das Landgericht zu Unrecht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch ausgegangen ist und deshalb die erforderlichen eigenen Feststellungen zum Schuldspruch nicht getroffen hat.

1. Die mit Verteidigerschriftsatz vom 14. Dezember 2020 nach Rechtsmitteleinlegung erklärte Berufungsbeschränkung, deren Wirksamkeit das Revisionsgericht von Amts wegen und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts prüft (BGH, Beschluss vom 30. November 1976 — 1 StR 319/76 juris; Schmitt, in: Meyer-Goßner, Strafprozessordnung, 64. Auflage 2021, § 318, Rn. 33), erweist sich als unwirksam. Denn bei der nachträglichen Beschränkung der Revision handelt es sich um eine Teilrücknahme des Rechtsmittels, so dass der Verteidiger gem. § 302 Abs. 2 StPO hierzu einer ausdrücklichen Ermächtigung bedurfte (Schmitt, a. a. O., § 302, Rn. 1). Eine solche ist nicht ersichtlich. Die in der allgemeinen Strafprozessvollmacht vom 1. Oktober 2020 enthaltene Befugnis, ,,Rechtsmittel einzulegen, zurückzunehmen, zu beschränken“, genügt schon deshalb nicht als ausdrückliche Ermächtigung im Sinne von § 302 Abs. 2 StPO, weil sie sich nicht auf ein konkretes Rechtsmittel bezieht (vgl. BGH, Beschluß vom 2. August 2000 – 3 StR 284/00, juris; Schmitt, a. a. 0., Rn. 32; Allgayer, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2016, § 302, Rn. 43). Zudem war diese Vollmacht mit Niederlegung des Wahlmandats und Beiordnung als Pflichtverteidiger in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung am 27. Oktober 2020 erloschen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Novembe’r 1990 — 4 StR 457/90 juris).

2. Der Senat vermag auch nicht festzustellen, dass in der Berufungshauptverhandlung am 19. Mai 2021 wirksam eine Berufungsbeschränkung erklärt worden ist.

Nach der Sitzungsniederschrift wurde die Berufung des Angeklagten „mit Schriftsatz vom 14.12.2020 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt“. Dies legt nahe, dass der Angeklagte oder der Verteidiger in der Berufungshauptverhandlungen gerade keine weiteren Erklärungen zum Umfang der Berufung abgegeben haben, sondern die Beteiligten die Erklärung vom 14. Dezember 2020 zugrunde gelegt haben. Doch selbst wenn man das Schweigen des Angeklagten und des Verteidigers als durch schlüssiges Verhalten erneut erklärte Berufungsbeschränkung auslegen wollte, ändert dies an der Unwirksamkeit nichts. Denn in diesem. Fall hätte es gem. § 303 Satz 1 StPO der Zustimmung der Staatsanwaltschaft bedurft. Auch diese vermag der Senat nicht festzustellen.

Zwar kann die gem. § 303 Satz 1 StPO erforderliche Zustimmung ebenfalls durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. Das Ausbleiben einer Reaktion kann indes ohne weitere Anhaltspunkte nicht als Zustimmung gewertet werden (MüKoStPO/Allgayer, 1. Aufl. 2016, StPO § 303 Rn. 6). So verhält es sich hier: Zwar hat auch die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Diese Beschränkung war allerdings schon mit der Berufungsbegründung vom 2. Dezember 2020 erklärt worden, so dass ihr ein Erklärungswert in Bezug auf Erklärungen des Angeklagten oder seines Verteidigers in der Berufungshauptverhandlung nicht zukommt. Auch andere Gesichtspunkte, die auf eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung hindeuten, bestehen nicht.“

StPO III: Unterzeichung der Revisionsbegründung, oder: Deutlich schreiben

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Und zum Tagesschluss dann noch der OLG Hamm, Beschl. v. 10.08.2021 – 1 RVs 41/21 – zur Unterzeichnung der Revisionsbegründung. Das OLG hat die Revision des Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen § 345 Abs. 2 StPO als unzulässig verworfen, da sie nicht in der gebotenen Form begründet worden war:

„Gemäß § 345 Abs. 2 StPO kann die Revisionsbegründung des Angeklagten, sofern sie nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt wird, nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt „unterzeichneten Schrift“ erfolgen. Was unter einer Unterzeichnung in diesem Sinne zu verstehen ist, ergibt sich aus dem Sprachgebrauch sowie dem Sinn und Zweck der Formvorschrift. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung hieraus abgeleiteten Anforderungen lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass die Unterzeichnung in jedem Fall nicht lesbar zu sein braucht; Undeutlichkeiten und Verstümmelungen schaden also grundsätzlich nicht. Allerdings ist zu verlangen, dass wenigstens andeutungsweise Buchstaben erkennbar sein müssen, da es andernfalls bereits an dem Merkmal einer Schrift fehlt. Darüber hinaus gehört es zum Wesen der Unterzeichnung, dass der Schriftzug einen individuellen und einmaligen Charakter aufweist, der die Identität des Unterzeichnenden ausreichend kennzeichnet, und somit die Nachahmung durch einen beliebigen Dritten zumindest erschwert (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 07. Dezember 2006 — 2 St OLG Ss 260/06 —, Rn. 11, juris, mit Hinweisen zur Rspr. des BGH; vgl. auch zur richterlichen Unterschrift Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – 111-1 RVs 94/16 -, juris, m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., Einl. 129). Im Ergebnis muss mit dem Namen des Unterzeichnenden ein Mindestmaß an Ähnlichkeit in dem Sinne bestehen, dass ein Dritter, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, ihn aus dem Schriftbild noch herauslesen kann (vgl. OLG Nürnberg, a.a.O.).

Eine diesen Anforderungen genügende Unterschrift weist die Revisionsbegründung nicht auf. Sie besteht lediglich aus einem handschriftlich angebrachten Aufstrich und Abstrich mit Scheitel (Wendepunkt, an dem Aufstrich und Abstrich zusammenlaufen), wobei der Abstrich über eine Schleife in einem den Aufstrich und den Abstrich in der Mitte kreuzenden Querstrich endet. Es besteht Ähnlichkeit mit dem Großbuchstaben „A“, jedoch keinerlei Ähnlichkeit mit dem Anfangsbuchstaben („H“) oder mit einer Buchstabenfolge aus dem Nachnamen des Verteidigers.

 

Das Schriftgebilde stellt sich im Original wie folgt dar:

[hier ist im Orginal ein Bild von Unterschrift mit dem Namen des Rechtsanwalts enthalten; wovon man im Internet besser absieht]

Der Mangel der erforderlichen Unterzeichnung wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass sich der Name des Rechtsanwaltes ausgedruckt unterhalb des Schriftgebildes befindet, da dieser Zusatz die vom Gesetz geforderte Unterzeichnung der Revisionsbegründung nicht zu ersetzen vermag.“

M.E. so nicht richtig. Man hätte es auch anders lösen können. Ich gehe mal davon aus, dass der der Senat den Kollegen und seine Unterschrift im Zweifel kennt.

Jedenfalls gilt aber: Deutlich schreiben.

OWi I: Es gibt ein Lichtbild vom Verkehrsverstoß, oder: Hohe Anforderungen an die Urteilsgründe

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Die 42. KW/2021 beginne ich mit zwei OWi-Entscheidungen. Thematik: Fahreridentifizierung.

Den Aufschlag mache ich mit dem OLG Hamm, Beschl. v. 05.10.2021 – 3 RBs 211/21. Verurteilt worden ist der Betroffene wegen eines Rotlichverstoßes auf der Grundlage eines von dem Verstoß gefertigten Lichtbildes. Das gefällt dem OLG so, wie es das AG begründet hat, nicht. es „rückt“ die Ausführungen der GStA ein und hebt auf:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 17. September 2021 insoweit Folgendes ausgeführt:

„Hinsichtlich der Feststellung der Fahrereigenschaft müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf ein in der Akte befindliches Foto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Von dieser Möglichkeit hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil Gebrauch gemacht (BI. 137 d. A.). Aufgrund der Bezugnahme wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsmittelgericht kann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist. Ist das Foto aber — wie vorliegend der Fall — aufgrund schlechterer Bildqualität zur Identifizierung des Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die — auf dem Foto erkennbaren — charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben (zu vgl. OLG Zweibrücken BeckRS 2018, 42893 Rn. 7).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Beweiswürdigung erweist sich als lückenhaft, soweit das Amtsgericht die Fahrereigenschaft des Betroffenen festgestellt hat.

Der Tatrichter hätte sich mit den qualitativen Einschränkungen des Messfotos auseinandersetzen und erörtern müssen, weshalb trotz der qualitativen Einschränkungen, gleichwohl eine Identifikation anhand der von ihm beschriebenen Gesichtsmerkmale möglich gewesen ist. Es fehlt vorliegend bereits an einer Auseinandersetzung mit den qualitativen Einschränkungen des Messfotos: diese werden lediglich festgestellt.

(….)

Die Überzeugung des Tatrichters beruht zudem nach der Darstellung in den Urteilsgründen allein auf dem mündlich erstatteten Sachverständigengutachten (zu vgl. OLG Hamm, BeckRS 2017, 117469 Rn. 4). Insoweit werden zwar einige Gesichts- bzw. Kopfmerkmale wiedergegeben, die der Sachverständige bei Abgleich mit dem Messfoto gefunden haben will (Gesichts-, Wangen- und Kinnform, hohe Stirn, ansteigende linke Augenbraue). Die Merkmale seien nach den Feststellungen des Sachverständigen „individualtypisch“, stünden nicht im Widerspruch zum Aussehen des Betroffen und seien „bei beiden gegeben“. Der Sachverständige habe die Identität des Betroffenen mit der Person auf dem Radarfoto als „wahrscheinlich“ eingeordnet; der von der Verteidigung ins Spiel gebrachte Alternativfahrer habe ein „viel schmaleres Gesicht“ und verfüge „über eine Spitze am Haaransatz“, sodass der Zeuge nicht die auf dem Messfoto abgebildete Person sei. Dies reicht indes nicht aus, um das Rechtsbeschwerdegericht in den Stand zu versetzen, die Ausführungen des Sachverständigen überprüfen zu können. So bleibt schon unklar, was mit den Formulierungen „wahrscheinlich“, „individualtypisch“ und es bestehe kein Widerspruch zum Aussehen des Betroffenen gemeint ist. Nachvollziehbar begründete Wahrscheinlichkeitsaussagen fehlen. Im Übrigen fehlt die Beschreibung der in den Urteilsgründen lediglich in Bezug genommen 18 Merkmalsausprägungen, die in dem Gesicht der Person auf dem Foto zu sehen sein sollen und die sich auch in dem Gesicht des Betroffenen wiederfinden. Es werden lediglich fünf Merkmalsausprägungen, die der Sachverständige festgestellt hat, wiedergegeben. Ist aber das Messfoto von derart schlechter Qualität wie im vorliegenden Fall, sind hohe Anforderung an die Begründung der richterlichen Überzeugungsbildung zu stellen, die vorliegend durch vage gehaltene niedrigschwellige Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht erfüllt werden.

Soweit das angefochtene Urteil als Indiz für die Fahrereigenschaft auch die Initialen des Betroffenen und seinen Geburtstag auf dem Kennzeichen des genutzten Fahrzeugs heranzieht, hat dies zwar indizielle Bedeutung, ist jedoch nicht so zwingend, dass die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung im Übrigen entscheidend ausgeglichen wird.“

Den oben zitierten Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.“

Und selbst hat das OLG auch noch etwas zu „meckern“:

„Teilweise ergänzend bemerkt der Senat lediglich noch Folgendes:

Die Urteilsgründe werden — worauf bereits die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hatte — den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten, die nicht unter Anwendung eines allgemein anerkannten und weithin standardisierten Verfahrens erstattet worden sind, wie es bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten der Fall ist, nicht gerecht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer in sich geschlossenen (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1999 — 3 StR 241/99 —, Rdnr. 2, juris; Senat, Beschluss vom 26. Mai 2008 — 3 Ss OWi 793/07 —, Rdnr. 9, juris). Daran fehlt es aus den o.g. in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen. Letztlich kann nicht einmal nachvollzogen werden, wie die Sachverständige zu der Wahrscheinlichkeitseinschätzung „wahrscheinlich“ kommt und wie diese einzuordnen ist. Auch ist keine Beurteilung dahingehend möglich, ob es sich bei der Bewertung der Beweisbedeutung der übereinstimmenden Merkmale durch den Sachverständigen nur um mehr oder weniger genaue Anhaltswerte handelt, die den Beweiswert der abgegebenen Wahrscheinlichkeitsaussage erheblich relativieren (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 04. Februar 2019 —111-4 RBs 17/19 —, Rdnr. 5, juris).

Soweit das Amtsgericht sich im Rahmen der Beweiswürdigung auf die Angaben eines Sachverständigen stützt, enthält das Urteil noch einen weiteren Darstellungsmangel. Denn in den Urteilsgründen wird die Person des Gutachters lediglich namentlich benannt und mitgeteilt, dass dieser dem Gericht seit Jahren als besonders erfahrener, zuverlässiger und kompetenter Sachverständiger für Lichtbildvergleichsgutachten bekannt sei. Nähere Einzelheiten zu seiner genauen Fachrichtung, seiner Arbeitsstelle und seiner Qualifikation zur Erstattung eines anthropologischen Sachverständigengutachtens werden nicht mitgeteilt. Dies ist in der Regel unzureichend (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15. Mai 2008 — 2 Ss OWi 229/08 —, Rdnr. 7, juris).

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Anforderungen an die Darlegung bzgl. eines (anthropologisch-morphologischen) Sachverständigengutachtens nur für den Fall gelten, dass sich der Tatrichter für seine Überzeugungsbildung von der Täterschaft — wie hier — allein auf ein Sachverständigengutachten stützt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 04. Februar 2019 —111-4 RBs 17/19 —, Rdnr. 6, juris).“

Verzögerte Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren, oder: Warten auf Aktenrückkehr „rechtswidrige Praxis“

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Am Gebührenfreitag starte ich mit einer Entscheidung des OLG Hamm. Das hat in einem Verfahren, in dem eine Entschädigung nach §§ 198 f- GVG geltend gemacht worden ist, sehr deutlich zu einer verzögerten Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung Stellung genommen. Ich kann nur sagen: Endlich gibt es mit dem OLG Hamm, Urt. v. 08.09.2021 – 11 EK 11/20 – eine Entscheidung, die die vielfach anzutreffende Praxis von Kostenbeamten, einen Festsetzungsantrag zunächst mal damit zu bescheiden, dass über den Antrag erst nach Rückkehr der Akten aus der Rechtsmittelinstanz entschieden werden kann, als das bezeichnet, was sie ist: Nämlich eine „rechtswidrige Praxis“.

Der Entscheidung liegt etwa folgender Sachverhalt zugrunde:

Die klagende Rechtsanwältin, verlangt wegen einer überlangen Verfahrensdauer für die Festsetzung von erstinstanzlich angefallenen Pflichtverteidigergebühren die Zahlung einer Geldentschädigung. Das AG hatte am 18.6.2018 das Hauptverfahren gegen den Angeklagten eröffnet und die Klägerin zur Pflichtverteidigerin bestellt. Der Angeklagte wurde am 30.04.2019 verurteilt. Am gleichen Tage beantragte die Klägerin die Festsetzung ihrer Pflichtverteidigergebühren. Am 07.05.2019 legte sie für den Angeklagten Rechtsmittel ein. Nachdem zunächst am 04.06.2019 der zuständige Richter die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft verfügt hatte, lag die Akte am 05.06.2019 der für die Festsetzung zuständigen Rechtspflegerin vor. Mit Verfügung von diesem Tage bat sie die Klägerin um Überprüfung ihrer Kostenrechnung und um Einreichung einer berichtigten Rechnung. Soweit in der Rechnung Kopierkosten geltend gemacht waren, bat sie um Einreichung der gefertigten Kopien. Ferner bat sie um Erläuterung von Abwesenheitszeiten und der für Fahrten angesetzten Kilometerzahl. Abschließend erteilte sie den Hinweis: „Ich weise Sie allerdings bereits jetzt darauf hin, dass die Bearbeitung des Antrags erst nach Aktenrückkehr aus der Berufungsinstanz erfolgen kann.“

Mit Schriftsatz vom 05.07.2019 erklärte die Klägerin, dass das eingelegte Rechtsmittel als Berufung geführt werden soll. Daraufhin übersandte die Staatsanwaltschaft am 11.07.2019 die Strafakten an das LG. Mit Verfügung vom 26.08.2019 regte die Berufungsrichterin nach bereits erfolgter Zustimmung der Staatsanwaltschaft gegenüber der Klägerin die Einstellung des Verfahrens gegen den Angeklagten an.

Mit Schriftsatz vom 20.09.2019 erläuterte die Klägerin gegenüber dem AG ihre Kostenrechnung und kündigte angesichts der voraussehbaren Bearbeitungszeit die Erhebung einer Verzögerungsrüge an. Am 23.09.2019 teilte die Rechtspflegerin der Klägerin mit, dass die Bearbeitung des Vergütungsantrages erst nach Aktenrückkehr erfolgen könne. Mit Schriftsatz vom 21.10.2019 erklärte die Klägerin für den Angeklagten das Einverständnis mit dem Vorgehen gemäß § 153 a StPO. Das LG beschloss daraufhin die vorläufige Einstellung des Verfahrens und legte gegenüber dem Angeklagten die Auflagen fest. Mit Schriftsatz vom 19.11.2019 erhob die Klägerin gegenüber dem AG bezüglich der Gebührenfestsetzung Verzögerungsrüge. Mit Verfügung vom 29.11.2019, ausgeführt am 13.01.2020, teilte die Rechtspflegerin ihr daraufhin mit, sie müsse noch die von ihr berechneten Kopien im Original vorlegen, zudem bleibe es dabei, dass die weitere Bearbeitung des Kostenantrags erst nach Rückkehr der Akten erfolgen könne. Am 29.04.2020 stellte das LG das Strafverfahren nach Erfüllung der Auflagen durch den Angeklagten ein. Unter dem 20.05.2020 erhob die Klägerin beim AG erneut Verzögerungsrüge. Am 03.06.2020 wurden der Klägerin die Verteidigergebühren für ihre Tätigkeit in II. Instanz aufgrund ihres Antrages vom 11.05.2020 angewiesen. Mit Schreiben vom 8.6.2020 mahnte die Klägerin die Bescheidung ihres Kostenantrages für die I. Instanz an. Am 17.06.2020 setzte das AG die Vergütung der Klägerin entsprechend ihrem Antrag vom 30.04.2019 auf 1.135,14 EUR fest.

Die Klägerin hat die Zahlung einer angemessene Entschädigung, deren Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, jedoch mindestens 850,– EUR betragen soll, verlangt. Das beklagte Land beantragte, die Klage abzuweisen. Das OLG hat 200 EUR zugesprochen.

Ich kann nur empfehlen, die Urteilsgründe zu lesen. Die stelle ich hier wegen ihres Umfangs nicht ein, sondern beschränke mich auf den Leitsatz der Entscheidung, der lautet:

Ein beim Amtsgericht zu führende Verfahren zur Festsetzung erstinstanzlicher Pflichtverteidigerkosten kann eine im Sinne von § 198 GVG unangemessen lange Verfahrensdauer haben, wenn es vom zuständigen Rechtspfleger grundsätzlich so betrieben wird, dass die Vergütungsfestsetzung bis zur Rücksendung der Akten aus der Rechtsmittelinstanz nicht abschließend bearbeitet wird, und während der Dauer der Aktenversendung auch eine Anfrage beim Rechtsmittelgericht unterbleibt, um die Akten für den kurzen Bearbeitungszeitraum einer Vergütungsfestsetzung zurück zu erlangen.

Anzumerken ist: Die Entscheidung gilt natürlich nicht nur für Festsetzungsverfahren beim AG, sondern auch für solche bei einem LG. Die Entscheidung ist „gute Munition“ für den Pflichtverteidiger, die Festsetzungsverfahren dann vielleicht endlich beschleunigen zu können. Denn das OLG hat der immer wieder anzutreffenden Praxis von Kostenbeamten, bis zur Rückkehr der Akten aus der Rechtsmittelinstanz die Hände in den Schoß zu legen, einen Riegel vorgeschoben und verlangt – m.E. zu Recht – ein Tätigwerden in Form des Zurückforderns der Akte, um das Festsetzungsverfahren weiter zu betreiben. In der Pflicht sind an der Stelle dann aber auch die Rechtsmittelgerichte und ggf. die Staatsanwaltschaften, die sich um die möglichst schnelle Rücksendung der Akten kümmern müssen, wenn sie bei ihnen nicht mehr benötigt werden. Und das ist nach einer Terminierung der Fall. Dann gehören die Akten nicht in einen Aktenschrank, wo sie bis zum Termin vor sich hinschlummern, sondern müssen zurückgeschickt werden. Ebenso ist ggf. nach Zustellung des Urteils zu verfahren, wenn der Eingang der Revisionsbegründung abgewartet wird. Eine davon abweichende Praxis sieht das OLG ausdrücklich als „rechtswidrige Praxis“ an.

Und man darf nicht übersehen: Das OLG verlangt nicht nur die einmalige Aufforderung zur Rücksendung der Akten, sondern auch die Erinnerung bzw. die Wiederholung der Rücksendungsaufforderung. Damit korrespondiert m.E. die Verpflichtung des Rechtsmittelgerichts dem Ausgangsgericht mitzuteilen, warum nicht und wann mit der Rücksendung der Akten gerechnet werden kann.

Man kann m.E. im Übrigen trefflich darum streiten, ob nicht sogar die Anlegung eines Aktendoppels verlangt werden muss, was das OLG wegen des „damit verbundenen Zeit- und Materialaufwandes“ verneint. Dem mag man in einem Verfahren, wie es hier offenbar vorgelegen hat, noch folgen. M.E. kann man das aber nicht in umfangreichen Verfahren mit mehreren Verteidigern. Dann wird man, wenn nicht so oder so schon ein Kostenband existiert, dessen Anlegung fordern müssen, damit die eingehenden Festsetzungsanträge zeitnah beschieden werden können.

So groß die Freude über die Entscheidung ggf. sein wird – zumindest teilweise 🙂 : Verteidiger sind natürlich auch selbst in der Pflicht. Nicht nur, dass der Festsetzungsantrag so gestellt werden sollte, dass verzögernde Rückfragen des Kostenbeamten nicht erforderlich sind, sondern es muss dann auch alles getan werden, um ggf. einen Entschädigungsbetrag geltend machen zu können. Also Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG unter Beachtung der Frist des § 198 Abs. 3 Satz 3 und der Klagefristen des § 198 Abs. 5 GVG (wegen der Einzelheiten <<Werbemodus an>> Burhoff in: Burhoff in. Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, Rn 3323 m.w.N.) <<Werbemodus aus>>.

Corona II: Diverses, oder: Nächtliche Ausgangssperre, Handmassage/Prostitutionsstätte, Bußgeldbescheid

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Im zweiten Posting dann dreimal das OLG Hamm zu „Corona-Fragen“, und zwar:

1. Die durch „Allgemeinverfügung des Kreises Lippe zur Umsetzung von Schutzmaßnahmen, die der Verhütung und Bekämpfung einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV- 2 auf dem Gebiet des Kreises Lippe dienen“ vom 18. Dezember 2020, veröffentlicht unter Nr. 831 im Kreisblatt – Amtsblatt des Kreises Lippe und seiner Städte und Gemeinden – Nr. 123, S. 1408 angeordnete nächtliche Ausgangssperre ist nicht nichtig.

2. Der durch einen (bloß) rechtswidrigen Verwaltungsakt bzw. eine (bloße) rechtswidrige Allgemeinverfügung Betroffene muss sich darauf verweisen lassen, dagegen Rechtsmittel einzulegen; bis zu einem Erfolg seines Rechtsmittels ist er an die Vorgaben des Verwaltungsakts bzw. der Allgemeinverfügung gebunden. Es genügt, wenn der der Bußgeldentscheidung zu Grunde liegende Verwaltungsakt bestandskräftig oder sonst vollziehbar ist.

1. Das bußgeldbewehrte Verbot des Betriebs von Prostitutionsstätten aus § 18 Abs. 2 Nr. 14 CoronaSchVO NRW (hier und nachfolgend in der Fassung vom 11. Mai 2020) i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO NRW ist rechtmäßig.

2. Ein Massagesalon, in welchem zum Abschluss der Massage entgeltlich die manuelle sexuelle Befriedigung des Kunden angeboten wird, stellt eine Prostitutionsstätte im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 5 CoronaSchVO NRW dar.

3. Betreibt der Betroffene – wie vorstehend beschrieben – verbotswidrig einen Massagesalon als Prostitutionsstätte, liegt nicht zugleich ein (tateinheitlicher) Verstoß gegen § 12 Abs. 2 Nr. 4 CoronaSchVO NRW i.V.m. der „Anlage Hygiene- und Infektionsschutzstandards“ VI. Nr. 4 vor, wenn er Kundenkontaktdaten nicht dokumentiert.

1. Der Sachverhalt, in dem die Verwaltungsbehörde den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erblickt, unter Anführung der Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale erfüllen, als geschichtlicher Lebensvorgang so konkret zu schildern, dass dem Betroffenen erkennbar wird, welches Tun oder Unterlassen Gegenstand der Ahndung sein soll und gegen welchen Vorwurf er sich daher verteidigen muss. Der Umfang der Tatschilderung wird maßgeblich von der Gestaltung des Einzelfalls und der Art der verletzten Vorschrift bestimmt (hier: „Betrieb einer gastronomischen Einrichtung).

2. Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel in dieser Richtung lassen sich weder mit Hilfe anderer Erkenntnisquellen, etwa dem Akteninhalt im Übrigen, ergänzen noch nachträglich, etwa durch Hinweise in der Hauptverhandlung, „heilen“.